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MILITÄR/810: Bundeswehr soll dauerhaft am Hindukusch bleiben (SB)


Guttenberg deutet permanentes Besatzungsregime in Afghanistan an


Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben nicht einen Angriffskrieg gegen Afghanistan geführt und das Land besetzt, um dort wieder abzuziehen. Die dauerhafte Okkupation der Region zwischen Rußland und China zählt zu den vordringlichsten strategischen Zielen der Alliierten, weshalb der vielzitierte Truppenabzug immer nur soviel bedeuten kann, daß der überwiegende Teil der Streitmacht für andere Kriegsschauplätze freigesetzt wird, während ein ständig präsentes Kontingent das angestrebte Stellvertreterregime der Afghanen kontrollieren und die Nachbarländer überwachen, ausspionieren und infiltrieren soll. Wie im Irak errichten die US-Militärs auch in Afghanistan große Stützpunkte, die nur Sinn machen, wenn sie auf lange Sicht benötigt werden. Hinzu kommt die größte Station der CIA außerhalb der USA, was ebenfalls auf eine beabsichtigte Dauerpräsenz schließen läßt.

Nun hat auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg angedeutet, daß man die Region am Hindukusch nie wieder verlassen will. Wie er dem Magazin "Focus" sagte, müsse für die Zeit nach dem langfristig angestrebten Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan ein militärisches Eingreifen möglich bleiben. Es sei ja nicht auszuschließen, daß in fünf, acht oder zehn Jahren wieder afghanische Stämme gegeneinander kämpften. [1] Grundsätzlich werde es eine Form der Nachsorge durch die internationale Gemeinschaft geben müssen, dann aber "vielleicht nicht mit Zehntausenden von Soldaten, sondern neben den zivilen Anstrengungen möglicherweise gezielt und punktuell mit wenigen speziell ausgebildeten und ausgerüsteten Kräften", sagte Guttenberg. Solche Missionen von Spezialkräften seien ohnehin "generell eine Frage für die Einsatzszenarien der Zukunft".[2]

Guttenbergs Wortwahl eines "langfristig angestrebten Abzugs" unterstreicht, daß von einer raschen Rückkehr der Bundeswehr seines Erachtens keine Rede sein kann. Damit nicht genug, verlangt er die Option eines unbefristeten militärischen Eingreifens, wobei sein Argument, man könne doch künftige Kämpfe afghanischer Stämme gegeneinander nicht ausschließen, zynischer kaum sein könnte. Zuallererst steht doch der Kampf des afghanischen Widerstands gegen die ausländischen Besatzungsmächte auf der Tagesordnung, den der Minister mit keinem Wort erwähnt. Weiter spricht er von einer "Nachsorge" durch die internationale Gemeinschaft, als befreie man das Land von einer bösartigen Krankheit und müsse den Therapieerfolg im Auge behalten wie auch die Rehabilitation des Patienten begleiten. Wenn er im Zusammenhang mit einer ständigen Stationierung von wenigen "speziell ausgebildeten und ausgerüsteten Kräften" spricht, meint er offensichtlich Stützpunkte, denen weitreichende militärische und geheimdienstliche Optionen zur Verfügung stehen.

Will man sich dauerhaft in Afghanistan festsetzen, was noch nie einer ausländischen Macht gelungen ist, muß man allerdings erst einmal den Krieg gewinnen oder besser gesagt den Widerstand so entscheidend schwächen, daß er keine akute Gefahr für die Präsenz der Alliierten und deren Marionetten in Kabul mehr darstellt. Daß das nahezu unmöglich ist, wissen zweifellos auch die westlichen Militärs, da ein Besatzungsregime den Kampf gegen die Bevölkerung des okkupierten Landes nicht gewinnen kann. Nur wenn es gelingt, eine einheimische Regierung zu installieren, die fortan als Statthalter fungiert, kann man langfristig von einem Sieg sprechen, wobei sich eine solide Bilanz oftmals erst Jahrzehnte später ziehen läßt.

Derzeit ist jedenfalls der Widerstand eindeutig auf dem Vormarsch, wie die westliche Militärführung in ihren Lageberichten einräumen muß. Um so mehr setzen die Besatzungsmächte nun auf den mächtigen Paukenschlag in der Provinz und gleichnamigen Stadt Kandahar, die als Hochburg der "Taliban" bezeichnet wird. Dabei ist "Taliban" ein unangemessener und gezielt irreführender Sammelbegriff, der vor allem an der Heimatfront der Alliierten den Eindruck aufrechterhalten soll, man bekämpfe eine konsistente rückschrittliche Kraft, deren ausschließliches Ziel es sei, Freiheit und Fortschritt der Afghanen zu verhindern. Tatsächlich kämpfen jedoch zahlreiche Gruppierungen im afghanischen Widerstand, die ungeachtet aller sonstigen Rivalitäten und Differenzen das Interesse eint, die fremden Truppen aus dem Land zu jagen.

Aus einem aktuellen Bericht des Government Accountability Office geht hervor, daß die Zahl von Angriffen der "Taliban" von 2008 bis 2009 um 75 Prozent auf 21.000 gestiegen ist. Während die Zahl getöteter Zivilisten von September 2009 bis zum März 2010 um 72 Prozent gegenüber derselben Periode ein Jahr zuvor zunahm, stiegen die Angriffe auf Koalitionstruppen um 83 Prozent. Auch sind die Angriffe seit 2005 jedes Jahr gestiegen. Die "Taliban" haben demnach in der Mehrzahl der 34 Provinzen eine paramilitärische Schattenregierung errichtet und die Sicherheitslage habe sich insgesamt verschlechtert. [3]

Unter diesen Umständen soll auch die Bundeswehr nicht nur langfristig in Afghanistan bleiben, sondern zur vollen Kriegstauglichkeit aufgerüstet werden. Der Verteidigungsminister kündigte an, man werde neben zwei Panzerhaubitzen weitere 15 "Marder"-Schützenpanzer sowie Brückenlege- und Pionierpanzer an den Hindukusch verlegen. "Manche überrascht es wohl immer noch, daß unsere Soldaten dort auch in Gefechten stehen", gab der CSU-Politiker den harten Hund, der sich auskennt bei der Truppe. Zugleich versuchte Guttenberg den Eindruck zu erwecken, daß es sich dabei keineswegs um eine allgemeine Aufrüstung der Bundeswehr handle, die vielmehr "auf die jeweilige Notwendigkeit vor Ort" reagiere. Es gebe auch Orte, wo keine Schützenpanzer gebraucht würden, "aber mehr ziviles Engagement", suchte der Minister seine Zuflucht in durchsichtiger Wortklauberei, deren kaum noch zu unterbietendes Niveau dennoch auszureichen scheint, um die bundesdeutsche Kriegsmüdigkeit in Grenzen und insbesondere von der Straße fernzuhalten. [4]

Daß es angesichts der Weltwirtschaftskrise und ihrer Folgen für die deutsche Manöverlage an den erforderlichen Mitteln für die erweiterte Kriegsbeteiligung in Afghanistan fehlen könnte, glaubt der Minister nicht. Wohl wissend, daß die gesellschaftliche Umlastung von oben nach nach unten hierzulande ausgezeichnet funktioniert, äußerte er sich optimistisch, daß der Verteidigungshaushalt von Sparmaßnahmen weniger hart getroffen werde als bislang geplant. Im April wurden sieben deutsche Soldaten bei Anschlägen und Kämpfen in Afghanistan getötet. "Wir müssen für den Schutz der Soldaten im Einsatz das Notwendige vorhalten", warnte er als deren oberster Dienstherr. Es könne nicht angehen, hier aus "kühlen Zahlenerwägungen" Geld zu streichen. Das Kalkül, daß die Bundeswehrsoldaten schließlich Afghanen töten sollen und nicht umgekehrt, ist noch immer das beste Argument, auch wenn man es natürlich nicht in aller Deutlichkeit ausspricht.

Wie kostengünstig demgegenüber tote Afghanen sind, dokumentieren konkrete Vorschläge der Bundeswehr für die Entschädigung der zivilen Opfer des Luftangriffs bei Kundus vom 4. September 2009. Einem Bericht des Magazins "Spiegel" zufolge sollen die Angehörigen der Opfer mit durchschnittlich 4.000 Euro je Todesfall entschädigt werde. Zugleich legt man größten Wert darauf, daß das Budget von insgesamt 400.000 Euro für die Wiedergutmachung als Leistung "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" einzustufen sei. Nicht ausgeschlossen sind ferner auch Sachleistungen, wie etwa der Ankauf von Rindern für die Opferfamilien, ohne daß dabei von einem Kuhhandel die Rede wäre. In den kommenden Wochen soll das deutsche Feldlager in der nordafghanischen Provinzmetropole damit beginnen, die Entschädigung zu organisieren.

Der Anwalt Karim Popal vertritt nach eigenen Angaben 80 Hinterbliebene des Luftschlags von Kundus, bei dem offiziellen Zahlen zufolge bis zu 142 Menschen getötet wurden. "Das ist keine Entschädigung in unserem Sinne", kritisierte Popal im "Kölner Stadt-Anzeiger" die Pläne der Bundeswehr zur Entschädigung als unzureichend. Popal will Klage erheben, hat aber unabhängig davon seinen Mandanten geraten, die Hilfe anzunehmen. Da man ihm alle erdenklichen Knüppel zwischen die Beine wirft, um eine umfassende Entschädigung der Hinterbliebenen zu verhindern, ist ein erfolgreicher Abschluß seiner Bemühungen nicht in Sicht. Daher ist sein Rat an die Mandanten ebenso nachvollziehbar wie sein Beharren auf eine angemessene Abgeltung, soweit davon im Zusammenhang mit getöteten Angehörigen überhaupt die Rede sein kann.

Bundesregierung und militärische Führung denken an die Zukunft, wenn sie den Ball in Sachen Entschädigung so flach wie möglich halten. Der mörderischen Feuerkraft der beiden Panzerhaubitzen, die ihre Ziele angeblich bis zu einer Entfernung von 40 Kilometern mit wenigen Metern Abweichung treffen können, sollen schließlich noch viele Afghanen zum Opfer fallen, die man sicherlich nicht alle zu "Taliban" erklären kann. Auch die modernen Waffen der Schützenpanzer "Marder", deren Zahl in Afghanistan mehr als verdoppelt werden soll, sind in ihrer Feuergeschwindigkeit und Durchschlagskraft verheerend. Da darf der Geldbeutel heute nicht zu locker sitzen, will man doch in Erwartung steigender Opferzahlen und möglicher Forderungen haushälterisch zu Werke gehen.

Viel braucht so ein Afghane ohnehin nicht, wie man unter plötzlichen Sympathiebekundungen für "landesübliche" Sitten und Gebräuche zu hören bekommt. Die Vorstellung, sich für eine Handvoll Euro von der Verantwortung und womöglich sogar der Rache freikaufen zu können, muß für deutsche Krämerseelen in Tarnfarben doppelt faszinierend sein.

Anmerkungen:

[1] Afghanistan. Bundeswehr bekommt bessere Ausrüstung (09.05.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/afghanistan-bundeswehr-bekommt-bessere-ausruestung_aid_506559.html

[2] Guttenberg sichert bessere Ausrüstung für Afghanistan zu (10.05.10)
http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1490406/Guttenberg-sichert-bessere-Ausruestung-fuer-Afghanistan-zu.html

[3] Großoffensiven könnten in Afghanistan zum Boomerang werden (07.05.10)
Telepolis

[4] Guttenberg schickt schweres Gerät nach Afghanistan (10.05.10)
http://www.welt.de/die-welt/politik/article7557472/Guttenberg-schickt-schweres-Geraet-nach-Afghanistan.html

10. Mai 2010