Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


MILITÄR/920: Washington - Fahnenflucht und neue Achsen ... (SB)


Washington - Fahnenflucht und neue Achsen ...


Als Wladimir Putin am 1. März der Weltöffentlichkeit die neuen ballistischen Raketen und Hyperschall-Marschflugkörper Rußlands vorstellte, die das gigantische, milliardenteure Raketenabwehrsystem der USA im Baltikum, am Schwarzen Meer und in Ostasien obsolet machen, reagierten die Anhänger der "mission civilisatrice" Amerikas mit Skepsis und Häme. Die New York Times, führendes Sprachrohr der einzig verbliebenen Supermacht, sprach am 2. März von einem durchsichtigen "Bluff", mittels dessen der Kremlchef nach außen "Spannungen" und nach innen "patriotische Gefühle" erzeugen wolle. Sachkundige Rüstungsexperten im Westen dagegen nahmen die Warnungen Putins vor der Verletzlichkeit der eigenen Technologien ernst und bescheinigten den Russen, einen qualitativen Entwicklungssprung bei Raketen und Marschflugkörpern vollzogen zu haben.

Daß Rußlands Waffenschmieden mit nur einem Zehntel des Wehretats mehr "bang for the buck" als der militärisch-industrielle Komplex der USA schaffen, zeigt das Luftabwehrsystem S-400, auch Triumpf genannt. Sehr zum Ärger des Pentagons und des Weißen Hauses hat Putin am 3. April beim Besuch in Ankara mit seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan den Vertrag zum Verkauf des S-400-Systems an die Türkei besiegelt. Der Wert des Geschäfts liegt bei 2,5 Milliarden Dollar. Der Preis für eine einzige S-400-Batterie, die ein mobiles Radar- und Leitsystem sowie acht Abschußrohre und 112 Boden-Luft-Raketen umfaßt, liegt bei 400 Millionen Dollar.

Erdogans Verteidigungsminister Tikri Fisik führte Ankaras Kauf des S-400-Systems sowohl auf dessen in Syrien nachgewiesene Effektivität als auch auf die Bereitschaft Moskaus zurück, einen Teil der Produktion in die Türkei zu verlagern. Zu einem solchen Zugeständnis seien die NATO-Partner Ankaras nicht bereit, so Fisik. In einem Artikel, der am 3. März bei military.com erschienen ist, kritisierte Rose Gottemoeller, Stellvertretende Generalsekretärin der NATO, die Entscheidung der Türken, weil das S-400-Produkt mit den Luftabwehrsystemen der übrigen atlantischen Bündnispartner nicht kompatibel sei. Die "Interoperabilität" der türkischen Streitkräfte mit der restlichen NATO sei somit nicht mehr gegeben, so Gottemoeller.

Am 6. April meldete die New York Times die nächste Schlappe für Amerikas Rüstungskonzerne. "Trotz US-Sanktionen" stehe Indien "kurz davor, ein russisches Raketensystem zu kaufen", hieß es in der Überschrift. Gemeint war natürlich das S-400. In den kommenden Tagen besucht die indische Verteidigungsministerin Nirmala Sitharaman Moskau. Erwartet wird eine Bestellung beim S-400-Hersteller Almaz-Antey im Wert von sechs Milliarden Dollar. Seit einigen Jahren machen die USA den Russen starke Konkurrenz, was Rüstungsexporte an Indien betrifft. Deshalb will Washington um Neu-Delhis Kauf des S-400 kein großes Aufheben machen.

Dennoch empfinden die Amerikaner die Entscheidung der Inder als schmerzhafte Niederlage. Im besagten NYT-Artikel ist von einem "weiteren Rückschlag" für das amerikanische Patriot-System die Rede, dessen Hersteller Raytheon sich demnach "in Schwierigkeiten" befinde. Das Problem bei der US-Wunderwaffe Patriot ist dasselbe wie beim amerikanischen Raketenabwehrsystem insgesamt - sie funktioniert nicht. Jüngste spektakuläre Beispiele belegen dies. Am 25. März haben die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen mehrere Raketen auf Ziele in Saudi-Arabien abgefeuert. Keine einzige davon wurde von den Patriot-Raketen getroffen. Die meisten explodierten wirkungslos in der Luft, eine Rakete kehrte gleich nach dem Start bei Riad um und schlug wenige hundert Meter vom Abschußrohr entfernt ein, wobei fast eine Gruppe Zuschauer getötet worden wäre. Ausgerechnet in derselben Nacht reagierte an der Grenze zum Libanon das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome überempfindlich auf Gewehrsalven in der Ferne. Rund 20 Raketen, die dem Patriot-Modell nachgebaut sind, schossen hoch und explodierten ebenfalls wirkungslos in der Luft. Der peinliche Vorfall soll das israelische Verteidigungsministerium rund eine Million Dollar gekostet haben.

In dem NYT-Artikel über den S-400-Kauf durch die indischen Streitkräfte wird Rahul Bedi von dem renommierten, in London ansässigen Militärverlag Jane's Information Group mit den Worten zitiert: "Indien war von dem Patriot-System im Vergleich mit dem S-400 nicht besonders beeindruckt. Letzteres ist haushoch überlegen, was Fähigkeit, Verfügbarbeit und Wartungsaufwand betrifft. Es ist das effizientere System." Zu den Möglichkeiten des S-400 gehört angeblich die Fähigkeit, das neueste Tarnkappenkampfflugzeug der USA, den F-35 Lightning II von Lockheed Martin, zu erfassen und vom Himmel zu holen. Dies wundert wenig, denn das F-35-System gilt nicht nur als teuerste Anschaffungsprojekt in der US-Militärgeschichte, sondern auch als das fehlerbehaftetste. Die Probleme bei der skandalgeplagten Maschine sind so umfassend, daß sich Hersteller und Pentagon gezwungen sahen, völlig unüblich die Testphase auch nach Aufnahme der Serienproduktion und der Auslieferung an das eigene Militär sowie das befreundeter Staaten fortzusetzen. Bei den russischen Rüstungsprodukten scheinen die Käufer immerhin die Gewähr zu haben, daß die Dinge auch funktionieren.

8. April 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang