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NAHOST/989: Ehud Barak spricht von einem Ende der Besatzungspolitik (SB)


Ungewohnte Töne des Verteidigungsministers am Soldatengedenktag


Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak hat sich in ungewöhnlich deutlicher Form für ein Ende der Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten ausgesprochen. Wie der Vorsitzende der Arbeitspartei in einem Rundfunkinterview erklärte, müsse sich sein Land klar darüber werden, daß die Welt bei aller militärischen Stärke Israels eine solche Fremdherrschaft nicht noch jahrzehntelang dulden werde. "So etwas gibt es sonst nirgendwo in der Welt." Den Palästinensern müsse zugestanden werden, sich selbst zu regieren, "ob es einem nun paßt oder nicht", fuhr Barak fort. Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe sich zwar bewegt und beispielsweise das Ziel eines palästinensischen Staates und eine Begrenzung der Siedlungstätigkeit zu eigen gemacht. Man solle sich aber nichts vormachen: "Die zunehmenden Spannungen zwischen uns und den USA sind nicht gut für den Staat Israel." [1]

Wenngleich man die Behauptung Baraks, die israelische Regierung habe sich die Schaffung eines Staates der Palästinenser und die Begrenzung der Siedlungstätigkeit zu eigen gemacht, nicht teilen kann, da die offensichtlichen Fakten eine andere Sprache sprechen, hat seine ausnahmsweise geäußerte Befürchtung, die Welt könne Israel bei fortgesetzter Drangsalierung der Palästinenser die Unterstützung entziehen, durchaus einen substantiellen Kern. Der Staat Israel definiert sich als Heimstatt aller Juden, was keineswegs darauf hinausläuft, daß diese massenhaft in den Nahen Osten strömen. Inzwischen ist das Gegenteil der Fall, da die jüdische Auswanderung aus Israel die Einwanderung übersteigt.

Mit der Konstruktion, der Staat aller Juden zu sein, auch wenn diese zum allergrößten Teil gar nicht in ihm leben wollen, versichert sich Israel der Unterstützung der jüdischen Bevölkerung Westeuropas und insbesondere der USA, ohne deren intensive Lobbyarbeit die materielle Unterstützung, politische Rückendeckung und militärische Garantie mit Sicherheit wesentlich geringer ausfallen würde. Da Israel seine gewaltigen Ausgaben für Rüstung und Sicherheit, aber auch seinen wirtschaftlichen Status nur dank massiver Subventionen seiner Verbündeten aufrechterhalten kann, bleibt der uneingeschränkte Schulterschluß mit Washington und den Europäern eine geradezu existenzielle Voraussetzung der israelischen Staatsführung.

Worin sich Ehud Barak und Benjamin Netanjahu allenfalls unterscheiden, ist die Art des Umgangs mit den befreundeten Regierungen. Während sich Netanjahu im Armdrücken mit Obama als sicherer Sieger fühlt und nichts unversucht läßt, Überlegenheit zu demonstrieren, warnt Barak davor, es sich mit den Amerikanern zu verderben. Daß es sich bei diesen Differenzen um mehr als parteipolitisches Geplänkel handelt, das zugleich nach außen eine möglicherweise gar nicht vorhandene politische Variationsbreite im israelischen Kabinett vortäuschen soll, ist nicht von der Hand zu weisen. Andererseits ist natürlich auch nicht auszuschließen, daß Menschen in den Vereinigten Staaten, den Ländern Europas und nicht zuletzt in Israel selbst des nie stattfindenden Friedensprozesses leid sind und ernsthaft nach den Gründen suchen.

Was Ehud Barak betrifft, so hat er die Arbeitspartei zu einem Feigenblatt der von Falken beherrschten Regierung gemacht und sie weit in das rechte Lager gezogen. Als Verteidigungsminister besetzt er seit drei Jahren eine Schlüsselposition im Kabinett und muß zu den Hauptverantwortlichen für das Massaker im Gazastreifen und dessen Blockade gezählt werden. Zudem ist es ihm nicht einmal gelungen, jene zwei Dutzend Siedlungserweiterungen abzubauen, deren Abriß Israel der US-Regierung bereits 2003 versprochen hatte. Alles in allem also keine Bilanz, die Grund zur Annahme gäbe, daß es sich bei seinen eingangs zitierten Worten um wesentlich mehr als ein weiteres taktisches Manöver zur Fortsetzung des alten Kurses handelt.

Dasselbe gilt auch für US-Präsident Barack Obama, der sich in der vergangenen Woche überraschend pessimistisch zu den Aussichten im Nahost-Friedensprozeß geäußert hat. Seinen Worten zufolge können die USA den Israelis und Palästinensern ihren Willen nicht aufzwingen, sofern beide Seite nicht zu den notwendigen Kompromissen bereit seien, um den jahrzehntealten Konflikt beizulegen. Das mag zwar banal klingen, ist aber doch nach der bislang einseitigen Bezichtigung der Palästinenser, sie verhinderten eine Friedenslösung, eine diplomatische Nuance, die auch die israelische Führung nicht ganz ungeschoren davonkommen läßt.

Israel hält die palästinensischen Gebiete seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzt, was von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig verurteilt worden ist. Die Friedensverhandlungen stocken derzeit wegen der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ostjerusalem. Am 20. März hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Ramallah im Westjordanland die israelischen Siedlungsaktivitäten überall in den besetzten Gebieten als illegal eingestuft und deren Beendigung gefordert. [2]

Das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge, die endgültige Grenzziehung oder der künftige Status Jerusalems - über keinen der Kernpunkte des Konflikts ist eine Annäherung erzielt worden, wobei die Regierung Netanjahus die Vermittlungsmanöver Washingtons torpediert und durch Provokationen verhöhnt hat. Selbst wenn man davon ausgehen muß, Zeuge einer großangelegten Scharade mit verteilten Rollen zu werden, laufen die Hauptdarsteller Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen und das Publikum aus seiner willfährigen Zuschauerrolle zu reißen.

Man darf bei alledem nicht vergessen, in welchem nationalen Kontext die Worte Ehud Baraks gefallen sind. Am Vormittag heulten landesweit zwei Minuten lang die Sirenen im Gedenken an 22.684 Kriegsopfer und 3.971 "Terroropfer", worauf sich die Angehörigen auf zahlreichen Militärfriedhöfen zu Gedenkfeiern versammelten: In Israel fand der Soldatengedenktag statt, an dem die führenden Politiker gefordert sind, sich als Wechselbalg von Falke und Taube in Szene zu setzen und nebenbei der parteipolitischen Konkurrenz an der Medienfront ein Schnippchen zu schlagen. So hat der Verteidigungsminister Warnungen vor einem neuen Nahostkrieg als unbegründet zurückgewiesen, was natürlich nicht zwangsläufig zur Beruhigung der Bürger beiträgt. Israel habe auch nicht die Absicht, im Norden einen Angriff zu unternehmen, fuhr Barak fort, was man durchaus als eine Drohung an die Adresse der Hisbollah und damit zwangsläufig des Libanon interpretieren kann.

In der vergangenen Woche hat der jordanische König Abdullah II. eindringlich vor einem neuen Krieg in der Region in diesem Sommer gewarnt, sofern es keine Fortschritte im Nahostfriedensprozeß geben sollte. Wie Abdullah II. der "Chicago Tribune" sagte, laufe die arabische Friedensinitiative im Juli aus. Die gemäßigten arabischen Staaten stünden unter Druck, weil der Eindruck vorherrsche, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sei nicht an Frieden interessiert. "Wenn bis Juli nichts passiert, sind wir in echten Schwierigkeiten", wurde der Monarch zitiert. "Wenn der Sommer kommt und es keinen aktiven Friedensprozeß gibt, sind die Chancen für einen Konflikt sehr hoch, und niemand gewinnt, wenn es soweit kommt." [3]

Diese Äußerungen mögen dazu beigetragen haben, daß Barak nicht postwendend die Befürchtungen des jordanischen Königs bestätigen und einen neuerlichen Beweis für die fehlende Verhandlungsbereitschaft der israelischen Führung liefern wollte. Er sprach sich für einen Neustart von Friedensverhandlungen mit den Palästinensern aus und erklärte, man müsse auch auf israelischer Seite aktiv werden, um diesen Prozeß in Gang zu bringen. Er befürworte eine "israelische Initiative", wobei er zuversichtlich sei, daß diese auch in der siedlerfreundlichen und rechtsorientierten Regierung Netanjahus Rückhalt gewinnen könnte.

Ehud Barak, der damit ja von einem Kabinett sprach, dem er selbst in prominenter Position angehört, knüpfte mit diesen Andeutungen an seine in jüngster Zeit vorgetragenen Warnungen vor einem Apartheidstaat Israel an. Netanjahu versäumte es unterdessen nicht, sich auf einer Gedenkfeier für gefallene Soldaten auf dem Herzlberg in Jerusalem markiger Worte zu bedienen: "Unser Verlust ist unerträglich. Unser Trost ist nur, daß wir den Weg unserer Liebsten fortsetzen und ihren Traum verwirklichen. Wir sind ein Volk, das nach Frieden strebt und dafür betet. Unsere eine Hand ist zum Frieden ausgestreckt, an alle Nachbarn, die Frieden wollen, und unsere andere Hand hält das Davidschwert, um unsere Nation zu verteidigen gegen jene, die uns auslöschen wollen", sagte der Premier.

Es würde wohl zu weit führen, das von Netanjahu verwendete Bild der beiden Hände wörtlich zu nehmen: Die meisten würden das Schwert in der rechten Hand halten und die linke als vorgebliche Friedensgeste ausstrecken, was in der arabischen Welt womöglich als die denkbar größte Beleidigung aufgefaßt werden könnte. Davon ganz abgesehen braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, was man von den Absichten eines Menschen hielte, der einem die eine Hand darbietet, während er in der anderen das gezogene Schwert hält: Niemand wäre so töricht, das als Friedensangebot mißzuverstehen.

Anmerkungen:

[1] Ehud Barak fordert Ende der Besatzungspolitik (19.04.10)
http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/So-etwas-gibt-es-sonst-nirgendwo-in-der-Welt/story/20046046

[2] Barak für Ende der Besatzungspolitik (19.04.10)
http://derstandard.at/1271374632150/Barak-fuer-Ende-der-Besatzungspolitik

[3] Israels Minister Barak weist Kriegs-Angst zurück (19.04.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/konflikte-israels-minister-barak-weist-kriegs-angst-zurueck_aid_500075.html

19. April 2010