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MILITÄR/848: Streubomben - Kriegswaffe gegen die Zivilbevölkerung (SB)


USA torpedieren Kampagne zum Verbot von Clustermunition


Die verheerende Wirkung von Streubomben und deren unterschiedsloser Einsatz gegen bewaffnete Kriegsgegner wie auch die Zivilbevölkerung läßt sich an zahlreichen Beispielen nachweisen. Zu einem der am besten dokumentierten Fälle zählt die Verwendung von Clustersprengkörpern durch die israelische Armee beim Libanonfeldzug im Sommer 2006. Sie wurden vor allem in den letzten Tagen der offiziellen Kampfhandlungen in großer Zahl aus den USA bezogen und abgeworfen oder mit Raketen und Granaten verschossen. Da umfangreiche Erfahrungen mit dieser Munition vorlagen, war bekannt, daß sie zu einem erheblichen Teil nicht sofort explodiert, sondern in Form von Blindgängern scharf bleibt und die später zurückkehrende Zivilbevölkerung akut gefährden würde. Während die Verwendung von Streubomben als solche mindestens als umstritten gilt, wird ihr Einsatz gegen Zivilisten im internationalen Rechtsverständnis als Kriegsverbrechen eingestuft und geächtet.

Israel wurde daher von den Vereinten Nationen, Amnesty International und Human Rights Watch heftig kritisiert, zumal die Streubomben größtenteils zu einem Zeitpunkt eingesetzt wurden, als der UN-Sicherheitsrat bereits über eine Resolution zur Beendigung des Konflikts verhandelte. Indessen blieb auch diese Kritik folgenlos, da Sanktionen gegen Israel wegen des stets zu erwartenden Vetos der USA nicht verhängt werden.

Seit die Gefechte zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah im August 2006 eingestellt worden waren, wurden in den folgenden Wochen nach Angaben von Experten der UNO jeden Tag im Schnitt fast drei Menschen im Südlibanon durch Bomblets verletzt oder getötet. Damals ging man davon aus, daß es weit über ein Jahr dauern werde, bis die Räumung der schätzungsweise eine Million nicht detonierten Sprengkörper vollständig abgeschlossen sei. Bedenkt man, daß etwa 650.000 Menschen in dieser Region leben, wird das Ausmaß des Gefahrenpotentials um so deutlicher.

Im allgemeinen geht man davon aus, daß durchschnittlich 15 Prozent der Bomblets beim Aufschlag nicht explodieren und weiter eine tödliche Gefahr darstellen. Wie internationale Expertenteams damals berichteten, müsse man im Libanon jedoch mit etwa 40 Prozent Blindgängern rechnen. Man habe zwei Typen von Clustermunition gefunden, wobei es sich überwiegend um den US-amerikanischen Typ M42 handle, der so klein wie eine Batterie sei und mit seinem weißen Schwanz wie ein Spielzeug aussehe, wodurch insbesondere Kinder gefährdet seien. Bei der Explosion schießt eine gewaltige Stichflamme heraus, während das Gehäuse in zahllose tödliche Metallsplitter zersprengt wird.

Die Bomblets lagen nicht nur auf dem Boden, sondern hingen in Zweigen von Olivenbäumen, breiten Bananenblättern, Büschen und anderen Gewächsen aller Art. Sie wurden ebenso auf Hausdächern, zwischen Trümmern, im Abfall, auf Straßen und Wegen und in Schulhöfen buchstäblich überall gefunden, so daß vor allem Kinder in ständiger Lebensgefahr schwebten. Binnen weniger Wochen wurden etwa 20 Menschen durch Streubomben getötet und mehr als 100 schwer verletzt. Da sich die Räumung noch schwieriger als eine Minensuche gestaltete und daher nur sehr langsam voranschritt, lebten die in ihre Dörfer und Ortschaften zurückgekehrten Bewohner zumeist in nicht oder nur ansatzweise geräumten Zonen. Das Koordinationszentrum der UNO lokalisierte im Herbst 2006 insgesamt 745 Fundstellen im südlichen Libanon, an denen zahlreiche scharfe Bomblets gefunden wurden. Auch dies dokumentiert den systematischen und großflächigen Einsatz dieser verheerenden Waffe. Zunächst konzentrierten sich die Räumtrupps darauf, Häuser, Gärten und Hauptstraßen abzusuchen. Erst im zweiten Schritt konnte man dazu übergehen, auch landwirtschaftlich genutzte Flächen zu räumen. Da die Menschen die Gärten und Felder bestellen mußten, wenn sie nicht verhungern wollten, konnte man für lange Zeit nirgendwo von völlig sicherem Terrain ausgehen und mußte auf Jahre hinaus mit weiteren Opfern rechnen.

Während die israelischen Streitkräfte behaupteten, sie hätten Clustermunition gezielt und ausschließlich gegen die Hisbollah eingesetzt, deutete doch alles darauf hin, daß die Zivilbevölkerung drangsaliert und an der Rückkehr gehindert werden sollte. Die US-Regierung zog sich mit der absurden Schutzbehauptung aus der Affäre, sie untersuche, ob der Einsatz von Streubomben im Libanon gegen eine geheime Vereinbarung bei Lieferung dieser Munition an Israel verstoßen habe.

Von israelischer Seite wurde zudem ins Feld geführt, man habe schließlich die Bevölkerung mit Flugblättern vorgewarnt und sie zum Verlassen der Region aufgefordert. Bekanntlich wurden dann in zahlreichen Fällen Fahrzeuge und Konvois der Flüchtlinge gezielt angegriffen oder aber Brücken und Straßen zerstört, so daß die Flucht nicht selten behindert oder unmöglich gemacht wurde. Wo immer diese Angriffe auf die Zivilbevölkerung angeprangert wurden, erklärte die israelische Führung kaltschnäuzig, ihre Armee greife prinzipiell keine Zivilisten an, weil die Soldaten im Unterschied zur Hisbollah keine "Terroristen" seien. Des weiteren erklärten die israelischen Streitkräfte, sie hätten Karten mit den Abwurfstellen von Clusterbomben zur Verfügung gestellt, um die Räumung der Blindgänger zu erleichtern. Dieses Kartenmaterial war jedoch nach Angaben der UNO im Libanon völlig nutzlos.

Am 12. September 2006 veröffentlichte die renommierte israelische Zeitung Ha'aretz die Stellungnahme eines anonymen Kommandeurs einer Raketeneinheit, der die Entscheidung, Clustermunition einzusetzen, verurteilte. Was man im Libanon getan habe, sei wahnsinnig und monströs gewesen, habe man doch ganze Ortschaften mit Streubomben eingedeckt. Diese späte Einsicht aus berufenem Munde konterkarierte die offizielle Lesart der Streitkräfte, Streubomben seien ausschließlich gegen den Kriegsgegner Hisbollah, nicht jedoch gegen Zivilisten eingesetzt worden. Da an der Wirkung dieser Munition kein Zweifel bestehen kann, muß man sie als Waffe klassifizieren, die insbesondere für den Einsatz gegen die Zivilbevölkerung konzipiert ist.

Die Konvention über Streumunition von Oslo trat am 1. August 2010 in Kraft. Sie sieht ein Verbot der weltweiten Verwendung, Lagerung, Produktion sowie des Handels mit diesen Waffen vor. Diese Konvention haben bislang 66 Staaten ratifiziert und 45 unterzeichnet. [1] Die USA lehnen das Verbot hingegen ab und bestehen darauf, daß eine Streubombe eine zulässige Waffe im Kriegsfall sei, sofern sie richtig angewendet werde. Auch China, Rußland, Indien und Pakistan haben sich nicht an dem Verbot beteiligt. Nach Angaben der Initiative gegen Streubomben Cluster Munition Coalition (CMC) in Genf besitzen noch 69 Länder Vorräte dieser Waffen. Zwölf Staaten hätten einen Teil ihrer Bestände vernichtet, dreizehn weitere, darunter Deutschland, Frankreich und Britannien, wollen dies in den nächsten acht Jahren nachholen. Fast 600.000 Streubomben mit mehr als 64 Millionen Munitionsteilen wurden zerstört. Damit existierten weltweit noch mindestens 610.000 Streubomben mit mehr als 100 Millionen einzelnen Sprengsätzen. [2]

Bis 2010 sind laut dem Bericht der CMC (Cluster Munition Monitor 2011) weltweit rund 17.000 Menschen von solchen Bomben getötet oder verletzt worden. Mindestens 31 Länder sind demnach mit Streubomben verseucht. Acht von ihnen, darunter die stark betroffenen Länder Libanon, Afghanistan und Bosnien-Herzegowina, haben die Konvention ratifiziert. Annähernd 60.000 Blindgänger aus Streubomben wurden in Räumungsprogrammen zerstört, 18 Millionen Quadratmeter von explosiven Kriegsresten geräumt.

Bei der Präsentation des Berichts in Genf hob CMC-Chef Steve Goose die bislang erzielten Erfolge bei der Umsetzung der vor gut einem Jahr in Kraft getretenen Oslo-Konvention hervor: "Die Staaten machen beeindruckende Bemühungen bei der Zerstörung des Lagerbestands, bei der Dekontamination und bei der Verabschiedung neuer Gesetze, um die Konvention von Oslo umzusetzen." [3] Allerdings haben mit Libyen und Thailand zwei dem Verbot nicht beigetretene Staaten in diesem Jahr Streumunition eingesetzt. Diese forderte zudem in einer Reihe betroffener Länder viele neue Opfer, deren genaue Zahl sich nur schwer ermitteln läßt.

Torpediert wird die Kampagne gegen Clustermunition insbesondere von den USA. Sie haben eine neue internationale Vereinbarung angeregt, nach der sich die Weltgemeinschaft verpflichten soll, lediglich alle vor 1980 hergestellten Streubomben zu vernichten. Das würde nach Ansicht von US-Diplomaten 90 Prozent des weltweiten Bestands dieser Waffen betreffen. Ferner haben die USA behauptet, sie hielten ab 2018 nur noch Streubomben vor, bei denen mindestens 99 Prozent der Bomblets sofort explodierten. Das würde die langfristige Gefahr von Blindgängern minimieren. Dieses Lockangebot ist jedoch völlig fiktiv, da weder seine Umsetzung gesichert, noch die Frage geklärt ist, ob man diese geringe Zahl von Blindgängern überhaupt erreichen will und gegebenenfalls kann.

Der Streubomben-Monitor 2011 wurde im Rahmen der vierten Revisionskonferenz zur UN-Konvention zu konventionellen Waffen CCW präsentiert, die derzeit in Genf tagt. Dort wollen die USA und einige weitere Länder ein neues Protokoll zu Streumunition durchsetzen, das im Entwurf sehr viel schwächer als die Oslo-Konvention ist. Blieben diesem Ansatz entsprechend nach 1980 hergestellte Streubomben für lange Zeit und einige für immer legal, öffnete dies einem vermehrten Einsatz solcher Waffen Tür und Tor. "Die Annahme dieses Protokolls wäre im Vergleich zu den Standards des Oslo-Vertrags ein großer Schritt zurück, wie es ihn im humanitären Völkerrecht noch nie gegeben hat", erklärte François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International Deutschland, der als Beobachter in Genf war. "Bestimmte Staaten setzen alles daran, die Annahme dieses Protokolls durchzusetzen, um den Gebrauch von Waffen zu legitimieren, deren Opfer zu 98 % Zivilisten sind."

Den USA und anderen Protagonisten des fortgesetzten Einsatzes von Streubomben geht es offensichtlich darum, internationale Standards zu schaffen, die Clustermunition in Händen potentiell gegnerischer Staaten verbieten und zugleich ihre eigene Verwendung legitimieren. Wer wie Washington eine Verbesserung dieser tödlichen Waffe im Munde führt, ist entschlossen, sie unvermindert oder sogar vermehrt einzusetzen. Die "humanere Kriegsführung" bleibt ein Widerspruch in sich und wird ausschließlich zu dem Zweck vorgehalten, neue Kriegsvorwände zu schaffen und die eigene Waffengewalt zu forcieren.

Fußnoten:

[1] http://bazonline.ch/ausland/europa/Weltweit-600000-Streubomben-zerstoert/story/28442522

[2] http://www.welt.de/politik/article13720991/Noch-immer-arbeiten-69-Laender-mit-Streubomben.html

[3] http://www.presseportal.de/pm/16206/2148919/streubomben-monitor-2011-positive-tendenzen-gefaehrdet-durch-einige-staaten

18. November 2011