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USA/1309: Ron Paul - ein Republikaner sagt Nein zum Imperium (SB)


Ron Paul - ein Republikaner sagt Nein zum Imperium

Konzernmedien torpedieren die Kampagne des Außenseiters


Anfang Januar findet in Iowa die erste Vorwahl um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner statt. Wer hier den Anfangssieg erringt, hat gute Chancen, sich in den darauffolgenden Monaten bei den Vorwahlen in den anderen Bundesstaaten durchzusetzen, auf dem Parteitag der Grand Old Party (GOP) im Spätsommer zum offiziellen Kandidaten aufgestellt zu werden und im November aller Voraussicht nach gegen Präsident Barack Obama von den Demokraten anzutreten. In der bisherigen Berichterstattung über den republikanischen Wahlkampf tauchen die Namen des ehemaligen Gouverneurs von Massachusetts, Mitt Romney, des amtierenden Gouverneurs von Texas, Rick Perry, der Kongreßabgeordneten Michelle Bachmann aus Minnesota, des ehemaligen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus, Newt Gingrich, und des Pizzaladenkettenmanagers Hermann Cain am häufigsten auf. Aktuelle Umfragen deuten jedoch auf einen eventuellen Sieg des ehemaligen Frauenartzes und Chirurges der US-Luftwaffe Ron Paul, der seit 1985 seinen texanischen Wahlkreis im Washington vertritt, in Iowa.

Trotz der guten Ergebnisse Pauls in den Umfragen und bei informellen Vorwahlen auf lokaler Ebene berichten die Medien in den USA weit weniger über ihn als über dessen Gegenkandidaten (zu den auch der ehemalige Gouverneur von Utah, John Huntsman, und der ehemalige Senator aus Pennsylvania, Rick Santorum, gehören). Begründet wird diese Anomalie stets mit dem Argument, der libertäre, 1935 geborene Texaner habe zwar einen festen und engagierten Stamm an Anhängern und Aktivisten, wäre aber für die breite Masse der republikanischen Wähler inakzeptabel und hätte erst recht bei einer Präsidentenwahl nicht die geringste Chance. Pauls angebliche Inakzeptabilität geht auf seine Weigerung zurück, sich in den überparteilichen Konsens in Washington bezüglich der außen- und Sicherheitspolitik einzufinden. Die großen US-Medien, die vielfach mit der Waffenindustrie im eigenen Land verbandelt sind - der Fernsehsender NBC zum Beispiel gehört dem Rüstungskonzern General Electric (GE) - reden nur deshalb die Chancen Pauls schlecht, weil sie Angst haben, daß er auf der rechten und linken Seite des Parteienspektrums eine Wählermehrheit gegen den überbordenden Wehretat, die Aufrechterhaltung eines gigantischen Basenimperiums im Ausland und den nationalen Sicherheitsstaat daheim mobilisieren könnte.

Bei der Debatte unter den republikanischen Kandidaten, die am 12. November vom Fernsehsender CBS ausgestrahlt wurde, war Paul der einzige, der die Folter von mutmaßlichen "Terroristen" als illegal und mit der US-Verfassung nicht zu vereinbaren bezeichnete, CIA-Drohnenangriffe im Ausland kritisierte, den jüngsten Krieg der NATO gegen Muammar Gaddhafis Libyen negativ beurteilte und eine Militärintervention der USA in Syrien sowie im Iran zur Ausschaltung eines angeblich existierenden Atomwaffenprogramms ausschloß. Für seine prinzipientreue Haltung in der Folter-Frage wurde Paul wenige Tage später von der liberalen New York Times in einem Leitartikel ausdrücklich gelobt. Dessen ungeachtet werden Cain, Bachmann, Perry, Romney und Gingrich, die sich stets im billigen Patriotismus zu überbieten versuchen, weiterhin von America's "Paper of Record" als die ernster zu nehmenden Kandidaten geführt.

Während Präsident Obama mit der Einrichtung eines neuen Stützpunktes der US-Marines in der nordaustralischen Hafenstadt Darwin und seine provokante Einmischung auf dem ASEAN-Gipfel in Bali in die Diskussion um den Zugang zu den Öl- und Gasressourcen im Südchinesischen Meer die Grundsteine für eine dauerhafte Konfrontation mit der Volksrepublik China legte, nahm sich Paul am 20. November bei einem Auftritt in der CBS-Fernsehsendung "Face the Nation" heraus, die wichtigsten Axiome der imperialistischen Außen- und Verteidigungspolitik Washingtons in Frage zu stellen. Als erstes räumte Paul mit der Mythologisierung der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 im allgemeinen und dem Erklärungsversuch des damaligen Präsident George W. Bush im besonderen auf:

Spricht man mit den Leuten, die darin verwickelt waren, und mit Personen, die uns Schaden zufügen wollen, sagen sie ganz klar, sie mögen es nicht, wenn amerikanische Bomben auf ihre Länder fallen. Ihnen gefällt nicht, wie wir militärisch in anderen Nationen intervenieren. Dies zu bestreiten ist meines Erachtens sehr gefährlich. Die Behauptung, sie wollen uns Schaden zufügen, weil wir frei und wohlhabend sind, ist meiner Meinung nach wirklich sehr gefährlich, denn sie ist nicht wahr.

Die Frage des Moderators Bob Schieffer, ob er damit sagen wolle, daß Amerika selbst an 9/11 "schuld" sei, wies Paul als eine falsche Auslegung seines Arguments zurück. Festzustellen, daß die in Washington vom Weißen Haus und Kongreß beschlossene Politik negative Folgen habe, sei meilenweit davon entfernt, für die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington "Amerika die Schuld zu geben". "Amerika ist Sie und ich. Wir haben sie nicht verursacht. Der Durchschnittsamerikaner hat sie nicht verursacht. Doch wenn man eine falsche Politik betreibt, kann das einen Einfluß haben", so Paul, der 9/11 auf die "Fehler der politischen Entscheidungsträger" in Washington zurückführte. Ergänzend fügte er hinzu:

Zu genau demselben Erkenntnis ist die 9/11-Kommission gekommen, ist das Verteidigungsministerium gekommen, sind viele Forscher gekommen. Kurz, nach 9/11 haben wir den Stützpunkt in Saudi-Arabien geräumt. Also, es gibt schon eine Verbindung.

Entgegen der Doktrin Obamas von den USA als alte und neue "pazifische Macht", erklärte Paul, daß er als Präsident die US-Streitkräfte, die seit mehr als sechzig Jahren in Japan und Südkorea stationiert sind, nach Hause holen würde. Für Paul wäre das aber nur der Anfang:

Ich halte das U-Boot für eine sehr wertvolle Waffe. Ich denke, wir könnten uns allein mit U-Booten verteidigen und alle unsere Truppen zuhause stationieren. Diese Idee, daß wir Soldaten auf 900 Basen in 130 Ländern haben müssen - was soll das? Sie ist überholt und ergibt gar keinen Sinn, jetzt wo wir eine Waffe entwickelt haben, mit der man jedes Ziel auf der Erde innerhalb einer Stunde treffen kann. Soldaten auf 900 Basen rund um die Welt zu stationieren ergibt gar keinen Sinn. Darüber hinaus sind wir pleite. Wir können es uns nicht mehr leisten. Außerdem bringen unsere Truppen in Übersee unsere Feinde gegen uns auf und motivieren sie. Das Ganze gefährdet unsere nationale Sicherheit. Wir könnten eine Menge Geld sparen, würden wir die Militärausgaben streichen, die nichts zur Landesverteidigung beitragen.

Im Kongreß, wo eine überparteiliche Koalition gegen eine drohende Kürzung des Pentagonhaushalts infolge der aktuellen Haushaltskrise gerade Sturm läuft, dürfte sich Paul mit seinen Ausführungen nur wenige Freunde gemacht haben. Das gleiche gilt für seinen Standpunkt in der Iran-Frage, der sich vollkommen außerhalb des offiziellen Diskurses zwischen "Alle Optionen liegen auf dem Tisch" des Weißen Hauses und der Forderung der pro-israelischen Hardliner bei den Republikanern im Kongreß nach einem baldigen, mit militärischen Mitteln herbeiführten Sturz der "Mullahkratie" in Teheran befindet. Als einziger US-Politiker von Rang tritt Paul unumwunden für eine friedliche, diplomatische Beilegung des Dauerstreits zwischen den Vereinigten Staaten und der Islamischen Republik. In der CBS-Sendung bezeichnete er die Verhängung von Wirtschaftssanktionen, angeblich um den Iran zum Einlenken im Atomstreit zu bewegen, als "ersten Schritt Richtung Krieg" und präsentierte dazu folgende Alternative:

Wir haben doch 12000 Diplomaten. Ich schlage vor, daß wir einige von ihnen hier einsetzen sollten. Für mich besteht die größte Gefahr in einer Überreaktion unsererseits. Davor habe ich Angst. Der Iran hat keine Atombombe. Es gibt keinen Beweis dafür. Ungeachtet des neuen Berichtes [der IAEA - Anm. d. SB-Red.] gibt es auch keine neuen Erkenntnisse. Wenn wir nun überreagieren und anfangen, über eine Bombardierung des Irans zu diskutieren, wäre das die eigentliche Gefahr.

Bei der Fernsehdebatte, die am 22. November von CNN ausgestrahlt wurde und sich um das Thema nationale Sicherheit drehte, hat sich Paul als einziger der acht republikanischen Präsidentschaftskandidaten für die Abschaffung des USA-PATRIOT-Gesetzes ausgesprochen. Während die anderen sieben die "terroristische" Gefahr an die Wand malten - Perry und Romney fabulierten sogar von Umtrieben der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisb Allah südlich des Rio Grande in Mexiko - und sich für eine Erweiterung des umstrittenen Überwachungsgesetzes, mit dem kurz nach dem 11. September 2001 das Heimatschutzministerium geschaffen wurde, stark machten, kritisierte Paul es als "unpatriotisch", weil es "die Freiheit" der Bürger der USA und die Verfassung des Landes "unterminiert". Mit der Position macht sich Paul für Millionen von enttäuschten Obama-Wählern, die heute die Aktivisten und Anhänger der Occupy-Bewegung bilden und deren Proteste gegen die Dominanz des Großkapitals dieser Tage in den USA die brutale Macht des Polizeistaats zu spüren bekommen, attraktiv. Zu einer steigenden Präsenz in den Konzernmedien dürfte sie aber wohl kaum beitragen.

25. November 2011