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LATEINAMERIKA/2411: Kampagne der Bischofskonferenz - Kirchenfürsten diffamieren Chávez (SB)


Kardinal Urosa ignoriert säkularen Charakter des Staats


Daß die katholische Kirche Lateinamerikas unbeugsam im Streit für "die Verdammten dieser Erde" einträte, kann man schwerlich behaupten, wovon die Befreiungstheologie ein Lied zu singen weiß. Rom und der lokale Klerus wußten sich stets an der Seite der Mächtigen am besten aufgehoben, die sich des gewaltigen Werkzeugs jenseitigen Heils bedienten, um auf dem Rücken der Elenden thronend ihrem Geschäft des Raubes nachzugehen. Wenngleich sich die Kirchenführung von Land zu Land durchaus mit einer gewissen Schwankungsbreite um diese Generallinie positioniert und das persönliche Engagement zahlloser Christenmenschen nicht in Abrede gestellt werden soll, sind die Bischofskonferenzen jedenfalls kein Hort entschiedenen Aufbegehrens gegen die Produzenten von Hunger und Erniedrigung.

Die venezolanische Bischofskonferenz, allen voran Kardinal Jorge Urosa Savino, mag als aktueller Beleg der eingangs erhobenen These dienen. Venezuelas Kirchenfürsten nehmen derzeit Hugo Chávez aufs Korn, um alte Vorwürfe mit neuer Inbrunst gegen die Mächte der Finsternis ins Feld zu führen, deren Statthalter auf Erden sie im Präsidentenpalast zu Caracas verorten. In dem überwiegend katholischen Land sollte sich ex cathedra doch manches Rad zurückdrehen lassen, zumal im Angesichte näherrückender Parlamentswahlen, mag sich Urosa gedacht haben, als er in einem römischen Rundfunksender vom Leder zog.

Fassen wir des Kardinals Tirade zusammen: Hugo Chávez führe das Land in eine "marxistisch-kommunistische Diktatur" nach dem "ausländischen Beispiel" der ehemaligen Sowjetunion. Der Präsident habe eine "gewalttätige, ausschließlich totalitäre Tendenz" und nutze "seine Macht aus, um die Venezolaner, die nicht mit seinem politischen System einverstanden sind, zu diskreditieren, zu beschuldigen, anzugreifen und zu beleidigen." Ferner behauptete der Erzbischof von Caracas, die von Abgeordneten der PSUV dominierte Nationalversammlung habe gegen die Verfassung verstoßen, da sie Gesetze aus der Verfassungsreform verabschiedet habe, die 2007 in einem Referendum abgelehnt wurde. [1]

In dieselbe Kerbe persönlicher Diffamierung und politischer Diskreditierung des venezolanischen Staatschefs schlug Bischof Jesus Gonzales mit den Worten "es gibt nur eine, vereinigte Kirche", worauf er Präsident Chávez vorwarf, dieser werte alles als einen persönlichen Angriff, was nicht mit seiner Denkweise übereinstimme. Im selben Atemzug einerseits das aberwitzige Ausschlußkriterium der einzigen Kirche in Anspruch zu nehmen und andererseits dem politischen Gegner Selbstherrlichkeit vorzuwerfen, war ein offensichtliches Eigentor, das zu schießen einer gewaltigen Portion Borniertheit, vielleicht aber auch gezielt lancierter Dreistigkeit bedarf.

Nicht fehlen im Chor der Propheten wider den Präsidenten durfte Julio Borges, nationaler Koordinator der rechtspopulistischen Oppositionspartei Primero Justicia. Der Kardinal habe ganz recht, giftete dieser, versuche Chávez doch "die Bevölkerung zu betrügen", indem er sich "in einem Schafsfell" verberge, um das wirtschaftliche und politische Modell Kubas in Venezuela einzuführen. Diese Vorwürfe sind ebenso abgestanden wie der Winkelzug, sich der Notwendigkeit zu entheben, sie zu belegen: Wenn man Chávez nicht an den Karren fahren kann, führt man diesen Umstand kurzerhand als Beleg dafür an, wie hinterhältig der Präsident seine wahren Absichten zu verbergen versteht.

Chávez wäre nicht Chávez, ließe er solche Breitseiten seiner kirchlichen und weltlichen Kritiker unwidersprochen. In seiner wöchentlichen Kolumne wies er nach, daß Erzbischof Urosa im April 2002 den Militärputsch offen unterstützt hatte. Dies festzumachen, fiel nicht schwer, hatte der Kardinal doch in einem Zeitungsartikel vom 12. April 2002 die Putschisten seiner Unterstützung versichert und den oppositionsnahen Medien seine Anerkennung ausgesprochen, die durch Manipulation der Nachrichten dem Umsturzversuch zugearbeitet hatten. Urosa und die Bischofskonferenz, argumentierte Chávez, überschritten durch ihr fortgesetztes Eingreifen ins politische Geschehen die Rolle der Kirche. Es widerspreche der Verfassung, den säkularen Charakter des venezolanischen Staates nicht anzuerkennen und kirchlicherseits zu versuchen, sich als Staatsmacht darzustellen.

Die Kontroverse trat zwangsläufig eine hitzige Debatte in der Öffentlichkeit um die Trennung von Staat und Kirche los, wobei man wohl davon ausgehen kann, daß dies vor allem ein weiteres Schlachtfeld um den Kurs der Regierung war. Was die Bischofskonferenz betraf, so legte diese in einer offiziellen Stellungnahme mit weiteren Angriffen auf den Präsidenten und die Nationalversammlung nach.

Paroli bot der Kampagne aus Kirchenkreisen der oberste Gerichtshof, der in einer Stellungnahme die Freiheit der Religionsausübung auch mit Blick auf die Mitglieder der Bischofskonferenz unterstrich, jedoch zugleich eine klare Unterscheidung zwischen Glaubenssache auf der einen und ungerechtfertigter Einmischung in politische Angelegenheiten auf der anderen Seite anmahnte.

Kein Blatt vor den Mund nahm der venezolanische Minister für Kultur, Farruco Sesto, der die Bischöfe als Teil einer "Kirchenhierarchie, die von niemandem gewählt wurde" charakterisierte, weshalb sie auch nicht die Werte der Demokratie, des Christentums oder seiner Anhänger verträten: "Während das Christentum Liebe, Frieden und das Verständnis unter den Völkern predigt, stellt Urosa sich an die Seite der Reichen und Mächtigen dieser Erde", erklärte Sesto in einer Pressekonferenz. "In vielen unserer Länder war die obere Ebene der Kirchenhierarchie an Staatsstreichen und blutigen Diktaturen beteiligt, sie segnen die Mörder und die Folterer."

Lassen wir abschließend noch einmal Hugo Chávez selbst zu Wort kommen, der bekanntlich ein bekennender Christ ist und Jesus zum nicht gelinden Ärger der Kirchenoberen gar als einen Revolutionär bezeichnet. Die sozialen und politischen Reformen, die seine Regierung angestoßen hat, beruhen seiner Ansicht nach auf einer Mischung aus Christentum, Marxismus und den Ideen venezolanischer Unabhängigkeitskämpfer: "Wir schreiten voran zur umfassenden Demokratisierung, die wir den Bolivarianischen Sozialismus nennen und deren ursprüngliches Ziel darin besteht, dem Volk die Macht zu geben, so daß es sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen kann. Der Marxismus ist für uns ein Werkzeug, das uns hilft, die Menschheit, die Gesellschaft, und die Geschichte zu verstehen, und nicht ein Dogma oder eine Vorschrift."

Anmerkungen:

[1] Weiter gegen Chávez: Der Erzbischof von Caracas, Kardinal Jorge Urosa Savino (15.07.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/07/3880/kirche-chavez

15. Juli 2010