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NAHOST/1269: Saudi-Arabien ringt um das Überleben der Monarchie (SB)


Saudi-Arabien ringt um das Überleben der Monarchie

Riad distanziert sich von den USA - und manövriert sich ins Abseits



Keine Herrscherelite sieht sich durch den vor zwei Jahren ausgebrochenen Arabischen Frühling akuter bedroht als das absolutistische Königshaus Saudi-Arabiens. Als Anfang 2011 die USA den langjährigen ägyptischen Diktator Hosni Mubarak fallenließen und die demokratischen Umwälzungen am Nil guthießen, war das für König Abdullah und die Prinzenriege in Riad ein schwerer Schock. Sie müssen befürchten, ebenfalls über Nacht auf dem Müllhaufen der Geschichte zu landen, sollte sich in Saudi-Arabien das Volk jemals erheben. Gemäß der Devise, daß der Angriff die beste Verteidigung ist, unterstützen die Saudis seit zwei Jahren reaktionäre Kräfte in Bahrain, im Jemen, in Libyen, in Ägypten und vor allem in Syrien, um die Welle der Veränderung vom eigenen Land fernzuhalten. Ob sie damit den Lauf der Geschichte aufhalten können, ist jedoch fraglich.

Nicht umsonst hat Saudi-Arabien wohlwollend auf den Militärputsch Anfang Juli in Ägypten reagiert. Als die USA den Sturz des ersten gewählten ägyptischen Präsidenten, Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft, kritisierten und mit einer Einstellung ihrer Finanz- und Rüstungshilfe für Ägyptens riesige Armee in Höhe von rund 1,3 Milliarden Dollar im Jahr drohten, sprang Riad den neuen Machthabern in Kairo demonstrativ bei. Die Saudis haben den Ägyptern sofort mehrere Milliarden Dollar finanzielle Unterstützung zugesagt, um der am Boden liegenden Wirtschaft des bevölkerungsreichsten arabischen Staates wieder auf die Beine zu helfen.

Kurz nachdem sich US-Präsident Barack Obama im September in letzter Minute gegen einen bevorstehenden Raketenangriff auf die syrischen Streitkräfte entschied und dem russischen Plan einer internationalen Friedenskonferenz für Syrien in Genf zustimmte, kündigte Prinz Bandar, Saudi-Arabiens Geheimdienstchef und Nationaler Sicherheitsberater in einem, die Allianz zwischen Riad und Washington quasi auf. Seitdem geriert sich Saudi-Arabien im Nahen Osten als eigenständiger Akteur. Zusammen mit Israel hat Riad vor wenigen Tagen die Bemühungen um eine Beilegung des Atomstreits mit dem Iran torpediert. Gleichzeitig hat Saudi-Arabien Schritte eingeleitet, um sich im Ernstfall aus Pakistan eine eigene nukleare Abschreckung zu beschaffen. Nach einem aufsehenerregenden, am 6. November ausgestrahlten Bericht der BBC-Nachrichtensendung Newsnight über diese Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen im Nahen Osten soll Obama nach Angaben von Ex-AP-Reporter Robert Parry in einem Schreiben Israels Präsidenten Shimon Peres und den saudischen König Abdullah indirekt darum gebeten haben, Premierminister Benjamin Netanjahu respektive Geheimdienstchef Bandar an die Kandare zu nehmen.

Vor dem Hintergrund der Bemühungen Washingtons und Moskaus um eine Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien scheint zumindest die Türkei ihre Unterstützung für die syrischen Rebellen zurückgefahren zu haben. Hierfür spricht zum Beispiel die Beschlagnahmung eines mit 1200 Raketensprengköpfen sowie einer nicht näher bezeichneten Anzahl an mit Panzerfäusten, Sprengstoff und Gewehren beladenen Lastwagen und die Festnahme von neun mutmaßlichen Waffenschmuggler am 7. November in der grenznahen türkischen Provinz Adana. Fünf Tage zuvor hatten türkische Grenzsoldaten nahe der Stadt Reyhanli nach einer Schießerei drei Lastwagen beschlagnahmt, mit denen Schmuggler mehr als 1000 Kilogramm verschiedener Chemikalien nach Syrien, vermutlich zur Herstellung von Chemiewaffen, transportierten. Dabei wurde ein Fahrer festgenommen; die beiden anderen konnten zu Fuß flüchten.

Während die Türken aus Angst um eine Destabilisierung des eigenen Landes bei einer Fortsetzung des Bürgerkrieges im südlichen Nachbarstaat einen gemäßigten Kurs eingeschlagen haben, fahren die Saudis ihre Unterstützung für die Aufständischen hoch. Auch wenn Barack Obama und John Kerry vom Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus Abstand nehmen, um eventuell den Iran in eine diplomatische Lösung des Syrienkonfliktes einbinden zu können, will Riad den Sturz Baschar Al Assads forcieren. Doch durch ihr verstärktes Engagement in Syrien geraten die Saudis zusehends in die diplomatische Isolation. In einem Artikel, der am 10. November bei Al-Monitor.com unter der Überschrift "Iran nuclear deal key to political solution in Syria" erschienen ist, wird von einer Spaltung innerhalb der oppositionellen Syrian National Coalition (SNC) zwischen Befürwortern und Gegnern einer Teilnahme an den geplanten Genf-II-Verhandlungen berichtet. Dort schreibt der türkische Journalist Fehim Tastekin: "Saudi-Arabien blockiert die Genf-II-Gespräche als Vergeltung für das Rapprochement der USA mit dem Iran. Für die Saudis ist die SNC zu einem Schauplatz zur Begleichung alter Rechnungen mit den USA geworden. Der Flügel [der SNC - Anm. d. SB-Red.], der gegen Genf-II ist, steht unter saudischem Einfluß."

Sich so eindeutig den USA in den Weg zu stellen und Partei für die sunnitisch-salafistischen Dschihadisten in Syrien zu ergreifen, könnte den Saudis teuer zu stehen kommen. An deren Macht im eigenen Land mehren sich die Auflösungserscheinungen, wofür die Bewegung gegen das Fahrverbot für Frauen ein sichtbares Beispiel ist. Am vergangenen Wochenende löste eine Verhaftungswelle der Polizei gegen illegale Arbeitsmigranten in mehreren Städten gewalttätige Proteste mit Toten und Verletzten aus. Mit schweren Unruhen in der östlichen Provinz asch-Scharqiyya ist zu rechnen, sollten die saudischen Behörden, wie erwartet, in den nächsten Tagen am schiitischen Geistlichen Imane Nimr Al-Nimr die Todesstrafe vollstrecken.

Al-Nimr gilt als wichtigster Geistlicher der Schiiten Saudi-Arabiens. Diese machen zwar nur 17 Prozent der rund 30 Millionen Einwohner aus, stellen jedoch in asch-Scharqiyya, wo auch das meiste Öl gefördert wird, die Mehrheit dar. Wegen der Engstirnigkeit der in Saudi-Arabien herrschenden wahabitischen Schule des Sunnitentums und der Angst Riads, die Schiiten des Landes könnten sich nach dem Iran orientieren, werden diese seit Jahrzehnten brutal unterdrückt. Als die Schiiten in der Ostprovinz Saudi-Arabiens im Frühjahr 2011 für Gleichberechtigung auf die Straße gingen und sich zudem solidarisch mit ihren unterdrückten Glaubensgenossen in Bahrain erklärten, reagierten die saudischen Behörden in gewohnter Manier mit Repressalien. Im Juli 2012 wurde Al-Nimr als Rädelsführer der Proteste festgenommen und im März dieses Jahres wegen "Unterstützung des Terrorismus" und "Aufwieglerischer Aktivität" zum Tode verurteilt. Sollte das Urteil gegen Al-Nimr demnächst tatsächlich vollstreckt werden, könnte das eine Kette von Ereignissen auslösen, an deren Ende die vom Königshaus befürchtete Aufspaltung Saudi-Arabiens in mehrere kleine Staaten stehen wird.

13. November 2013