Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1603: Libyen - Treibstoff, Öl und Machtbesitz ... (SB)


Libyen - Treibstoff, Öl und Machtbesitz ...


Ende Mai haben im Pariser Elysée-Palast im Beisein des französischen Präsidenten Emmanuel Macron die wichtigsten politischen Akteure Libyens - die Vertreter der sich um Legitimität streitenden Regierungen in Tripolis im Westen und Tobruk im Osten - auf einen Ausweg aus der Krise in dem nordafrikanischen Land verständigt. Bis September sollte ein neues Wahlrecht ausgearbeitet werden, und im Dezember sollten Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden. Wie von Skeptikern schon damals konstatiert, hat sich der ambitionierte Zeitplan als illusorisch erwiesen. Ein heftiger Disput um die Kontrolle der wichtigsten Ölraffinerien und -verladehäfen hat Tripolis und Tobruk wieder entzweit.

Bei den beiden Machtblöcken handelt es sich einerseits um die seit 2016 in Tripolis residierende Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch, die zwar die Anerkennung der "internationalen Gemeinschaft" genießt, jedoch militärisch so schwach ist, daß sie sich, um zu überleben, mit den Milizen verbündet hat, die der Moslembruderschaft nahestehen und nach dem Sturz Muammar Gaddhafis den 2012 ausgerufenen Allgemeinen Volkskongreß unterstützten. Andererseits sitzt in Tobruk das sogenannte Repräsentantenhaus (House of Representatives), das 2014 aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen ist, dessen Abgeordnete jedoch aus Angst um ihr Leben aus Tripolis geflohen sind. Das HoR steht unter dem Schutz von General Khalifa Hifter, der die Restteile der früheren Gaddhafi-Streitkräfte zur Libyschen Nationalarmee (LNA) geformt hat. Hifter war nach der Gefangennahme im Grenzkrieg Libyens gegen Tschad 1987 in die USA emigriert, wo er nicht zufällig bis 2011 in Langley, Virginia, dem Sitz der CIA, wohnte.

Seit 2014 führte Hifters LNA im libyschen Osten eine großangelegte Militäroffensive gegen radikalmuslimische Gruppen, allen voran gegen Ansar Al Scharia und die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS). 2017 erklärte Hifter die Vertreibung der Ansar Al Scharia aus ihrer Hochburg Benghazi für vollendet. Der Preis der dreijährigen Operation war jedoch hoch. Weite Teile der Mittelmeerstadt liegen in Trümmern. Ungeachtet der nominellen LNA-Kontrolle kommt es in Benghazi immer wieder zu Bombenanschlägen der Islamisten. Anfang Mai eröffnete die LNA ihre nächste Offensive, diesmal gegen den letzte Zufluchtsort der gewaltbereiten Islamisten im Ostlibyen, die Stadt Derna, die zwischen Benghazi und der ägyptischen Grenze liegt. Dort stießen Hifters Männer zunächst auf erbitterten Widerstand seitens der Angehörigen des Derna-Mudschaheddin-Schura-Rates.

Noch während die Kämpfe um Derna tobten, wurden am 14. Juni mit Ras Lanuf und Al Sidra zwei der größten Ölraffinerien und -verladehäfen Libyens überfallen - und zwar von Islamisten der Benghazi Widerstandsbrigaden und Mitgliedern der früheren Petroleum Facilities Guard um deren früheren Chef Ibrahim Al Jadhran. Während die Kämpfer aus Benghazi die Aktion als Entlastung für ihre bedrängten Gesinnungsgenossen in Derna verstanden, ging es Al Jadhran und seine PFG um die Rückgewinnung von Macht und Einfluß. Nach dem Sturz Gaddhafis hatte Al Jadhrans Clique die Produktion und den Export von Öl aus dem Sirte-Becken gedrosselt, um von Tripolis einen höheren Anteil aus den Einnahmen für sich herauszuholen. Infolge des Erpressungsmanövers sank der libysche Ölexport um 80 Prozent von rund 1,6 Millionen Barrel pro Tag unter Gaddhafi auf rund 200.000. Die Einnahmen des Staats gingen folglich drastisch zurück, was gesellschaftliches Chaos nach sich zog.

Im September 2016 machte Hifters LNA mit einer Blitzoperation dem Spuk ein Ende, eroberte im Handumdrehen sämtliche Ölanlagen im Sirte-Becken und jagte die Al-Jadhran-Truppe zum Teufel. Diese hatte sich damals wegen der Übermacht der LNA rasch aus dem Staub gemacht, offenbar jedoch die Hoffnung auf einen Anteil an der Ölbeute nicht aufgegeben. Die Allianz der PFG mit den Islamisten aus Benghazi hat sich der LNA als weit unterlegen erwiesen. Bei dem rund einwöchigen Scharmützel hat die einstige Werksschutzbrigade viele Männer verloren. Über das Schicksal von Al Jadhran ist derzeit nichts bekannt. Bei den Kämpfen soll die Infrastruktur der beiden Raffinerien in Ras Lanuf und Al Sidra schwer in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Mindestens zwei größere Öltanks sollen in Flammen aufgegangen sein.

Wegen der Kämpfe zwischen LNA und PFG hat die National Oil Company (NOC) den Betrieb in den libyschen Verladehäfen bis auf weiteres ausgesetzt. Eine Wiederinbetriebnahme steht nun in den Sternen, weil Hifter nach dem Sieg über Al Jadhrans Leute angekündigt hat, sämtliche Ölanlagen im Sirte-Becken der Kontrolle durch eine zweite National Oil Company (NOC) zu unterstellen, die gegenüber dem HoR in Tobruk rechenschaftspflichtig ist. Über diese Entwicklung ist man bei der GNC in Tripolis verständlicherweise alles andere als glücklich. Hifter wird Verrat vorgeworfen. Die eigentliche NOC in Tripolis hat rechtliche Schritte gegen jedes Unternehmen angekündigt, das unter den derzeitigen Bedingungen libysches Öl kauft. Unter diesen Umständen ist mit einer raschen Gesundung der libyschen Staatsfinanzen nicht zu rechnen - von einer Beilegung des scheinbar niemals endenden Machtkampfes ganz zu schweigen. In Derna zum Beispiel wird bis zur Stunde immer noch scharf geschossen.

2. Juli 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang