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BERICHT/080: Petersberg II - Kriege und das Völkerrecht am Beispiel Afghanistans (SB)


Workshop auf der Afghanistankonferenz am 4. Dezember 2011 in Bonn


Im Rahmen der dreitägigen Proteste gegen "Petersberg II" fand am 4. Dezember im LVR LandesMuseumBonn eine Internationale Konferenz für ein selbstbestimmtes Afghanistan statt. Das reichhaltige Programm umfaßte drei Podiumsdiskussionen mit internationalen Teilnehmern zu unterschiedlichen Schwerpunkten, zwei Blöcke mit insgesamt 15 verschiedenen Workshops sowie eine Schlußrunde im Plenum, bei der Ergebnisse und Vorschläge zusammengetragen wurden. Zugleich stellte diese Zusammenkunft den Rahmen für zahlreiche Begegnungen und Gespräche der versammelten Kriegsgegner bereit.

Ein Workshop zum Thema "Kriege und das Völkerrecht am Beispiel Afghanistans" wurde von Otto Jäckel und Karim Popal geleitet. Otto Jäckel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Wiesbaden und Berlin. Als Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion der IALANA (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms) und Mitglied deren internationalen Vorstands beschäftigt er sich seit Jahren mit völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen. Karim Popal ist ein aus Afghanistan stammender Rechtsanwalt in Bremen, der sich auf internationales Familienrecht, internationales Zivilrecht und Ausländerrecht spezialisiert hat. Seit mehr als drei Jahren ist er nebenbei für den Aufbau der Justiz in Afghanistan tätig und verteidigt die Opfer des von der Bundeswehr befohlenen Luftangriffs von Kundus. Er ist u.a. Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Aufenthaltsrecht des Bremischen Anwaltsvereins.

Otto Jäckel und Karim Popal - Foto: © 2011 by Schattenblick

Otto Jäckel und Karim Popal
Foto: © 2011 by Schattenblick

Fragen des Völkerrechts, die Nichtjuristen allzu trocken oder gar marginal erscheinen mögen, spielen bei den Angriffskriegen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten wie jenem in Afghanistan eine zentrale Rolle. Während Kriegsgegner geltend machen, hier werde Völkerrecht gebrochen, mißbrauchen die kriegführenden Mächte das Völkerrecht für ihre interventionistischen und neokolonialen Zwecke. Daher ist es unabdingbar, sich auch mit der juristischen Seite bellizistischer Okkupation zu befassen, will man deren Ratio und Strategie umfassend entschlüsseln und kritisieren.

Wie Otto Jäckel einleitend berichtete, habe er am 17. Oktober 2001 auf dem Münsterplatz in Bonn seine erste Rede gegen den Afghanistankrieg gehalten, in der er völkerrechtliche Aspekte in den Vordergrund stellte. Zehn Jahre Krieg hätten alles bestätigt, was er damals gesagt und wovor er gewarnt hatte. Karim Popal wies darauf hin, daß man den umfangreichen Komplex Völkerrecht natürlich nicht in 45 Minuten abhandeln könne. Daher werde man versuchen, einige Ausschnitte darzustellen und die wesentlichen Aspekte hervorzuheben.

Man befasse sich im Zusammenhang mit Kriegen schon deshalb mit dem Völkerrecht, weil dies je nach Beurteilung der Lage ebenso unterschiedliche wie weitreichende Konsequenzen habe, führte Jäckel aus. Für Politiker ist dieser Kontext zweifellos relevant, weil sie einen Eid auf die Verfassung geschworen haben. Nach Art. 20 GG ist die öffentliche Gewalt an das Grundgesetz gebunden, wozu nach Art. 25 auch das Völkerrecht und die UN-Charta zählen. Deshalb ist es bedeutsam, wie man mit den Bestimmungen der UN-Charta umgeht, wenn man sich an einer solchen Auseinandersetzung beteiligt. Es geht also um die Einhaltung deutschen Verfassungsrechts und den Amtseid der Politiker, doch hat es nicht zuletzt auch Folgen für die Akteure vor Ort. Handelt es sich um einen völkerrechtswidrigen Krieg, zieht das Konsequenzen für das gesamte Handeln in diesem Waffengang nach sich. Es finden Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und Tötungshandlungen statt, die die Kriegführenden damit rechtfertigen, daß es sich um eine legitime Auseinandersetzung handle. Entfällt diese völkerrechtliche Rechtfertigung, so handelt es sich um Straftaten, für die sich die Akteure früher oder später zu verantworten haben. Aus diesem Grund ist die völkerrechtliche Einordnung für die Kriegsgegner außerordentlich wichtig.

Seit der Verabschiedung der UN-Charta hat man es entweder mit rechtmäßigen oder rechtswidrigen Kriegen zu tun. Nach Auffassung der Gegner des Afghanistankriegs wurde dieser illegal begonnen. Es gibt nach der Charta nur zwei Gründe, einen Krieg zu beginnen: Entweder stellt der Sicherheitsrat fest, daß eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens vorliegt und - weil alle anderen Mittel versagen - bewaffnet zu intervenieren sei, um den Frieden wiederherzustellen, oder ein Staat ist angegriffen worden und kann sich gegen einen akuten Angriff solange verteidigen, bis der Sicherheitsrat die geeigneten Mittel ergreift, um den Friedenszustand wiederherzustellen. Das sind die beiden einzigen Ausnahmen von dem allgemeinen Gewaltverbot, das die Charta der Vereinten Nationen postuliert. Das ist also das Koordinatensystem, in dem man sich rechtlich bewegt.

Nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington drängte die US-Regierung auf einen Beschluß der NATO, daß der Bündnisfall nach Art. 5 NATO-Vertrag sowie ein Verteidigungsfall nach Art. 51 der UN-Charta eingetreten sei. Man forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die USA vor diesem Angriff zu schützen. Was folgte, war gemessen an der Absicht der Regierung in Washington ein diplomatisches Desaster. Im NATO-Beschluß vom September 2001 ist lediglich die Rede davon, daß für den Fall, daß der Angriff aus dem Ausland gekommen sein sollte, der Verteidigungsfall beschlossen worden ist. Das Wort Afghanistan kommt in dem Beschluß überhaupt nicht vor. Dasselbe gilt für die ersten beiden Beschlüsse des Sicherheitsrats: Auch dort ist von kriegerischen Handlungen gegen Afghanistan keine Rede. Man ging vielmehr von einem Bruch des Friedens aus, und der Sicherheitsrat ordnete Maßnahmen an, um diesen Bruch des Friedens zu beheben, also gegen den Terrorismus vorzugehen. Es ist von einem umfassenden Maßnahmenkatalog die Rede, den internationalen Terrorismus einzudämmen, indem man unter anderem finanzielle Transaktionen durch Kooperation der Staaten bei Kontrollen von Grenzübertritten verhindert. Selbst wenn es sich also um einen Selbstverteidigungsfall gehandelt hätte, wäre er spätestens zu diesem Zeitpunkt beendet gewesen, weil in den vom Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen von Krieg nicht die Rede war.

Dennoch folgten faktisch militärische Maßnahmen. Nachdem die Talibanregierung binnen weniger Wochen vertrieben war, fand im Oktober 2001 die Petersberg-Konferenz statt. Sie bat den Sicherheitsrat, Hamid Karsai, der sich zu diesem Zeitpunkt noch auf einem US-Schiff im indischen Ozean zur Einweisung in seine neuen Aufgaben befand, als Übergangspräsidenten zu unterstützen und der neuen Regierung, die auf dem Bonner Petersberg eingesetzt worden war, ohne daß es dazu Wahlen in Afghanistan gegeben hätte, mit militärischen Mitteln den Rücken zu stärken. Die Beschlüsse des Sicherheitsrats zur Einsetzung der ISAF halten einer völkerrechtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist zwar in der völkerrechtlichen Diskussion anerkannt, daß eine Regierung unterstützt werden kann, doch handelte es sich in diesem Fall um keine legitime Regierung. Damals machte das Wort die Runde, Karsai sei der Bürgermeister von Kabul, weil sein Einflußbereich kaum darüber hinausging. Folglich wurde die eingesetzte Regierung, die keine Macht über das ganze Land hatte, von der ISAF unterstützt, was völkerrechtlich viele Fragezeichen aufwarf.

Karim Popal gab zunächst einen kurzen Überblick über die historischen Voraussetzungen in Afghanistan. Sowohl die offizielle Afghanistankonferenz in Bonn als auch die Gegenkonferenz beriefen sich auf das Völkerrecht. Präsident Bush habe das Völkerrecht für seine geplanten Kriege mißbraucht, was seit vielen Jahren Praxis der Amerikaner sei. Die USA beschafften sich eine rechtliche Verschleierung des UN-Sicherheitsrats. Sie wirkten darauf hin, daß am 12. September 2001 die erste Resolution zustande kam, wonach sich die USA gegen terroristische Angriffe wehren dürfen. Darin fiel kein Wort von Krieg, von Afghanistan, von zehn Jahren Bombardierung der Afghanen. Da diese Resolution nicht ausreichte, mußten die NATO-Länder in Anspruch genommen werden, um die "Terroristen" in Afghanistan zu bekämpfen. Da das immer noch nicht reichte, nahm man eine Anleihe beim humanitären Völkerrecht und behauptete, man wolle das Land aufbauen. Im Kontext der Sicherheitsfrage wurden weitere Resolutionen veranlaßt, denen zufolge der Aufbau des Landes von dieser Seite her anzugehen sei. Zwar wurde Karsai eingesetzt, doch da viele fremde Mächte in Afghanistan präsent waren, verwies man auf das Völkerrecht und die UN-Charta. Die Resolution von 2003 formulierte weiterhin den Aufbau Afghanistans im Interesse der internationalen Gemeinschaft, und dieser Bezug wird bis heute in Anspruch genommen.

Der Begriff "internationale Gemeinschaft" leitet sich aus dem humanitären Völkerrecht ab, das sich in erster Linie aus dem Haager Abkommen und dem Genfer Recht konstituiert. Hinzu kommt ein von allen Ländern akzeptiertes Zusatzprotokoll. Präsident Bush hat nach offizieller Lesart Afghanistan nicht mit kriegerischen Mitteln besetzt, sondern eine aus seiner Sicht zivilisierte Variante gewählt. Eine seiner Marionetten, die die Petersberg-Konferenz organisiert haben, war der deutsche Außenminister Joseph Fischer. Dieser schlug im kolonialistischen Stil Minister vor, während ihn insbesondere die Grünen mit ihrer unablässigen Debatte um die Frauenrechte in Afghanistan flankierten. Auch täuschte man vor, alle Völker Afghanistans einzubeziehen.

Die ISAF erklärte, sie sei kein Instrument des Militärs, sondern ein Aufbauteam. Mit dieser Propaganda wurden zahllose Menschen hinters Licht geführt. Karim Popal selbst hielt sich zwei Jahre in Afghanistan auf, um die Justiz aufzubauen. Das Max-Planck-Institut in Heidelberg organisierte den Justizaufbau mit Hilfe der Franzosen und Amerikaner, was darauf hinauslief, einige korrupte Richter zu einem Seminar zusammenzutrommeln. Als von einem Aufbau der Justiz nicht im entferntesten die Rede sein konnte, legten nach zwei Jahren mehrere Beteiligte Protest ein und weigerten sich, diesen Betrug weiter mitzutragen. Auch was den Aufbau der Polizei mit deutscher Hilfe betrifft, sieht es kaum besser aus. Man hat das Völkerrecht in Anspruch genommen und mißbraucht, wie man heute die afghanische Tradition der Loya Jirga mißbraucht, um einen Beschluß zur Dauerpräsenz der Amerikaner herbeizuführen. Da keine internationale Rechtsnorm existiert, die eine weitere Präsenz ausländischer Truppen rechtfertigte, rief Karsai handverlesene Akteure zur Loya Jirga zusammen, die die Bevölkerung keinesfalls vertreten können.

Nach dem Zwischenfall in Kundus sei man aktiv geworden, als man feststellte, daß dort viele Zivilisten, darunter sogar kleine Kinder, bombardiert worden waren. Popal informierte das Verteidigungsministerium, daß er mit seinem Team die Betroffenen vertrete, worauf man ihn in Kundus gezielt als gefährlichen Islamisten diskreditierte. Unterstützung erhielt er von der Linkspartei, die eine Delegation nach Afghanistan schickte und im Bundestag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragte. Der 500seitige Bericht des Kundus-Ausschusses ist sehr aufschlußreich, da darin der gesamte Sachverhalt detailliert dargelegt wird.

Warum fand das Bombardement statt? Im Jahr 2009 bezeichneten die Amerikaner die Deutschen in Nordafghanistan als feige. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Juli 2009 über die Beschwerde eines US-Generals, daß die Deutschen nicht am Krieg teilnehmen wollten, während die Taliban ihre Aktivitäten vom Süden des Landes nach Norden ausweiteten. Im Sommer 2009 monierten auch afghanische Medien, daß die Deutschen nicht am Krieg teilnähmen. Anfang August 2009 verlangte der später getötete Gouverneur Mohammad Omar von der Regierung in Kabul, daß die Deutschen abziehen müßten, wenn sie nicht Krieg führen wollten. Unterdessen nahmen die Angriffe der Taliban im Norden zu. Als dann die beiden Tanklastwagen am hellichten Tag entführt wurden, herrschte große Aufregung, und unter den Deutschen wuchs der Druck, etwas zu unternehmen. Oberst Georg Klein und seine Helfer hatten vier Stunden lang Gelegenheit, alles mit Bild und Ton zu verfolgen, was sich im Flußbett abspielte, in dem sich die Laster festgefahren hatten. Die Amerikaner machten Luftaufnahmen, der angebliche Kontaktmann war in der Nähe, beide US-Piloten gaben an, nur Zivilisten mit Kanistern zu sehen. Dennoch gab Klein Anweisung zu bombardieren und machte sich zum Mörder von 154 Menschen, weil er fälschlich behauptete, es handle sich um eine kriegerische Auseinandersetzung.

Im anstehenden Verfahren sollen Zeugen präsentiert werden, die von Anfang bis Ende alles beobachtet haben. Es handelte sich um einen Verstoß gegen jegliche Normen und Gesetze des Völkerrechts. Die beiden Zusatzprotokolle zu Artikel 50 und 51 besagen, daß Krieg nur gegen Streitkräfte gestattet ist. Oberst Klein befahl jedoch, zwischen den Lastwagen und den Menschen zu bombardieren, damit diese sterben. Dies war ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, zumal von Anfang an bei den Anschlägen des 11. September 2001 kein einziger Afghane beteiligt war. Das Völkerrecht wurde von den USA und ihren Verbündeten mißbraucht, woran fast alle Parteien im deutschen Bundestag wie insbesondere den Grünen beteiligt waren, die die Menschenrechte in Afghanistan mit militärischen Mitteln erzwingen wollten. "Wie dumm muß man sein, um so etwas zu denken!", schloß Karim Popal seine Ausführungen.

Plakat 'Truppen raus aus Afghanistan!' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Besser heute als morgen ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

In der anschließenden Diskussion wurden zunächst die Fragen aufgeworfen, auf welche Weise man die Täter zur Verantwortung ziehen könne, wie sich die Einhaltung internationalen Rechts durchsetzen lasse und welche Rolle das neue Konzept der Responsibility to protect in diesem Zusammenhang spiele.

Otto Jäckel kam noch einmal vertiefend darauf zu sprechen, daß aus der Entscheidung der Ausgangsfrage, ob der Krieg gerechtfertigt ist oder nicht, abzuleiten sei, ob man von begangenen Straftaten ausgehen muß. Handelt es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, sind Zerstörungen, Verletzungen und Tötungen nicht gerechtfertigt. Unabhängig davon habe Karim Popal dargestellt, daß selbst wenn es sich um einen völkerrechtlich legitimen Krieg handeln würde, in Kundus Verstöße gegen das sogenannte Jus in bello - Regeln, die im Krieg zu beachten sind - stattgefunden haben. Nach Regel 51 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Rotkreuzabkommen dürfen weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen das Ziel von Angriffen sein. Nach Absatz 4 dieser Vorschrift sind insbesondere unterschiedslose Angriffe verboten. Bei den Kampfmethoden, die im Krieg angewendet werden, ist darauf zu achten, daß das angegriffene Ziel ein spezifisch militärisches ist. Zivile Opfer in Kauf zu nehmen ist demnach ausdrücklich verboten, doch genau das ist in Kundus geschehen. Dies wird in dem zivilrechtlichen Verfahren zur Sprache kommen, das man vor dem Landgericht Bonn gegen die Bundesregierung anstrengt.

Wie können wir durchsetzen, daß Recht geachtet wird? Matin Baraki habe zuvor im Plenum darauf hingewiesen, daß die Menschenrechte nicht vom Himmel gefallen, sondern erkämpft worden sind. Nur wenn man Rechte in Anspruch nehme, erfüllten sie sich mit Leben. Deshalb werde es immer einen Kampf um das Recht geben. Im zivilrechtlichen Verfahren zu Kundus geht es darum, einen Durchbruch gegen die These der sogenannten Staatenimmunität zu erzielen. Dies betraf in der Vergangenheit beispielsweise die Klage von Griechen, deren Dörfer im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen heimgesucht worden waren. Die Bundesregierung zog sich darauf zurück, daß ein Staat nicht von Zivilisten anderer Staaten auf Schadensersatz verklagt werden könne, da dies nur Staaten vorbehalten sei. Gerichte in Griechenland und Italien sahen das anders und fällten entsprechende Urteile. Nun wehrt sich die Bundesrepublik vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag dagegen, daß deutsches Vermögen in Italien auf Grund dieser zivilgerichtlichen Urteile vollstreckt wird. Dabei hatte sich die BRD bis vor zwei Jahren noch nicht einmal der Rechtsprechung in Den Haag unterworfen, was damit begründet wurde, daß Deutschland noch nicht souverän sei und nur ein vorläufiges Grundgesetz habe. Das zählte zwar seit 1989 nicht mehr, doch hat es noch viele Jahre gedauert, bis nach intensiver Lobbyarbeit auch der IALANA vor zwei Jahren endlich die Erklärung abgegeben wurde, daß sich Deutschland der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs unterwirft. Dies ging auf eine Initiative des damaligen Außenministers Frank Walter Steinmeier zurück, gegen die die Hardthöhe heftig opponierte und einen Vorbehalt in dieser Erklärung erwirkte. Dieser hatte zum Inhalt, daß sich Deutschland nicht in allen Fällen, in denen es um den Einsatz deutscher Truppen im Ausland sowie den Einsatz internationaler Truppen von Deutschland aus geht, der Rechtssprechung Den Haags unterwirft. Was also die USA, die noch 70.000 Soldaten in Deutschland stationiert haben, von hier aus machen - Deutschland war ja die Plattform des Irakkriegs, den das Bundesverwaltungsgericht als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg charakterisiert hat - ist nach dieser Auffassung kein Thema für den Internationalen Strafgerichtshof. Angesichts dessen war die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ein Meilenstein auf dem steinigen Weg, dem Völkerrecht zur Anerkennung zu verhelfen, so Otto Jäckel. Der Kampf um das Recht werde konkret geführt und hänge nicht zuletzt von der Akzeptanz bestimmter Entscheidungen in der Bevölkerung ab. In Umfragen seien zwar 70 Prozent gegen den Afghanistankrieg, doch hingen solche Ergebnisse in hohem Maße von der Art der Fragestellung ab. Zweifellos herrsche nach wie vor die Auffassung vor, daß es sich im Prinzip um einen gerechten Krieg für Menschenrechte handle.

Karim Popal vertrat die Auffassung, daß das Völkerrecht in jüngerer Zeit an Bedeutung gewonnen habe. Das Interesse am internationalen Handeln der Politiker wachse, und so liefen in Deutschland derzeit mehrere Verfahren wie etwa jenes um die Radarentschädigungen, in denen auch völkerrechtlich argumentiert wird. Auch gebe es eine Reihe von Beschwerden des ICCHR im Rahmen des Völkerstrafrechts. Es gelte in diesem Zusammenhang einerseits, die Klagen fundiert zu führen, und andererseits die politische Position zu bekräftigen, daß der Krieg in Afghanistan ein Unrecht sei und beendet werden müsse. Um die Verbrechen dieses Kriegs darzustellen, müsse man Klage führen und dezidiert seinen völkerrechtswidrigen Charakter herausarbeiten, woraus folge, daß Straftaten begangen werden.

Wie aus dem Bericht des Kundus-Ausschusses hervorgehe, sei der Befehl Oberst Kleins völkerrechtswidrig und wahrheitswidrig gewesen. Deshalb habe man gegen ihn und seinen Stellvertreter Strafanzeige gestellt, die jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Die Generalbundesanwaltschaft hat den Klägern jedoch keine Akteneinsicht gewährt, und zur Vertuschung des Vorfalls wurden in Kundus Leute zusammengetrommelt, die selbst keine Geschädigten waren, aber sich gegen die Vertretung durch Anwälte aussprechen sollten. Otto Jäckel merkte dazu an, daß der Generalbundesanwalt dem Justizministerium untersteht und daher kein unabhängiger Untersuchungsrichter ist wie es sie teilweise in südeuropäischen Ländern gibt. Er unterliegt als politischer Beamter den Weisungen der Bundesregierung und folgte er diesen nicht, kann er deswegen entlassen werden.

Auf die Frage nach der persönlichen Verantwortung der beteiligten Soldaten und deren Möglichkeit, den Befehl zu verweigern, führten die Referenten aus, daß die beiden Piloten der US-Kampfjets zurückgefragt hatten, ob wirklich eine Situation der bewaffneten Auseinandersetzung vorliege. Werden die eigenen Truppen bedroht? Darauf antwortete Oberst Klein: "Confirmed". Die Piloten funkten zurück, ob sie einen Scheinangriff fliegen sollten, um die Leute zu vertreiben. Klein verneinte das und forderte ein sofortiges Bombardement. Er gab also nicht nur den Angriffsbefehl, sondern ignorierte auch die Warnungspflicht und verletzte die Informationspflicht, da er keine anderen Stellen einschaltete. Er habe gelogen, was die angebliche kriegerische Auseinandersetzung betraf, weshalb er die Klage gegen Herrn Klein nicht für zu hart halte, da dieser viele Fehler gemacht und viele Menschen umgebracht habe, so Karim Popal. Was die beiden Piloten betreffe, deren Dialog aufgezeichnet wurde, habe einer geäußert, daß der Angriff womöglich rechtswidrig sei. Daraufhin riet der andere dazu, die Bestätigung der deutschen Offiziere abzuwarten, die dann auch erfolgte. Daher könne man gegen die US-Piloten keine Strafanzeige stellen.

Otto Jäckel ging in Beantwortung einer Frage nach dem aktuellen Stand offizieller Terminologie, worum es sich beim Afghanistankrieg handle, auf ein Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs im Falle Nicaraguas ein. Demnach handelte es sich bei der Unterstützung der Contras um keinen Angriff seitens der USA, die daher auch nicht zur Leistung von Schadensersatz herangezogen werden können. Überträgt man dieses Urteil auf die von Washington monierte Unterstützung der Al Kaida durch die Taliban, entbehrt der Angriff auf Afghanistan jeder völkerrechtlichen Grundlage. Man ging westlicherseits nie auf das Angebot der Taliban ein, einen internationalen Haftbefehl gegen Osama bin Laden auszustellen und die Verantwortlichen der Anschläge in New York und Washington unter Umständen vor Gericht zu stellen.

Bei der Responsibility to protect handelt es sich lediglich um eine Resolution, die in der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde, also um ein Diskussionspapier ohne völkerrechtliche Grundlage. Es zielt wiederum darauf ab, angeblich gerechte Kriege im Namen der Menschenrechte zu führen. Als die UN-Charta als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs ausgearbeitet wurde, standen zwei Fragen im Vordergrund, nämlich die Verhütung des Krieges und die Wahrung der Menschenrechte. Schon im Entstehungsprozeß der Charta wurde die Frage der Menschenrechte stets als ein wichtiges Thema mitdiskutiert. Auf der rechtgebenden Versammlung 1944 in San Francisco beriet man darüber, ob Kriege im Namen der Menschenrechte geführt werden dürften, und sprach sich dagegen aus. Eine Ausnahme stellt die Völkermordkonvention der Vereinten Nationen dar, die es dem Sicherheitsrat erlaubt, in einem solchen Fall nach Ausschöpfung aller anderen Mittel bewaffnete Maßnahmen anzuordnen. Wollte man das auf jede einzelne Menschenrechtsverletzung anwenden, wüßte man nicht, wo man anfangen und wo man aufhörten sollte. Dem Krieg wäre in fast allen Ländern der Welt Tür und Tor geöffnet, schloß Otto Jäckel.

Bei der vielzitierten internationalen Staatengemeinschaft kann es sich rechtlich nur um die UN-Generalversammlung handeln. Zwar versuchen die mit den USA in der Operation Enduring Freedom zusammengeschlossenen Mächte, sich als internationale Staatengemeinschaft darzustellen, doch verfolgen sie handfeste Eigeninteressen. Beispielsweise profitieren die beteiligten Regierungen wirtschaftlich von der Bereitstellung ihrer Soldaten, wenn Länder wie Polen, Bulgarien oder Rumänien dadurch Einkünfte erzielen. Als Afghane komme man zu dem Ergebnis, daß es sich um einen imperialistischen Angriffskrieg handelt, weil das Land eine bevorzugte strategische Lage hat. Deshalb sei Afghanistan wieder einmal Ziel einer Okkupation durch fremde Mächte geworden, so Karim Popal, der abschließend um weitere Unterstützung der Klagen im Namen der Opfer von Kundus bat.

Außenansicht des Landesmuseums - Foto: © 2011 by Schattenblick

Veranstaltungsort LVR LandesMuseumBonn
Foto: © 2011 by Schattenblick

20. Dezember 2011