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NAHOST/1025: Wolfowitz regt Dauerpräsenz der USA im Irak an (SB)


Wolfowitz regt Dauerpräsenz der USA im Irak an

New York Times erweist sich erneut als Sprachrohr der Neokonservativen


Mit einer im Oval Office des Weißen Hauses gehaltenen Rede an das amerikanische Volk hat US-Präsident Barack Obama am Abend des 31. August das Ende der Operation Iraqi Freedom, die seit März 2003 mehr als 4400 amerikanischen Soldaten das Leben und dem amerikanischen Steuerzahler rund eine Billion Dollar gekostet hat, eingeläutet und damit nach eigenen Worten sein wichtigstes Versprechen aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 eingelöst. Bereits vor zwei Wochen waren die letzten "Kampftruppen" der USA aus dem Irak abgezogen. Im Rahmen der Operation New Dawn, die offiziell am 1. September beginnt, sind 49.000 US-Soldaten vorerst im Irak geblieben, die jedoch nach Angaben Obamas bis Ende 2011 ebenfalls abgezogen würden. Schließlich sieht das 2008 von Premierminister Nuri Al Maliki und George W. Bush unterzeichnete State of Forces Agreement bis dahin den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus dem Irak vor. Ungeachtet Obamas Vision einer "neuen Morgenröte" für den Irak, fällt es schwer zu glauben, daß es ab dem 1. Januar 2012 keine US-Militärstiefel mehr auf irakischem Boden geben wird.

Die Aufgabe der im Irak verbliebenen US-Streitkräfte besteht darin, die neue irakische Armee beim Kampf gegen "Terroristen" zu unterstützen und sie auszubilden unter anderem auch an den neuen amerikanischen Waffensystemen. In den letzten Wochen und Monaten hat es diverse Äußerungen, darunter vom US-Oberbefehlshaber im Irak, General Ray Odierno, und vom ehemaligen US-Botschafter in Bagdad, Ryan Crocker, gegeben, aus denen klar hervorging, daß Washington für die Zeit auch nach Ablauf der im SOFA vorgesehenen Frist eine Militärpräsenz von mehreren Zehntausend Mann im Irak vorschwebt. In einem aufschlußreichen Artikel, der am 12. August unter der Überschrift "Iraq needs help defending its borders after U.S. troops leave in 2011" erschienen ist, hat die Reporterin Liz Sly unter Verweis auf Generalleutnant Michael Barbero, den Leiter der NATO-Ausbildungsoperation im Irak, das jüngste Argument des Pentagons für den Verbleib westlicher Truppen präsentiert: nämlich das Zweistromland gegen äußere Feinde zu verteidigen. Demnach ist es nach Ansicht der US-Militärs im Irak "unvorstellbar", daß die einheimischen Streitkräfte bereits ab Januar 2012 einen Angriff eines der Nachbarländer zurückwerfen könnten.

Inwieweit die Türkei, Syrien, Jordanien, Kuwait, Saudi-Arabien oder der Iran nach den bitteren Erfahrungen der USA in den letzten Jahren im Irak bereit wären, selbst einen militärischen Vorstoß in das Wespennetz zu wagen, ist unklar. Laut Sly herrscht jedoch "in Washington weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit einer anhaltenden militärischen Beziehung zum Irak, sollten die riesigen Investitionen der letzten sieben Jahre an Blut und Geld nicht vergeudet werden". In einem umfassenden, von Rick Rozoff verfaßten Artikel bezüglich der langfristigen Pläne der USA im Zweistromland, der am 14. August bei Global Research unter der Überschrift "Iraq: NATO Assists In Building New Middle East Proxy Army" erschienen ist, wird General Barbero aus dem von ihm verfaßten Strategiepapier "NATO Training Mission - Iraq: Tactical Size - Strategic Impact" wie folgt zitiert: "Mit Blick auf die Zukunft hat die NATO die 'einmalige' Chance, eine dauerhafte Beziehung mit einem demokratischen Staat in einer entscheidenden Region aufzubauen." Und in einem Artikel, der am 31. August bei USA Today, der meistverkauften Zeitung Amerikas, erschienen ist, stellte derselbe Barbero die Rüstungsprodukte, die der Irak demnächst aus den USA für 13 Milliarden Dollar beziehen wird, als wichtige Bausteine der neuen "strategischen Partnerschaft" zwischen Bagdad und Washington dar.

Aus alledem läßt sich entnehmen, daß für die Amerikaner zu der künftigen Beziehung ihres Lands zum Irak ganz klar eine dauerhafte US-Militärpräsenz an Euphrat und Tigris gehört. Deswegen hat Obama in seiner Rede aus dem Oval Office nicht nur behauptet, der Einmarsch in den Irak habe durch den gewaltsamen Sturz Saddam Husseins Amerika "sicherer" gemacht, sondern auch bekanntgegeben, daß er wenige Stunden zuvor mit George W. Bush telefoniert habe, um dessen staatmännische Großleistung zu würdigen. Das Telefonat zwischen den 43. und 44. US-Präsidenten war am diesem Tag nicht das einzige sichtbare Zeichen der Kontinuität der US-Außen- und Sicherheitspolitik, ungeachtet aller gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten, mittels derer die Demokraten und Republikaner der amerikanischen Bevölkerung gelebte Demokratie vorspielen. An diesem historischen Tag meldet sich mit einem Gastkommentar in der altehrwürdigen "liberalen" New York Times niemand geringer als Paul Wolfowitz, der angebliche Chefarchitekt der Irak-Invasion, zu Wort.

Unter der Überschrift "In Korea, a Model for Iraq" führte der ehemalige Stellvertretende Verteidigungsminister der USA Südkorea als Vorbild ins Feld. Der Irak stünde heute besser dar, als Südkorea nach dem dreijährigen Koreakrieg; darüber hinaus hätten die USA weit weniger Soldaten im Kampf gegen irakische Rebellen als Anfang der fünfziger Jahren gegen die Armeen Nordkoreas und Chinas verloren, so der ehemalige Weltbankchef, der sich heute als Gastgelehrter am American Enterprise Institute, der Hauptzentrale der neokonservativen Kamarilla in Washington, ausweist. 57 Jahre nach Beginn des Waffenstillstands auf der koreanischen Halbinsel stünden in Südkorea heute noch 28.500 US-Soldaten, die dort für Frieden und Stabilität in Ostasien sorgten. Bei einem ähnlich langfristigen Engagement im Irak dürfte es den USA gelingen, aus dem Zweistromland einen demokratischen Industriestaat zu machen, dessen Erfolg Vorbildfunktion für die anderen Länder der Region zwischen Mittelmeer und Persischen Golf hätte, so Wolfowitz.

Mit diesem Argument haben Wolfowitz und Konsorten den Irakkrieg vom Zaun gebrochen. Inzwischen sind mehrere Hunderttausend Iraker durch Gewalteinwirkung getötet worden. Zwei Millionen mußten aus Angst um ihr Leben das Land verlassen, weitere zwei Millionen sind zu Inlandsflüchtlingen geworden. Der Irak liegt am Boden. Seine politischen Parteien sind so zerstritten, daß sie seit den Parlamentswahlen vor sechs Monaten keine Regierung haben bilden können. Arbeitsplätze, sauberes Wasser, Strom und Benzin sind Mangelware. Die Tatsache, daß Wolfowitz trotz alledem an seinem neokonservativen Wunschtraum für den Irak festhält, zeigt ein Ausmaß an Uneinsichtigkeit und mangelnder Lernfähigkeit, das die Grenze zum Pathologischen längst überschritten hat.

Für die Nachkriegskatastrophe im Irak tragen Wolfowitz und sein damaliger Vorgesetzter Donald Rumsfeld die Hauptverantwortung. Schließlich wollte vor der Invasion "Wolfie" von den Warnungen des damaligen US-Armeechefs General Eric Shinseki, daß mehrere Hunderttausend Soldaten erforderlich sein würden, um nach dem Sturz der Baath-Regierung zivile Ruhe und Ordnung herzustellen, nichts wissen, während "Rummy" den mehrere tausend Seiten dicken Wiederaufbauplan, den die Experten in Colin Powells Außenministerium erstellt hatten, demonstrativ in den Papierkorb warf. Daß die New York Times nach solchen himmelschreienden Fehlleistungen den Beitrag Wolfowitz' zum Thema Irak überhaupt abdruckt, zeigt nur, daß die Ideologie der Neocons von der Suprematie der USA auf der internationalen Bühne weiterhin in Washington Hochkonjunktur hat.

1. September 2010