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NAHOST/1191: Obamas Drohnenangriffe destabilisieren den Jemen (SB)


Obamas Drohnenangriffe destabilisieren den Jemen

Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Al Kaida nehmen wieder zu



Nach dem blutigen Überfall auf das US-Konsulat in Benghazi am 11. September und dem Tod von Botschafter Christopher Stevens samt dreier Mitarbeiter will das Pentagon der neuen Armee Libyens helfen, das Land zu befrieden. Wie die New York Times am 16. Oktober berichtete, sollen mit Raketenangriffen, die von der CIA per Drohne durchgeführt werden, und neuen libyschen Spezialstreitkräften, die von Experten des Special Operation Command der USA ausgebildet werden, Libyens zahlreiche Milizen, vor allem die al-kaida-nahe Ansar Al Scharia, in die Knie gezwungen werden. Als Vorbild dienen ähnliche SOCOM-Programme in Pakistan und im Jemen, hieß es in der New York Times unter Berufung auf nicht namentliche genannte Mitglieder der Regierung Barack Obamas.

Der ausdrückliche Verweis auf Pakistan und den Jemen läßt für Libyen keine rasche Verbesserung der dortigen Sicherheitslage erwarten. Nicht umsonst fanden genau in diesen beiden Ländern im September die gewalttätigsten und blutigsten Proteste in der islamischen Welt gegen ein Mohammed-Schmähvideo im Internet statt. Pakistaner und Jemeniten laufen Sturm gegen die CIA-Drohnenangriffe, die zahlreiche Zivilisten das Leben kosten. Seit Monaten warnen Experten, daß die Drohnenoffensive der CIA im Jemen die Menschen in die Arme der Islamisten treiben, die dort unter den Namen Al Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP) und Ansar Al Scharia firmieren. Am 30. Mai berichtete die Washington Post von einer drastischen Verschlechterung der Meinung der jemenitischen Bevölkerung von den USA, während sich am 5. Juni im Londoner Guardian Robert Grenier, bei der CIA einst sowohl Stationschef an der US-Botschaft in Islamabad als auch von 2004 bis 2006 Leiter der Abteilung Terrorabwehr, "sehr besorgt über die Schaffung größerer terroristischer Schutzzonen im Jemen" gab. Grenier zog eine negative Bilanz der CIA-Drohnenangriffe gegen mutmaßliche Al-Kaida-Ziele im Jemen und stellte fest, dort schafften sich die USA "mehr Feinde", als sie "von dem Schlachtfeld" entfernten.

Der Jemen gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Mehr als die Hälfte seiner 24 Millionen Einwohner lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Wasser und Nahrungsmittel sind zur Mangelwaren geworden. Ein Drittel der Bevölkerung leidet unter Mangelernährung. Die medizinische Versorgung ist katastrophal, die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch viel schlimmer. Nach monatelangen Protesten ist im Februar der langjährige Präsident Ali Abdullah Saleh doch noch zurückgetreten. An seine Stelle ist unter Vermittlung Washingtons Abed Rabbo Mansur Hadi nachgerückt. Seitdem versuchen die jemenitischen Streitkräfte mit Hilfe der USA jene Gebiete im Osten und Süden des Landes, die 2011 AQAP und Ansar Al Scharia aufgrund der fehlenden staatlichen Ordnung unter ihre Kontrolle gebracht hatten, zurückzuerobern.

In den vergangenen Monaten haben die Behörden in Sanaa größere Erfolge im "Antiterrorkampf" gemeldet, doch hierfür zahlt die Zivilbevölkerung einen hohen Preis. Allein bei zwei verschiedenen CIA-Drohnenangriffen im September sind 12 respektive 13 Zivilisten ums Leben gekommen. Die jüngsten Vorfälle sowie Nachrichten, wonach die CIA besagte Operationen von geheimen Basen im Jemen mit Einverständnis von Präsident Hadi durchführt, haben eine Welle der Empörung ausgelöst. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters hat am 17. Oktober Ali Abd Rabbu Al Kadi, ein Abgeordneter des Parlaments in Sanaa, Präsident Hadi davor gewarnt, seinen Rückhalt bei der Bevölkerung zu verspielen. Offen beklagte Al Kadi, daß die US-Drohnenangriffe "den Nährboden für Al Kaida und den Terrorismus" schafften.

Auch wenn die Warnungen Al Kadis in Washington und Sanaa ignoriert werden, geben die jüngsten Ereignisse im Jemen ihm und den anderen Kritikern der Jemen-Politik der USA recht. In Reaktion auf die tagelangen Tumulte wegen des Anti-Mohammed-Videos vor der US-Botschaft in Sanaa Mitte September hat das Pentagon 50 zusätzliche Marineinfanteristen in die jemenitische Hauptstadt entsandt. Am 13. Oktober brachten die US-Streitkräfte laut Informationen des Internet-Portals Alsahwah.net über den Hafen Hodeidah 106 Panzer und Panzerwagen ins Land. 94 davon gehen an die jemenitische Armee, 12 sollen zur Sicherung der US-Botschaft eingesetzt werden.

Am 16. Oktober wurde auf offener Straße in Jemen der ehemalige irakische General Khaled Al Hashim von unbekannten Tätern, die Al Kaida zugerechnet werden und auf einem Motorrad flüchteten, erschossen. Al Hashim diente einst unter Saddam Hussein und war zusammen mit einigen seiner Kollegen nach dem "Regimewechsel" 2003 in Bagdad vom jemenitischen Verteidigungsministerium als Militärberater angeheuert worden. Bereits am 11. Oktober wurde Kassim Aklani, der seit 11 Jahren als Sicherheitsbeauftragter an der US-Botschaft gearbeitet hatte, ebenfalls von einem oder mehreren Schützen auf einem Motorrad liquidiert. Beobachter gehen davon aus, daß Al Kaida durch gezielte Attentate Präsident Hadis Sicherheitsapparat lahmzulegen versucht.

Am 18. Oktober sollen neun Islamisten bei einem Drohnenangriff auf ein Bauernhaus im Südjemen getötet worden sein. Am Tag darauf haben die Aufständischen einen spektakulären Angriff auf einen Armeestützpunkt in der südlichen Provinz Abian durchgeführt. Nach Angaben von Reuters gelangten zwei Selbstmordattentäter, die Armeeuniformen trugen und einen Wagen mit Armeekennzeichen fuhren, auf den Stützpunkt. Dort jagten sie das mit Sprengstoff beladene Fahrzeug in die Luft. Durch die Wucht der Explosion kamen die beiden Angreifer und zehn Soldaten ums Leben, während weitere 15 Armeeangehörige schwer verletzt wurden. Gleich darauf haben Al-Kaida-Milizionäre den Stützpunkt gestürmt. Bei den Kämpfen kamen drei weitere Soldaten sowie elf Islamisten ums Leben. Zwar wurde der Angriff zurückgeschlagen, jedoch nur mit größter Not.

19. Oktober 2012