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NAHOST/1305: Fatah und Hamas legen ihren Bruderzwist bei (SB)


Fatah und Hamas legen ihren Bruderzwist bei

USA und Israel reagieren verärgert auf palästinensische Versöhnung



Die Bemühungen des US-Nahost-Sonderbeauftragten Martin Indyk, die unterbrochenen Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zu retten, sind gescheitert. Es wird keine Fortsetzung der Gespräche nach dem 29. April geben. Auslöser des Scheiterns der Initiative von US-Außenminister John Kerry, den sogenannten Nahost-Friedensprozeß wieder in Gang zu bringen, war die Weigerung der Regierung Benjamin Netanjahus, die letzten 26 von 104 Gefangenen im Verlauf der auf neun Monate angesetzten Vorverhandlungen über ein endgültiges Friedensabkommen freizulassen, weil sich unter ihnen einige arabische Bürger Israels befanden, die wegen "terroristischer" Straftaten hinter Gitter sitzen. Daraufhin unterzeichnete der palästinensische Präsident Mahmud Abbas am 1. April den Antrag Palästinas auf den Beitritt Palästinas zu 15 internationalen Organisationen.

Doch aus palästinensischer Sicht dürfte der eigentliche Hauptgrund für das Scheitern der Verhandlungen der fortgesetzte Ausbau jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland gewesen sein. Dort und in Ostjerusalem leben inzwischen mehr als 700.000 jüdische Siedler unter 2,5 Millionen Palästinensern. Dieser Umstand erklärt, warum immer mehr Palästinenser die Zweistaatenlösung für gescheitert halten und einen gemeinsamen israelisch-palästinensischen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger favorisieren. Auch die israelischen Vorschläge, die während der letzten Verhandlungen bekannt geworden sind, lassen die Verwirklichung eines palästinensischen Staates, der diesen Namen verdient, zweifelhaft erscheinen. Demnach hätte der Staat Palästina lediglich einen kleinen Teil von Ostjerusalem als Hauptstadt und keine eigene Armee, während seine östliche Grenze nach Jordanien "aus Sicherheitsgründen" weiterhin in den Händen der israelischen Streitkräfte bliebe; als Ausgleich für die Eingliederung der größten jüdischen Siedlungen in das israelische Staatsgebiet bekämen die Palästinenser unwirtliche Teile der Negev-Wüste zugeschlagen.

In den vergangenen Tagen hat die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegenüber US-Vermittler Indyk zwei Dinge für die Fortsetzung der Friedensverhandlungen nach dem 29. April gefordert: erstens die Freilassung mehrerer hundert palästinensischer Insassen aus israelischen Gefängnissen und die sofortige Aufnahme von Gesprächen über den künftigen Grenzverlauf. Während die palästinensische Seite seit Jahren auf die Grenze von vor dem Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967 - die sogenannte Grüne Linie - als Ausgangspunkt aller Erörterungen pocht, weigert sich die israelische hartnäckig, ihre Vorstellung von dem endgültigen geographischen Ausmaß ihres Staates preiszugeben. Diese Haltung nährt den Verdacht, daß die Israelis die Friedensverhandlungen nicht ernsthaft betreiben, sondern lediglich auf Zeit spielen, um sich so viel palästinensisches Territorium in Jerusalem und auf der Westbank wie möglich anzueignen.

Wegen der Verweigerungshaltung der Netanjahu-Regierung hat der 79jährige Abbas am 20. April im Interview mit der ägyptischen Zeitung Al-Masry Al-Youm damit gedroht, als Präsident zurückzutreten und die PA, die vor zwanzig Jahren im Zuge der Osloer Abkommen entstanden war, aufzulösen, um die Besatzungsmacht Israel zur Wiederaufnahme der Verantwortung für die Verwaltung Westjordanlands zu zwingen. Es ist nicht klar, wie ernst es Abbas mit seiner Drohung, die in Israel ganz schlecht angekommen ist, war. Doch Abbas' Botschaft an Tel Aviv war deutlich: Die Zeit für eine Zweistaatenlösung ist fast abgelaufen, und wenn Israel seinen jüdischen Staat verwirklichen will, sollte es endlich mit der Schaffung eines palästinensischen beginnen.

Der Stillstand bei den Verhandlungen mit den Israelis veranlaßte Abbas' Fatah-Partei, die bei der PA die stärkste Kraft ist, dazu, sich mit der Islamischen Widerstandsbewegung Hamas zu versöhnen. Beide Organisationen haben sich entzweit, nachdem die Hamas die Parlamentswahlen in den besetzten Gebieten 2006 gewonnen hatte. Israel und die USA, für die die Hamas eine "Terrororganisation" darstellt, haben damals die freie Wahlentscheidung der Palästinenser für inakzeptabel erklärt und die Fatah dazu gedrängt, die Macht auf der Westbank nicht abzugeben. 2007 ist ein von der CIA und dem Mossad unterstützter Putschversuch der Fatah im Gazastreifen mißlungen. Seitdem herrscht die Fatah auf der Westbank und die Hamas im Gazastreifen.

In der Zwischenzeit hat es mehrere Versuche gegeben, eine palästinensische Einheitsfront herzustellen, unter anderem deshalb, weil die Menschen im Westjordanland mit wachsender Sorge verfolgen, wie ihren Landsleuten in dem von der Außenwelt völlig abgeriegelten Gazastreifen von Israel wirtschaftlich und militärisch zugesetzt wird. Nach dem gewaltsamen Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft im vergangenen Sommer hat das ägyptische Militär die meisten Tunnel, durch die seit Jahren viele Güter des alltäglichen Lebens in den Gazastreifen geschmuggelt werden, zerstört und damit das Leben der Menschen dort fast unerträglich gemacht.

Nach zweitägigen Beratungen in Gaza-Stadt gaben Ismail Haniya, Premierminister der Hamas-Regierung, und Azzam Al Ahmad, ein langjähriges, ranghohes Mitglied der Fatah, am 23. April die Versöhnung ihrer Organisationen bekannt. Demnach sollen die palästinensischen Gebiete - Westjordanland und Gazastreifen - wieder gemeinsam regiert werden und zwar von einer parteiunabhängigen Expertenregierung, die innerhalb der nächsten fünf Wochen gebildet werden soll. Darüber hinaus hat man sich auf die Durchführung von Parlaments- und Präsidentenwahlen innerhalb von sechs Monaten verständigt. Haniya und Al Ahmad gaben sich zuversichtlich, daß die Zeit der Fehden und der Zwistigkeiten unter den Palästinensern vorbei sei und durch eine neue Ära der Partnerschaft ersetzt werde.

Die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas, die zusammen mit dem Islamischen Dschihad demnächst wieder der Palestinian Liberation Organisation (PLO) beitreten soll, kann die Position der Palästinenser gegenüber Israel international nur stärken. Als Reaktion auf die Überraschungsnachricht aus Gaza-Stadt hat Netanjahu alle Kontakte zur PA bis auf weiteres abgebrochen. Sein Argument, niemand dürfe sich mit den "Terroristen" von der Hamas einlassen, überzeugt wenig. Schließlich hat Haniya bei mehreren Anläßen in der Vergangenheit die prinzipielle Bereitschaft der Hamas, Israel anzuerkennen, signalisiert - innerhalb der Grenzen von 1967 wohlgemerkt. Außerdem arbeitet die Hamas schon seit Jahren mit Tel Aviv zusammen, um Raketenangriffe radikaler Gruppen in Gaza auf Israel zu verhindern. Die negative Reaktion Washingtons auf die politische Wiedervereinigung Palästinas ist vor allem darauf zurückzuführen, daß Kerrys und Indyks Versuch, die Nahost-Friedensverhandlungen, und sei es nur noch zum Schein, am Leben zu erhalten, mißlungen ist. Dadurch ist US-Präsident Obama wenige Monate vor den Zwischenwahlen zum Repräsentantenhaus und Senat blamiert. Dafür kann sich der Anführer der US-Demokraten bei seinem Widersacher Netanjahu, der bekanntlich beste Kontakte zu den oppositionellen Republikanern auf dem Kapitol pflegt, bedanken.

25. April 2014