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NAHOST/1076: Nicht alle Oppositionellen in Syrien sind friedlich (SB)


Nicht alle Oppositionellen in Syrien sind friedlich

Einseitige Berichterstattung trägt zur Eskalation der Krise bei


Seit Mitte März kommt es Syrien zu Protesten gegen die Alleinherrschaft der Baath-Partei um Präsident Baschar Al Assad, die von den staatlichen Sicherheitskräften mit einiger Brutalität unterdrückt werden. Schätzungen zufolge sollen die Proteste inzwischen mehrere hundert Menschen das Leben gekostet haben. In der westlichen Berichterstattung wird die Lage in Syrien so dargestellt, als würden friedliche Zivilisten einfach wegen des Versuchs, demokratische Rechte einzuklagen, von den Handlangern eines rücksichtslosen Staatsapparats massiv drangsaliert und im schlimmsten Fall ermordet. So einfach ist es aber nicht. Es gibt viele Hinweise dafür, daß die in Syrien verbotene Moslem-Bruderschaft finanziell und militärisch von Exilpolitikern und ihren Freunden bei der Future Movement um den geschäftsführenden Premierminister Saad Hariri im Libanon und an den Königshäusern in Jordanien und Saudi-Arabien finanziell und waffentechnisch unterstützt wird und die legitimen Proteste der Demokratiebefürworter nutzt, um das Land zu destabilisieren. Das Ziel der Assad-Gegner, die in Kontakt mit den Israelis und den Amerikanern stehen, ist es, die säkulare Baath-Regierung in Damaskus zu stürzen und Syrien, dessen Bevölkerung mehrheitlich sunnitischen Glaubens ist, aus seiner Militärallianz mit dem Iran und der libanesischen Hisb Allah, die als mächtigste Vertreter des Schiitentums im Nahen Osten gelten, herauszulösen.

Seit Wochen ist in der Berichterstattung über Syrien von zivilgekleideten Scharfschützen die Rede, die in den verschiedenen Städten das Feuer auf Demonstranten eröffnen, sie töten und verletzen. Dabei wird behauptet, daß diese Personen im Auftrag der Regierung handeln. Doch wie soll man das wissen, wo doch die Scharfschützen weder Uniform noch Abzeichen tragen? Folglich ist es vorstellbar, daß es sich bei einigen, wenn nicht sogar einem Gutteil dieser Gewalttäter auch um regimefeindliche Unruhestifter handelt. Schließlich tragen die meist per Mobiltelefon aufgenommenen und übermittelten Bilder und Berichte von erschossenen, unbewaffneten Demonstranten zur Diskreditierung der Assad-Regierung und zur Verschärfung der Lage in Syrien bei. Häufig hört oder liest man von "Schußwechseln" oder "Feuergefechten", ohne daß dies näher erläutert wird. Beide Begriffe lassen doch den Schluß zu, daß die Vertreter der staatlichen Organe nicht die einzigen sind, die derzeit in Syrien von Waffengewalt Gebrauch machen.

Auch beim Einmarsch mehrerer tausend syrischer Soldaten in die Stadt Dera, die in der Nähe der Grenze zu Jordanien liegt und sich vielleicht deshalb nicht zufällig zur Hochburg der Assad-Gegner entwickelt hat, kam es am 27. April zu schweren Kämpfen. Später hieß es aus Oppositionskreisen, Soldaten der fünften Armeebrigade, die sich schützend vor die Zivilbevölkerung gestellt hätten, seien von ihren Kameraden von der 4. Brigade, deren Befehlshaber Präsidentenbruder Maher Al Assad ist, angegriffen worden und hätten sich zur Wehr setzen müssen. Gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur SANA hat am darauffolgenden Tag ein Sprecher der syrischen Armee den Bericht von Kämpfen zwischen verschiedenen Militäreinheiten als Propagandalüge bezeichnete, die "vollkommen haltlos und falsch" sei.

Nach einem Überfall auf eine Armeepatrouille am 10. April nahe der Küstenstadt Banyas, bei dem neun Soldaten getötet und 25 verletzt wurden, führten unter anderem der Londoner Guardian und die Nachrichtenagentur Agence France Presse den bis heute blutigsten Vorfall der ganzen Unruhen in Syrien darauf zurück, daß die Offiziere ihre Untergebenen angegriffen hätten, weil letztere angeblich nicht bereit gewesen seien, auf friedliche Demonstranten zu schießen. Einen Beleg für diese offenbar frei erfundene Version des Ereignisses hat es bis heute nicht gegeben. Dagegen wartete am 16. April bei Counterpunch.org Peter Lee unter Verweis auf den US-Syrienkenner Prof. Joshua Landis, mit der Information auf, die Soldaten seien von einer bewaffneten Bande und nicht von den eigenen Vorgesetzten unter Beschuß genommen worden. Woher Landis dies wußte? Seine Frau ist Syrerin. Ihr Bruder, Oberstleutnant Jasir Kaschur, zählte zu den Getöteten.

Am 28. April berichtete die World Socialist Web Site in Verbindung mit dem Drängen der USA und der europäischen Großmächte nach Verhängung schwerer Sanktionen gegen Assad und die Spitze der Regierung Syriens, daß die wichtigsten syrischen Dissidentenvereinigung, die Damascus Declaration Group, der auch die Moslembruderschaft angehört, von Washington im Rahmen des Middle East Partnership finanziell unterstützt und beraten wird und daß sich der Regimegegner Ayman Abdalnour, Betreiber der Website all4syria.org, vor kurzem unter Vermittlung von Muhammed Dahlan, dem früheren Sicherheitschef der palästinensischen Autonomie-Behörde, mit israelischen Geheimdienstlern, Militärs und Politiker getroffen hat und seitdem für sie Kontakte zur Opposition in seinem Land herstellen würde. In dem aufschlußreichen WSWS-Bericht hieß es zudem unter Verweis auf die arabische, in Libanon erscheinende Zeitung As-Safir, vor wenigen Tagen sei der Journalist Ghassan Ben Jeddo aus Protest gegen die einseitige und tendenziöse Berichterstattung Al Jazeeras über die Vorgänge in Syrien - aber auch in Bahrain, Jemen, Saudi-Arabien und Libyen - von seiner Stelle beim arabischen Nachrichtensender zurücktreten.

In einem interessanten Artikel, der am 28. April beim Irish Independent unter der Überschrift "Shadow of Syrian Conflict Stretching into Lebanon" erschienen ist, hat sich der legendäre britische Nahost-Korrespondent Robert Fisk, der selbst seit mehr als 30 Jahren in Beirut lebt, mit den Berichten des staatlichen syrischen Fernsehens über getötete Soldaten, deren Leichen von ihren Gegnern auch noch verstümmelt würden, gründlich auseinandergesetzt. Fisk tat die Geschichte von Kämpfen zwischen den 4. und 5. Armeebrigaden in Dera als Humbug ab und sprach von "bewaffneten Banden", die sich "systematisch" mit den staatlichen Sicherheitskräften anlegen würden, was seines Erachtens daraufhin deutete, daß sich Syrien "auf dem Weg in den Bürgerkrieg" befinde. Er äußerte die Befürchtung, daß die instabile Lage in Syrien auf den benachbarten Libanon übergreifen könnte.

Eine solche Entwicklung wäre für Fisk keine Überraschung, werden doch seit Wochen libanesische Politiker wie Mohamed Beydoun von der Hisb Allah bezichtigt, Gelder aus Saudi-Arabien an die "Revolutionäre" in Syrien weitergeleitet zu haben. In diesem Zusammenhang erwähnte Fisk die Tatsache, daß vor kurzem das staatliche syrische Fernsehen Bilder von beschlagnahmten, für die Opposition gedachten Schecks über 300.000 Dollar ausgestrahlt hat, die angeblich von Prinz Turki Bin Abdul Asis, dem ehemaligen saudischen Geheimdienstchef, höchstpersönlich unterzeichnet worden waren. Prinz Turki hat natürlich bestritten, die Schecks ausgestellt zu haben.

29. April 2011