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NAHOST/1247: Präsidentenwahl im Iran wirft ihre Schatten voraus (SB)


Präsidentenwahl im Iran wirft ihre Schatten voraus

Machtwechsel in Teheran findet vor instabiler Lage in Nahost statt



Am 14. Juni findet die iranische Präsidentenwahl statt. Damit zeichnet sich das Ende der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad ab, der während seiner beiden Amtszeiten - 2005 bis 2009 und 2009 bis heute - durch provozierende Äußerungen zum Thema Israel und zum Holocaust an den europäischen Juden dem Ansehen seines Landes schwer geschadet hat. Die Wahl eines neuen Regierungschefs - das eigentliche Staatsoberhaupt der Islamischen Republik ist der Oberste Geistliche Führer Großajatollah Ali Khamenei - könnte dem Iran helfen, einen Weg aus der diplomatischen und wirtschaftlichen Isolation gegenüber dem Westen zu finden. Ein Rapprochement des Irans mit den USA käme beiden Ländern, die sich derzeit auf Konfrontationskurs befinden - siehe Syrien-Krise und "Atomstreit" -, zugute. Auf alle Fälle wäre die latente Gefahr eines größeren Krieges, die seit Jahren über dem Persischen Golf liegt, gebannt.

Wurden vor vier Jahren vier Kandidaten vom mächtigen Wächterrat zur Teilnahme an der Präsidentenwahl zugelassen, sind es diesmal acht. Abgelehnt wurden unter anderem die Kandidaturen des früheren Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und des Ahmadinedschad-Vertrauten Esfandiar Rahim Maschaie. Der schwerreiche Rafsandschani, der wie Khamenei an der Islamischen Revolution und beim Sturz des Schahs 1979 beteiligt gewesen ist, gilt als Mann des Teheraner Basars und steht seit langem unter Korruptionsverdacht. Nicht zuletzt deshalb verlor er 2005 die Präsidentenwahl an den damaligen Bürgermeister von Teheran Ahmadinedschad, der sich als bescheidener Saubermann präsentierte. Bei der Kontroverse 2009 um mögliche Manipulationen bei der Stimmenauszählung zugunsten Ahmadinedschads hat sich Rafsandschani durch positive Äußerungen über die "grüne Revolution" auf der Seite der Reformer positioniert, was ihn in den Augen Khameneis zum unsicheren Kantonisten gemacht haben dürfte. Auf Betreiben Khameneis soll der Wächterrat unter Verweis auf Rafsandschanis Alter - 78 Jahre - dessen Kandidatur abgelehnt haben.

Bei Maschaie lagen die Dinge anders. Aus Sicht des mächtigen iranischen Klerus haben Ahmadinedschad und sein Stabschef in den letzten Jahren zu sehr den iranischen Nationalismus in den Vordergrund gestellt und die Betonung religiöser Werte - in diesem Fall der schiitischen - vermissen lassen. 2007 mußte Ahmadinedschad auf Druck Khameneis Maschaie als Vizepräsident entlassen, nachdem sich letzterer für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel ausgesprochen hatte. Hinzu kommt, daß Ahmadinedschad und Maschaie als Anhänger des anrüchigen Glaubens an die baldige Rückkehr des 12. Imam - einer mythologischen Figur, die, von Jesus begleitet, der Welt Frieden und Harmonie bringen soll - gehandelt werden. Für den streng orthodoxen Khamenei war daher eine Teilnahme Maschaies an der Präsidentenwahl vollkommen inakzeptabel.

Unter den nun acht Kandidaten hat sich Said Dschalili, der Vorsitzende des Obersten Nationalen Sicherheitsrats des Irans, bereits als Favorit etabliert. Der 47jährige Diplomingenieur nimmt seit 2007 als Chefunterhändler des Irans an den Verhandlungen im "Atomstreit" mit den Vertretern der Gruppe P5+1 (die fünf ständigen Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen: China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA plus Deutschland) teil. In dieser Funktion hat er sich den Ruf erworben, kein Ideologe, sondern Pragmatiker zu sein, der die strategischen Interessen seines Lands eisern verfolgt, aber gegebenenfalls auch zu taktischen Kompromissen bereit ist. Im "Atomstreit" tritt man derzeit auf der Stelle. Bei der jüngsten Verhandlungsrunde Anfang April im kasachischen Almaty hat der Iran seine Bereitschaft zu Maßnahmen signalisiert, die den Verdacht der militärischen Nutzung von Erkenntnissen aus der Kernenergie ausräumen würden, verlangt aber im Gegenzug einen Zeitplan von sechs Monaten für die Aufhebung aller internationalen Wirtschaftssanktionen.

Selbst wenn die Regierung von US-Präsident Barack Obama die Sicherheitsgarantien des Irans bezüglich seines Atomprogramms als ausreichend bescheinigen sollte, dürfte die Erfüllung der iranischen Gegenforderung sie vor kaum lösbare Probleme stellen. Unter den Demokraten und Republikanern im Washingtoner Kongreß erfahren die Iranophoben aktuell eine derartige Konjunktur, daß es für das Weiße Haus fast leichter wäre, Repräsentantenhaus und Senat für die Schließung des Sonderinternierungslagers Guantánamo Bay auf Kuba und die Verlegung der dortigen mutmaßlichen "Terroristen" in reguläre Gefängnisse auf dem amerikanischen Festland zu gewinnen als für eine Détente mit der Islamischen Republik. Bei Amerikas Kriegsfalken sitzt die Schmach der Besetzung der US-Botschaft und der Geiselnahme des dortigen Personals, die 444 Tage von Ende 1979 bis Anfang 1981 andauerte, zu tief.

Seitdem ist der Iran immer stärker geworden, hat sich von 1980 bis 1988 von den Truppen Saddam Husseins nicht in die Knie zwingen lassen und konnte durch den von den USA 2003 mit Militärgewalt erzwungenen "Regimewechsel" in Bagdad am meisten profitieren. Im Irak der Nach-Saddam-Hussein-Ära hat die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten, die tendenziell dem Iran wohlgesonnen ist, das Sagen. Um dies zu kontern, versuchen die USA seit zwei Jahren, mit Hilfe Saudi-Arabiens, Katars und einer Armee sunnitischer Salafisten die säkulare Baath-Regierung in Syrien, den wichtigsten Verbündeten des Irans, zu stürzen. 80.000 Tote später wollen die USA auf Drängen Rußlands den Bürgerkrieg in Syrien durch einen politischen Dialog beenden. Im Juni sollen in Genf Gespräche aller inländischen Streitparteien sowie der wichtigsten Nachbarländer stattfinden. Doch während Moskau den Iran mit am Verhandlungstisch haben möchte, lehnt Washington dies bislang strikt ab.

Ohne die Hilfe des Irans in Form von Waffen und Militärberatern sowie der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz hätten die Truppen Baschar Al Assads in den vergangenen Wochen und Monaten den Vormarsch der Rebellen nicht zum Stoppen gebracht und ins Gegenteil verkehrt. Folglich wäre es unlogisch, einseitig und letztlich kontraproduktiv im Sinne echter Friedensverhandlungen wären daran zum Beispiel Saudi-Arabien, der vielleicht wichtigste Waffenlieferant der Aufständischen, beteiligt, der Iran aber nicht. Sollten sich US-Präsident Obama und sein Außenminister John Kerry jedoch zu einer Einladung an die Iraner durchringen, müßten sie sich auf einen Sturm der Entrüstung aus dem Kongreß gefaßt machen.

Im dortigen Senat ist am 21. Mai mit Unterstützung beider großen Parteien ein Gesetzesentwurf auf die Tagesordnng gesetzt worden, der direkte Waffenlieferungen der USA an die syrischen Rebellen vorsieht, ungeachtet der Tatsache, daß in deren Reihen die al-Kaida-nahe Al-Nusra-Front die stärkste Kraft darstellt. Im Entwurf des "Syrian Transition Support Act" heißt es schwarz auf weiß: "Ein Regierungswechsel in Syrien könnte einen schweren Schlag für die Regierung des Irans und die Hisb Allah bedeuten, die dadurch einen starken Verbündeten verlören". Am 22. Mai hat sich der Senat mit 99 zu null Stimmen für eine drastische Verschärfung der Handelssanktionen gegen den Iran und für die volle militärische Unterstützung Israels, sollte sich Tel Aviv für einen Angriff auf die Atomanlagen der Islamischen Republik entscheiden, ausgesprochen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Wahl eines neuen iranischen Präsidenten nur als ein Faktor unter vielen, die entweder zur Beilegung des Konfliktes in Syrien oder zu seiner Ausweitung zum verheerenden Regionalkrieg führen wird. Sollte der Führung des Irans wenn nicht ein lupenreiner demokratischer Prozeß, so doch zumindest ein reibungsloser und weniger störanfälliger Machtwechsel als vor vier Jahren gelingen, dürfte die neue Regierung in Teheran - aller Wahrscheinlichkeit nach von Said Dschalili angeführt - immerhin mit einer Stimme sprechen und die Unterstützung der mächtigen Geistlichkeit um Khamenei genießen. Mit einer solchen Administration in Teheran könnte Washington Vereinbarungen in der Gewißheit ihrer Einhaltung treffen. Leider hat Obama anders als Richard Nixon bei dessen historischem Besuch 1972 beim Klassenfeind Mao Zedong in der Volksrepublik China nicht die politische Rückendeckung im eigenen Land, die ihm erlauben würde, die verhärteten Fronten zu durchbrechen.

24. Mai 2013