Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

MILITÄR/870: Israels Raketenabwehrsystem Iron Dome eine Mogelpackung? (SB)


Israels Raketenabwehrsystem Iron Dome eine Mogelpackung?

Barack Obama läßt sich neben Israels Wunderwaffe nicht fotografieren



Nach der einwöchigen israelischen Offensive gegen militante palästinensische Gruppen im Gazastreifen im November 2012 waren sich alle westlichen Militärexperten einig. Das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome hätte sich im Ernstfall erfolgreich bewährt und die meisten palästinensischen Kurzstreckenraketen vom Himmel geholt; die Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu schien daher bestens gerüstet, sollte Israel seine Drohung wahr machen und 2013 einen präemptiven Angriff gegen die iranischen Atomanlagen durchführen und sich im Gegenzug gegen feindliche ballistische Raketen aus der Islamischen Republik wehren müssen. Ein halbes Jahr später tauchen ernste Zweifel an dieser Version der Geschichte auf.

Noch während der Operation Schutzsäule als auch danach haben israelische Politiker und Militärs Meldungen hinsichtlich der vermeintlich hohen Abfangsrate von Iron Dome in die Welt gesetzt. So hieß es am dritten Tag des Konfliktes aus Tel Aviv, die israelische Luftwaffe hätte 466 Angriffe auf Ziele im palästinensischen Küstenstreifen geflogen, während palästinensische Milizionäre von der Hamas, dem Islamischen Dschihad und der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLFP) 280 Raketen Richtung Israel abgefeuert hätten, von denen die Israelis mit ihrem Raketenabwehrsystem 131 abgefangen haben sollen.

Die Zahlenkorrelation 280 zu 131 ist kein Indiz für die Trefferquote, denn die Israelis haben nur auf jene feindlichen Raketen geschossen, die in bewohnten Gebieten aufzuschlagen drohten. Diejenigen, die absehbar irgendwo in der Landschaft untergingen, haben sie einfach ignoriert. Schließlich kostet jede Abfangrakete des von Rafael Advanced Defense Systems und Israel Aerospace Industries entwickelten und gebauten Iron-Dome-Systems 50.000 Dollar (Israel verfügt über fünf mobile Batterien des Raketenabwehrsystems Iron Dome, die jeweils mit einer Radaranlage, einer Feuerleitstelle und drei Werfervorrichtungen mit je 20 Abfangraketen ausgestattet sind.) Insgesamt reklamierten die israelischen Streitkräfte nach dem Ende der Kampfhandlungen eine Abschußquote von 84 Prozent.

Politisch kam der Erfolg von Iron Dome nicht nur mit Blick auf den anhaltenden "Atomstreit" mit dem Iran, sondern auch für die Militärallianz zwischen den USA und Israel zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt. Wenige Monate zuvor hatte der Kongreß in Washington zu den jährlich rund drei Milliarden Dollar Militärhilfe für Israel weitere 680 Millionen Dollar für den Ausbau und die weitere Entwicklung von Iron Dome gebilligt. Die Kongreßabgeordneten und Senatoren auf dem Kapitol machten ihre Großzügigkeit jedoch von der Bedingung abhängig, daß die Israelis, die von 2010 bis 2015 für Iron Dome insgesamt 900 Millionen Dollar aus der amerikanischen Staatskasse einstreichen werden, die US-Rüstungsindustrie an ihren technologischen Erkenntnissen teilhaben lassen.

Durch den vermeintlichen Erfolg von Iron Dome sahen sich - und sehen sich bis heute - die Befürworter des Ballistic Missile Defense System (BMD) des Pentagons mit Abfangraketensilos in Alaska, Patriot- Abwehrbatterien und X-Band-Radaranlagen in Japan, Osteuropa und der Türkei sowie Lenkwaffenzerstörer mit dem Aegis-System in der Ostsee, im Schwarzen Meer und im Mittelmeer am Festhalten ihres Lieblingsprojekts bestätigt. Nicht zufällig hat US-Vizepräsident Joe Biden bei einer Rede auf der Jahresversammlung der mächtigen Lobbyorganisation AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) am 4. März die Bedeutung von Iron Dome hervorgehoben. Der frühere langjährige Senator aus Delaware sprach von der "einzigartigen Partnerschaft" zwischen den USA und Israel, welche die technologische Wunderwaffe Iron Dome hervorgebracht habe, mit der man gemeinsam die Bedrohungen aus Syrien, aus dem Iran und seitens der schiitisch-libanesischen Hisb Allah meistern werde.

Die israelische Tageszeitung Ha'aretz berichtete am 9. März von zwei Studien, in denen Theodore Postol vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie ein ehemaliger Ingenieur des US-Rüstungsunterhmens Raytheon, des Herstellers der Patriot-Abwehrrakete, und ein ehemaliger Wissenschaftler bei Rafael Advanced Defense Systems die offizielle Erfolgsquote von Iron Dome in Frage stellen. Im Ha'aretz-Artikel wurde Postol, der früher Raketenabwehrsysteme für die US-Marine entwickelte und seit längerem zum profiliertesten und sachkundigsten Kritiker der überambitionierten "Krieg der Sterne"-Pläne des Pentagons gehört, mit folgendem vernichtenden Urteil zitiert: "Die Abfangquote von Iron Dome, definiert als die Zerstörung des Sprengkopfes der Rakete, lag ziemlich niedrig - bei rund 5 Prozent, eventuell auch tiefer."

Anhand von Videoaufnahmen der verschossenen Abfangraketen während des letztjährigen Gaza-Konfliktes kommen Postol et al zu dem erstaunlichen Schluß, daß Flugbahn und Zeitpunkt der Selbstsprengung quasi vorprogrammiert gewesen seien - was sich negativ auf die Treffsicherheit ausgewirkt haben dürfte. Sie weisen zudem auf das Mißverhältnis zwischen der niedrigen Anzahl der in urbanen Gegenden Südisraels offiziell registierten Raketeneinschläge - 58 - und den eingegangenen Berichten einfacher Bürger über Schadensfälle an Menschen und Eigentum - 3200 - hin und verlangen nach einer Erklärung.

In einem Interview mit dem BBC-Verteidigungskorrespondenten Jonathan Marcus, das am 12. März beim Onlinedienst des staatlichen britischen Rundfunks erschienen ist, hat Postol Verständnis für die strategische Entscheidung der Israelis geäußert, den Einsatz von Iron Dome in der Öffentlichkeit über Gebühr zu loben und die Rohdaten geheimzuhalten. Gleichwohl wandte er sich dagegen, daß die USA in Zeiten knapper Staatskassen ungeheure Summen für ein Rüstungssystem ausgeben, das "kaum funktioniert". "Die Aufrechterhaltung eines solchen Täuschungsmanövers kann nur zur Verschwendung begrenzter Verteidigungsmittel führen", so Postol.

Interessanterweise war in dem Programm, das das Weiße Haus wenige Tage vor Erscheinen des Ha'aretz-Artikels für die bevorstehende erste Israelreise von US-Präsident Obama herausgab, am Vormittag des 22. März auch der Besuch einer im Einsatz befindlichen Iron-Dome-Batterie vorgesehen. Laut offizieller Verlautbarung sollte Obama bei diesem Anlaß eine detaillierte Einführung in die Wirkungsweise von Iron Dome bekommen, einschließlich einer Erklärung, auf welche Weise sie im vergangenen November die israelischen Bevölkerungszentren vor palästinensischen Raketen geschützt hätte. Wie der israelische Radiosender Arutz Sheva am 11. März berichtete, hat es inzwischen eine Planänderung gegeben. Statt die israelischen Iron-Dome-Techniker im Einsatz zu beobachten und mit ihnen zu sprechen, wird der Friedensnobelpreisträger zur Geburtskirche Jesu in Bethlehem im palästinensischen Autonomiegebiet Westjordanland pilgern.

14. März 2013