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USA/1339: NSA-Abhördaten fließen in die Drogenbekämpfung ein (SB)


NSA-Abhördaten fließen in die Drogenbekämpfung ein

DEA wegen illegaler Ermittlungsmethoden in den Schlagzeilen



Der von Edward Snowden Anfang Juni losgetretene Skandal um das illegale Ausspionieren eines jeden Telefon- und Internetnutzers auf der Welt durch die National Security Agency (NSA) in Fort Meade, Maryland, will einfach nicht abreißen. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit als Demokrat oder Republikaner tobt im Washingtoner Kongreß derzeit ein heftiger Streit zwischen denjenigen, die zusammen mit dem Weißen Haus den Nationalen Sicherheitsstaat in all seinen Auswüchsen unbedingt erhalten wollen, und denjenigen, die ihren Eid auf die Verfassung ernst nehmen und das Recht des amerikanischen Bürgers vor staatlicher Schnüffelei zu retten versuchen. Letztere fühlen sich zu Recht falsch informiert und hintergangen. Schließlich soll auf Anweisung der Regierung von Präsident Barack Obama dem Kongreß seit 2011 ein 86seitiges Urteil des geheim tagenden Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC) vorenthalten werden, das die massenweise Abspeicherung der Verbindungsdaten und Inhalte elektronischer Kommunikation von Millionen US-Bürgern als ungesetzlich und verfassungswidrig einstuft.

Auch wenn die Spendenempfänger der Hauptnutznießer des Überwachungsstaates - nämlich die großen Rüstungskonzerne und privaten Sicherheitsunternehmen - noch die Mehrheit im Repräsentantenhaus und Senat stellen und mißliebige Reformvorhaben im Geheimdienstbereich wie den jüngsten Amash-Zusatz zum Wehretat 2014 abwehren können, geraten sie mit jeder neuen Enthüllung immer mehr in die Defensive. Da helfen durchsichtige, wenig überzeugende Terrorwarnungen wie die jüngste bezüglich irgendwelcher angeblich existierender Anschlagspläne der Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel im Jemen nur bedingt. Ein spektakulärer Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom 5. August hat die Anhänger des Sicherheitsapparats erneut in Erklärungsnot gebracht. Nach wochenlangen Beschönigungen, die NSA-Daten würden lediglich zur Abwehr von ausländischen "Terroristen" benutzt, stellte sich nun heraus, daß sie seit Jahren in die ganz gewöhnliche Polizeiarbeit der Drug Enforcement Agency (DEA) fließen.

Für aufmerksame Politbeobachter durfte dies keine überraschende Erkenntnis sein. Schließlich stand ideologisch gesehen der unsinnige "Antidrogenkrieg" Richard Nixons von 1971 40 Jahre später dem noch unsinnigeren "globalen Antiterrorkrieg" von George W. Bush Pate. Ein Ende beider Kreuzzüge "gegen das Böse" ist nicht in Sicht und vermutlich auch nicht geplant. Denn beide Vorhaben dienen weniger einer tatsächlichen Reduzierung der Probleme "Drogen" und "Terrorismus", sondern vielmehr als Vorwand, um bestimmte mächtige Interessenvereinigungen der amerikanischen Wirtschaft mit Steuergeldern in Milliardenhöhe zu subventionieren.

Besonders erschreckend am exklusiven Reuters-Bericht mit der Überschrift "U.S. directs agents to cover up program used to investigate Americans" ist die Dreistigkeit, mit der die DEA-Ermittler angewiesen werden, selbst gegen das Gesetz zu verstoßen. Wenn sie NSA-Informationen benutzen, um bestimmte Ermittlungen gegen Drogendealer oder -konsumenten loszutreten, dann sind sie offiziell dazu angehalten, dies später beim Prozeß gegenüber dem Richter, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung geheimzuhalten. Es wird jedesmal systematisch eine Legende zurechtgezimmert, wonach die DEA bei einer routinemäßigen Straßenkontrolle oder ähnlichem auf die Spur des Verdächtigen oder Angeklagten gekommen sei. Dadurch wird nicht nur die Tatsache verschleiert, daß das Ausspionieren der NSA, das sich laut Gesetz ausschließlich gegen Ausländer richten darf, illegal gegen die eigenen Bürger eingesetzt wird, sondern auch das Recht des Angeklagten auf einen fairen Prozeß massiv beeinträchtigt wird - was einen Verstoß gegen die Verfassung darstellt. Nur wenn die Verteidigung über die wahren Hintergründe einer Ermittlung informiert ist, hat sie überhaupt eine Chance, die Unschuld ihres Mandanten zu beweisen.

Der Umstand, daß die meisten Drogendelikte in den USA vor Gericht ohnehin nicht bis zum bitteren Ende abgehandelt werden, sondern zu irgendeinem Deal zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung - Strafmilderung gegen Schuldeingeständnis - führen, macht es der DEA natürlich leicht, ihre NSA-Informationsquellen für sich zu behalten. Laut Reuters greifen die DEA-Beamten auf die Daten einer Einheit namens Special Operations Division (SOD) zurück, die 1994 zum Zwecke der Bekämpfung lateinamerikanischer Drogenkartelle gegründet wurde. Ursprünglich bestand die SOD lediglich aus einigen Dutzend Beamten. Heute stehen ihr mehrere hundert Angestellte, darunter Verbindungsoffiziere der CIA, der NSA, des FBI, der Steuerbehörde (IRS) des Finanzministeriums und des Heimatschutzministeriums, und ein eigener Sitz an einem geheimen Ort im Bundesstaat Virginia, unweit der Hauptstadt Washington, zur Verfügung.

Gegenüber Reuters wollte sich niemand vom US-Justizministerium, das für die DEA zuständig ist, zu der rechtlich dubiosen Zusammenarbeit zwischen der Drogenbekämpfungsbehörde und der NSA äußern. Dafür zitierte die Nachrichtenagentur den ehemaligen Bundesstaatsanwalt Henry E. Hockeimer jun. mit folgender drastischer Einschätzung der DEA-Praxis zur Abschöpfung und Verwendung von NSA-Daten: "Man darf das System nicht manipulieren. Man darf diesen Trick nicht anwenden. Das sind Drogendelikte und keine Fälle der nationalen Sicherheit. Wenn man hier keine Grenze zieht, wo zieht man sie überhaupt?". Die Frage der Grenzziehung hätte man nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 stellen, deren Hintergründe ernsthaft untersuchen und anschließend Lehren daraus ziehen können. Doch dazu ist es aus naheliegenden Gründen niemals gekommen. Die Verantwortlichen in Washington haben damals den Ungeist des Antiterrorstaates beschwören - und werden ihn seitdem nicht mehr los.

6. August 2013