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MILITÄR/801: London erklärt Diego Garcia zur Umweltschutzzone (SB)


London erklärt Diego Garcia zur Umweltschutzzone

Fische sollen mehr Rechte als Ureinwohner der Chagosinseln genießen


Aus den Schlagzeilen kommt das Atoll Diego Garcia, wo die US-Luftwaffe mitten im Indischen Ozean einen ihrer wichtigsten Stützpunkte außerhalb Nordamerikas unterhält, dieser Tage nicht heraus. Vor dem Hintergrund des sogenannten Atomstreits zwischen den NATO-Großmächten und dem Iran meldete am 21. März die linksliberale, schottische Zeitung Sunday Herald unter Verweis auf eigene Quellen im britischen Sicherheitsapparat, das US-Militär ließe im Rahmen seiner Vorbereitungen für einen eventuellen Angriff auf den Iran 337 bunkerknackende Bomben per Schiff nach Diego Garcia verlegen. In dem Artikel wurde Dan Plesch, Leiter des Centre for International Studies and Diplomacy (CISD) an der Universität von London, dahin gehend zitiert, die Kriegspläne des Pentagons sähen "die komplette Zerstörung" aller atomaren und militärisch wichtigen Anlagen des Irans vor, was auf einen großangelegten Überraschungsangriff "auf 10.000 Ziele innerhalb weniger Stunden" hinausliefe.

Am heutigen 30. März meldete der Guardian, die britische Regierung werde in den nächsten Tagen das südlich der Malediven liegende Chagos-Archipel, in dem Diego Garcia lediglich die größte von 55 Inseln darstellt, zur Umweltsperrzone erklären. Die Verfügung Londons, die die gesamte Tier- und Pflanzenwelt des 210.000 Quadratkilometer großen British Indian Ocean Territory (BIOT) unter besonderen Schutz stellt, wird laut Guardian von neun führenden Umweltverbänden und wissenschaftlichen Instituten, darunter die Royal Botanic Gardens at Kew, die Royal Society, die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) und Greenpeace UK, unterstützt. Die Chagos-Insulaner, auch Ilois genannt, die seit Jahren durch alle Instanzen um ihr Recht auf Wiederansiedlung kämpfen, sind über den geplanten Schritt entsetzt. Sie gehen davon aus, daß London mit dem Holzhammerargument des Umweltschutzes sie für immer aus der früheren Heimat verbannen will.

Ende der sechziger Jahren haben die Briten das Fischervolk der Ilois nach Mauritius zwangsumgesiedelt, um den Sicherheitsbedürfnissen der Amerikaner gerecht zu werden, denen man 1971 Diego Garcia für 50 Jahre zur militärischen Nutzung verpachtete. Dort leisten heute mehrere tausend US-Militärs ihren Dienst. Auf Diego Garcia befinden sich neben den Stützpunkten im Bundesstaat Missouri und im US-Überseeterritorium Guam im Pazifik die einzigen vollklimatisierten Hangars für den B2-Tarnkappenbomber. Seit Jahren gibt es auch Hinweise, daß auf Diego Garcia die CIA ein geheimes Foltergefängnis für mutmaßliche "Terroristen" betreibt.

2004 hatte die Regierung Tony Blairs von Königin Elizabeth II. das BIOT zum militärischen Sperrgebiet erklären lassen und damit das Recht auf Wiederkehr, welches die Chagos-Insulaner vor britischen Gerichten erstritten hatten, zunichte gemacht. Zur Begründung der drakonischen Entscheidung wurde die nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 angeblich vollkommen veränderte, geopolitische Sicherheitslage angeführt. 2007 haben die Law Lords, der oberste Gerichtshof Großbritanniens, die Gültigkeit der königlichen Verfügung bestätigt. Den paar tausend Chagos-Insulanern, die heute im Exil in Großbritannien und Mauritius leben, blieb nur noch die Anrufung des europäischen Menschenrechtssgerichtshofs. Diesen Weg haben sie beschritten. Die Chancen, daß das Gericht in Strasbourg ihre Vertreibung aus dem angestammten Siedlungsgebiet für illegal erklärt, stehen gut.

Als zuletzt vor den britischen Gerichten die Regierung in London argumentierte, die Chagos-Inseln seien nicht bewohnbar, hatten die Ilois auf das rege Treiben in Diego Garcia verwiesen und ihre Bereitschaft erklärt, auf dem US-Stützpunkt die Aufgaben, die dort von mehreren hundert Auftragsarbeitern aus den Philippinen erledigt werden, zu übernehmen. Auf ihre Androhung, ihr Recht auf diese Arbeit unter Verweis auf die Anti-Diskriminierungsgesetze Großbritanniens zu erkämpfen, antwortete London mit der Umwandlung der ganzen Inselgruppe in eine militärische Sperrzone auf Geheiß Ihrer Majestät.

Durch die zusätzliche Erklärung der Chagosinseln zur Umweltschutzzone, in der zum Beispiel keinerlei Fischerei betrieben werden darf, will London offenbar seinem ursprünglichen Argument der vermeintlichen Unbewohnbarkeit des BIOT doch noch Geltung verschaffen. Dieser Winkelzug, die Chagosinseln und die umliegenden Gewässern zum größten maritimen Reservat der Welt zu erklären, hat die Ureinwohner schwer getroffen. Gegenüber dem Guardian äußerte sich Roch Evenor, Sekretär der UK Chagos Support Association, der im Alter von vier Jahren die Vertreibung aus Diego Garcia miterlebte: "Das wäre eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Dann hätten die Fische mehr Rechte als wir." Da sieht man, was einem passieren kann, wenn man mit seinem Volk dem angloamerikanischen Imperium bei dessen Dauerstreben nach "Sicherheit" und "Stabilität" auf dem Globus im Wege steht.

30. Februar 2010