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MILITÄR/884: Raketentechnologie befeuert Wettrüsten in Ostasien (SB)


Raketentechnologie befeuert Wettrüsten in Ostasien

Militärische Rivalität zwischen China und USA spitzt sich zu


In Ostasien nehmen die Spannungen zu. Die USA schließen Südkorea, Japan, die Philippinen, Australien und Indien peu à peu in ihre Containment-Strategie gegenüber der Volksrepublik China ein. Japan legt die ihm 1945 von den USA auferlegte Zurückhaltung in militärischen Angelegenheiten allmählich ab und benutzt unter anderem den Streit mit der Volksrepublik um die Senkaku-/Diaoyu-Inseln dafür als Vorwand. China, das nicht mehr ohne weiteres die Übermacht der 7. US-Flotte in seinen Küstengewässern - insbesondere in der Nähe Taiwans - zu akzeptieren bereit ist, läßt die eigenen militärischen Muskeln im Südchinesischen Meer spielen. Jüngstes Beispiel ist die Anfang Mai erfolgte Verlegung der gigantischen Ölplattform HYSY981 der staatlichen China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) in Gewässer, die auch von Vietnam beansprucht werden.

Vor diesem Hintergrund treiben Indizien aus Nordkorea über den möglicherweise bevorstehenden vierten Atomtest des kommunistischen Staats die Entwicklung voran. Die USA wollen offenbar ihre beiden Verbündeten Südkorea und Japan, die sich wegen eines Inselstreits und der mangelnden Aufarbeitung der Geschichte der japanischen Besetzung der koreanischen Halbinsel während des Zweiten Weltkrieges - Stichwort Trostfrauen - mißtrauisch gegenüberstehen, zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwingen. Wie die Washington Times am 19. Mai berichtete, geht es dem Pentagon und dem Weißen Haus darum, den Datenaustauch im Bereich der Raketenabwehr unter den drei alliierten Staaten zu optimieren, um gemeinsam gegen die nordkoreanische Bedrohung besser gewappnet zu sein.

Seoul und Tokio standen 2012 kurz davor, ein Abkommen über eine verstärkte nachrichtentechnische Zusammenarbeit zu vereinbaren, doch wegen der großen öffentlichen Ablehnung in Südkorea ließ der damalige Präsident Lee Myung-bak die geplante Unterzeichnung des quasi fertigen Vertrags im Sande verlaufen. Die Wahl von Park Geun-hye zur neuen südkoreanischen Präsidentin im Dezember 2012 und von Shinzo Abe zum neuen japanischen Premierminister im Januar 2013 hat das Eis zwischen Seoul und Tokio nicht brechen können. Es bedurfte schon der persönlichen Intervention von US-Präsident Barack Obama, um Park und Abe am Rande des Nukleargipfels im März in Den Haag zu einem ersten Treffen zu veranlassen.

Wie die Washington Times unter Berufung auf die japanische Tageszeitung Yomiuri Shimbun berichtete, sprach Obamas Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice anläßlich des Tokiobesuchs des US-Präsidenten im April erneut mit Abe über das Anliegen des Pentagons, das amerikanische Raketenabwehrsystem in Ostasien zu verbessern. Der Plan sieht vor, daß die Daten der südkoreanischen Radaranlagen, die wegen der geographischen Nähe als erste einen nordkoreanischen Raketenstart registrieren dürften, zeitgleich an das japanische und amerikanische Militär übermittelt werden. Neben den eigenen Raketenabwehrkapazitäten im westpazifischen Raum haben die USA sowohl an Japan als auch an Südkorea Lenkwaffenzerstörer mit dem elektronischen Leitsystem Aegis und Patriot-Abwehrbatterien verkauft. Außerdem betreibt das US-Militär im Norden Japans eine X-Band-Radaranlage und ist gerade dabei, eine zweite leistungsstarke Anlage nordwestlich von Kyoto zu installieren. Nun möchte das US-Verteidigungsministerium die verschiedenen Komponenten zu einem schlagkräftigen Systemverbund zusammenschließen, der im Ernstfall ballistische Raketen aus Nordkorea - und gegebenenfalls aus China - abschießen soll.

Der Vorstoß der USA und ihrer Verbündeten in diesem rüstungstechnologischen Bereich findet seine Entsprechung auf chinesischer Seite. Am 11. April berichtete das Onlinemagazin The Diplomat, das ein besonderes Augenmerk auf die Vorgänge in Asien hat, Wladimir Putin hätte den Export der modernsten russischen Abwehrraketen an China genehmigt. Es handelt sich hier um das mobile Langstrecken-Boden-Luft-Raketensystem S-400 Triumf, das von der NATO als SA-21 Growler bezeichnet wird. Das System, das seit rund zehn Jahren im Dienst der russischen Streitkräfte steht und bisher noch niemals ins Ausland exportiert wurde, wird von einigen Militärexperten als dem Patriot-System der USA überlegen eingeschätzt. Es kann in einem Radius von 400 Kilometern sowohl Kurz-, als auch Mittel- und Langstreckenraketen erfassen und abschießen.

Um Rußland zur Weitergabe des S-400 an die Volksarmee zu bewegen, mußte Peking ein strenges Anti-Kopierschutzabkommen unterzeichnen und sich verpflichten, sich mit mehreren Exemplaren des jeweils aus einer Leitstelle, Radaranlage und sechs Raketenbatterien bestehenden Systems einzudecken. Auf diese Weise will Moskau die Serienproduktion eines chinesischen Nachbaus verhindern. Man geht davon aus, daß das Abfangsystem S-400 die militärische Stärke der Volksarmee gerade in der Taiwanstraße erheblich, wenn nicht sogar entscheidend erhöhen wird. Im Bericht des Diplomat heißt es, die amerikanischen und japanischen Streitkräfte könnten die Aufrüstung Chinas mit S-400-Batterien durch die geplante Indienststellung des neuen F-35-Kampfjet von Lockheed Martin wieder wettmachen. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist eine andere Frage. In letzter Zeit mehren sich kritische Berichte, wonach das enorm teure und erste in Serie produzierte Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug die Erwartungen der US-Luftwaffe nicht erfüllt. So meldete die israelische Onlinezeitung Ynetnews am 8. Mai, daß der derzeit etwa 168 Millionen Dollar kostende F-35-Jet, dessen Kaufpreis noch weiter steigen dürfte, von modernsten chinesischen und russischen Radaranlagen erfaßt werden könne.

21. Mai 2014


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