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USA/1208: Folterskandal - Wilkerson belastet Cheney und Rumsfeld (SB)


Folterskandal - Wilkerson belastet Cheney und Rumsfeld

Wichtigster Zeuge im Folterskandal im libyschen Gefängnis "gestorben"


Allen Bemühens des neuen US-Präsidenten Barack Obama, den Blick nach vorne, statt nach hinten zu richten, zum Trotz liefern sich in Washington dieser Tage die Demokraten und die Republikaner eine regelrechte Schlammschlacht, die an die schlimmsten Tage des Watergate-Skandals erinnert und in deren Mittelpunkt die Folter mutmaßlicher Mitglieder des Al-Kaida-"Netzwerkes" Osama Bin Ladens während der Regierungszeit von George W. Bush steht. Die politische Diskussion tobt nicht zuletzt deshalb, weil mit dem Rückgriff auf Foltermethoden die Verantwortlichen gegen nationales und internationales Gesetz verstoßen haben. Folglich drohen sowohl denjenigen, welche mutmaßliche "Terroristen" gefoltert haben, als auch denjenigen, die durch Befehle oder Expertisen dazu Veranlassung gegeben haben - bis hinauf zur damaligen Staatsspitze der USA -, rechtliche Schritte.

Wohl wissend, welche politischen Erschütterungen es auslösen würde, würde Anklage gegen führende Vertreter der Vorgängeradministration erhoben werden, will Obama ein solches Szenario verhindern. Gleichwohl bekommt man den Eindruck, daß die Folterdebatte eine solch eigene Dynamik entwickelt hat, daß niemand mehr weiß, wie die ganze unsägliche und höchst unappetitliche Affäre beendet werden kann. Gleich nach dem Amtsantritt verfügte Obama die schnellstmögliche Schließung des Internierungslagers Guantánamo Bay und ließ die geheimen "black sites" der CIA im Ausland räumen. Als er Ende April einige belastende Memoranden aus dem Jahr 2002, in denen Anwälte der Bush-Regierung "verschärfte Vernehmungsmethoden" für unbedenklich erklärte hatten, veröffentlichen ließ, reagierten die Republikaner mit wütenden Beschimpfungen. Bushs Vizepräsident Dick Cheney zum Beispiel wirft Obama seitdem unablässig vor, mit seinen "Transparenz"-Maßnahmen die USA für einen erneuten Angriff der Al Kaida anfällig zu machen.

Währenddessen schießen sich die Republikaner im Kongreß seit Tagen auf Nancy Pelosi, die Sprecherin der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, ein. Sie werfen ihr vor, als ranghöchstes Mitglied der Demokraten im Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhaus bei einem geheimen Briefing am 7. September 2002 über die Entscheidung des Weißen Hauses, der CIA die Anwendung von Waterboarding gegen gefährliche Dschihadisten zu gestatten, in Kenntnis gesetzt worden zu sein und sie mitabsegnet zu haben. Mit einer bemerkenswerten Pressekonferenz am 14. April auf dem Kapitol ist Pelosi voll in die Offensive gegangen. Vor Reportern erklärte sie, nicht im September 2002 auf dem offiziellen Weg, sondern erst in Februar 2003 von einem eigenen Mitarbeiter über den Einsatz der Wasserfolter gegen gefangengenommene "Terroristen" erfahren zu haben. Auf die Frage eines Journalisten, ob sie damit die CIA der Lüge bezichtigte, antwortete Pelosi: "Ja, den Kongreß der Vereinigten Staaten in die Irre geführt zu haben." In einem Artikel, der am 15. Mai in der Washington Post erschienen ist, hieß es, Pelosis "außergewöhnlicher Vorwurf, daß die Bush-Administration den Kongreß in bezug auf die Anwendung verschärfter Verhörtechniken gelogen" hätte, habe "im wachsenden Streit um die Anti-Terror-Politik der Bush-Administration den Einsatz dramatisch erhöht".

Die hier vom Post-Journalisten Dan Balz verwendete Formulierung, wonach es bei der laufenden Debatte um die "Anti-Terror-Politik" Washingtons von 2001 bis 2008 einschließlich ginge, stellt eine recht verharmlosende, für die Mitglieder der Bush-Regierung wohlwollende Auslegung der Ereignisse dar. Schließlich könnten viele Amerikaner akzeptieren, wenn Bush, Cheney und Konsorten hätten foltern lassen, nur um einen zweiten Großanschlag wie den vom 11. September 2001 zu verhindern, und wären eventuell bereit zu akzeptieren, daß man die Rechtverstöße von damals einfach unter den Teppich kehrt, auch wenn dafür rechtsstaatliche Prinzipien außer Acht gelassen werden müßten. Was Balz den Lesern des halbamtlichen Propagandablatts Washington Post verschweigt, sind die nicht wenigen Erkenntnisse, wonach das Motiv für die Folter mutmaßlicher Anhänger Bin Ladens nicht der Schutz des amerikanischen Volkes, sondern die Erzwingung falscher Geständnisse war, mittels derer der schon lange geplante, illegale Angriffskrieg gegen den Irak legitimiert werden sollte.

Dies geht aus den Aussagen, die zum Beispiel Major Paul Burney gegenüber dem Verteidigungsausschuß des Senats gemacht hat und die sich in dessen Mitte April veröffentlichten Folter-Bericht befinden, eindeutig hervor. Burney hat 2002 als Psychiater des Combat Stress Control Team der 85th Medical Detachment der US-Armee mit zwei Kollegen als Berater für den Umgang mit Gefangenen von Guantánamo gedient. In einem Artikel, der am 21. April auf der Website der US-Zeitungsgruppe McClatchy, zu der auch der Miami Herald gehört, unter der Überschrift "Report: Abusive tactics used to seek Irak-al Qaida link" erschienen ist, zitierte Jonathan Landay einen "ehemaligen ranghohen US-Geheimdienstbeamten" dahingehend, daß es Cheney und sein Freund und Mentor Donald Rumsfeld, damals Pentagonchef, waren, die von den Vernehmungspezialisten verlangten, daß sie "Beweise" für eine Verbindung zwischen Al Kaida und dem Irak Saddam Husseins finden sollten - koste es, was es wolle. Gegenüber Landay erklärte der Ex-Geheimdienstmann, dessen Name im Artikel aus naheliegenden Gründen nicht verwendet wurde, warum die CIA im August 2002 das angeblich ranghohe Al-Kaida-Mitglied Abu Zubaydah mindestens 83 Mal und im März 2003 den "9/11-Chefplaner" Khalid Sheikh Muhammed 183 Mal Waterboarding unterzogen hat.

"Es gab zwei Gründe, warum diese Vernehmungen so lange dauerten und so hartnäckig durchgeführt wurden und warum extreme Methoden zur Anwendung kamen. Der Hauptgrund ist, daß sich alle Sorgen um einen weiteren Anschlag (nach 9/11) machten. Doch für einen Großteil von 2002 und bis in 2003 hinein verlangten insbesondere Cheney und Rumsfeld Beweise für eine Verbindung zwischen Al Kaida und dem Irak, von denen ihnen der (irakische Exilpolitiker Ahmed) Chalabi erzählt hatte, daß sie existierten.

Auf den Geheimdiensten und den Vernehmungsbeamten lastete der permanente Druck, alles, was erforderlich sein sollte, zu unternehmen, um jene Informationen aus den Gefangenen, insbesondere aus den paar hochwertigen, die wir hatten, zu bekommen, und wann immer die Leute berichteten, daß die nichts in Erfahrung hatten bringen können, wurde ihnen dann seitens Cheneys und Rumsfelds Leuten gesagt, daß sie sich noch mehr ins Zeug legen sollten.

Cheneys und Rumsfelds Leute wurden von der CIA und von anderen Leuten ... wiederholt informiert, daß es keine verläßlichen Erkenntnisse gab, die auf operative Verbindungen zwischen Bin Laden und Saddam hindeuteten, und daß solche Verbindungen unwahrscheinlich wären, weil die beiden im Grunde genommen Feinde und keine Verbündeten waren."

Dessen ungeachtet haben ranghohe Regierungsmitglieder "das beiseite geschoben und permanent darauf insistiert, daß wir etwas übersehen hätten, daß die Vernehmungsbeamten nicht genügend Druck ausübten, daß es irgend etwas Zusätzliches geben müßte, was wir machen könnten, um an die Informationen heranzukommen", erklärte er.

Bekanntlich war es Außenminister Colin Powell, der, ebenfalls von Cheney und Rumsfeld gedrängt, am 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Weltöffentlichkeit die durch Folter und andere dubiose Methoden gewonnenen Erkenntnisse über den "finsteren Nexus" zwischen Al Kaida und dem Irak Saddam Husseins präsentierte. Am 13. Mai hat Lawrence Wilkerson, damals Powells Stabschef, die Angaben von Paul Burney und Jonathan Landays Geheimdienstinformanten bestätigt und die Vorwürfe gegen seine frühere Arbeitskollegen in der Bush-Regierung verschärft. Auf der Website Democrats.com hat Bob Fertik Wilkerson folgenden "Knaller" zitiert:

Was ich erfahren habe, ist, daß die Administration verschärfte Vernehmungsmethoden in April und Mai 2002 - lange bevor das Justizministerium irgendwelche Rechtsgutachten erstellt hatte - genehmigt hat. Oberste Priorität, was die Erkenntnisgewinnung betrifft, war nicht die Verhinderung eines weiteren terroristischen Anschlages auf die USA, sondern die Entdeckung eines rauchenden Colts, der den Irak mit Al Kaida verbinden würde.

So hektisch waren diese Bemühungen, daß das Amt des Vizepräsidenten bei einem bestimmten Gefangenen, selbst nachdem berichtet worden war, daß dieser "zusammenarbeitete" (das bedeutet, daß das Team keine Folter empfahl), die Anwendung erweiterter Methoden angeordnet hat. Der Gefangene, Ibn Al Scheich Al Libi, hatte bis dahin keine Kontakte preisgegeben. Erst nachdem man Al Libi in Ägypten Waterboarding unterzogen hat, hat er solche Kontakte "preisgegeben". Später sollten wir natürlich erfahren, daß Al Libi diese Kontakte nur preisgegeben hatte, um ein Ende der Folter zu erreichen.

Eine traurige, aber bezeichnende Nachricht vom Rande der großen Folterdebatte in den USA stammt aus Libyen. Am 13. Mai berichtete die New York Times unter Verweis auf die libysche Tageszeitung Oea, daß Al Libi, der irgendwann Ende 2005, Anfang 2006 von der CIA den Behörden in Tripolis übergeben worden sein soll, im Gefängnis gestorben ist. Angeblich hatte er sich erhängt. Zuletzt bemühten sich Anwälte in den USA, die sich auf die Vertretung von Guantánamo-Häftlingen und anderen Opfern von Bushs Anti-Terror-Gulag spezialisiert haben, um Zugang zu Al Libi, um ihn über seine Erfahrungen in den Händen der CIA und deren Folterfreunde in Ägypten zu befragen. Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Dafür dürfen sich Cheney und Rumsfeld bei dem einstigen Erzfeind Amerikas Muammar Gaddhafi bedanken.

15. Mai 2009