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LATEINAMERIKA/2455: Washington will Schweigen Ecuadors erzwingen (SB)


US-Regierung setzt im diplomatischen Streit auf Eskalation


Der diplomatische Streit zwischen den Vereinigten Staaten und Ecuador verschärft sich weiter. Die Regierung in Washington hat den Botschafter Ecuadors, Luis Gallegos, aufgefordert, die USA so schnell wie möglich zu verlassen. Zudem hat die Administration Präsident Barack Obamas ein geplantes bilaterales Treffen abgesagt, das im Juni stattfinden sollte. Wie es in einem Kommuniqué des US-Außenamtssprechers Charles Luoma-Overstreet hieß, habe der Unterstaatssekretär für Lateinamerika, Arturo Valenzuela, Botschafter Gallegos telefonisch darüber informiert, daß er als Persona non grata betrachtet werde. Man habe weiterhin ein Interesse an positiven Beziehungen zu Ecuador, doch habe die ungerechtfertigte Entscheidung der ecuadorianischen Regierung keine andere Wahl gelassen. Die Ausweisung von Botschafterin Heather Hodges, die zu den erfahrensten und talentiertesten Diplomaten des Landes gehöre, werde bei künftigen Entscheidungen mit in Betracht gezogen werden müssen. [1]

Zu der Kontroverse war es gekommen, nachdem die Enthüllungsplattform WikiLeaks Dokumente der US-Botschaft in Quito veröffentlicht hatte. Aus den von der spanischen Tageszeitung El País bekannt gemachten Depeschen ging hervor, daß die Vertretung der USA interne Kenntnisse aus dem Polizeiapparat Ecuadors besitzt. Den als geheim eingestuften Depeschen zufolge hatte die Botschafterin am 10. Juli 2009 unter anderem erklärt, daß "innerhalb der Reihen der Polizei generelle Korruption herrsche". [2] Unter Berufung auf "Quellen" innerhalb der Sicherheitskräfte behauptete sie zudem, Präsident Rafael Correa habe bereits bei der Ernennung des Polizeichefs Jaime Hurtado Vaca im April 2008 von dessen "korrupten Aktivitäten" gewußt, aber eine Person in dieser Funktion haben wollen, die er "leicht manipulieren konnte". [3]

In ihrer Depesche hatte Hodges empfohlen, Jaime Hurtado, der von April 2008 bis Juni 2009 nationaler Polizeichef Ecuadors war, das US-Visum zu entziehen. Dieser sei in diverse illegale Aktivitäten wie Schutzgelderpressung, Unterschlagung öffentlicher Gelder und Einschleusung chinesischer Migranten verwickelt. Was die Botschafterin bewogen hatte, auf Sanktionen gegen den früheren Polizeichef zu drängen, kann man mangels näherer Kenntnisse allenfalls vermuten. [4]

Laut einem Bericht des Telesur-Korrespondenten Cristian Salas bat Außenminister Ricardo Patiño daraufhin die US-Botschafterin telefonisch, zu den publik gewordenen Informationen Stellung zu nehmen. Die Diplomatin habe dem Außenminister erklärt, die betreffenden Dokumente seien gestohlen worden. Daher sei weder sie noch die US-Regierung verpflichtet, zu den Inhalten Stellung zu nehmen. Da Hodges keine "zufriedenstellende Erklärung" für diese "falschen" Vorwürfe gegeben habe, so Patiño, habe man sie aufgefordert, Ecuador umgehend zu verlassen. Zudem wurden zwei Angestellte der US-Botschaft wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes verwiesen. Der Außenminister räumte entsprechende Probleme im Polizeiapparat seines Landes ein, doch machte er geltend, daß gerade die Regierung von Präsident Correa gegen die Mißstände vorgegangen sei. Daraufhin sei es am 30. September 2010 zu einem Putschversuch von Teilen der Polizei gegen die Regierung gekommen.

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur ANDES rief Präsident Correa in Anbetracht der harschen Reaktion Washingtons die lateinamerikanischen Staaten zur Solidarität mit seinem Land auf. Man werde nun weitere Schritte prüfen, hieß es in Quito laut einem Bericht des Nachrichtensenders Telesur. Die WikiLeaks-Depeschen haben damit bereits zwei US-Botschafter in Lateinamerika das Amt gekostet. Vor wenigen Wochen hatte der Botschafter der USA in Mexiko, Carlos Pascual, seinen Rücktritt eingereicht, nachdem im Dezember Depeschen veröffentlicht worden waren, in denen er die mexikanischen Streitkräfte als unfähig beschrieb.

Die Regierung Boliviens hatte am 11. September 2008 den US-Botschafter Philip Goldberg des Landes verwiesen, weil dieser enge Kontakte zu aufständischen Teilen der reaktionären Opposition unterhielt. Ecuador verwies Anfang 2009 zwei US-Diplomaten des Landes, denen man Einmischung in innere Angelegenheiten vorwarf. Beide Länder waren jedoch seither bestrebt, die Beziehungen zu den USA zu normalisieren. So äußerte Ecuadors Außenminister Patiño nach der Ausweisung der Botschafterin die Hoffnung, dieser Vorgang werde die Beziehungen zu Washington nicht belasten, da es sich schließlich nur um "das persönliche Verhalten" der Diplomatin gehandelt habe.

Dabei waren die Vorwürfe gegen die beiden 2009 ausgewiesenen Beamten der US-Vertretung durchaus gravierend, da diese Gewährsleute in die Sicherheitsbehörden eingeschleust haben sollen. Präsident Correa sprach kurz nach dem Putschversuch im vergangenen Herbst sogar davon, die US-Geheimdienste hätten Ecuadors Polizei "vollkommen unterwandert". Daß diese Einschätzung begründet ist, bestätigt auch die Bemerkung in der fraglichen Depesche der Botschafterin, die ausdrücklich auf "zahlreiche Berichte über interne Untersuchungen" der Polizei hinwies, die die Botschaft erhalten habe.

Da die Obama-Administration bislang relativ entspannte Beziehungen zu Ecuador unterhielt, läßt die Ausweisung Botschafter Gallegos' darauf schließen, daß man in Washington gewichtige Gründe für eine harsche Reaktion hat. Über eine Demonstration der Stärke hinaus scheint die US-Regierung zu dem Schluß gekommen zu sein, daß die Unterwanderung der Sicherheitskräfte des südamerikanischen Landes keinesfalls auf die Tagesordnung des postulierten Dialogs mit Lateinamerika gesetzt werden dürfe. Offenbar hält man eine Drohgebärde für geeignet, die Regierung in Quito dahingehend unter Druck zu setzen, ihr Wissen nicht an die große Glocke zu hängen.

Anmerkungen:

[1] USA weisen Ecuadors Botschafter aus (07.04.11)
http://amerika21.de/nachrichten/2011/04/27858/usa-botschafter-ecuador

[2] Ecuador weist US-Botschafterin aus (05.04.11)
http://amerika21.de/nachrichten/2011/04/27636/botschafterin-usa-ecuador

[3] Böse Absicht. Ecuador weist US-Botschafterin nach Wikileaks-Enthüllungen aus. Präsident Correa wirft Washington Unterwanderung der Polizei vor (07.04.11)
junge Welt

[4] Ecuador Expels U.S. Ambassador Over WikiLeaks Cable (05.04.11)
New York Times

8. April 2011