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USA/1341: Levinson-Affäre blamiert die CIA und Amerikas Medien (SB)


Levinson-Affäre blamiert die CIA und Amerikas Medien

Rätsel um den im Iran verschwundenen Ex-FBI-Agenten weiterhin ungelöst



Seit sechs Jahren beteuert die Regierung in Washington, daß der im März 2007 auf der iranischen Insel Kish verschwundene Ex-FBI-Ermittler Robert Levinson damals in eigener Sache, als "privater Geschäftsmann" in der Islamischen Republik gewesen sei. Seit Jahren geben führende US-Medien, allen voran die New York Times, die Washington Post, die Nachrichtenredaktion des Fernsehsenders ABC und die Nachrichtenagentur Associated Press die Regierungslinie wieder, obwohl die Verantwortlichen Redakteure wußten, daß sie nicht stimmte. Am 12. Dezember ist AP aus der Desinformationsfront ausgebrochen und hat die Hintergründe der Affäre beleuchtet. Demnach war Levinson im Auftrag der Central Intelligence Agency (CIA) in Kish gewesen. In einer ersten Reaktion hat Präsident Barack Obamas Pressesprecher Jay Carney am 13. November die Veröffentlichung des AP-Enthüllungsberichts "Missing American in Iran was on unapproved mission" als "höchst verantwortungslos" verurteilt.

In einer eigenen Stellungnahme hat sich US-Außenminister John Kerry gegenüber ABC-News-Reporterin Martha Raddatz gegen den aufgekommenen Vorwurf, die Verantwortlichen in Washington hätten Levinson "im Stich gelassen", verwahrt und behauptet, man tue seit Jahren alles Menschenmögliche, um den verschwundenen Privatdetektiv nach Hause zu holen. Dagegen spricht die Entscheidung von AP, die nach eigenen Angaben deshalb mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gegangen ist, weil es seit über drei Jahren keine Lebenszeichen von Levinson mehr gibt. Bis vor wenigen Tagen hatten diejenigen amerikanischen Nachrichtenredaktionen, die über die CIA-Verwicklung in dem Fall Bescheid wußten, dieses Wissen auf Drängen der Regierung für sich behalten, angeblich um Levinsons Leben nicht zu gefährden.

Levinson war 1998 nach 28 Jahren beim FBI in Frührente gegangen und hatte in Florida eine eigene Detektei gegründet. Seine Spezialität, die auf seiner früheren Arbeit bei der Bundespolizei fußte, war das organisierte Verbrechen. Über eine Bekannte bei der CIA, Anne Jablonski, wurde Levinson dort 2006 als freischaffender Experte angeheuert. Für Jablonski und ihren Chef Tim Sampson, die bei der CIA eine Analytiker-Gruppe im Bereich Geldwäsche und transnationaler Kriminalität leiteten, erstellte er Analysen zur russischen Mafia, zu den linksgerichteten kolumbianischen Rebellen, zu Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez und vielem mehr. Der Haken an der Zusammenarbeit war jedoch, daß Jablonski und Sampson nicht befugt waren, Auslandsoperationen durchzuführen, wie sie Levinson mit seinen "Privatreisen" in Lateinamerika und anderswo betrieb.

Mit Wissen von Jablonski flog Levinson Anfang März 2007 nach Dubai. Am 8. März flog er weiter zu der südiranischen Insel Kish, die als Touristenort und Tummelplatz für iranische und ausländische Schmuggler bekannt ist. Was er dort wollte, ist unklar. Den verschiedenen Berichten der letzten Tagen zufolge war er auf der Suche nach Informationen entweder über das iranische Atomprogramm, über korrupte Praktiken ranghoher iranischer Politiker wie den ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani oder über den Zigarettenschmuggel durch die russische Mafia. Gleich nach seiner Ankunft checkte er in das Hotel Maryam ein. Am selben Abend empfing er in seinem Zimmer eine zwielichtige Kontaktperson namens Dawud Salahuddin, mit der er mehrere Stunden sprach. Am nächsten Morgen checkte Levinson wieder aus dem Hotel aus. Danach verliert sich seine Spur.

Salahuddin war als David Belfield auf die Welt gekommen und in New York aufgewachsen. Mit achtzehn Jahren konvertierte er zum Islam, änderte seinen Namen und wurde Mitglied des Sicherheitspersonals an der iranischen Botschaft in Washington. 1980, auf dem Höhepunkt der Feindseligkeiten zwischen den USA und der gerade gegründeten Islamischen Republik, hat Salahuddin - angeblich im direkten Auftrag Teherans - Ali Akbar Tabatabai, den Anführer einer Gruppe iranischer Schah-Anhänger und Konterrevolutionär, vor dessen Wohnung in Bethesda, Maryland, einem wohlhabenden Vorort der US-Hauptstadt, erschossen. Anschließend floh er nach Kanada und setzte sich von dort in den Iran ab. Salahuddin, der heute für den iranischen Nachrichtensender Press TV arbeitet und als Anhänger des Reformer-Flügels in Teheran gilt, hat im Laufe der Jahre die Begegnung mit Levinson mehrmals bestätigt, sich aber nie zum Inhalt des Gesprächs geäußert und kategorisch bestritten, den Privatspion an die iranischen Behörden verraten zu haben.

Nach Levinsons Verschwinden kam es zu internen Ermittlungen bei der CIA. Jablonski und Sampson durften wegen ihrer Rolle in der unrühmlichen Affäre zwischen Rücktritt und Entlassung wählen. Beide haben sich für ersteres entschieden. Mehrere ihrer Kollegen erhielten eine Verwarnung. Heute arbeitet Jablonski als Risikoanalytikerin in der Privatwirtschaft, während Sampson eine Stelle bei der Nachrichtenabteilung des US-Heimatschutzministeriums innehat. Erst im Herbst 2007 soll die CIA den Nationalen Sicherheitsrat im Weißen Haus und die Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat darüber in Kenntnis gesetzt haben, daß Levinson entgegen anderslautender Meldungen doch im Auftrag Langleys in der iranischen Freihandelszone Kish am Persischen Golf unterwegs war.

Im November 2010 erhielt Levinsons Frau Christine eine verschlüsselte Email aus unbekannter Quelle. Die E-Mail enthielt einen kurzen Videomitschitt, in dem der offenbar gefangengehaltene Levinson einen Gruß an seine Frau richtete und die US-Regierung um Hilfe anflehte. Eine Analyse ergab, daß die Nachricht von einem Internet-Café in Pakistan abgeschickt wurde, und daß im Hintergrund des Videos paschtunische Hochzeitsmusik zu hören ist. Im April 2011 erhielt Levinsons Familie eine zweite E-Mail, diesmal aus Afghanistan. Sie enthielt Fotos, auf dem der Ex-Polizist hager und krank aussah.Levinson war in einem orangefarbenen Overall gekleidet, wie sie auch die Häftlinge in Guantánamo Bay tragen. Um seinen Hals hing ein Schild, auf dem "Warum helfen Sie mir nicht?" stand. Bis heute bestreitet die iranische Regierung, Levinson entführt oder verhaftet zu haben. Bis heute behauptet die Regierung in Washington, alles zu tun, um den verschwundenen US-Bürger zu retten. An der Geschichte ist etwas mächtig faul. Die meisten Details werden vermutlich für immer geheim bleiben. Man muß davon ausgehen, das Levinson, der heute 65 Jahre alt wäre, nicht mehr lebt. Als Einzelgänger hat er sich zwischen die Fronten der USA und des Iran gewagt - und seinen Leichtsinn vermutlich mit dem Leben bezahlt.

16. Dezember 2013