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NAHOST/1178: Kriegstreiber Barak und Netanjahu in der Kritik (SB)


Kriegstreiber Barak und Netanjahu in der Kritik

Ex-Richter Winograd rechnet mit Netanjahu-Regierung ab



Im sogenannten "Atomstreit" sorgt die israelische Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak reichlich für Streß. Mit der Drohung, noch vor der US-Präsidentenwahl im November einen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen durchzuführen, setzt sie Barack Obama unter massiven Druck. Um Netanjahu, der ohnehin offen mit Obamas republikanischem Herausforderer Mitt Romney, seinem alten Arbeitskollegen aus früheren Tagen in der US-Finanzwelt, sympathisiert, den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat das Pentagon einen seit langem für Oktober geplanten Großversuch der amerikanischen und israelischen Raketenabwehrfähigkeiten auf Kleinformat zurückgestuft. Wie das Nachrichtenmagazin Time am 31. August berichtete, sollen an dem Kriegsspiel mit Namen Austere Challenge 12 statt 5000 US-Soldaten lediglich 1200 und statt zweier Aegis-Lenkwaffenzerstörer nur einer teilnehmen. Darüber hinaus hat in den letzten Tagen in aller Öffentlichkeit der US-Generalstabschef Martin Dempsey Tel Aviv mehrmals davon abgeraten, im Alleingang den Iran anzugreifen. Washington habe keine Lust in eine militärische Auseinandersetzung, welche die Israelis zwar starten, aber nicht zu Ende bringen können, hineingezogen zu werden, so die deutliche Botschaft des Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs.

Auch im eigenen Land sind viele Menschen von Netanjahus und Baraks hysterischer Einschätzung des iranischen Atomenergieprogramms als eine "existentielle Bedrohung" Israels nicht überzeugt. Zu den Skeptikern gehören auffällig viele Führungspersönlichkeiten aus Militär und Geheimdienst. Nun kommt ein weiterer prominenter Kritiker hinzu. In einem bemerkenswerten Interview mit dem Radiosender der israelischen Streitkräfte hat sich am 2. September der ehemalige Richter Eliyahu Winograd, der ob seiner Objektivität und Unparteilichkeit als Leiter der Untersuchungskommission zum Thema des Libanon-Krieges vom Sommer 2006 auch außerhalb Israels bekannt wurde, schonungslos mit der Kriegstreiberei von Netanjahu und Barak auseinandergesetzt und sie durch die Blume als die eigentliche Bedrohung Israels und seiner Bürger hingestellt. Nach Ansicht Winograds würde ein israelischer Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen ohne die Unterstützung der USA "Israels Zukunft gefährden".

Bekanntlich spielt die israelische Regierung seit Monaten die Auswirkungen der zu erwartenden Vergeltungsmaßnahmen des Irans herunter. Für die Behauptung des Verteidigungsministers, es würden im Ernstfall lediglich 500 Opfer bei der israelischen Zivilbevölkerung zu beklagen sein, hatte Winograd nur Spott übrig: "Nicht mehr als 500 Tote? Woher weiß er das? Hat er sie bereits gezählt?" Das ehemalige Mitglied des Obersten Gerichthofs Israels gab eine realistischere Einschätzung der Reaktion des Irans als General a. D. Barak wie folgt ab: "Nicht nur wird er auf uns feuern, sondern er könnte auch Hisbollah und Hamas um Hilfe bitten ... Wir können uns auf Raketen gefaßt machen, die aus allen Himmelsrichtungen auf uns herabregnen." Auch für die These, der Zivilschutz Israels sei für alle Eventualitäten bestens gerüstet, hatte Winograd wenig übrig: "Ich weiß nicht, wie vorbereitet wir sind. Medienberichten zufolge ist die Heimatfront noch lange nicht bereit." Der angesehene Richter setzte seine Breitseite wie folgt fort:

Wir sollen Netanjahu und Barak trauen und ihnen "blind folgen"? Sollen wir uns damit abfinden? Ich bin mit deren Überlegungen nicht vertraut, aber ihre Erklärungen sind extrem verantwortungslos. ... Die Leiter des gesamten Militärestablishments - ehemalige und noch im Dienst befindliche Chefs des Mossads, des Shin Beth [Inlandsgeheimdienst - Anm. d. SB-Red.] und des Militärgeheimdienstes -sie alle lehnen einen Angriff ab, und trotzdem sollen Netanjahu und Barak allein entscheiden? Sollten wir nicht angesichts der ganzen Gefahren und allem anderen, was passiert [der Bürgerkrieg in Syrien - Anm. d. SB-Red.], innehalten und überlegen, ob es nicht eine andere Lösung gibt? Vielleicht sollten wir ein wenig warten, bis die Amerikaner vorschlagen, eine gemeinsame Operation durchzuführen. In der Zwischenzeit greifen die Sanktionen.

Auf den Hinweis des Moderators, Netanjahu habe erklärt, im Fall der Fälle werde er die Verantwortung übernehmen, reagierte Winograd mit Hohn: "Ach ja, das beruhigt mich ungemein." Dafür warf der Ex-Richter dem Premierminister vor, heiße Luft in ungeheurem Ausmaß zu produzieren: "Netanjahu redet zuviel. Wozu soll das gut sein? Er plant eine Operation? Nun, dann soll er die Klappe halten und sie in aller Stille planen. Plant man einen Angriff, sollte man ihn auch durchführen, aber wozu das ganze Gerede? Damit sich die Iraner darauf besser vorbereiten können? Ich verstehe es nicht."

Besonders mit letztem Satz hat Winograd den zahlreichen Menschen in Israel, im Iran, in den USA und auf der ganzen Welt, welche die jüngsten Entwicklungen im "Atomstreit" mit Sorge betrachten, aus dem Herzen gesprochen.

3. September 2012