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NAHOST/1718: Moskau-Damaskus - aus Kostengründen und Machtinteressen verhandlungsbereit ... (SB)


Moskau-Damaskus - aus Kostengründen und Machtinteressen verhandlungsbereit ...


Offene Streitereien zwischen Vertretern der Politik und des Kapitals haben in Syrien, wo seit 50 Jahren der mächtige Al-Assad-Klan das Sagen hat, Seltenheitswert. Entsprechend groß war daher in der syrischen Öffentlichkeit die Überraschung, als sich am 30. April und 2. Mai der reichste Mann Syriens, Rami Machluf, in zwei Videobotschaften auf Facebook an seinen Vetter und Präsidenten Baschar Al Assad wandte und sich über das seines Erachtens unverhältnismäßig strenge Vorgehen der Steuer- und Justizbehörden seinem Firmenimperium und dessen Mitarbeitern gegenüber lautstark beklagte. Alle Beobachter im In- und Ausland versuchen nun die Kontroverse und ihre Bedeutung für die künftige Entwicklung in Syrien, wo Kämpfe nur noch in den Grenzregionen zur Türkei, dem Irak und Jordanien stattfinden, zu interpretieren.

Fest steht, daß der 1969 geborene Rami Machluf bislang stets eine wichtige Stütze des syrischen Machtapparats und ein verläßlicher Verbündeter seines vier Jahren älteren Cousins Baschar Al Assad gewesen ist. Anisa Machluf, die Schwester von Ranis Vater, war Ehefrau und First Lady von Hafiz Al Assad, der von 1971 bis 2000 Syrien als Präsident mit strenger Hand regierte. Beide Familien gehören der Glaubensgemeinschaft der schiitischen Alewiten an, die in Syrien zwar eine große Minderheit darstellt, jedoch zahlenmäßig den Anhängern der sunnitischen Auslegung des Islams weit unterlegen ist. Immer wieder versuchen von daher ausländische Mächte die Sunniten gegen die säkulare Regierung in Damaskus aufzubringen. Nur mit allergrößter Härte ist es Hafiz Al Assad 1982 gelungen, einen drohenden Staatsstreich sunnitischer Islamisten im Keim zu ersticken.

Als 2011 Proteste in vielen syrischen Städten gegen Korruption und für politische Reformen ausbrachen, stand Rami Machluf am Pranger. Mit seinem Mobiltelefonnetz und seinen zahlreichen Firmenbeteiligungen in den Bereichen Tourismus, Import-Export, Bau und Energie galt Syriens bekanntester Unternehmer als Hauptnutznießer der Privatisierung zahlreicher Staatsbetriebe, die Bashar Al Assad seit dem Aufstieg zum Präsidenten elf Jahre zuvor auf Rat von IWF und Weltbank durchgeführt hatte und wofür er vom Westen groß gelobt worden war, obwohl gleichzeitig viele einfache Syrer in Elend und Not stürzten. Als recht schnell die Proteste dank gezielter Destabilisierungsmaßnahmen der Geheimdienste der USA, Saudi-Arabiens, der Türkei, Großbritanniens und Frankreich in Gewalt umschlugen und es zum blutigen Bürgerkrieg kam, rief Al Machluf die syrische Geschäftselite zum Verbleib im Lande und zum Schulterschluß mit der Regierung in Damaskus auf. Seitdem hat sein Firmenimperium nicht wenig dazu beigetragen, das Assad-"Regime" wirtschaftlich über Wasser zu halten, unter anderem durch die Umgehung internationaler Sanktionen und die Beschaffung strategisch wichtiger Rohstoffe über Briefkastenfirmen mit Sitz im Ausland. Wegen derlei Aktivitäten steht Al Machluf ganz oben auf der Liste der Syrer, mit denen jedes Geschäft nach den Gesetzen sowohl der Europäischen Union als auch der USA unter Strafe steht.

Nach dem Nachlassen des Bürgerkriegs steht in Syrien der Wiederaufbau an. Wie dies geschafft werden soll, während weiterhin die westlichen Sanktionen in Kraft bleiben, ist unklar. Syrien hat sich mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten versöhnt und hofft auf Investitionen der reichen Ölstaaten am Persischen Golf. Auch eine Einbindung Syriens an die Neue Seidenstraße China ist im Gespräch. Rußland und der Iran wollen an den diversen Projekten zur Wiederinstandsetzung der staatlichen Infrastruktur beteiligt werden. Schließlich haben russische Streitkräfte und iranische Militärberater die Syrische Arabische Armee (SAA) 2015 vor der Niederlage bewahrt und helfen seitdem, die Dschihadisten zu vertreiben und sie praktisch im Gouvernement Idlib an der Grenze zur Türkei eingekesselt zu halten. Einige iranische Bauunternehmen ziehen bereits zahlreiche Wohnhäuser in Damaskus und Aleppo hoch, reparieren dort die Innenstädte und tragen zur Normalität und Lebensqualität bei.

Assad steht unter enormem Druck seitens des russischen Amtskollegen Wladimir Putin, sich mit den gemäßigten Teilen der Opposition zu verständigen und einen Versöhnungsprozeß einzuleiten, der Syrien dauerhaft Frieden und Stabilität gewährt. In diesem Zusammenhang ist die Rede Assads vom vergangenen Oktober bedeutsam, in der er die Raffgier einiger Kriegsprofiteure anprangerte und wirtschaftliche Reformen, welche besonders den bisher benachteiligten Teilen der Gesellschaft zugute kommen sollten, versprach. Etwa zur gleichen Zeit fingen die syrischen Finanzbehörden an, sich verstärkt für die geschäftlichen Aktivitäten Al Machlufs zu interessieren. Das Vermögen einer von ihm gegründeten Stiftung, die im Bürgerkrieg eine bestimmte Milizengruppe finanziert hatte, wurde beschlagnahmt. Dazu stellte das Finanzministerium in Damaskus bei Syriatel und MTN, die beiden Mobiltelefonfirmen Al Machlufs, eine nicht bezahlte Steuerschuld von 255 Millionen Dollar fest und verlangte deren rasche Abtragung.

Wegen des anhaltenden Steuerstreits wurden Ende April 49 Mitarbeiter Al Machlufs vorübergehend festgenommen. Der Unternehmer, dessen geschätztes Gesamtvermögen in die Milliarden geht und für den die genannten Steuerschulden wahre "Peanuts" sind, macht sich Sorgen, am Ende als Bauernopfer dastehen zu müssen, damit Assad seine Reformwilligkeit Rußland und dem übrigen Ausland beweisen kann. Er hat deshalb in seinen Videobotschaften an seine ständige Treue zum Präsidenten erinnert und an diesen appelliert, sich nicht von irgendwelchen falschen Freunden beeinflussen zu lassen. Hinter "den anderen", von denen Al Machluf in diesem Zusammenhang sprach, werden Assads Frau Alma und Bruder Maher vermutet. Es geht in Syrien das Gerücht um, Al Machluf stünde zu sehr iranischen Geschäftsinteressen nahe und gerate jetzt in Schwierigkeiten, weil sich Assad in letzter Zeit zunehmend gezwungen sieht, russische Konsortien weit mehr als bisher am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen.

Einige Beobachter sind der Meinung, Rami Al Machluf hätte es sich durch die skurril-peinlichen Facebook-Auftritte mit seinem alten Freund Baschar Al Assad endgültig verscherzt. Doch eher könnte sich die Inszenierung für beide Männer lohnen. Al Machluf hat zwar nicht das Büßerhemd getragen und Asche auf sein Haupt gestreut, dafür jedoch demonstrativ seine Nibelungentreue zum Staatsführer kundgetan und sich dessen Weisheit und Fürsorge unterworfen. Nach dieser Episode kann sich Assad damit rühmen, den syrischen Geldadel endlich an die Kandare genommen zu haben. Und selbst wenn sich Al Machluf von einem Teil seines Firmenimperiums trennen müßte, dürfte seine Position als wohlhabendster Bürger Syriens nicht wirklich in Gefahr gestanden haben.

20. Mai 2020


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