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USA/1222: McChrystal und die Generäle setzen Obama unter Druck (SB)


McChrystal und die Generäle setzen Obama unter Druck

Niedergang am Potomac - Prätorianer haben immer mehr das Sagen


In Washington hält die Diskussion, ob Präsident Barack Obama den Wunsch des NATO-Oberbefehlshabers US-General Stanley McChrystal in Afghanistan nach einer Truppenaufstockung von 20.000 bis 60.000 Mann entspricht, an. Wie aus US-Regierungskreisen zu vernehmen ist, soll die Diskussion, bei der es darum geht, nach acht Jahren Krieg in Afghanistan endlich die richtige Strategie für die Mission am Hindukusch zu finden, erst nach der Stichwahl am 7. November um die Präsidentschaft in Afghanistan zwischen dem Amtsinhaber Hamid Karsai und seinem Herausforderer Abdullah Abdullah zum Abschluß gebracht werden. Dessen ungeachtet ist McChrystal heute beim NATO-Gipfel in Bratislava persönlich erschienen, um den Verteidigungsministern der nordatlantischen Allianz seine "Strategie" und seine Forderung nach zusätzlichen Truppen zu erläutern. Der "überraschende" Auftritt McChrystals in der slowakischen Hauptstadt - so die Formulierung der Deutschen Welle - zeugt von dem enormen Druck, dem sich Obama seitens seiner eigenen Generäle in der Afghanistan-Frage ausgesetzt sieht.

Bereits am 20. September veröffentlichte Bob Woodward in der Washington Post Teile jenes ihm zugespielten 66seitigen Afghanistan-Zustandsberichts, den McChrystal kurz zuvor Verteidigungsminister Robert Gates vorgelegt hatte. Darin zeichnet der ranghöchste US-Militär in Afghanistan ein katastrophales Bild der Lage, behauptet jedoch, diesen Umstand durch mehr Truppen und mehr zivilen Wiederaufbau - effektiver eingesetzt als bisher, versteht sich - beheben zu können. Wer Woodward den strenggeheimen Bericht zugespielt hatte, wurde nicht ermittelt. Man geht davon aus, daß es entweder McChrystal selbst oder ihm befreundete Militärs bzw. Mitarbeiter des Pentagons waren.

Am 1. Oktober hatte McChrystal seinen bisher spektakulärsten Auftritt, als er in London in einer Rede vor dem renommierten International Institute of Strategic Studies den Vorstoß von US-Vizepräsident Joseph Biden und den sogenannten "Tauben" im Obama-Kabinett, die ausländischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen und die Bekämpfung des Al-Kaida-"Netzwerks" künftig hauptsächlich durch den Einsatz von CIA-Drohnen und Spezialstreitkräften zu führen, abfällig als "kurzsichtig" abtat und ihn als Rezept für ein "Chaosistan" bezeichnete. Die Lage in Afghanistan sei "ernst und auf dem Weg der Verschlechterung", weil die Regierung in Washington die Kommandeure vor Ort nicht mit den nötigen Ressourcen ausstatte, so McChrystal. Mit dieser demonstrativen Vorwegnahme des Ausgang der Afghanistan-Diskussion war der General zu weit gegangen. Wegen des kaum verhüllten Versuchs, die Biden-Fraktion als nichtsahnende Laien in Sachen militärischer Taktik und Strategie hinzustellen, mußte sich McChrystal gleich am nächsten Tag zum Rapport in Kopenhagen melden, um sich auf dem Rollfeld des Flughafens der dänischen Hauptstadt in der Air Force One gegenüber Obama, dem nach der US-Verfassung eigentlichen Oberkommandierenden der Streitkräfte, zu rechtfertigen.

Auch weil nichts über den Inhalt des Gesprächs bekannt wurde, war das ungewöhnliche Treffen zwischen Obama und McChrystal tagelang ein wichtiges Thema in der amerikanischen Presse. In einem Artikel, der am 6. Oktober beim Christian Science Monitor erschienen ist, vertrat Lawrence Korb, der während der ersten Amtszeit von Ronald Reagan Staatssekretär im Verteidigungsministerium war und heute als Analytiker bei der liberalen Washingtoner Denkfabrik Center for American Progress arbeitet, den Standpunkt, McChrystal hätte gegen das Prinzip der Unterordnung des Militärs unter die zivil-politische Führung verstoßen und gehöre wegen Insubordination entlassen.

Hierzu ist es natürlich nicht gekommen. Es folgte zwei Tage nach dem Stelldichein in Kopenhagen lediglich eine Aufforderung von Verteidigungsminister Gates an die Generäle, ihren Rat an die politische Führung hinter geschlossenen Türen und nicht öffentlich zu erteilen. McChrystal hochkantig hinauszuwerfen, wie es Harry Truman mit General Douglas MacArthur 1951 wegen dessen allzu demonstrativer Forderung nach dem Einsatz von Atomwaffen im Koreakrieg getan hat, hätte Obama vermutlich mehr geschadet, als seinem aufmüpfigen General. Denn es war der neue Präsident selbst - vermutlich auf Anraten von dem Generalstabschef Admiral Michael Mullen und dem CENTCOM-Chef General David Petraeus -, der im Mai den Armeegeneral David McKiernan nach nur einem Jahr als Oberbefehlshaber der International Security Assistance Force (ISAF) frühzeitig entlassen und durch McChrystal ersetzt hatte. Seitdem wird der ehemalige Westpoint-Absolvent, der bei dem berühmten 82. Fallschirmjägerregiment und den Rangers diente, sich zuletzt als Leiter der Spezialstreitkräfteoperationen im Irak und in Afghanistan hervortat und über beste Verbindungen zur einflußreichsten aller Denkfabriken, dem Council on Foreign Relations (CFR), verfügt, von der amerikanischen Presse, allen voran dem Wall Street Journal, der New York Times und der Washington Post, als militärisches Genie spartanischen Zuschnitts gefeiert.

Folglich dürfte die Behauptung des Pentagonkritikers und ehemaligen Marinekommandeurs Jeff Huber vom 6. Oktober bei antiwar.com, daß es nämlich McChrystal gewesen sei, der Obama gedroht habe, und zwar mit dem eigenen Rücktritt, wenn er in Afghanistan nicht die von ihm geforderte Unterstützung an Menschen und Material erhalte, zutreffen. Inzwischen ist der Streit zwischen dem Weißen Haus und der obersten Generalität zu einem wichtigen Bestandteil der Berichterstattung in der angloamerikanischen Presse geworden. In einem Kommentar, der am 14. Oktober beim Londoner Guardian unter der Überschrift "Be bold, Obama. Resist the hawks crying one-last-push" erschienen ist, sprach Simon Jenkins von einer "erbitterten Schlacht" in Washington zwischen den Militärs, die einen Blankoscheck zur Umsetzung ihrer abenteuerlichen Aufstandsbekämpfungstheorien in Afghanistan verlangten, und Obama, der zurecht ein zweites Vietnam und das Scheitern seiner Präsidentschaft à la Lyndon Johnson befürchtet.

Wie schlimm es um das Verhältnis zwischen Obama und den Generälen wirklich steht, hat Seymour Hersh, Amerikas Enthüllungsjournalist Nummer eins, am 20. Oktober bei einem Vortrag vor mehreren hundert Leuten an der Duke-Universität in Durham, North Carolina, erläutert. In einer Meldung, die am selben Tag auf der Website der australischen Tageszeitung Herald Sun erschienen ist, wurde der Pulitzerpreisträger Hersh mit den schockierenden Worten zitiert, die Generäle befänden sich "im Krieg mit dem Weißen Haus" und meinten, sie hätten "Obama in die Zange genommen": "Sie glauben, daß er schwach ist und die falsche Hautfarbe hat. Ja, es geht im Pentagon der Rassismus um. Wir wollen es vielleicht nicht glauben, aber es ist wahr, und wir wissen es alle."

Laut Hersh wollten "viele Leute im Pentagon", daß Obama in Schwierigkeiten gerät. Durch das Zuspielen der Forderung McChrystals nach weiteren rund 40.000 Soldaten für Afghanistan hätten diejenigen im Sicherheitsapparat, die den unilateralistischen, diplomatischen Ansatz Obamas in internationalen Angelegenheiten ablehnen und auf die rüstungstechnologische Stärke Amerikas setzen, den Nachfolger George W. Bushs absichtlich in eine ausweglose Lage gebracht. "Wenn er ihnen die zusätzlichen Truppen gibt, die sie haben wollen, verliert er politisch. Und wenn er ihnen die Truppen nicht gibt, verliert er ebenfalls politisch", so Hersh. Damit meint dieser, daß der Demokrat Obama von den Militaristen und der republikanischen Rechten letztlich dafür verantwortlich gemacht werden wird, entweder zusätzliche Soldaten in einen sinnlosen Krieg geschickt oder den Rückzug angeordnet zu haben, als McChrystal und Konsorten gerade dabei gewesen wären, mit neuem Elan den Taliban das Fürchten zu lehren.

Wenn es nach Hersh ginge, sollte Obama Verhandlungen mit den Taliban aufnehmen, um Amerika vom ganzen Af-Pak-Dilemma zu befreien. Er warf dem Präsidenten vor, der Militärführung zuviel Spielraum bei der Gestaltung der US-Politik in Afghanistan und Pakistan gegeben zu haben. "Entweder läßt er sich vom Pentagon treiben, oder er muß das Pentagon vor sich hertreiben"; tut er dies nicht, "wird es der Untergang seiner Präsidentschaft sein", so Hersh. Doch das, was Hersh empfiehlt, ist leichter gesagt als getan. Dieser Tage wird die unglückliche Lage Obamas immer wieder mit der Lyndon Johnsons, als dieser 1964 dem Drängen des Militärs nach verstärktem Einsatz in Vietnam nachgab, verglichen. Ein Grund für das Nachgeben Johnsons könnte das Schicksal seines Vorgängers John F. Kennedy gewesen sein, der es bekanntlich den Vietnamesen überlassen wollte, über ihr Schicksal zu entscheiden, und vielleicht deshalb am hellichten Tag des 22. November 1963 in Dallas das Gehirn weggegeschossen bekam. Wie die kanadische Geheimdienstkoryphäe Peter Dale Scott vermutet, könnte die bemerkenswerte Tatsache, daß die New York Times am 17. Oktober die Einzelheiten bisher geheimgebliebener Verbindungen der CIA zum vermeintlichen Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald erstmals publik machte, eine versteckte Drohung bestimmter mächtiger Kreise an das nominelle Staatsoberhaupt der USA gewesen sein.

23. Oktober 2009