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NAHOST/1303: Greift der Syrienkrieg auch auf Jordanien über? (SB)


Greift der Syrienkrieg auch auf Jordanien über?

Jordanische Luftwaffe jagt Islamisten-Konvoi in Syrien in die Luft



Seit Monaten wird über eine bevorstehende Offensive der Rebellen im Bürgerkrieg in Syrien, mit der sie von der südlichen Provinz Dara'a Richtung Hauptstadt Damaskus vorstoßen wollen, berichtet. Die Offensive soll Gegenstand der Gespräche gewesen sein, die US-Präsident Barack Obama im Februar in Kalifornien mit König Abdullah II. von Jordanien und vor einigen Tagen in Riad mit König Abdullah von Saudi-Arabien geführt hat. Ziel der Operation soll es sein, erstens die staatlichen Streitkräfte Syriens, die seit Monaten auf dem Vormarsch sind, zurückzudrängen und zweitens, die "gemäßigten" Kräfte unter den Aufständischen zu stärken. Zu diesem Zweck werden Tausende Rebellen in Jordanien von jordanischen und westlichen Spezialstreitkräften ausgebildet, auf ihre religiös-ideologische Tauglichkeit überprüft und mit schweren Waffen, darunter amerikanische Anti-Panzer-Raketen vom Typ TOW, ausgerüstet. Mit Beginn des Konflikts in Syrien hat Jordanien eine wichtige Funktion als Rückzugsgebiet für die Rebellen übernommen. Das zunehmende Engagement Jordaniens im Bürgerkrieg im Nachbarland birgt jedoch die Gefahr, daß sich der Konflikt auch auf das haschemitische Königreich ausweitet, wie er es in den Fällen Irak, Libanon und Türkei bereits getan hat. Schließlich fordern die Salafisten in Jordanien, die dort neben der Moslembruderschaft die wichtigste Oppositionskraft stellen, seit langem die Abschaffung der Monarchie.

Am 16. April berichtete die Nachrichtenagentur Reuters von den zunehmenden Sorgen Ammans vor heimkehrenden Dschihadisten. Zwar legen die jordanischen Behörden jungen Männern, die in Syrien auf Seiten der Rebellen kämpfen wollen, keine Hindernisse in den Weg und sind vermutlich froh, potentielle Aufwiegler loszuwerden, doch heimkehrende Dschihadisten, die womöglich durch die Kriegserfahrungen noch weiter radikalisiert worden sind, werden gleich verhaftet und wegen Störung der bilateralen Beziehungen zu Damaskus zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Gefängnis werden sie einem Umerziehungsprogramm bzw. bei Widerspenstigkeit schwerer Folter unterzogen. Im Reuters-Bericht heißt es, die jordanischen Gerichte wären mit solchen Fällen derzeit "überlaufen".

Schon damals nach dem Treffen Obamas mit König Abdullah II. von Jordanien warnte die regierungsnahe syrische Tageszeitung Al Thawra die Verantwortlichen in Amman vor einer zunehmenden Verwicklung in den Bürgerkrieg in Syrien. Wer mit dem Feuer spiele, könne sich die Finger verbrennen, was umso mehr für diejenigen, "die Feuer legen", gelte, so die Botschaft der Al-Thawra-Redaktion an die jordanische Regierung. Um bei der hier angewandten Metapher zu bleiben: Es sieht derzeit danach aus, als würde in der Tat der Brand in Syrien allmählich auf Jordanien übergreifen.

Am Vormittag des 15. April wurde Fawaz Al Itan, Jordaniens Botschafter in Libyen, auf dem Weg zur Arbeit im Mansur-Viertel von Tripolis entführt. Schwerbewaffnete, maskierte Männer haben mit zwei Autos und einem Abschleppwagen Al Itans Limousine den Weg versperrt, ihn herausgezerrt und mitgenommen. Bei der Aktion wurden Fahrer und Leibwächter Al Itans angeschossen und verletzt. Kurz darauf sollen sich die Entführer bei Al Itans Ehefrau telefonisch gemeldet und ihr gesagt haben, daß sie ihn in ihrer Gewalt hätten. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Agence France Presse hieß es, die Entführer forderten im Gegenzug für die Unversehrtheit Al Itans die Freilassung mehrerer Islamisten, die sich derzeit in Jordanien im Gefängnis befänden. Weder die Regierung in Tripolis noch die in Amman wollte bisher zu dieser Angabe Stellung beziehen.

Am 16. April sah sich die jordanische Luftwaffe erstmals genötigt, in den Konflikt in Syrien direkt einzugreifen. Bei dem "ungewöhnlichen" Vorfall - so die Formulierung der New York Times - wurde ein aus drei Geländewagen bestehender Konvoi in die Luft gejagt. Über die Anzahl und die Identität der Getöteten herrscht Unklarheit. Seitens der jordanischen Regierung, die im staatlichen Fernsehen die von den am Angriff beteiligten Kampfjets aufgenommenen Bilder des Vorfalls ausstrahlen ließ, hieß es lediglich, die drei Wagen hätten sich der Grenze gefährlich genähert und auf die mehrmalige Aufforderung anzuhalten nicht reagiert. In der New York Times wurde dahingehend spekuliert, bei den Wageninsassen könnte es sich um Mitglieder der radikalen Rebellengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) gehandelt haben, die ein Kalifat im Nahen Osten errichten wollen und deshalb mit den anderen aufständischen Gruppen in Syrien, die sich von den USA und deren Verbündeten unterstützen lassen, auf Kriegsfuß stehen.

Am 17. April berichtete die private israelische Nachrichtenagentur Debkafile, der enge Verbindungen zum Mossad nachgesagt werden, daß sich in den drei Wagen ISIL-Kämpfer befanden, die aus der sunnitisch-dominierten Provinz Anbar im Irak kamen und die vorhatten, ein geheimes Ausbildungszentrum nahe der ostjordanischen Stadt Ruwaished, in dem amerikanische und jordanische Militärs Angehörige der irakischen Streitkräfte im Antiterrorkampf unterrichten sollen, zu überfallen. Wie die jordanischen Behörden rechtzeitig von dem bevorstehenden Anschlag erfahren haben, konnte auch Debkafile nicht sagen. Doch sie behauptete, daß die Entscheidung, die jordanische Luftwaffe gegen den Konvoi einzusetzen, gemeinsam von Amman und Washington getroffen wurde und daß die Operation in enger Abstimmung mit dem 2013 vom amerikanischen Militär eröffneten U. S. Central Commmand (Forward) - Jordan erfolgt sei. Sitz von CENTCOM Forward - Jordan (CF-J) ist das berühmt-berüchtigte, nahe Amman gelegene King Abdullah II. Special Operations Training Center (KASOC), wo seit drei Jahren Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) und eventuell auch "gemäßigte" Islamisten für den Kriegsdienst in Syrien vorbereitet werden.

19. April 2014