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NAHOST/1256: G8-Gipfel in Eniskillen - Syrienkrieg am Scheideweg (SB)


G8-Gipfel in Eniskillen - Syrienkrieg am Scheideweg

Obama und Putin entscheiden über Eskalation oder diplomatische Lösung



Am heutigen 17. Juni beginnen im luxuriösen Lough Erne Hotel unweit der nordwestirischen Stadt Enniskillen die diesjährigen, zweitägigen Beratungen der Regierungschefs der G8-Staaten. An erster Stelle auf der Tagesordnung steht der seit 2011 anhaltende Konflikt in Syrien, der sich scheinbar unaufhaltsam zum Regionalinferno mit Weltkriegspotential entwickelt. Am Rande der G8-Beratungen ist auch ein Vier-Augen-Gespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und Rußlands Staatsoberhaupt Wladimir Putin geplant, das für die Zukunft Syriens und des Nahen Ostens von entscheidender Bedeutung sein dürfte. Seit zwei Jahren unterstützen die USA und ihre NATO-Verbündeten Frankreich und Großbritannien - indirekt über Saudi-Arabien und die arabischen Golfstaaten - die sunnitischen Rebellen in Syrien finanziell und waffentechnisch. Moskau dagegen hält an seiner Allianz mit der bisherigen Regierung in Damaskus fest, die sowohl Waffen aus Rußland erhält als auch Hilfe vom Iran und der schiitisch-libanesischen Hisb Allah erfährt.

In den letzten Wochen haben sich der amerikanische und russische Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow für Friedensverhandlungen in Genf unter Einbeziehung aller Konfliktparteien und ohne Vorbedingungen stark gemacht. Doch nachdem die Obama-Regierung am 13. Juni verkündet hat, den syrischen Rebellen direkte Militärhilfe zukommen zu lassen, stehen die Chancen auf eine diplomatische Lösung des Konfliktes ganz schlecht. Rußland hat die Begründung Washingtons für seine Entscheidung - angeblich sollen die US-Geheimdienste zu der Überzeugung gelangt sein, daß die Truppen um den syrischen Präsidenten Baschar Al Assad gegen die Aufständischen Sarin-Gas eingesetzt hätten -, als fadenscheinig abgetan. Bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister David Cameron am 16. Juni in London warnte Putin die NATO-Staaten eindringlich davor, dieselben Fehler - Aufrüstung radikalislamischer Gruppen - wie einst in Afghanistan nun in Syrien zu wiederholen.

Entgegen der gängigen Überlieferung, die unter anderem auf Hollywood-Märchen wie "Charley Wilsons Krieg" basiert, war - bis auf den im Sinne der gesellschaftlichen Mobilisierung für den "Antiterrorkrieg" recht nützlichen Betriebsunfall 9/11, der von Mitgliedern von Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" verursacht worden sein soll - die Operation Cyclone, mit der die CIA für mehrere Milliarden Dollar den Kampf der afghanischen Mudschaheddin und eines Heers arabischer Freischärler gegen die Sowjetarmee finanzierte, ein Riesenerfolg. Wie es Jahrzehnte später Zbigniew Brzezinski, der als Nationaler Sicherheitsberater von Jimmy Carter die Idee ausheckte, den Sowjets in Afghanistan ihren "Vietnamkrieg" zu bescheren, in einem Zeitungsinterview einmal ausdrückte: Was wiegt geschichtlich schwerer, die gelungene Herbeiführung des Untergangs des Klassenfeindes Sowjetunion samt Warschauer Pakt oder ein paar "aufgebrachte Moslems"?

Seit zwei Jahren setzt der Westen zu Tausenden die gleichen leicht manipulierbaren sunnitischen Hasardeure - aus Libyen, Tunesien, Libanon, Saudi-Arabien und Europa - gegen Syrien ein, um einen Sturz der Assad-Regierung zu erzwingen. Die Tatsache, daß die syrischen Rebellen und ihre kampfstärkste Gruppierung, die Al-Nusra-Front, die lediglich Al Kaida unter einem anderen Name ist, bei Kusair eine schwere strategische Niederlage erlitten, scheint die westlichen Antiterrorkrieger nicht zu kümmern. Der eingeschlagene Weg wird eingehalten und der Einsatz notfalls erhöht. Wie die Washington Post am 15. Juni berichtet, hat Obama die Entscheidung zur direkten Aufrüstung der Aufständischen in Syrien nicht erst zwei Tage zuvor, sondern bereits Ende April getroffen. Angesichts der zunehmenden Erfolge der regulären syrischen Streitkräfte hatte er damals das Pentagon mit der Planung der bevorstehenden Waffenlieferungen beauftragt, so die Washington Post. Demnach stellt die Behauptung, die Assad-Truppen hätten Sarin-Gas eingesetzt, lediglich einen propagandistischen Vorwand für die US-Regierung dar und hat wenig bis gar nichts mit der Wirklichkeit am Kriegsschauplatz zu tun.

Interessanterweise hat vor wenigen Tagen der frühere französische Außenminister Roland Dumas in einem Fernsehinterview behauptet, bereits "zwei Jahre vor dem arabischen Frühling" - also 2009 - hätten ihm "ranghohe britische Regierungsbeamte" bei einem Besuch in England mitgeteilt, sie "organisierten eine Rebelleninvasion in Syrien", und gefragt, ob er sich bei der neokolonialistischen Unternehmung nützlich machen wollte, indem er seine Kontakte zu Pariser Regierungskreisen sowie bei der Sozialistischen Partei Frankreichs spielen ließe. Laut Dumas, der die Einladung ausschlug, sei der Versuch, die Dinge in Syrien neu zu ordnen, in London "von langer Hand geplant" gewesen. Ausschlaggebend seien Assads anti-israelische, panarabische Haltung und sein Festhalten an der Allianz mit dem Iran und der Hisb Allah.

Seit Beginn der Syrienkrise spielt Großbritannien auf westlicher Seite den Scharfmacher. Doch wenn heute der britische Außenminister William Hague am Rande des G8-Gipfels behauptet, man könnte die Waffenlieferungen an die Rebellen "kontrollieren" und dafür sorgen, daß sie nicht in die Hände der "terroristischen" Al-Nusra-Front gelangten, dann ist das nichts als Augenwischerei. In der britischen Sonntagszeitung Observer berichtete Martin Chulov am 16. Juni, die syrischen Rebellen verfügten bereits über "eine große Lieferung" von Boden-Luft-Raketen vom Typ SA-16, die man von der Schulter aus abfeuern und mit der man auch Passagiermaschinen vom Himmel holen könne.

London und Washington geht es in erster Linie darum zu verhindern, daß die syrischen Streitkräfte nach ihrem Etappensieg in Kusair die Rebellen aus der Handelsmetropole Aleppo vertreiben und das nahe Umland zur türkischen Grenze zurückerobern. Ob sich die NATO in den kommenden Wochen zur Verhängung einer Flugverbotszone durchringt, ist eine ganz andere Frage. Möglicherweise wird dieses Vorhaben am Widerstand Rußlands scheitern, das die Luftabwehrsysteme Syriens im wesentlichen aufgebaut hat. Doch solange keine westlichen Soldaten - Spezialstreitkräfte natürlich ausgenommen - nach Syrien hineinmüssen, können Amerikaner und Briten ruhig zusehen, wie sich der Iran, die Assad-treuen Truppen und die Hisb Allah mit der salafistischen Freiwilligenarmee einen blutigen und möglichst verlustreichen Krieg liefern. Das hat 1980 bis 1988 im Iran-Irak-Krieg funktioniert und es gibt keinen Grund, warum es heute nicht in Syrien genauso funktionieren sollte.

17. Juni 2013