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MEDIEN/447: Al Jazeera wegen irreführender Berichte unter Beschuß (SB)


Al Jazeera wegen irreführender Berichte unter Beschuß

Auch der arabische Nachrichtensender ist mit Vorsicht zu genießen


Der größte Profiteur der Proteste, die seit rund zwei Monaten zahlreiche Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas erschüttern, ist zweifelsohne der in Doha, der Hauptstadt Katars, angesiedelte Nachrichtensender Al Jazeera, dessen Reporter und Kameraleute häufig unter Einsatz des eigenen Lebens von den verschiedenen Schauplätzen vor der BBC, CNN, Associated Press, Reuters und Agence France Presse die bewegendsten und informativsten Berichte bringen. Als sich im Februar die Konfrontation zwischen den Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz und Präsident Hosni Mubarak zuspitze, verfolgten weltweit Millionen von Menschen die historischen Ereignisse aus Ägypten dank der Bilder Al Jazeeras live entweder per Livestream des Senders im Internet oder per Satellit im Fernsehen. Da fühlten sich in jenen bewegenden Tagen die Zuschauer Al Jazeeras tatsächlich in der ersten Reihe, als es damals in den US-Medien hieß, im Weißen Haus hingen sogar Präsident Barack Obama und sein Beraterstab an der Berichterstattung des Senders vom Nilufer, da sie selbst über keine bessere Informationsquelle verfügten.

Folglich war es auch keine große Überraschung, als Anfang März US-Außenministerin Hillary Clinton bei einer Anhörung im Senat Al Jazeera groß gelobt und den informativen Gehalt seiner Berichte höher als den der großen amerikanischen Fernsehsender bewertet hat. Bereits Ende 2009 war das State Department in einer eigenen Studie zum Schluß gekommen, daß sich Al Jazeera zu einer "medialen Weltmacht" entwickele, woraufhin Clinton die bisherige Zurückhaltung in der Zusammenarbeit aller US-Diplomaten mit dem Sender aufhob. In den vergangenen Monaten haben sich unter anderem Clinton, US-Verteidigungsminister Robert Gates, ISAF-Oberkommandeur General David Petraeus und US-Generalstabschef Admiral Michael Mullen von Al Jazeera interviewen lassen.

Die Entscheidung der ehemaligen First Lady und demokratischen Senatorin aus New York stellte einen Bruch mit der Ära der republikanischen Vorgängerregierung von George W. Bush dar, deren führende Vertreter wie der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Al Jazeera wegen ihrer kritischen Berichterstattung über den "globalen Antiterrorkrieg" unterstellt hatten, anti-amerikanische Propaganda zu verbreiten, wenn nicht sogar das heimliche Sprachrohr von Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" zu sein. Nicht zufällig wurden die Büros von Al Jazeera beim Sturz der afghanischen Taliban-Regierung Ende 2001 in Kabul und beim Einmarsch amerikanischer Streitkräfte in Bagdad im Frühjahr 2003 von der US-Luftwaffe mit Bomben und Raketen angegriffen.

Die Anerkennung Al Jazeeras durch die Obama-Administration erfolgt zu einer Phase, die sich durch eine zunehmende Übereinstimmung der Interessen Washingtons und des großen arabischen Nachrichtensenders auszeichnet. Sowohl die Verantwortlichen bei Al Jazeera als auch die Vertreter der derzeitigen US-Regierung behaupten von sich, "an der Seite" der für "Freiheit" demonstrierenden Massen in den verschiedenen arabischen Staaten zu stehen. Dies versuchte Clinton am 16. März bei ihrem ersten Besuch in Kairo nach dem Rücktritt Mubaraks zu signalisieren, als sie demonstrativ einen zehnminütigen Spaziergang über den Tahrir-Platz unternahm und, umgeben von Sicherheitsleuten und Journalisten, von der welthistorischen Bedeutung der "außergewöhnlichen" Ereignisse dort in den zurückliegenden Wochen schwärmte.

Doch sich auf der gleichen Seite wie die Supermacht USA zu finden, hat für Al Jazeera ihren Preis, nämlich in dem teilweisen Verlust des bisherigen Rufs der Kritikfähigkeit und Objektivität. Die Regierung Muammar Gaddhafis zum Beispiel wirft Al Jazeera vor, durch einseitige und tendenziöse Berichterstattung und die einfache Wiedergabe von Behauptungen oppositioneller Rebellen über angebliche Greueltaten der Staatsmacht den NATO-Verbündeten USA, Frankreich und Großbritannien den Vorwand für eine militärische Intervention zum vermeintlichen Schutz der Zivilbevölkerung mitgeliefert zu haben. Der Verdacht Tripolis' ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Schließlich hat Katar zusammen mit Saudi-Arabien und den anderen Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrats bei der entsprechenden Abstimmung der Arabischen Liga für die Einrichtung einer Flugverbotszone votiert. Seine Flugzeuge nehmen zusammen mit denen der Vereinigten Arabischen Emiraten seit zwei Tagen an der Bombardierung der libyschen Streitkräfte durch die NATO teil und unterstützen damit auf illegale Weise die Rebellen im Kampf gegen die Zentralregierung in Tripolis. Bereits am 21. Februar hatte Scheich Jusuf Al Karadi, einer der führenden Theologen der ägyptischen Moslembruderschaft, die derzeit in Kairo mit dem Militär die "Revolution" am Nil für die eigenen Zwecke zu benutzen versucht, bei einem seiner vielen Auftritte bei Al Jazeera eine Fatwa gegen Gaddhafi verhängt und zu seiner Ermordung als gerechte und heilige Sache aufgerufen.

Nicht wenigen Beobachtern wie Pepe Escobar von Asia Times Online und Esam Al-Amin bei Counterpunch ist aufgefallen, wie sehr Al Jazeera in den letzten Wochen das Vorgehen der staatlichen Streitkräfte Libyens gegen die Opposition publizistisch ausgeschlachtet und wie wenig es ähnliche Vorgänge in Bahrain und im Osten Saudi-Arabiens an die große Glocke gehängt hat. Die unterschiedliche Handhabung hängt vermutlich damit zusammen, daß Gaddhafi immer einer der schärfsten Kritiker der Saudis und der mit ihnen verschwägerten sunnitischen Golfstaatsmonarchien gewesen ist. Nicht umsonst hat Scheich Hasan Nasrallah, Generalsekretär der libanesischen Hisb Allah, bei einer Rede am 19. März die arabischen Medien wegen ihres mangelnden Aufhebens um die brutale Niederschlagung der Demokratiebewegungen in Bahrain und dem Osten Saudi-Arabiens verurteilt und rhetorisch die Frage aufgeworfen, ob dies darauf zurückzuführen sei, daß die innenpolitische Kritik an den Königshäusern in beiden Ländern hauptsächlich von der benachteiligten und unterdrückten schiitischen Bevölkerung ausgeht.

Am 22. März hat die Regierung des Jemens den Reportern von Al Jazeera vorerst jedwede berufliche Betätigung untersagt, nachdem der Sender Bilder ausgestrahlt hatte, in denen die Gegner von Präsident Ali Abdullah Saleh angeblich gefoltert wurden. Tatsächlich stammte das Material aus dem Irak Saddam Husseins und war erstmals 2007 gezeigt worden. Derzeit kämpft der langjährige jemenitische Präsident um sein politisches Überleben und sieht sich mit verschiedenen Protestbewegungen und Aufständen konfrontiert, gegen die seine Streitkräfte nicht zimperlich vorgehen. Wie der Zufall so will, strahlte Al Jazeera die Bilder aus den angeblichen Folterkellern im Jemen aus, kurz nachdem es aus Regierungskreisen in Riad erste Signale gegeben hatte, daß Saudi-Arabien, die Schutzmacht der Regierung in Sana'a, Saleh fallen zu lassen gedenke. Inzwischen hat die Chefredaktion des Senders in Doha sich für den irreführenden Bericht entschuldigt und ihn auf "technische Fehler" zurückgeführt. Zweifelsohne ist vieles, was Al Jazeera zustande bringt, wertvoll und wichtig. Doch seiner Berichterstattung, die häufig von eigenen Interessen des Senders und des katarischen Emirs, des in der britischen Militärakademie Sandhurst ausgebildeten Scheichs Hamad bin Khalifa Al Thani, beeinflußt wird, ist wie die eines jeden Medienbetriebes mit grundsätzlicher Skepsis zu begegnen.

28. März 2011