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USA/1256: Able-Danger-Affäre kommt zum 9/11-Jahrestag wieder auf (SB)


Able-Danger-Affäre kommt zum 9/11-Jahrestag wieder auf

Insider-Bericht über den Krieg in Af-Pak soll nicht erscheinen


Der neunte Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 stand im Zeichen der in den USA zunehmenden Islamophobie, die ihren Ausdruck in dem Streit um den Bau eines muslimischen Kulturzentrums in Südmanhattan, zwei Blocks von "Ground Zero" entfernt, und in der, zum Glück dann doch nicht ausgeführten Drohung einer kleinen, fundamentalistischen Christengemeinde in Floria um den Pfarrer Terry Jones, am 11. September 200 Kopien des Korans als Protest gegen den "radikalen Islamismus" und als Andenken an die Opfer der Flugzeuganschläge zu verbrennen, fand. Dazu kam am Vorabend der von den amerikanischen Medien wie üblich umfassend begleiteten 9/11- Trauerfeierlichkeiten in New York, Arlington und Shanksvillle eine längst vergessene Episode der Vertuschung der Hintergründe der Anschläge vom 11. September, nämlich die Able-Danger-Affäre, wieder auf. Der Urheber der Affäre, Anthony Shaffer, hat ein Buch über seine Zeit als Mitglied einer Sondereinheit des US-Militärgeheimdienstes in Afghanistan geschrieben, das nun, trotz erteilter Genehmigung doch nicht veröffentlicht werden soll. Möglicherweise hängt die Entscheidung des Pentagons, alle 10.000 Kopien der ersten Auflage des Buchs "Operation Dark Heart", das am 31. August in den USA hätte erscheinen sollen, zu kaufen und einzustampfen, weniger mit der Angst vor der Preisgabe von Informationen über Able Danger als über die Aktivitäten der Geheimdienste, der Spezialstreitkräfte und der privaten Militärdienstleister am Hindukusch zusammen.

2005 wurde die Operation Able Danger zum Politikum, als Shaffer, ein langjähriger Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes, publik machte, daß er und seine Kollegen beim Special Operations Command (SOCOM) im Rahmen einer computergestützten Rasterfahndung bereits im Jahr 2000 vier der späteren mutmaßlichen Flugzeugattentäter - Mohammed Atta, Marwan Al Shehhi, Chalid Al Midhar und Nawaf Al Hasmi - als Mitglieder einer aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn heraus operierenden "Terrorzelle" identifiziert hatten. Shaffer behauptete, daß mehrere Versuche von ihm und seinen Kollegen, das FBI rechtzeitig vor der "Terrorzelle" um Atta zu warnen, vom Pentagon blockiert wurden. Im Mai 2001 - vier Monate vor den Flugzeuganschlägen - war Operation Able Danger eingestellt worden.

2003 will Shaffer, der in der Zwischenzeit nach Afghanistan verlegt worden war, Philip Zelikow, damals Stabschef der von Präsident George W. Bush auf Drängen der Opferfamilien eingerichteten 9/11-Kommission, und dessen Mitarbeiter ausführlich von der früheren Existenz von Able Danger und dem Ausmaß der dadurch gewonnenen Vorkenntnisse über die mutmaßlichen Flugzeugattentäter informiert und sich später sehr gewundert haben, als 2004 nichts darüber im Abschlußbericht der Kommission zu finden war. Deswegen ging Shaffer 2005 mit der Geschichte von Able Danger an die Öffentlichkeit und erregte damit einiges an Aufsehen. Shaffer und sein früherer Vorgesetzter Marinekapitän Scott Philpott traten 2006 vor dem Militärausschuß des Repräsentantenhauses in Washington auf, wo sie unter Eid und hinter verschlossenen Türen aussagten. Obwohl die Angaben von Shaffer und Philpott zu Able Danger von mehreren Kollegen, die ebenfalls an der Operation beteiligt waren, bestätigt wurden, kam der Generalinspekteur des Verteidigungsministeriums im selben Jahr nach einer eigenen Untersuchung der Affäre zu der Schlußfolgerung, daß die Behauptungen der beiden Männer nicht stimmten und daß das SOCOM vor dem 11. September 2001 keine brauchbaren Informationen über den Aufenthalt oder die Aktivitäten der "Viererbande" Attas in den USA zutage gefördert hatte.

In dem Buch "Operation Dark Heart" geht es hauptsächlich um die fünf Monate, die Shaffer 2003 als ein in Bagram stationierter Offizier der Defense Intelligence Agency (DIA) bei der Koordinierung der Jagd auf ranghohe Mitglieder der Taliban Mullah Muhammed Omars und des Al-Kaida-"Netzwerkes" Osama Bin Ladens im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet verbrachte. Im vergangenen Januar soll Shaffer, der heute als Oberstleutnant der Reserve am Center for Advanced Defense Studies in Washington lehrt, von der US-Armee grünes Licht für die Veröffentlichung seines 299seitigen Manuskripts durch das New Yorker Verlagshaus St. Martin's Press erhalten haben. Doch Anfang August hat die DIA ihr Veto eingelegt. Zuvor sollen laut einem Bericht der New York Times vom 10. September Vertreter der CIA, der DIA, der für das elektonische Nachrichtenwesen zuständigen National Security Agency (NSA) und vom SOCOM bei jeweils eigener Überprüfung des Buchs mehr als 200 Stellen identifiziert haben, die vertrauliche Informationen enthielten.

Wie konnte es zu einer so grundsätzlich unterschiedlichen Bewertung der Armee auf der einen Seite, der CIA, DIA, NSA und von SOCOM auf der anderen Seite kommen? In einem Bericht des konservativen Nachrichtensenders Fox News, der am 10. September auf dessen Website erschienen ist, hieß es, die DIA habe "ausdrücklich" die Episode, in der Shaffer Zelikow beim Treffen in Bagram mit den früheren Erkenntnissen von Able Danger konfrontiert habe, aus dem Buch gestrichen haben wollen. Dies leuchtet ein, denn Zelikow, ein enger Vertrauter von Condoleezza Rice, die zum fraglichen Zeitpunkt Nationale Sicherheitsberaterin war, soll bei den Vertuschungen des 11. September durch die vom Präsidenten eingesetzte Kommission die Schlüsselrolle gespielt haben. Gleichwohl gilt Able Danger aus konventioneller Sicht längst als einer der zahlreichen 9/11-Themenkomplexe, die zum Betätigungsfeld unverbesserlicher Verschwörungstheoretiker gehören.

Die Gelassenheit, mit der die Armee auf die Möglichkeit der Veröffentlichung von Shaffers Buch reagierte, und die Aufregung der anderen Dienste ein halbes Jahr später hängen vermutlich mit einer anderen Entwicklung zusammen, nämlich mit der Veröffentlichung Zehntausender Dokumente des US-Militärgeheimdienstes zur Lage an der Kriegsfront Af-Pak durch das elektronische Enthüllungsportal Wikileaks im Juli. In einem von Pratap Chaterjee von Corp Watch am 20. August bei TomDispatch.com unter der Überschrift "The Secret Killers" veröffentlichten Artikel werden die grausamen Einzelheiten des modernen "Phoenix"-Programms, das CIA, Spezialstreitkräfte und Söldner von Unternehmen wie Blackwater am Hindukusch betreiben, analysiert. In "Operation Dark Heart" - der Titel ist eine Anspielung auf Joseph Conrads berühmtes Anti-Kolonialismus-Roman "Herz der Dunkelheit" - schildert Anthony Shaffer angeblich in ziemlicher Ausführlichkeit die Methoden von Amerikas "geheimen Killern" aus berüchtigten Einheiten wie der Task Force 373 im Grenzgebiet Afghanistan-Pakistan und berichtet von einigen Missionen, die nicht so ganz umproblematisch abgelaufen sind. Weil die Details in seinem Buch in Verbindung mit denen von Wikileaks das Pentagon eventuell in Schwierigkeiten gebracht hätten, sollte es auch nicht veröffentlicht werden.

13. September 2010