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NAHOST/1483: Irak - Die große Schlacht um Mossul zeichnet sich ab (SB)


Irak - Die große Schlacht um Mossul zeichnet sich ab

Vertreibung des IS aus Mossul droht sehr blutig zu werden


Im Irak laufen die Vorbereitungen für die Großoffensive zur Rückeroberung von Mossul, das sich seit Juni 2014 in den Händen des Islamischen Staats (IS) befindet, auf Hochtouren. Mit der Operation könnte laut Pentagon bereits Mitte Oktober begonnen werden. Aus gutinformierten Kreisen in den USA heißt es, noch vor dem Ausscheiden Barack Obamas als Präsident im Januar solle der IS entweder aus Mossul oder seiner ostsyrischen Hochburg Rakka vertrieben worden sein. Schließlich war es Obama, der im August 2014 in Reaktion auf das Wüten der "Terrormiliz" die Anti-IS-Koalition ins Leben rief. Unabhängig vom Zeitpunkt des Auftakts der Rückeroberung Mossuls dürfte das Unterfangen eine langwierige und sehr blutige Angelegenheit werden.

Nach der blitzartigen Einnahme Mossuls sah es für einige Wochen im Sommer 2014 tatsächlich aus, als könnte der IS auch noch Bagdad im Sturm erobern. Doch zur Unterstützung der irakischen Armee, die sich fluchtartig vor einer weit kleineren IS-Streitmacht aus Mossul zurückgezogen hatte, rief Großajatollah Ali Sistani, die höchste geistliche Instanz der irakischen Schiiten, zur Aufstellung der sogenannter Volksmobilisierungskräfte auf, mit deren Hilfe der Vormarsch des IS gestoppt werden konnte. Seit 2015 befindet sich der IS im Irak wieder auf dem Rückzug und mußte nacheinander die Städte Tigrit, Ramadi und zuletzt Falludscha an die irakischen Streitkräfte, die von sunnitischen Stammeskämpfern, schon länger existierenden schiitischen Milizen wie der Badr-Brigade, den Volksmobilisierungskräften sowie der US-Luftwaffe und amerikanischen Militärberatern unterstützt werden, abgeben.

Die Einnahme jeder dieser Städte hat Wochen, wenn nicht sogar Monate gedauert. Die IS-Verteidiger haben überall Minen gelegt, Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt und zahlreiche Selbstmordanschläge - zum Teil unter dem spektakulären und höchst wirkungsvollen Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen, die mit Sprengstoff gefüllt waren - durchgeführt. Zum Schluß wurde um jedes Gebäude, jede Straße erbittert gekämpft. Nach dem Ende der Kampfhandlungen sahen Tigrit, Ramadi und Falludscha wie Berlin im Mai 1945 aus. Kaum ein Stein stand auf dem anderen. Überall lagen Leichen und verborgene Minen herum, was die Aufräumarbeiten und die Wiederansiedlung der Bevölkerung schwierig machte.

Im Vergleich dazu dürften sich im Fall Mossuls die Herausforderungen für die Angreifer noch potenzieren. Die Hauptstadt der Provinz Ninawa ist nach Bagdad die zweitgrößte Metropole des Iraks. Bis zur Einnahme durch den IS hatte sie eine Bevölkerung von mehr als zwei Millionen Menschen. Derzeit wird die Einwohnerzahl auf rund eine Million geschätzt. Der IS hat die Nicht-Sunniten - Christen, Yeziden, Kurden, Turkmenen, Schiiten et cetera - entweder vertrieben oder getötet. Auch viele sunnitische Einwohner Mossuls haben die Stadt wegen der Schreckensherrschaft des IS und dessen radikalfundamentalistischer Auslegung der Scharia verlassen und sind wie die meisten Nicht-Sunniten nach Erbil, der Hauptstadt der Kurdischen Autonomieregion, geflohen.

Mossul hat für den IS wegen seiner Ölraffinerien große wirtschaftliche Bedeutung, wozu noch eine symbolische kommt. Bei einem inzwischen berühmten Auftritt in der Mossuler Zentralmoschee am 29. Juni 2014 hat IS-Gründer Abu Bakr Al Baghdadi ein weltweites Kalifat ausgerufen und sich selbst zum Kalifen ernannt. Wenn es also einen Ort gibt, an dem die IS-Dschihadisten bis zum letzten Atemzug kämpfen und sich der Idee des Märtyrertodes hingeben dürften, dann ist es Mossul. Die "Terrormiliz" bereite den Angreifern "die Hölle auf Erden" vor; dies erklärte US-Oberst John Dorrian am 23. September gegenüber dem konservativen amerikanischen Nachrichtensender Fox News. Demnach legen IS-Angehörige mit Baggern Gräben um Mossul an und füllen sie mit Erdöl, das sie später in Brand stecken werden, um das Vordringen des Feinds zu verlangsamen. Darüber hinaus haben sie bereits jetzt auf den Ölfeldern nahe der Stadt große Brände gelegt, um die Sicht der Kameras der amerikanischen Drohnen auf die laufenden Arbeiten zur Befestigung Mossuls zu erschweren.

30 Kilometer südlich von Mossul auf dem Luftwaffenstützpunkt Qayyarah West haben die irakischen und amerikanischen Militärs ihre Kommandostelle für die kommende Schlacht eingerichtet. Dort werden aktuell die nötigen Streitkräfte samt Kriegsgerät zusammengeführt, die an der Offensive teilnehmen sollen. Derzeit befinden sich offiziell 4900 US-Militärangehörige im Irak. Am 22. September meldete das Wall Street Journal die Entsendung weiterer 500 US-Militärberater und - Spezialisten, die der bevorstehenden Mossul-Offensive zum Erfolg verhelfen sollen. Der IS begnügt sich seinerseits nicht nur mit Abwehrmaßnahmen. Bei einem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuß des Senats am 22. September bestätigte General Joseph Dunford, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, daß am Tag davor der IS Qayyarah West mit Raketen angegriffen habe, die mit Giftgas gefüllt waren. Zum Glück sei dadurch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Bei dem verwendeten Kampfstoff soll es sich um eine senfgas-ähnliche Substanz gehandelt haben. Nach Angaben Dunfords liegt die Entscheidung, wann die Operation zur Rückeroberung Mossuls beginnen soll, beim irakischen Premierminister Haider Abadi. So oder so wird sie zu einem fürchterlichen Gemetzel mit vielen Opfern auf beiden Seiten wie auch unter der Zivilbevölkerung werden.

24. September 2016


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