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NAHOST/1048: Straßenschlacht besiegelt Ende des Mubarak-Regimes (SB)


Straßenschlacht besiegelt Ende des Mubarak-Regimes

Die Diktatur in Ägypten zeigt ihr wahres Gesicht


In Ägypten windet sich das Regime Hosni Mubaraks in letzten Zuckungen. Leider werden sie viele Menschen das Leben kosten bzw. haben es bereits schon, wie die heftige Straßenschlacht, die am Nachmittag des 2. Februar um den Tahrir-Platz im Herzen Kairos zwischen Regimeanhängern und -gegnern ausgebrochen ist und immer noch, mehr als 24 Stunden später, anhält, nur allzu deutlich zeigt. Die Weigerung Mubaraks, die Macht aufzugeben, und seine Ankündigung, zwar für das Amt des Präsidenten nicht mehr zu kandidieren, jedoch bis zum Ende seiner sechsten regulären Amtszeit im September durchzuhalten, lassen erkennen, daß der Diktator und seine Anhänger im Sicherheitsapparat, in der Wirtschaft und bei der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NPD) beim Übergang in eine "demokratische" Neuordnung ihre Interessen mit allen Mitteln zu wahren suchen. Inwieweit sich die Gegenkräfte, darunter die bislang verbotene Moslembruderschaft, Mohamed ElBaradeis Nationale Front für Veränderung, die liberale Wafd-Partei und die junge Protestgruppe 6. Juli, dagegen durchsetzen werden können, muß sich noch zeigen.

Als sich am 1. Februar rund eine Million Menschen aus allen Gesellschaftschichten auf dem Tahrir-Platz friedlich versammelten, um der Forderung der Bevölkerungsmehrheit nach dem Rücktritt Mubaraks weiteren Nachdruck zu verleihen, waren alle auf die Rede gespannt, die der Präsident am selben Abend halten sollte. Zuvor sollte Mubarak den früheren US-Botschafter in Kairo, Frank G. Wisner, den die Regierung Barack Obama als Sondergesandten nach Ägypten geschickt hatte, zum Krisengespräch empfangen. Die Familie Wisner gehört zur Führungselite der USA. Frank Wisner sen. war Mitbegründer der CIA und nahm am Sturz des iranischen Premierministers Mohammed Mossadegh 1953 teil. Sein Sohn arbeitet heute für die Anwaltskanzlei Patton Boggs, die ihr Geld unter anderem mit der Wahrung der Interesse der Regierung Ägyptens in Washington verdient.

Was Mubarak und Wisner im einzelnen besprochen haben, werden wir vermutlich niemals erfahren. In seiner zweiten Rede an die Nation seit Beginn der Proteste am 25. Januar hat Ägyptens Präsident, nachdem er die Jugend lobte, sie gleichzeitig vor der Manipulation durch "fremde Kräfte" warnte und deshalb empfahl, ihre Demonstrationen zu beenden, seinen Rücktritt für September angekündigt. Was sich vielleicht im ersten Moment wie ein Zugeständnis an die Demokratiebewegung anhört, war in Wirklichkeit keines. Schließlich war lange allgemein erwartet worden, daß der angeblich krebskranke Mubarak sowieso im Herbst nicht mehr für die Präsidentschaft kandidieren, sondern seinen Sohn Gamal ins höchste Amt wählen lassen würde. Weder diese Möglichkeit noch der eventuelle Aufstieg des neuen Vizepräsidenten und langjährigen Geheimdienstchefs Omar Suleiman zum neuen Staatsoberhaupt hat Mubarak in seiner Rede ausgeschlossen, sondern er hat seinen Willen bekundet, bis zuletzt für "Ordnung" zu sorgen und - was besonders ominös klang - in seinem über alles geliebten Land Ägypten zu sterben. Wie zu erwarten gewesen wäre, empfanden die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz die Worte ihres verhaßten Präsidenten als ungenügend. Viele von ihnen erklärten gegenüber der Presse, sie würden auf dem Platz solange ausharren, bis Mubarak sein Amt niedergelegt habe.

Kurz danach erfolgte eine öffentliche Stellungnahme Obamas, die Hoffnungen auf ein halbwegs unblutiges Ende der Ära Mubarak aufkommen ließ. Der US-Präsident lobte die ägyptische Armee wegen ihres professionellen und patriotischen - sprich friedlichen - Verhaltens der letzten Tage. Dem ägyptischen Volk sagte er, die USA hätten seinen durch die tagelangen Demonstrationen zum Ausdruck gebrachten Wunsch, über das eigene Schicksal selbst, das heißt demokratisch, zu bestimmen, vernommen. Ohne sich ausdrücklich der Forderung nach dem sofortigen Rücktritt Mubaraks anzuschließen, ließ der US-Präsident dennoch wissen, er habe vor der Rede des ägyptischen Präsidenten 30 Minuten lang mit diesem gesprochen und ihn dazu ermahnt, "daß ein ordentlicher Übergang bedeutungsvoll, friedlich sein und jetzt beginnen müsse".

Wie die Entwicklung am nächsten Tag zeigen sollte, wollte Mubarak vom wichtigsten Teil der Botschaft Obamas, nämlich das Wort "jetzt", nichts wissen. Am Vormittag verwahrte sich das ägyptische Außenministerium gegen die Einmischung Obamas, während ein Sprecher der Armee die Demonstranten darum bat, nach Hause zu gehen, da ihre politischen Forderungen demnächst in Erfüllungen gingen. Am Nachmittag versammelten sich am Kairoer Nilufer Tausende mit Steinen, Eisenstangen, Schlagstöcken, Messern, Rasierklingen und Brandbomben bewaffnete Mubarak-Anhänger, darunter offenbar zahlreiche Polizisten in ziviler Kleidung, und brachen zum Sturm auf den Tahrir-Platz auf, um die dort erneut versammelten, mehrere tausend Demokratiebefürworter zu vertreiben. Es kam zu einer Straßenschlacht, die in der modernen Geschichte an Heftigkeit ihresgleichen sucht. Nach einem ersten Angriff durch eine Gruppe Reiter auf 18 Pferden und zwei Kamelen setzten sich die Mubarak-Gegner energisch zu Wehr, brachen Betonplatten auf und erwiderten den auf sie hereinbrechenden Steinhagel. Zahlreiche ausländische Journalisten wurden von Mubaraks Freiwilligen geschlagen und getreten und ihre Kameras wurden zerstört.

Die Kämpfe ging die ganze Nacht durch. Zwischendurch kam es zu Schlägereien auf den Dächern einiger Gebäude am Rand des Platzes, als Demokratiebefürworter Mubarak-Anhänger angriffen, die von dort oben Steine und Brandbomben auf sie geworfen hatten. In den frühen Morgenstunden waren rund 4000 Mubarak-Gegner, die sich notdürftig auf dem Tahrir-Platz mit Mülltonnen, ausgebrannten Autos et cetera verbarrikadiert hatten, umzingelt und fürchteten um ihr Leben. Im Schutze der Dunkelheit wurden sie auch aus drei Richtungen mit Gewehrkugeln angeschossen. Die Armeeeinheiten, die am Rande des Platzes seit Tagen postiert waren, haben sich aus den Kämpfen herausgehalten, wiewohl sie hin und wieder mit Rauchbomben die Demokratiebefürworter in Schutz genommen haben bzw. das weitere Vordringen der Regimeanhänger verhindert haben.

Am Morgen hieß es, sieben Menschen seien bei den Kämpfen getötet und rund 1000 verletzt worden. Die Zahl der Getöteten erscheint anhand der von Al Jazeera, Sky News, der BBC und Reuters ausgestrahlten Fernsehbilder zu niedrig. Vermutlich handelt es sich lediglich um die Zahl derjenigen, deren Ableben im Krankenhaus von Ärzten attestiert wurde. Augenzeugen vor Ort sprechen von Dutzenden von Toten. Während diejenigen Mubarak-Anhänger, die in die Hände der Demokratiebefürworter gerieten, in der Regel an die Armee übergeben wurden, muß man davon ausgehen, daß dies in umgekehrter Richtung nicht geschah, und daß das Mubarak-Lager geschnappte Gegner, eventuell unter Anwendung größter Brutalität, getötet hat.

Die Reaktionen auf die Gewaltbilder aus Kairo am 3. Februar fielen verheerend aus. Vertreter derjenigen Staaten wie die USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die seit drei Jahrzehnten Mubaraks Folterregime unterstützen, gaben sich empört über den wenig zimperlichen Umgang ihres längjährigen Verbündeten und seiner Schergen mit dem politischen Gegner. ElBaradei, der inzwischen von der Demokratiebewegung zum Sprecher gewählt wurde, bezeichnete das Regime als "kriminell" und lehnte das Gesprächsangebot von Vizepräsident Suleiman rundweg ab. Erst wenn Mubarak zurückgetreten sei, werde die Opposition zu Verhandlungen bereit sein, so ElBaradei.

Mubaraks neuer Premierminister Ahmed Schafik hat am Vormittag seinerseits die Ereignisse der vorangegangen Stunden kritisiert und eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt, gleichzeitig das Ergebnis derselben mit der Behauptung vorweggenommen, indem er den Vorwurf, das Regime habe Schlägertrupps auf seine Gegner losgelassen, als imfam zurückwies. Auch Schafik rief die Demonstranten im ganzen Land dazu auf, nach Hause zu gehen, damit Ägypten wieder zur Ruhe kommen könne. Am Abend hat Suleiman sein Gesprächsangebot an die Opposition erneuert und es sogar ausdrücklich an die Adresse der Moslembrudershaft gerichtet, gleichzeitig "ausländische Fernsehsender" - in erster Linie wäre der in Katar ansässige Al Jazeera gemeint gewesen - für die Gewalteskalation verantwortlich gemacht. Zuletzt tobten rund um den Tahrir-Platz weiterhin die Kämpfe, in ganz Kairo waren immer wieder Schüsse zu hören. Bei Youtube waren Aufnahmen zu sehen, wie Demonstranten in Kairo von einem gepanzerten Mannschaftwagen der Polizei gezielt überfahren wurden. Die Mubarak-Leute wollen offenbar weiterhin den politischen Kurs in Ägypten bestimmen. Ob sie dies viel länger werden tun können, ist jedoch fraglich. Am Vormittag berichtete der BBC-Korrespondent auf dem Tahrir-Platz, Jon Leyne, von einem Gespräch mit einem nicht namentlich genannten General der ägyptischen Armee, demzufolge "der Pharaoh" innerhalb der nächsten 24 Stunden von seinem Thron gestürzt werde.

3. Februar 2011