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NAHOST/1134: Kriegstreiber stellen die Iraner als irrational dar (SB)


Kriegstreiber stellen die Iraner als irrational dar

Warum sollten die Iraner für Vernunft nicht zugänglich sein?


Im Streit um das iranische Atomprogramm zeichnet sich eine gewisse Entspannung ab. Nachdem Ende Februar der oberste religiöse Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, in einer deutlichen Stellungnahme Atomwaffen als Unglück für die Menschheit und ihren Besitz als für die Islamische Republik niemals erstrebenswert bezeichnet hatte, hat Anfang März US-Präsident Barack Obama bei einem Auftritt auf dem Jahrestreffen des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) in Washington das "lose Gerede" vom bevorstehenden Krieg am Persischen Golf kritisiert und sich zu einer diplomatischen Lösung bekannt. Möglicherweise könnte diese bei den bevorstehenden Verhandlungen zwischen Vertretern der 5+1-Gruppe - die fünf ständigen UN-Vetomächte (China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA) plus Deutschland - und des Irans gefunden werden. Das Lob Chameneis für die Distanzierung des Demokraten Obama von den Kriegsdrohungen der republikanischen Präsidentschaftsbewerber läßt jedenfalls Hoffnung aufkommen.

Nichtsdestotrotz bleibt die Ausgangslage schwierig. Während die Iraner den zivilen Charakter ihres Atomprogramms betonen und auf den Zugang der Islamischen Republik als Unterzeichnerstaat des Nicht-Verbreitungsvertrages zu allen Aspekten der Kernenergieproduktion pochen, unterstellen ihnen die westlichen Mächte - allen voran Israel und die USA - den heimlichen Bau von Nuklearwaffen. Und selbst wenn der Vorwurf nicht zutreffen sollte, verlangen Hardliner in den USA und Israel, daß der Iran zum Verzicht auf die Urananreicherung gezwungen wird, damit sich Teheran nicht heimlich genug Spaltmaterial für eine Atombombe zulegen kann. Die Vertreter dieser Linie wollen den Iranern die "Nuklearwaffenfähigkeit" - was natürlich ein sehr dehnbarer Begriff ist - generell verbieten. Doch wie man weiß, hat Teheran die Urananreicherung zur Sache des nationalen Prestiges und einen Verzicht darauf für indiskutabel erklärt.

Stellt man die Frage, warum dem Iran als einziger Staat der Welt die Urananreicherung verboten werden soll oder weshalb eine nukleare Bewaffnung der Iraner eine "existenzielle Bedrohung" Israels darstellte, bekommt man eine zutiefst rassistische Antwort. Demnach wären die Iraner, hätten sie die Atombombe, vom Einsatz derselben durch die riesigen Nuklearwaffenarsenale der USA und Israels nicht abzuschrecken, weil sie religiöse Fanatiker sind. Sie würden versuchen Israel auszulöschen, selbst wenn das die Vernichtung des Irans und den Tod seiner rund 80 Millionen Bewohner bedeutete. Als Beweis für die Unzugänglichkeit der Führung in Teheran für rationale Argumente wird meistens auf den angeblichen Glauben von Präsident Mahmud Ahmadinedschad und dessen Anhängern an einem mysteriösen "12. Iman", der irgendwann kommen und die Schiiten zum Sieg über ihre Feinde führen sollte, verwiesen.

Das ist natürlich absoluter Humbug. Der Glaube an einen verschollenen Heiland, der irgendwann wiederkehrt, um seine Gefolgschaft ins Paradies zu leiten, ist im Westen ebenfalls weit verbreitet - zum Beispiel für die Christen ist es Jesus und für die Deutschen Kaiser Barbarossa. Niemand käme auf die Idee, den Engländern den Besitz von Atomwaffen zu verbieten, nur weil einige von ihnen vielleicht heute noch auf die Wiederkehr von King Arthur samt Wunderschwert Excalibur warten. Dennoch wird das Vorurteil, daß der Iraner nichts sehnlicher als den Märtyrertod wünscht, von denjenigen, die einen Krieg gegen die Islamische Republik befürworten, aktiv gepflegt.

Als vor wenigen Tagen Amerikas oberster Militär Martin Dempsey bei einer Anhörung vor dem Kongreß erklärte, die iranische Führung denke und handele vollkommen rational, hat das die Kriegstreiber in den USA in Rage versetzt. Der reaktionäre Fernsehmoderator Joe Scarborough von MSNBC warf Dempsey vor, die langjährige "Zentrale des internationalen Terrorismus" in Schutz genommen und sich damit als ungeeignet für den Posten als Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs erwiesen zu haben. Bezeichnenderweise sind es in den USA hauptsächlich Schreihälse in den Medien wie Scarborough und der Washington-Post-Kolumnist Charles Krauthammer und in der Politik wie die Republikaner John McCain, Lindsay Graham, Newt Gingrich, John Bolton, Mitt Romney und Rick Santorum, die eine Eskalation der seit dem Sturz des Schahs im Jahre 1979 bestehenden Konfrontation Washingtons mit der Islamischen Republik suchen; aus Kreisen des Militärs und der Geheimdienste vernimmt man dagegen weit gemäßigtere Töne.

Ähnlich sieht es in Israel aus. Während Premierminister Benjamin Netanjahu mittels ständiger Beschwörungen der iranischen "Bedrohung" seine rechtsgerichtete Koalitionsregierung zusammenhält und alle Kritik am forcierten Bau jüdischer Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten abprallen läßt, stehen vor allem ehemalige Armeeoffiziere und Geheimdienstler dem Säbelrasseln aus Tel Aviv skeptisch gegenüber. In einem Interview, das am 11. März im angesehenen US-Politmagazin "60 Minutes" von CBS ausgestrahlt wird, im Internet jedoch in der Abschrift vorab veröffentlicht wurde, hat der Ex-Mossad-Chef Meir Dagan erklärt, die iranische Führung im allgemeinen und Präsident Ahmadinedschad im besonderen handelten "sehr rational". Auch für sie läge allen Überlegungen hinsichtlich des iranischen Atomprogramms eine strenge Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde, so Dagan, der damit das Argument, die Iraner wären mit vernünftigen Argumenten nicht zu erreichen, als Täuschungmanöver und Vorurteil entlarvte.

10. März 2012