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NAHOST/1195: USA und Großbritannien diskutieren Krieg gegen Iran (SB)


USA und Großbritannien diskutieren Krieg gegen Iran

London lehnt Nutzung britischen Territoriums für etwaigen Angriff ab



Ungeachtet der unbestätigten Meldung der New York Times vom 21. Oktober von geheimen Annäherungsgesprächen zwischen Unterhändlern Teherans und Washingtons bereiten sich die USA offenbar auf einen großen Militäreinsatz am Persischen Golf für den Fall vor, daß die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung des sogenannten "Atomstreits" nicht fruchten. Die Regierung Benjamin Netanjahus behauptet, vom iranischen Kernenergieprogramm gehe für Israel eine "existentielle Bedrohung" aus, weil damit angeblich geheime Atomwaffenforschungen betrieben werden. Im US-Kongreß geben sich vor allem die Republikaner mit der bisherigen Sanktionspolitik von Präsident Barack Obama unzufrieden und drängen auf drastischere Zwangsmaßnahmen. Sie könnten nach der Präsidentenwahl am 6. November erfolgen, ganz gleich ob der Demokrat Obama eine zweite Amtszeit gewinnt oder vom republikanischen Herausforderer Mitt Romney, dem guten Freund und ehemaligen Arbeitskollegen von Netanjahu, geschlagen wird.

Auf die Brisanz der aktuellen Lage deutet ein Bericht des Londoner Guardians vom 26. Oktober hin, wonach die Regierung von Premierminister David Cameron kürzlich auf die Erkundigung amerikanischer Diplomaten nach einer möglichen Nutzung britischer Stützpunkte für einen großangelegten Bomben- und Raketenangriff auf den Iran "kühl" reagiert haben soll. Für die ablehnende Haltung Camerons gibt es einen einfachen Grund. In Großbritannien gilt die Entscheidung Tony Blairs, sich 2003 mit britischen Streitkräften am Überfall der Amerikaner auf den Irak zu beteiligen, als größter außenpolitischer Fehler Londons seit 1945. Der britischen Bevölkerung einen zweiten Kreuzzug gegen ein muslimisches Land - das überdies weitaus größer und militärisch stärker ist als seinerseits Saddam Husseins Irak - zu verkaufen, fiele Camerons konservativen Tories und ihren liberalen Koalitionspartnern extrem schwer.

Nach Angaben von Guardian-Reporter Nick Hopkins haben US-Diplomaten und -Militärattachés mit Blick auf die Möglichkeit eines Krieges mit dem Iran bei den Londoner Kollegen um eine eventuelle Nutzung nicht nur von amerikanischen Luftwaffenstützpunkten in Großbritannien selbst und auf den Inseln Ascension im Atlantik und Diego Garcia im indischen Ozean - beides britische Überseeterritorien -, sondern auch von den britischen Militärbasen auf Zypern im östlichen Mittelmeer nachgefragt. Über entsprechende Szenarien wurde angeblich im Sommer auf einem Treffen im Hauptquartier des für den Nahen Osten zuständigen US-Zentralkommandos (CENTCOM) in Tampa, Florida, diskutiert. An den Beratungen nahm eine Delegation ranghoher britischer Militärs teil. Derzeit ist die britische Kriegsmarine mit rund zehn Schiffen, darunter einem Atom-U-Boot, in den Gewässern rund um den Persischen Golf präsent. Diese haben vor einigen Wochen am großen Minensuch-Manöver der 5. US-Flotte, die in Bahrain stationiert ist, teilgenommen.

Laut Hopkins geht die abweisende Haltung Londons, was die Nutzung britischer Basen für einen Angriff auf den Iran betrifft, auf eine geheime Expertise des britischen Justizministeriums zurück, die vor kurzem dem Amt des Premierministers, dem Außenministerium und dem Ministry of Defence (MoD) vorgelegt wurde. Demnach geht von der Islamischen Republik derzeit keine "klare und unmittelbare Bedrohung" aus. Ein Angriff ausländischer Mächte, auch wenn dieser zunächst auf die iranischen Atomanlagen beschränkt bliebe, wäre daher illegal. Hopkins zitierte einen ranghohen britischen Regierungsbeamter mit jenem Argument, mit dem sich London seit Wochen gegen die Avancen Washingtons zur Wehr setzt. "Das Vereinigte Königreich verstieße gegen das Völkerrecht, ermöglichte es einen präemptiven Angriff auf den Iran". Die nächsten Wochen werden zeigen, ob London diesen Standpunkt halten kann.

27. Oktober 2012