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NAHOST/1117: Washington setzt zum "Regimewechsel" in Damaskus an (SB)


Washington setzt zum "Regimewechsel" in Damaskus an

Assads Syrien droht ein ähnliches Schicksal wie Gaddhafis Libyen


Am 2. Oktober haben die Gegner der Baath-Regierung Syriens um Präsident Bashar Al Assad in der türkischen Metropole Istanbul den Syrischen Nationalrat aus der Taufe gehoben. Dies gab Burhan Ghalioun, der an der Pariser Sorbonne-Universität Orientalistik lehrt, offiziell bekannt. Mit der Gründung des Syrischen Nationalrats sei eine Instanz geschaffen worden, welche die "internationale Gemeinschaft" anstelle der Regierung in Damaskus als legitime Vertreterin des syrischen Volkes anerkennen könne, so Ghalioun, der sich zugleich gegen eine fremdländische Militärintervention in seinem Land aussprach. Letztere Stellungnahme Ghaliouns überzeugt genauso wenig wie seine Aufforderung, die Regierungsgegner in Syrien sollten ihre seit März anhaltenden Proteste weiterhin "friedlich" fortsetzen. Auch wenn die westlichen Konzernmedien es ohne Unterlaß verbreiten, stimmt das Märchen vom rücksichtslosen, zu jeder Schandtat bereiten "Regime" in Damaskus auf der einen Seite und einer völlig gewaltlosen, vom Traum demokratischer Freiheit beseelten Opposition auf der anderen nicht. Nichtsdestotrotz setzen die USA und ihre Verbündeten alles daran, mittels dieses Märchens in Syrien einen "Regimewechsel", ähnlich dem Sturz Muammar Gaddhafis in Libyen, zu forcieren.

Spätestens seit 2006 werden die wichtigsten oppositionellen Gruppierungen in Syrien vom US-Außenministerium und einer Reihe CIA-naher Stiftungen wie dem International Republican Institute (IRI) und dem National Democratic Institute (NDI) finanziell und organisatorisch unterstützt. Das politisch neutral klingende Damascus Centre for Human Rights zum Beispiel wird von Vertretern der halbstaatlichen National Endowment for Democracy (NED) beraten, die in den achtziger Jahren von der Regierung Ronald Reagans geschaffen wurde, um den anrüchig gewordenen Destabilisierungsaktivitäten der CIA im Ausland einen bürgerrechtlichen Anstrich zu verleihen. Über die geheimdienstliche Geburtshilfe für die "Demokratiebewegung" in Syrien berichtete ausführlich Craig Whitlock am 17. April dieses Jahres in der Onlineausgabe der Washington Post unter der Überschrift "U.S. secretly backed Syrian opposition groups, cables released by Wikileaks show". Zu denjenigen im Exil oder im Lande selbst, die im Rahmen der "Middle East Partnership Initiative" Gelder Washingtons aus dem Etat des State Department erhalten haben sollen, gehören beispielsweise der in London ansässige oppositionelle Fernsehsender Barada TV und eventuell auch die Movement for Justice and Development (MJD) in Syrien.

Whitlock zitierte in dem Artikel unter anderem aus einer von Wikileaks veröffentlichten Depesche des US-Außenministeriums vom April 2009, wonach eine in Los Angeles ansässige Stiftung namens Democracy Council 6,3 Millionen Dollar von der Regierung Barack Obamas empfangen habe, um mit syrischen Regierungskritikern eine "diskrete, kollaborative" Operation namens "Civil Society Strengthening Initiative" zu entfalten. Wohin die "Stärkung" der syrischen "Zivilgesellschaft" geführt hat, zeigt sich an den nicht abreißenden Schreckensnachrichten aus dem arabischen Land. Seit vergangenem März geraten in Syrien Ordnungskräfte und "Demokratiebefürworter" immer wieder aneinander. Mehrere Tausend Menschen sollen bereits gewaltsam ums Leben gekommen sein. Die Proteste der überwiegend friedlich demonstrierenden Assad-Kritiker werden von Militanten benutzt, die Schüsse abfeuern und Überfälle durchführen, um die staatlichen Organe zu immer härteren Maßnahmen zu provozieren, die wiederum von westlichen Diplomaten wie US-Außenministerin Hillary Clinton als Argumente angeführt wurden und werden, warum immer schärfere Handelssanktionen gegen Syrien verhängt werden müßten. Dadurch gerät Syrien in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die ihrerseits den längst ausgebrochenen, vom Ausland geschürten Bürgerkrieg zusätzlich anheizen.

Für die Gewaltaktionen seitens der syrischen Opposition werden hauptsächlich Salafisten aus der Moslembruderschaft verantwortlich gemacht, die personelle und waffentechnische Unterstützung von ihren islamistischen Gesinnungsgenossen in Saudi-Arabien, Jordanien und dem Libanon erhalten sollen. Für diese Islamfundamentalisten sind Syriens Alewiten, zu denen die meisten Führungsmitglieder der Assad-Regierung gehören, allesamt Ungläubige und müssen deshalb von der Bühne der Macht gefegt werden, damit in Syrien eine dem Sunnitentum, der Glaubensrichtung der Bevölkerungsmehrheit, konforme Verfassung eingeführt werden kann. Daß eine solche Entwicklung schwere negative Folgen nicht nur für die Alewiten, sondern auch für Christen und andere religiöse Minderheiten in Syrien hätte, kann man sich leicht ausrechnen. Die nach dem 2003 von den USA mit militärischen Mitteln herbeigeführten Sturz des "Regimes" Saddam Husseins ausgebrochene, gegenseitige, konfessionellbegründete Abschlachterei zwischen Schiiten und Sunniten im Irak ist da ein trauriges Beispiel.

Vor dieser Gefahr hat Beshara Rai, Patriarch aller Maroniten im Nahen Osten, im vergangenen Monat bei einem Besuch in der französischen Hauptstadt Paris eindringlich gewarnt. Auf die mahnenden Worte Rais, der sich für einen friedlichen Dialog zwischen Opposition und Regierung in Syrien und eine Entwaffnung der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz erst nach Abschluß bzw. im Rahmen eines Friedensvertrages zwischen Beirut und Tel Aviv aussprach, reagierten im Libanon Vertreter der Riad-nahestehenden "Future Movement" um Ex-Premierminister Saad Hariri und salafitischer Gruppen wie Hisb ut-Tahrir mit Empörung. Dies überraschte nicht. Schließlich stehen jene libanesischen Fraktionen im Verdacht, den gewaltbereiten Moslembrüdern im Nachbarland Syrien als Handlanger zu dienen.

Die mangelnde Dialogbereitschaft der Assad-Gegner, die sich vermutlich Hoffnungen auf Anerkennung des Syrischen Übergangsrats durch die USA, Türkei und andere Staaten und in der Folge auf Luftangriffe der NATO wie einst in Libyen machen, zeigt sich in der Ermordung des 21jährigen Sohnes des sunnitischen Großmuftis Ahmad Badreddine Hassoun. Saria Hassoun wurde nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana am 2. Oktober beim Verlassen der Universität, an der er in der Sarakeb-Region der Provinz Idlib studierte, von unbekannten Tätern erschossen. Man vermutet, daß er getötet wurde, weil sein Vater den Reformkurs Präsident Assads unterstützt und in der Öffentlichkeit ausländische Kräfte für die anhaltenden Unruhen in Syrien verantwortlich machte.

4. Oktober 2011