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NAHOST/1344: Mahmud Abbas nach Gazakrieg unter Druck (SB)


Mahmud Abbas nach Gazakrieg unter Druck

Palästinas Präsident soll härteren Kurs gegenüber Israel einschlagen



Nach dem Ende des jüngsten fünfzigtägigen Gazakrieges am 26. August steht Benjamin Netanjahu in der israelischen Öffentlichkeit unter schwerem Beschuß. Kritiker bemängeln, daß die massive Militäroperation Protective Edge ihr Ziel, die Entwaffnung bzw. Entmachtung der Hamas im Gazastreifen, nicht erreicht, dafür Israels Ansehen und Wirtschaft schwer geschadet hat. Selbst die eigenen Kabinettsmitglieder sind mit Netanjahu unzufrieden, weil er an ihnen vorbei in eine unbefristete Waffenruhe eingewilligt hat. Dennoch ist dem Vorsitzenden der Likud-Partei seine Position als Regierungschef bis auf weiteres sicher. Laut Umfragen gilt er quasi als einziger Politiker Israels, der staatsmännisches Format aufweist und nicht einfach partikulare Parteiinteressen verfolgt.

Bei den Palästinensern ist es Präsident Mahmud Abbas, der nach den jüngsten Ereignissen unter enormen Druck steht. Angesichts der israelischen Aggression konnte Abbas nicht anders, als Solidarität mit den Menschen in Gaza zu üben und zu der im Juni von seiner Fatah und der Hamas gegründeten Regierung der nationalen Einheit zu stehen. Noch im Juli besuchte er demonstrativ Hamas-Chef Chalid Meschal in Katar. Bis zuletzt wurden die Palästinenser bei den Verhandlungen in Kairo um einen Waffenstillstand von einer einheitlichen Delegation vertreten. Nun erwarten die Landsleute von Abbas, daß er den Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beantragt, damit Klage gegen Israels Militärs und Politiker wegen der mehr als 2000 Toten und mehr als 10.000 Verletzten des Gazakrieges erhoben werden kann.

Nach dem Scheitern der Nahost-Friedensgespräche im April wegen der Weigerung Israels, den Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland einzustellen, hatte Abbas die Beitrittsanträge Palästinas zu 15 UN-Unterorganisationen und internationalen Verträgen unterzeichnet. Doch der Beitritt zum Internationalen Strafsgerichtshof samt Klage gegen die gesamte militärische und politische Führung Israels käme dem Ende des sogenannten Nahost-Friedensprozesses gleich. Danach wären Israels Politiker und Armeeoffiziere, die Auslandsreisen aus Angst vor Verhaftung und Auslieferung an die Niederlande vermeiden müßten, nicht mehr bereit, sich mit den palästinensischen Amtskollegen an einen Tisch zu setzen. Netanjahu hat Abbas nicht umsonst vor drei Tagen indirekt von einem solchen Schritt abgeraten, indem er erklärte, der palästinensische Präsident müsse sich nun entscheiden "auf welcher Seite er stehe". Laut dem manichäischen Weltbild Netanjahus besteht die Wahl zwischen Zivilisation, "internationale Gemeinschaft", USA, EU und Israel auf der einen Seite und Barbararei, "Terrorismus", Hamas und islamischem Fanatismus auf der anderen.

Angesichts der unterschiedlichen Erwartungen hat sich Abbas offenbar für einen ungewöhnlichen Schritt entschieden. Nach der Einstellung der Kämpfe in Gaza hat er selbst vieldeutig von einer "diplomatischen und politischen Überraschung" gesprochen, mit der die US-Regierung von Präsident Barack Obama und Außenminister John Kerry nicht glücklich sein werde. Einem Bericht der palästinensischen Nachrichtenagentur Ma'an zufolge will die PLO im September den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen um die Aufstellung eines Zeitplans für den Abzug Israels aus den besetzten palästinensischen Gebieten und die Schaffung eines palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von 1967 bitten. An die Forderung soll die Drohung gekoppelt werden, daß Palästina bei der Nicht-Erstellung eines solchen Zeitplans den Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof beantragen wird. Laut Ma'an, die sich hierbei auf Chefunterhändler und Ex-Außenminister Nabil Sha'ath bezog, soll die Abbas-Bittschrift, die derzeit noch ausformuliert wird, am 5. September der Arabischen Liga gezeigt und zehn Tage später dem UN-Sicherheitsrat in New York formell vorgelegt werden. "Ob wir uns an den ICC [International Criminal Court] wenden, hängt von der Antwort des Sicherheitsrats auf unsere Bitte ab", so Sha'ath gegenüber Ma'an.

Die Finte von Abbas läßt jedoch den Wunsch erkennen, daß man mit den Israelis noch irgendwie auf dem Verhandlungsweg einig werden könne. Auf diese Weise spielt der palästinensische Präsident auf Zeit in der Hoffnung, daß der Ruf in der eigenen Bevölkerung nach Anrufung des ICC wieder abklingen wird. Hinzu kommt, daß die Palästinenser, Fatah und Hamas gemeinsam, auf die Zusammenarbeit Israels und die Finanzierung des Auslands angewiesen sind, um die humanitäre Katastrophenlage in Gaza zu beheben und dort den Wiederaufbau zu realisieren. Ein endgültiger Bruch der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah mit Israel ist von daher nicht zu erwarten. Darauf deutet vor allem die Meldung der jordanischen Zeitung Al-Ghad vom 27. August hin, wonach sich Abbas und Netanjahu wenige Tage vor der Verkündung der Waffenruhe für Gaza heimlich in Amman getroffen und unter vier Augen ein Ende der Kampfhandlungen beschlossen haben.

30. August 2014