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NAHOST/1017: Im Atomstreit erhöht Obama den Druck auf Teheran (SB)


Im Atomstreit erhöht Obama den Druck auf Teheran

Washington täuscht zu Propagandazwecken Verhandlungsbereitschaft vor


Im Atomstreit zwischen den USA und dem Iran wird das Säbelrasseln Washingtons immer lauter. Nichts verdeutlicht dies besser als jenes außergewöhnliche Hintergrundgespräch zum Thema Iran, zu dem am 4. August eine kleine, erlauchte Gruppe bekannter Kommentatoren, darunter Robert Kagan, David Ignatius, Christiane Anampour, Marc Anbinder und Jeffery Goldberg, ins Weiße Haus eingeladen wurde. Zur großen Überraschung der versammelten Medienvertreter, weil völlig entgegen der üblichen Praxis, wurde das Briefing-Team von niemandem geringeren als dem US-Präsidenten selbst angeführt. Im Gespräch betonte Barack Obama die Bereitschaft seiner Regierung, auf Militärmaßnahmen für den Fall zurückzugreifen, daß Teheran nicht kleinbeigibt.

Aus dem Treffen nahmen einige Journalisten wie das inoffizielle CIA-Sprachrohr Ignatius und die ABC-News-Reporterin und Ex-CNN-Kriegskorrespondentin Anampour die Botschaft mit, Washington sei zu einem letzten Versuch zur friedlichen Beilegung des Streits mit Teheran bereit, weil die Wirtschaftssanktionen, welche der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die USA und die EU in den vergangenen Wochen verhängt hätten, allmählich Wirkung zeigten und das "Mullah-Regime" unter erheblichen innenpolitischen Druck setzten, während die Urananreicherung in den iranischen Atomanlagen aufgrund technischer Schwierigkeiten, für die auch Sabotagebemühungen der CIA mitverantwortlich sein könnten, nicht so richtig vorankäme, was die Gefahr der Konstruktion einer iranischen Atombombe reduziert hätte.

Ganz anders und vermutlich ganz richtig hat Kagan die Erläuterungen des Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte gedeutet. In seiner Kolumne für die Washington Post verwies der bekannte Militarist am 5. August auf die Aussage Obamas, wonach das Nuklearprogramm für die Iraner ein solches Prestigeobjekt darstelle, daß für sie ein Einlenken im Atomstreit kaum bis gar nicht möglich sei, und kritisierte diejenigen Kollegen, die bei der Gesprächsrunde im Weißen Haus Fragen nach einem diplomatischen Ausweg aus der Konfrontation gestellt hatten:

Dies brachte die Regierungsvertreter in eine schwierige Position: Sie wollten nicht offen erklären, daß die Administration keine neue diplomatische Initiative verfolge, denn dies könnte den Schluß nahelegen, daß die Regierung kein Interesse an Diplomatie habe. ... Später hat ein irritierter, ranghoher Beamter mir gegenüber bemerkt, daß die Regierung, wäre es bei dem Briefing um Diplomatie gegangen, die führenden Unterhändler mitgebracht hätte statt alle Personen, die damit befaßt sind, dem Iran die Daumenschrauben anzulegen.

Wie der Zufall es will, hatte ebenfalls am 4. August die Gruppe Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) in einem bei Consortiumnews.com veröffentlichten offenen Brief an Obama diesen ausdrücklich davor gewarnt, dem Drängen der israelischen Regierung Benjamin Netanjahus, der neokonservativen Kriegstreiber in den US-Medien und der republikanischen Hardliner im Kongreß auf einen Angriff auf die Islamische Republik nachzugeben. Unterzeichnet wurde der lange und detaillierte Brief unter anderem von Ray McGovern, der 30 Jahre beim US-Militärgeheimdienst und der CIA tätig war und der zuletzt für die Präsidenten Ronald Reagan und George Bush sen. die Daily Presidential Briefings vorbereitet und sie täglich im Weißen Haus auch noch vorgetragen hatte, Larry Johnson, der 24 Jahre für die CIA, zuletzt in der Analyseabteilung, arbeitete, Philip Giraldi, der 20 Jahre bei der CIA, zuletzt bei der Operationsabteilung, in Dienst stand, und Oberst a. D. Patrick Lang, der den größten Teil seiner 30 Jahre beim US-Militär beim Nachrichtendienst der Spezialstreitkräfte und des Pentagon, der Defense Intelligence Agency (DIA), verbrachte.

Aufgrund ihrer Verbindungen zu noch tätigen Ex-Geheimdienstkollegen und ihrer Deutung der Äußerungen führender Mitglieder der Obama-Regierung der letzten Wochen und Monate machen sich McGovern und Co. ernsthafte Sorgen, daß dieselben Kräfte, die 2002, 2003 erfolgreich die angeblich existierenden Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins zum Grund für den angloamerikanischen Einmarsch in den Irak aufbauschten, diesmal die vom Iran ausgehende Bedrohung übertrieben darstellen werden, um den von ihnen seit langem favorisierten Waffengang am Persischen Golf zwecks "Regimewechsels" in Teheran zu erzwingen. Die "Geheimdienstveteranen für Vernunft" wollen mitbekommen haben, daß derzeit hinter den Kulissen in Washington erneut Manipulationen von Nachrichtendiensterkenntnissen vorgenommen werden, um die National Intelligence Estimate (NIE) in Sachen iranischer Atombombengefahr bedrohlicher ausfallen zu lassen, als die Fakten es eigentlich hergeben.

Bekanntlich hatte die letzte NIE aller 16 US-Geheimdienste Ende 2007 mit der Feststellung, im Iran seien keine Bemühungen um die Entwicklung oder den Bau von Kernwaffen festzustellen, der damaligen US-Regierung von George W. Bush und dessen Vizepräsidenten Dick Cheney den möglichen Kriegsvorwand entzogen. Derzeit werden die Geheimdiensterkenntnisse zum Thema Iran auf den neusten Stand gebracht und sollen demnächst in Form keiner neuen NIE, sondern eines sogenannten Memorandum of Understanding der Obama-Administration vorgelegt werden. Laut den VIPS gibt es guten Grund zu der Annahme, daß in dieser "Mitteilung" die Möglichkeiten iranischer Atomumtriebe dermaßen hoch bewertet werden, daß sich daraus Obama, seine Außenministerin Hillary Clinton und sein Verteidigungsminister Robert Gates eine Rechtfertigung für einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen werden herleiten können.

Die Angst der VIPS ist begründet, doch steht zu befürchten, daß deren jüngste Warnungen in Washington genauso wenig Gehör finden werden wie diejenige, welche sie im Vorfeld des Irakkrieges vergeblich anzubringen versuchten. Bereits am 27. Juni hat Leon Panetta, den Obama 2009 zum neuen CIA-Direktor erkor, im Fernsehinterview mit ABC News die Ansicht vertreten - ohne sie näher zu begründen -, daß die Iraner "nach der Atombombe streben" und im Bereich der Bestückung ballistischer Raketen mit Nuklearsprengköpfen forschen. Am 25. Juli hat General Michael Hayden, der lange Jahre Chef der National Security Agency (NSA) und während der zweiten Amtszeit von Bush jun. als Präsident CIA-Direktor war, in der CNN-Sendung "State of the Union" den Standpunkt vertreten, daß ein Militärschlag der USA gegen den Iran wegen der Weigerung Teherans, die Urananreicherung einzustellen, "unausweichlich" sei.

Auf der Seite der US-Neokonservativen, die im Frühjahr 2003 nach der schnellen Eroberung des Iraks und dessen Hauptstadt Bagdad den Spruch in die Welt setzten, "echte Männer" wollten "nach Teheran", wähnt man sich langsam am Ziel. In einem aufsehenerregenden Artikel in der Ausgabe der Zeitschrift Weekly Standard vom 26. Juli hat Reuel Marc-Gerecht, ein ehemaliger Mitarbeiter der Nahost-Abteilung bei der CIA, der seit Jahren als profilierter Kriegsfalke gilt, die Israelis offen dazu aufgefordert, den Iran anzugreifen, damit die USA auf ihrer Seite in die Kämpfe eingreifen müßten. Nach Ansicht Gerechts würden die waffentechnologisch überlegenen Streitkräfte Israels und der USA schnell mit den Iranern fertig werden, würde aufgrund der militärischen Niederlage das "Regime" in Teheran kollabieren und würden in der Folge dort "demokratische", pro-westliche Kräfte das Ruder übernehmen.

Die Argumente Gerechts erinnern fatal an die von Donald Rumsfelds Freund Kenneth Adelman, der den US-Streitkräften im Irak einen "Spaziergang" prognostizierte. Realistischer wie zugleich erheblich erschreckender sind die Einschätzungen des kanadischen Historikers Gwynne Dyer, der einst Militärgeschichte an der britischen Offiziersschmiede Sandhurst lehrte. In einem Artikel, der am 6. August unter anderem im New Zealand Herald erschienen ist, riet Dyer stark von einem Angriff auf den Iran ab und plädierte statt dessen für eine diplomatische Lösung des Atomstreits. Aufgrund der schwierigen Topographie des Irans mit seinen vielen Gebirgen, der schieren Größe des Landes, des Stolzes seines Volkes und der starken Motivation der Anhänger der islamischen Revolution, insbesondere der Revolutionsgarden, glaubt Dyer nicht, daß die USA und Israel sich eine Invasion werden leisten oder mit konventionellen Waffen wirklich etwas werden ausrichten können und daß sie sich deshalb recht bald nach Ausbruch der Feindseligkeiten gezwungen sehen werden, Atomwaffen einzusetzen.

9. August 2010