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NAHOST/1635: Jemen - Westen fordert endlosen Krieg herauf ... (SB)


Jemen - Westen fordert endlosen Krieg herauf ...


Die mediale Aufregung um die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober in Istanbul durch die Handlanger des saudischen Kronprinzen und De-Facto-Staatschefs Mohammed bin Salman in Istanbul sowie die Warnungen der Vereinten Nationen vor einer großen Hungersnot im Jemen, die das Leben von mehr als acht Millionen Menschen akut bedroht, haben die USA dazu veranlaßt, öffentlich ein Ende des Krieges im Armenhaus Arabiens zu fordern. Leider scheint es sich hier um eine reine PR-Maßnahme zu handeln, mittels der Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu verstärkten Anstrengungen im Kampf gegen die schiitischen Huthi-Rebellen gedrängt werden sollen und, falls sie den Sieg nicht bald erringen, der Iran die Verantwortung für das Blutbad am Roten Meer und Indischen Ozean in die Schuhe geschoben bekommen soll.

Seit Monaten beklagen im US-Kongreß linke Demokraten wie Tulsi Gabbard und isolationistische Republikaner wie Rand Paul die katastrophale humanitäre Lage im Jemen. Sie haben im Repräsentantenhaus und Senat Gesetzesentwürfe auf den Weg gebracht, die im Fall ihrer Verabschiedung die militärische Zusammenarbeit des Pentagons mit Riad und Abu Dhabi stark einschränken würden. Schließlich sind die saudischen und emiratischen Interventionstruppen, die seit März 2015 im Jemen versuchen den von den Huthis gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi zurück an die Macht zu bringen, auf britische und amerikanische Unterstützung angewiesen, was Logistik, Rüstung, Luftbetankung und Munitionsnachschub betrifft. US-Präsident Donald Trump hat seit seinem Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 die Ankurbelung der amerikanischen Rüstungswirtschaft zur Chefsache erklärt. Am Blutbad im Jemen verdienen die Waffenindustrien der USA und Großbritanniens Milliarden.

Folglich war es eine ziemliche Überraschung, als am 30. Oktober bei einer Rede am Institute for Peace in Washington US-Verteidigungsminister und General a. D. James Mattis eine Einstellung aller Kämpfe im Jemen innerhalb von 30 Tagen verlangte und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Huthis, Hadi-Regierung, Saudis und Emiratern in Schweden vorschlug. Beim vermeintlichen Eintritt des ehemaligen Irakkriegskommandeurs für den Frieden im Jemen durften natürlich ebenso wenig die bis heute unbewiesene Beschuldigung, der Iran hätte mit der Lieferung von Waffen - darunter ballistische Raketen - an die Huthis den Konflikt im Jemen verursacht, wie die Drohung, das "Mullah-Regime" Teheran zu bestrafen, sollten die Kämpfe nicht bald abflauen, fehlen. Aktuell steuern die USA und der Iran wegen des Austritts Washingtons aus dem Atomakommen und dem Streben der Trump-Regierung, die Ölexporte der Islamischen Republik "auf Null" zu reduzieren, auf eine militärische Auseinandersetzung zu.

Dessen ungeachtet stieß die große Friedensrede von Mattis auf weitgehende Zustimmung. US-Außenminister Mike Pompeo veröffentlichte wenige Stunden danach eine eigene Stellungnahme, in der er die Forderungen seines Kabinettskollegen inhaltlich wiederholte. Der UN-Sondergesandte für den Jemen, Martin Griffiths, begrüßte die Initiative und erklärte sich zur Einberufung von Verhandlungen bereit, während sich die Regierung in Stockholm durch die zugedachte Funktion Schwedens als Gastgeberland geehrt fühlte. Zwar lobte die britische Premierministerin Theresa May den amerikanischen Vorstoß, doch zeitgleich warnte ihr Außenminister Jeremy Hunt davor, Riad zu sehr unter Druck zu setzen, und erklärte, Londons Hauptinteresse bestünde darin, daß es zu keinerlei Eintrübung der britisch-saudischen Handelsbeziehungen - sprich nicht zum Einbruch der einträglichen Waffengeschäfte - komme.

Ihrerseits haben die Huthis nicht auf die neuen Töne aus Pentagon und State Department reagiert. Was die Außenpolitik betrifft, beschränkten sich die Machthaber in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa darauf, den Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in Muskat und seinen Empfang dort durch den Sultan von Oman, Qabus ibn Said, zu kritisieren. Oman spielt seit Jahren als Vermittlungsstelle zwischen dem Iran und Katar auf der einen Seite und Saudi-Arabien und den anderen sunnitischen Petromarchien am Persischen Golf eine wichtige Rolle. Bei einer Normalisierung der Beziehungen Omans zu Israel befürchten die Huthis nicht zu Unrecht eine Stärkung der Achse Riad-Tel Aviv zu Ungunsten von sich selbst, den Palästinensern im Westjordanland und Gaza, der Hisb Allah im Libanon sowie dem Iran.

Aus den Außenministerien in Riad und Abu Dhabi kamen bislang keine offizielle Reaktionen auf die Rede von Mattis oder die Erklärung von Pompeo. Statt dessen haben die Saudis und die Emirater im Jemen die Waffen sprechen lassen. Sie haben die Zahl der Truppen, die seit Monaten vergeblich versuchen die Hafenstadt Hudeida, den am Roten Meer liegenden letzten Zugang der Huthis zur Außenwelt, einzunehmen, um 10.000 Mann erhöht und ihre Offensive dort verstärkt. In den letzten Tagen haben die Häufigkeit und die Heftigkeit der saudischen und emiratischen Luftangriffe auf Ziele in und rund um Hudeida und Sanaa deutlich zugenommen. Offenbar fassen die Verantwortlichen in Riad und Abu Dhabi die von Mattis gesetzte Frist von 30 Tage quasi als Ansporn auf, auf dem Schlachtfeld eine Entscheidung herbeizuführen und bis Ende November die Huthis endlich zur Kapitulation zu zwingen. Ob ihnen dies gelingen wird, ist eine andere Frage.

Währenddessen stellt sich heraus, daß die bisherigen Opferzahl für den Krieg im Jemen, die seit 2016 von den westlichen Medien praktisch unverändert mit 10.000 angegeben wird, viel zu niedrig liegt. Selbst die neueste Zahl des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) erfaßt mit 16.000 nur unzureichend das wahren Ausmaß des Grauens. Laut einer neuen umfassenden Studie des unabhängigen Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) an der University of Sussex in England sind in direkter Folge der Kampfhandlungen im Jemen seit Anfang 2016 mindestens 50.000 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, die emiratischen und saudischen Luftangriffen zum Opfer gefallen sind, ums Leben gekommen. Da sich die ACLED-Forschergruppe erst seit fast einem Jahr nach Kriegsbeginn mit dem Konflikt im Jemen befaßte und keine Angaben über den Zeitraum März bis Dezember 2015 macht, dürfte die eigentliche Opferzahl weitaus höher liegen. Hinzu kommt die Einschätzung von ACLED, wonach die laufenden Kämpfe um Hudeida monatlich 2000 Jemeniten das Leben kosten. Eine Besserung der Lage im Jemen ist nicht in Sicht. Von den Friedensbekundungen seitens der USA sollte man sich täuschen lassen.

4. November 2018


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