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NAHOST/1660: Jemen - ein militärisches Flickenteppichdesaster offenbart sich ... (SB)


Jemen - ein militärisches Flickenteppichdesaster offenbart sich ...


Am 16. April ist das letzte Stück Hoffnung, US-Präsident Donald Trump würde irgendwann seiner Dauerkritik an Washingtons "endlosen Kriegen" - zuletzt wiederholt in der Rede zur Lage der Nation Ende Januar - Taten folgen lassen, endgültig gestorben. An diesem Tag hat Trump sein Veto gegen eine von einer überparteilichen Mehrheit aus Demokraten und Republikanern in Repräsentantenhaus und Senat verabschiedete Resolution zur Beendigung der amerikanischen Militärhilfe für Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beim Krieg im Jemen eingelegt. Zur Begründung der umstrittenen Entscheidung erklärte Trump, die Jemen-Resolution, deren Verfasser sich auf das War Powers Act von 1973 beriefen, das in Reaktion auf den Vietnamkrieg die Kriegsbeteiligung der USA an die ausdrückliche Zustimmung des Kongresses koppelt, stelle eine unzulässige Beschränkung der Macht des Präsidenten in seiner Funktion als Oberkommandierender der Streitkräfte dar. Aus Berichten der New York Times und der Washington Examiner geht hervor, daß Trump bei der Entscheidungsfindung vom notorischen Kriegstreiber John Bolton und dessen Stab im Nationalen Sicherheitsrat "geholfen" wurde, indem sie das seitens der Verfechter der Jemen-Resolution seit Tagen ersuchte Treffen mit dem Präsidenten regelrecht blockierten.

Trump interessiert sich für die größte humanitäre Krise weltweit, die aktuell im Jemen herrscht, nicht im geringsten. Sein Anliegen und das seiner engsten Mitarbeiter wie Bolton und Außenminister Mike Pompeo besteht darin, Saudi-Arabien als wichtigsten ausländischen Kunden der amerikanischen Rüstungsindustrie bei Laune zu halten sowie Spannungen mit dem Iran, der im Verdacht steht, die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen zu unterstützen, zu schüren. Aus Sicht der USA und Israels gilt Teherans vermeintliche Destabilisierung des Jemens neben der Unterstützung für das "Regime" Baschar Al Assads im syrischen Bürgerkrieg sowie für die Hisb Allah im Libanon und die palästinensische Hamas-Bewegung im Gazastreifen als Beweis für Irans "unheilvollen Einfluß" in der Region, der aktiv "zurückgedrängt" werden muß. Deswegen hat Washington vor wenigen Tagen als erste staatliche Organisation überhaupt die iranische Revolutionsgarde offiziell zur "Terrororganisation" erklärt, woraus sich für das Weiße Haus und das Pentagon demnächst eventuell der Vorwand für einen heißen Krieg am Persischen Golf ergeben könnte.

Um den Anti-Huthi-Feldzug Riads und Abu Dhabis steht es jedenfalls nicht zum besten. Aus dem im März 2015 geplanten Blitzsieg ist ein Zermürbungskrieg geworden, der kein Ende finden will. Am 14. April besuchte Jemens Interimspräsident Abd Rabbu Mansur Hadi, dessen Amtszeit bereits 2014 abgelaufen war und der sich aus Sicherheitsgründen seit Jahren in Riad aufhält, zum erstenmal seit langem wieder Aden. In der von saudischen und emiratischen Truppen kontrollierten Hafenstadt am Indischen Ozean hielt Hadi eine Sitzung des Parlaments ab, dessen letzte reguläre Legislaturperiode 2015 zu Ende gegangen war. Vor versammelten Verbündeten - alle anderen früheren Abgeordneten haben das Treffen boykottiert - forderte Saudi-Arabiens Marionette die Huthis zur Kapitulation auf. Die Anhänger der schiitischen Ansarullah-Bewegung sollten ihre "Sünden beenden" und die Waffen einfach strecken, so Hadi in einem Anflug von Selbstüberschätzung und Realitätsferne.

Das einzige, was die Huthis vielleicht zur Aufgabe zwingen könnte, wäre die Wirtschaftsblockade, welche die jemenitische Zivilbevölkerung in dem von der Ansarullah kontrollierten Nordwesten des Landes seit 2015 im Würgegriff hält. Doch danach sieht es nicht aus. Militärisch sind die Huthis wegen ihrer Erfahrenheit als Guerillakämpfer und der Unwegbarkeit der von ihnen beherrschten Gebirgsregion nicht zu bezwingen. Hierbei spielt auch die Schwäche ihrer Gegner, die trotz aller Waffenüberlegenheit auf dem Schlachtfeld nichts zustande bringen und sich deshalb mit der Bombardierung ziviler Ziele aus der Luft einen zweifelhaften Ruf erworben haben, eine Rolle. In einem aufschlußreichen Artikel, der am 15. April von den amerikanischen und französischen Enthüllungsblättern The Intercept und Disclose gemeinsam veröffentlicht wurde, hat man die Leistung der saudischen und emiratischen Militärs im Jemen bewertet und für absolut mangelhaft befunden.

Grundlage des aufschlußreichen Artikels ist ein geheimer Bericht des französischen Militärgeheimdienstes, datiert auf den 25. September 2018. Schließlich gehört Frankreich neben den USA, Großbritannien und Deutschland zu den wichtigsten Waffenlieferanten Riads und Abu Dhabis. Französische Waffensysteme kommen vielfach zum Einsatz im Jemenkrieg, auch wenn Élysée-Palast und Quai D'Orsay dies stets bestreiten. Im besagten Geheimdienstbericht wird der Versuch der Emirater, mit Hilfe befreundeter südjemenitischer Milizen die Huthis aus Hudeida zu vertreiben - die Offensive vom vergangenen Sommer zur Einnahme der Hafenstadt am Roten Meer ist in eine langwierige Belagerung ausgeartet - als militärisches Fiasko beschrieben. Für die Saudis, deren Streitkräfte offenbar das gigantische Waffenarsenal, das sie aus dem Westen importiert haben, hauptsächlich dafür benutzen, die eigene Südwestgrenze zu Jemen gegen eine mögliche Invasion der Huthis abzusichern, haben die Autoren des Berichts wenig mehr als Verachtung übrig.

Bekanntlich setzen Saudi-Arabien und die VAE beim laufenden Krieg gegen die schiitischen Huthis immer wieder auf die militärische Unterstützung sunnitischer Dschihadisten, die im Westen eigentlich als "Terroristen" gelten. Auch in diesem Teil des Jemenkriegs kommt es zu Problemen. Einem Artikel der Washington Post vom 14. April zufolge führen seit vergangenem Juni die im Jemen ansässigen Unterorganisationen des Al-Kaida-"Netzwerks" und der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) einen blutigen Kleinkrieg gegeneinander, bei dem es inzwischen regelmäßig zu Überfällen, Selbstmordanschlägen und Entführungen kommt. Hauptaustragungssort der dschihadistischen Fehde ist das zentraljemenitische Gouvernement Al Baida. Die Ursache des Bruderzwists ist nicht theologisch, sondern rein materiell. Die IS-Anhänger fühlen sich, was die Ausstattung mit Waffen und Munition durch die saudisch-emiratische Koalitionsstreitmacht betrifft, im Vergleich zu den Al-Kaida-Freiwilligen benachteiligt und lehnen sich deshalb auf. Beim Einsatz an der Anti-Huthi-Front schlagen die Zwistigkeiten unter den Gotteskriegern negativ zu Buche. Im Washington-Post-Artikel wird Elisabeth Kendall, Jemen-Expertin an der englischen Universität Oxford, dahingehend zitiert, daß sich die Militäroperationen von Al Kaida in der Arabian Peninsula (AQAP) in den vergangenen zwölf Monaten zu Zweidritteln gegen den jemenitischen IS-Ableger und jeweils um die 15 Prozent gegen andere südliche Milizen und die Huthis richten. Im Gegenzug ist der Anteil der IS-J-Operationen gegen AQAP noch höher und liegt bei etwa Dreivierteln aller Aktionen.

17. April 2019


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