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BERICHT/110: Afrikas Erde - Im Fokus globaler Landnahme (SB)


GIGA-Forum zu "Landraub oder Agrarinvestitionen - Großflächige Agrarprojekte in Entwicklungsländern" am 23. Mai 2012 in Hamburg



Nach einer Zeit des stetigen, aber moderaten Anstiegs der Getreidepreise waren diese in den Jahren 2007/2008 weltweit drastisch in die Höhe geschnellt. Daraufhin nahm die Zahl der Hungernden um 100 Millionen zu. Erstmals in der Menschheitsgeschichte hatten rund eine Milliarde Erdenbewohner chronisch nicht genügend zu essen. In mehreren Dutzend Ländern kam es zu gewaltsamen Demonstrationen, Regierungen wankten oder wurden gestürzt. Selbst die späteren Aufstände in Tunesien und Ägypten entzündeten sich nicht allein an der Repressivität der Regime, sondern auch an den steigenden Lebensmittelpreisen. Wissenschaftler erklärten, daß Hungeraufstände nicht von den geschwächten Menschen ausgehen, die bereits einem extremen Nahrungsmangel ausgesetzt sind, sondern von Stadtbewohnern, die wegen der hohen Lebenserhaltungskosten beispielsweise die Zahl der täglichen Mahlzeiten von drei auf nur noch eine reduzieren müssen.

Plötzlich war das Thema Welternährung in aller Munde. Es wurden viele Erklärungen geliefert, wie es dazu kommen konnte (als hätten die in den Jahren zuvor "nur" rund 850 Millionen hungernden Menschen nicht ebenfalls genügend Anlaß zu Sorgen geboten). Im Rahmen dieser Entwicklung rückte auch das Phänomen der vermehrten Landnahme in die öffentliche Aufmerksamkeit. Verbindende Achse zum Hunger war und ist noch heute die Produktion von Biosprit auf dem Acker, die bloße Spekulation mit Land als Wertanlage sowie der steigende Lebensmittelbedarf von Ländern, die sich nicht selbst versorgen können.

Landnahme, Landraub, "land grabbing" oder auch "land rush" lauten die am häufigsten verwendeten Begriffe, mit denen ein Trend beschrieben wird, bei dem zumeist ausländische Investoren vorzugsweise in Afrika große Flächen Land pachten, um dort Pflanzen zu Nahrungs- oder Energiegewinnungszwecken anzubauen. Zu den Investoren zählen unterschiedliche Akteure wie Staatsfonds oder Privatunternehmen aus mehreren Dutzend Ländern, wobei Schwellenländer wie China, Indien und die arabischen Staaten in zunehmenden Maße an der Landnahme beteiligt sind.

Wenngleich das Phänomen an sich nicht neu ist - schließlich war auch der Kolonialismus der europäischen Länder, oder, geschichtlich noch weiter zurück, der Imperialismus des Römischen Reichs mit Landnahmen in Afrika verbunden - so hat doch die heutige Globalisierung teils sehr verschiedene Ausprägungen der "Eroberung" hervorgebracht. Bei den Römern war das Recht des Stärkeren häufig mit Schild und Schwert durchgesetzt worden - in der Kolonialzeit durch die europäischen Mächte mit Gewehr und Kanone. So heißt es beispielsweise im "Aufruf an das Volk der Herero" von Generalleutnant Lothar von Trotha, Kommandeur der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika, am 2. Oktober 1904:

"Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen."

Das "Vergehen" der Herero bestand darin, daß sie ihr Land nicht hergeben und keine Sklaven sein wollten, weshalb sie versuchten, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten. Heute wird mit anderen Mitteln "erobert", und auch das Ergebnis sieht anders aus. Die militärische Vorherrschaft bleibt, von Ausnahmen abgesehen, meist im Hintergrund, besser gesagt, sie bleibt in der Hinterhand. Sie ist damit nicht verschwunden, aber die Macht des Geldes vermag im Vorfeld oftmals mehr zu bewegen als das "Groot Rohr". Was jedoch nicht bedeutet, daß heutzutage die pekuniär abgewickelte Landnahme (in der Regel als Pacht für 99 Jahre) ohne sehr wirksame Maßnahmen der Gewalt, die als politisch-strukturell beschrieben werden könnte, abläuft. Das wird klar, wenn man allein die Zwangslage betrachtet, in der zahlreiche afrikanische Regierungen infolge der Verschuldung stecken. Häufig haben die Entwicklungsländer schon ein Mehrfaches dessen, was sie ursprünglich als Kredit erhalten haben, zurückgezahlt, sind aber aufgrund des Zinssystems weiterhin verschuldet und müssen es sich gefallen lassen, daß die Geldgeber oder die von ihnen dominierten Globalinstitutionen wie IWF und Weltbank ihnen Vorschriften machen. Eben diese Vorschriften - die sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen - haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß in den Entwicklungsländern der ländliche Sektor vernachlässigt wurde.

Sicherlich ginge es aber an den sehr verschiedenen Verläufen der Landnahme vorbei, wollte man sämtliche Erscheinungsformen der befristeten Aneignung bzw. Übertragung von Land an zumeist ausländische Investoren über einen Kamm scheren. Eine differenzierte Sicht zu vermitteln war das Anliegen des vom German Institute of Global and Area Studies (GIGA) organisierten Forums "Landraub oder Agrarinvestitionen: Großflächige Agrarprojekte in Entwicklungsländern" am 23. Mai in Hamburg. 50 bis 60 Interessierte waren der Einladung an den Neuen Jungfernstieg gefolgt und bekamen drei jeweils rund 15minütige Fachvorträge geboten, die verschiedenen Aspekten dieser Entwicklung gewidmet waren und somit das komplexe Thema vielschichtig beleuchteten.

Podium mit Referenten und Moderator - Foto: © 2012 by Schattenblick

Jun.-Prof. Jann Lay, Kerstin Nolte, Dr. Andreas Mehler, Dr. Michael Brüntrup
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im ersten Vortrag referierte Jun.-Prof. Dr. Jann Lay (GIGA und Universität Göttingen) über die Datensammlung "Land Matrix", die erst zwei Wochen zuvor in Washington vorgestellt worden war. Es handelt sich also um ein hochaktuelles Forschungsvorhaben. Die Aufgabe dieses Projekts besteht darin, Transparenz über transnationale Landverträge für die Landwirtschaft im globalen Süden zu schaffen. [1] Die an dem Projekt beteiligten Forscherinnen und Forscher, die von den Organisationen CDE, CIRAD, GIGA, GIZ und ILC [2] unterstützt werden, sammeln Berichte aus Medien, wissenschaftlichen Beiträgen und anderen via Internet zugänglichen Quellen. Crowd Sourcing nennt sich der methodische Ansatz. Vergleichbar mit anderen "social media"-Projekten wird in gewisser Weise die Internetgemeinde genutzt, um die Datensammlung zu erstellen und auch quellensicher zu machen. Aber nicht nur. Es wird nicht einfach nur über die Suchmaschine Google nach Informationen über Land Deals gefahndet, versicherte Prof. Lay auf Nachfrage des Schattenblick. Man greife unter anderem auf die Daten der Website farmlandgrab.org zurück.

Das Feedback sei so groß, daß die Forscher gar nicht alle Daten zeitnah verarbeiten könnten. Die Land Matrix decke Konzessionen, Pachten und Landkäufe ab, die größer als 200 Hektar sind. Betrachtet würden auch nur neue Transaktionen, die ab dem Jahr 2000 getätigt wurden. In Zukunft wolle man sich nicht nur der Landnahme in Verbindung mit Landwirtschaft, sondern auch beispielsweise mit dem Bergbau widmen.

Ähnlich wie Medienvertreter das Problem bzw. die Aufgabe haben, die Zuverlässigkeit ihrer Quellen abzusichern, sind auch Wissenschaftler wie Jun.-Prof. Lay gefordert, die Angaben zu überprüfen. Sicherlich auch aus dem Grund, weil das nicht immer gelingt, unterziehen die Forscher ihre Daten einem "reliability ranking", also einer Verläßlichkeitsprüfung. Beispielsweise wird Stufe 0 für Daten vergeben, die ausschließlich von der Presse oder Websites verbreitet werden. Auf Stufe 1 müssen die Daten aus den Medien durch andere Quellen im Netz, beispielsweise Regierungsinformationen, privaten Investoren oder Forschungsvorhaben bestätigt sein. Stufe 2 erhalten Daten, die durch die Land Matrix Partnership [2] durch Befragungen von Organisationen vor Ort bestätigt werden. Die höchste Stufe 3 stellt sozusagen das Ideal dar. Hier sind alle Informationen bekannt, da der Vertrag zwischen Investor und Landverpachter veröffentlicht wurde.

Jun.-Prof. Jann Lay beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Die Landnahme ist kein Medien-Hype'
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Nimmt man die flächenmäßig größte, qualitativ jedoch am wenigsten abgesicherte Stufe 0, so wurden zwischen dem Jahr 2000 und heute rund 83,2 Mio. Hektar Land vergeben. Die Landnahme sei "kein Medien-Hype", sondern ein reales Phänomen, erklärte Lay. Zum Vergleich: Die Nichtregierungsorganisation Oxfam berichtete im vergangenen Jahr, daß in den Entwicklungsländern seit dem Jahr 2001 bis zu 227 Mio. Hektar - das entspricht der Fläche Westeuropas - verkauft oder verpachtet wurden. Und die Weltbank schätzt, daß zwischen 1998 und 2009 etwa 85 Mio. Hektar Land vergeben wurden. So sehr diese Zahlen teilweise voneinander abweichen, zeigen sie doch, daß es sich bei der Landnahme um ein reales und nicht ein lediglich von den Medien kreiertes Phänomen handelt.

Die Satellitenbildauswertung eines Teils dieser Land Deals läßt darauf schließen, daß die Investitionen mit bewirtschafteten Flächen konkurrieren, daß häufig Waldflächen betroffen und marginale Gebiete wie Sümpfe nicht betroffen sind. Diese Angaben Jun.-Prof. Lays sind insofern bemerkenswert, als daran die Kritik an der Landnahme bestätigt wird: Es besteht sehr wohl eine Flächenkonkurrenz Tank versus Teller. Des weiteren wird deutlich, daß hier eine Form der Inwertsetzung stattfindet, die das Potential hat, sich womöglich noch tiefgreifender auf die lokalen Märkte auszuwirken als der Anbau sogenannter Cash Crops. Dabei werden Pflanzen angebaut, um die Ernte (Crops) zu exportieren, so daß der Staat Gelder (Cash) einnimmt, die er für andere Zwecke verwenden kann (Schuldenabbau, Ausbau der Infrastruktur, Rüstung, Investitionen in Bildung, etc.). Bei aller Problematik auch dieser Bewirtschaftungsform kommt es zumindest zu einem Rückfluß, was anscheinend für eine Vielzahl der heutigen neokolonialen Land-Deals nicht oder nur sehr begrenzt zutrifft.

Die Datenbank erlaube es gegenwärtig kaum, etwas über die Auswirkungen der Landnahme zu sagen, aber entsprechende Angaben sollen noch gesammelt und aufgenommen werden, sagte Jun.-Prof. Lay, der vermutete, daß sich die Auswirkungen vielleicht auch noch gar nicht zeigten. Als problematisch sieht er den Mangel an Konsultationen der von der Landnahme betroffenen lokalen Bevölkerung sowie die meist geringen Kompensationenzahlungen an.

Kerstin Nolte beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Ungenutztes Land gibt es eigentlich nicht'
Foto: © 2012 by Schattenblick

In zweiten Vortrag der Veranstaltung sprach Kerstin Nolte (GIGA) über ihre Forschungen zu Landvergabepraktiken in Afrika. Die Geographin hat Studien in Kenia, Mali und Sambia durchgeführt und mit Investoren, der lokalen Bevölkerung, lokalen Autoritäten sowie mit Regierungsvertretern und der Zivilgesellschaft über die Landnahme gesprochen.

Die sambische Regierung habe regelrechte Farm Blocks ausgewiesen und diese gezielt landwirtschaftlichen Investoren zur Verfügung gestellt. (Zur Erläuterung: "Blocks" bezeichnen ein genau abgegrenztes Gebiet; sie werden beispielsweise auch bei der Erdölförderung ausgewiesen). Die Gesetzeslage sei in Sambia ziemlich klar geregelt. Die Verwaltung des Lands obliegt den Chiefs (am ehesten zu übersetzen als Häuptling oder auch Dorfvorsteher), an den sich die Investoren mit ihrem Anliegen, Land pachten zu wollen, wenden müssen. Der Chief ist gehalten, seine Leute zu informieren, falls er sein Okay gibt und eine Empfehlung an den Bezirksrat schreibt. Der prüft den Antrag und schreibt dann gegebenenfalls ein Empfehlungsschreiben an den Commissioner of lands, der im Landministerium die Landtitel vergibt. Dieser hat nochmals eine Prüfung vorzunehmen und schließt dann den Vertrag mit dem Investor ab. Auf diese Weise geht "customary land", das durch Gewohnheitsrecht genutzt wurde, in "state land" über, was nicht mehr rückgängig zu machen ist. Das Land geht der Gemeinschaftsnutzung "für immer verloren", berichtete Nolte.

Sie führte vermutlich mangels Zeit diesen doch eigentlich prekären Vorgang nicht weiter aus. Bei der Bewertung dieses Wechsels scheint es bedenkenswert, daß es vielerorts, nicht allein in Sambia, eine Dauerkontroverse zwischen den Chiefs, die traditionelle Verfügungsrechte besitzen, und den jeweiligen Zentralregierungen gibt. Das eigentlich fortschrittliche sambische Modell trägt dazu bei, daß die Chiefs nach und nach entmachtet werden. Es läßt sich vermuten, daß das von der Zentralregierung ebenfalls als Fortschritt angesehen wird, stehen die Chiefs doch für eine Tradition, die als obsolet angesehen wird.

Die Referentin merkte kritisch an, daß im abschließenden Vertrag weder die Chiefs noch die Bevölkerung erwähnt werden. Und in der Praxis könne es auf allen Ebenen Probleme geben, beispielsweise daß die Anträge nicht geprüft werden oder daß die Regierung die gesetzlich vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung nicht sichtet. Letzteres sei auch deshalb prekär, weil diese Prüfung an vielen Punkten eine Konsultation der Bevölkerung vorsieht.

In Kenia seien die Gesetze zur Landvergabe sehr komplex, teils widersprächen sie einander. Investoren handelten "im rechtlichen Vakuum". Oft kämen sie durch eine "Hintertür" ins Land, indem sie Kontakte vor Ort nutzten, um Pachtverträge abzuschließen. Die Pläne Katars, im Tana-Delta Zuckerrohr anzubauen, hätten sich allerdings aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung zerschlagen [3].

Das Projekt der Dominion Farms sei anfangs sehr erfolgreich gelaufen. Der große US-Investor habe ein Sumpfgebiet im Victoriasee zum Reisanbau erschlossen, wodurch in der Anfangsphase viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. Dominion Farms habe Straßen gebaut, in Schulen und Krankenhäuser investiert, Sümpfe trockengelegt und vor allem erstmals elektrischen Strom in das Gebiet gebracht. Außerdem sei ein Stück des gepachteten Lands den lokalen Bauern zur Verfügung gestellt worden.

Nach der Phase der Erschließung folgte die Bewirtschaftung, und dazu wurden nicht mehr so viele Arbeitskräfte gebraucht. Zudem waren für die ebenfalls auf den Dominion Farms ansässige Weiterverarbeitung Fachkräfte von außerhalb erforderlich, weil nur sie sich mit den Maschinen auskannten. Auch war es zur Rückforderung des den Bauern zur Verfügung gestellten Lands gekommen, und es seien Umweltbelastungen durch Chemikalien aufgetreten. Das habe alles in allem zu einem Aufstand geführt, bei dem beinahe der Besitzer der Farm getötet worden sei.

Die Referentin resümierte, daß von großflächiger Landwirtschaft nichts anderes als starke Auswirkungen, die auf einen Strukturwandel hinausliefen, zu erwarten sei. Die entscheidende Frage in Verbindung mit den Land-Deals sei deshalb, ob den negativen Entwicklungen ausreichend entgegengesteuert werde. Hierbei sei es wichtig, die lokale Bevölkerung einzubeziehen.

Regierungen und Investoren behaupten in der Regel, daß das zur Pacht freigegebene Land ungenutzt ist. In der Diskussionsrunde berichtete Nolte, daß es "ungenutztes Land" eigentlich nicht gibt, es werde immer von irgendwem genutzt. Vor allem aber sei zu bedenken, daß die Investoren immer das fruchtbarste Land, möglichst noch in der Nähe bestehender Infrastruktur, haben wollten. Zu Verdrängungen führe die Landnahme auf jeden Fall, wenngleich die Regierungen die Chance wahrnähmen, Investitionen in den lange vernachlässigten Sektor Landwirtschaft zu lenken. Das könne zur Verbesserung der Infrastruktur beitragen, siehe das Beispiel der Dominion Farms in Kenia.

Dr. Michael Brüntrup erläutert Schaubild - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Jatropha hat der Bioenergie einen Bärendienst geleistet' Foto: © 2012 by Schattenblick

Als dritter Referent und einziger Gastredner von außerhalb näherte sich Dr. Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn dem Thema "Landraub oder Investition" mit Blick auf die agrarische Produktion von Pflanzen für Biosprit. Nach einer Projektion der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris für das Jahr 2050 könnten weltweit auf 100 Millionen Hektar, das sind sieben Prozent der Weltagrarfläche, Pflanzen für Biosprit angebaut werden. Die besäßen einen Energiegehalt von 65 Exajoule. (Zum Vergleich: Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft lag der Primärenergieverbrauch in Deutschland im Jahr 2010 bis rund 14 Exajoule [4].) Ein noch größerer Anteil kann nach Einschätzung der IEA für die Elektrizitäts- und Wärmegewinnung genutzt werden.

Ob auch der Jatropha-Pflanze eine bemerkenswerte Zukunft beschieden sein wird, wie vor einigen Jahren noch angenommen, muß als ungewiß angesehen werden. Dr. Brüntrup berichtete, daß sich der Anbau als unrentabel erwiesen habe und Projekte abgebrochen oder bereits gepachtete Flächen anderweitig genutzt worden seien. Dennoch macht Jatropha 70 Prozent der Biospritprojekte in den Subsaharastaaten aus.

Jatropha ist sehr genügsam, braucht wenig Nährstoffe und Wasser, wirft dann aber auch geringere Erträge ab. Frost verträgt sie überhaupt nicht. Der Jatropha-Samen ist sehr ölhaltig. Das Öl kann sogar kaltgepreßt direkt in Kochern oder robusten Dieselmotoren genutzt werden. Die Ernte erfolgt von Hand, was sehr aufwendig ist. Dadurch werden zwar viele Arbeitsplätze geschaffen, aber laut Dr. Brüntrup werden diese in der Regel schlecht bezahlt. Alles in allem hat sich die Jatropha-Verwertung als unrentabel herausgestellt.

So hätten in der Landwirtschaft unerfahrene Akteure beispielsweise aus dem Bergbau in Nordnamibia Jatropha-Projekte mit Plantagen in der Größenordnung von 400.000 bis 500.000 Hektar angestoßen, seien damit aber auf ganzer Linie gescheitert. Die Investoren besäßen durchaus einen guten Marktzugang, nur seien sie ahnungslos an die Sache herangegangen.

Die Idee einer umfassenderen Ölproduktion aus Jatropha kam erstmals in den achtziger Jahren auf. Die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit hatte in Sambia und Mali Projekte aufgezogen, in denen lokale Bäuerinnengruppen sich die Pflanze nutzbar machen sollten. Jatropha, die auch treffenderweise Brechnuß genannt wird, ist für Mensch und Tier ungenießbar. In Nordnamibia, so berichtete Dr. Brüntrup, hätten sich jedoch Schädlinge auf ihnen breitgemacht und auch Tiere von ihnen gefressen. Damit habe niemand gerechnet. Er kenne lediglich ein funktionierendes Projekt in Tansania, wo die Jatropha-Anlage Bestand gehabt habe.

Ansonsten sei die Landnahme in Verbindung mit dieser Pflanze sehr konfliktträchtig. Viele Gruppen hätten die Investitionen zunächst einmal begrüßt, auch sei es nicht der Fall, daß bei jeder Landnahme größere Bevölkerungsgruppen vertrieben werden. Die Input-Kosten zum Aufbau einer Jatropha-Plantage seien gering, gleiches gelte anfangs für die Arbeitskosten. Aber die Ertragslage sei extrem unsicher. Da hätten sich manche Unternehmen schwer verkalkuliert und teils hohe Verluste gemacht. Bei der Neuvergabe des Landes entstünden dann Konflikte. Beispielsweise weil in den aufgegebenen Plantagen die ursprüngliche Vegetation verschwunden und die Böden degradiert seien. Anschließend gedeihe dort nicht einmal genügend Gras für die Pastoralisten (Wanderhirten). Alles in allem sei dadurch ein generelles Mißtrauen gegenüber den Versprechungen der Investoren entstanden. Das Jatropha-Modell sei nicht nachhaltig und habe der Bioenergie einen Bärendienst erwiesen. Über einen "Relaunch Jatropha 2.0" mit verbesserten Sorten werde diskutiert. [5]

Was die Frage der Wirtschaftlichkeit des Plantagenanbaus betrifft, so treten laut Dr. Brüntrup Skaleneffekte auf: Je größer die Einheit, auf denen Pflanzen für Biosprit angebaut werden, desto billiger werde es. Das gelte auch für die Produktion beispielsweise von Zuckerrohr, vor allem aber für die Verarbeitung und Vermarktung. Überall, wo Prozeßenergie eine Rolle spiele - beispielsweise wenn künstlich bewässert werden müsse -, seien große Dimensionen wesentlich kostengünstiger als kleine. Auch in der Logistik und wenn homogene Märkte existieren, seien große Produzenten im Vorteil. Das gelte im übrigen nicht nur für Bioenergie.

Dr. Michael Brüntrup in der Diskussion - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Inwieweit sind wir für die indirekten Effekte im Süden verantwortlich?' Foto: © 2012 by Schattenblick

In der anschließenden Diskussion wurde die Frage gestellt, ob bei dieser Darstellung nicht die Effizienz von Kleinbauern unterschätzt werde. Das räumte der Referent insofern ein, als daß Kleinbauern tatsächlich pro Hektar höhere Erträge erwirtschafteten. Aber unter bestimmten Bedingungen, wenn beispielsweise für den Export gewirtschaftet wird oder eine künstliche Bewässerung erforderlich ist, sei ihnen die großflächige Produktion überlegen.

Im Unterschied zu Jatropha sei Zuckerrohr in Afrika bislang nicht weit verbreitet. Das habe vor allem damit zu tun, daß die Pflanze sehr viel Wasser benötige, was in vielen Regionen des Kontinents knapp sei. Aber auch hier sei inzwischen ein kräftiger Zuwachs zu verzeichnen.

Eingeführt wurde Zuckerrohr in den achtziger Jahren in Malawi und Südafrika. Produziert wird meist für lokale Märkte, nicht für den Export. Zuckerrohr weist sehr hohe Flächenerträge auf, in der fabrikmäßigen Verarbeitung entstehen Zucker und Bioethanol. Die Technologie ist relativ bewährt. Wenn man für den Export produziere, käme man in manchen Länder in den Genuß von Handelspräferenzen. Im Unterschied zu Jatropha setze der Hype langsam ein. Abgesehen von dem Faktor des knappen Wassers habe das auch damit zu tun, daß die Bewässerung pro Hektar 10.000 bis 20.000 Euro koste. Deswegen seien Anlagen nur mittelgroß, wobei 30.000 Hektar für afrikanische Verhältnisse als sehr groß gelten.

Arbeitsökonomisch sei Zuckerrohranbau sehr aufwendig, so daß für eine 10.000 Hektar große Plantage durchaus 5000 bis 6000 Zeitjobs von sechs bis acht Monaten geschaffen würden. Hinzu käme eine allgemeine ländliche Entwicklung im breiteren Sinne, das heißt, es siedelten sich Gewerbe und Banken an. Dr. Brüntrup erklärte, daß es bei so großflächigen Projekten immer auch Verlierer gibt. Das mache die Beurteilung der Landvergabe "sehr, sehr schwierig".

Alles in allem schien der Referent im Zuckerrohranbau durchaus ein Entwicklungspotential für Afrika zu sehen. Das jedoch wurde bei der Diskussion von einem der Gäste kritisch gesehen. Als Beispiel nannte er das in der Schweiz ansässige Unternehmen Addax, das in Sierra Leone Zuckerrohrplantagen in Flußnähe aufgebaut habe. Das Unternehmen habe 55.000 Hektar Land gepachtet und mit Unterstützung der Deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG) und europäischen Banken erschlossen. Es habe nur fünf Dollar pro Hektar bezahlt und lediglich schlecht bezahlte Arbeitsplätze geschaffen. Er sehe das sehr kritisch.

Gut besuchter Saal - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kritische Fragen aus dem Publikum
Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Brüntrup erklärte, er halte manche Kritik am Fall Addax für überzogen. Der Vorwurf, es seien keine Arbeitsplätze geschaffen worden, treffe insofern nicht, da sich das Projekt ja auch in der Aufbauphase befände. Und daß Niedriglöhne bezahlt würden, sei nur zum Teil richtig. Wenn Jobs ausgeschrieben werden, entstünden immer lange Schlangen von Kleinbauern, die sich bewerben. Addax habe einen Staudamm gebaut, das Wasser stehe zum Teil den Bauern zur Verfügung. Es sei zwar vorgekommen, daß durch eine bestimmte Wassernutzung auch lokale Brunnen trockenfielen, doch da müsse man nacharbeiten. Er persönlich habe den Eindruck, daß Addax gewillt ist, die Probleme zu beheben.

Gewissermaßen Schützenhilfe erhielt Brüntrup von dem GIGA-Referenten Jun.-Prof. Lay. Er kenne zwar den Fall Addax nicht, aber aus der Tatsache, daß Herr Brüntrup eine so detaillierte Antwort geben könne, während ansonsten bei den allermeisten Investitionen die Datenlage über die Auswirkungen sehr dünn sei, schlußfolgere er, daß es sich um einen verantwortungsvollen Investor handele. Die meisten Investoren seien gar nicht bereit, solche Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, daß in diesem Fall öffentlich so darüber diskutiert werde, spreche seiner Meinung nach für eine relativ transparente Haltung des Investors. Das lasse sich für die allermeisten Investitionen, die er in der Presse verfolge, überhaupt nicht sagen. [6]

In seinem Vortrag erwähnte Dr. Brüntrup auch die oftmals vernachlässigten indirekten Effekte der Produktion von Biotreibstoffen, beispielsweise auf die globalen Nahrungsmittelpreise und deren armuts- und hungerfördernde Wirkung, sowie auf das Phänomen der Verdrängung der Produktion. Es könnten ganze Ketten von indirekten Landnutzungsänderungen entstehen.

Er befasse sich mit Fragen, inwieweit eigentlich wir, das heiße im wesentlich die Klima- und Energiepolitik der EU, für die Effekte im Süden verantwortlich sind. Beispielsweise die entwicklungspolitische Kohärenz. [7] Ist unsere Energie- und Agrarpolitik dann kohärent, wenn nur im Süden ein Nutzen entsteht, oder müssen wir es einfach in Kauf nehmen, daß wir nicht alles in der Hand haben, fragt Dr. Brüntrup und beantwortet seine Frage zum Teil selbst: Die Sozial- und Umweltstandards in der Produktion könnten wahrscheinlich eingehalten werden. Die indirekten Effekte dagegen wahrscheinlich nicht. Welche Fragen sich dadurch für die Politikformulierung auftun, erläuterte er am Beispiel des biologischen Anbaus: Sollten wir unsere Ernährung darauf umstellen, würden die Erträge 30 Prozent geringer ausfallen. Das hätte indirekte Folgen in anderen Ländern, die nicht zu kontrollieren wären. Sollten wir deshalb auf den biologischen Anbau verzichten?

Hinsichtlich der vor wenigen Wochen beschlossenen freiwilligen Leitlinien zur Landvergabe [8] sagte Prof. Lay, er sei da skeptisch. Es gebe bereits mehr als 50 internationale Leitlinien, die jemand in Betracht ziehen könnte, wenn er verantwortungsvoll in Agrarprojekte investieren möchte. Dr. Brüntrup hingegen sieht in der Freiwilligkeit eine Chance. Die Leitlinien seien eine "Orientierungshilfe". Umgekehrt könne er sich nämlich nicht vorstellen, daß sich die Staaten gerne Vorschriften machen ließen. Das zeigten Bereiche wie Menschenrechte und Arbeitsrechte. Es stelle sich die Frage, was wäre, wenn die Leitlinien verpflichtend gemacht würden. Würden dann Wirtschaftssanktionen verhängt werden, falls sie nicht eingehalten werden, oder würde man gar intervenieren? Das halte er nicht für realistisch.

In der Abmoderation durch Dr. Andreas Mehler (GIGA) wurde noch einmal das Bemühen der Organisatoren deutlich, der angeblich eher einseitig die Landnahme ins schlechte Licht rückenden Presseberichterstattung ein vermeintlich im Widerspruch dazu stehendes differenziertes Bild seitens der Wissenschaft zu stellen. Trotz der vielerorts problematischen und für die lokale Bevölkerung negativen Entwicklung unterscheiden die Forscher und mit ihnen die Veranstalter des GIGA-Forums zwischen "Landraub" und "Agrarinvestitionen". Dieser "differenzierte" Blick hat etwas Verlockendes, stellt er doch eine Rechnung von Positivem und Negativem auf. Das ist in mehrerer Hinsicht problematisch. Zum einen wird der konkrete Schaden (beispielsweise die Bodendegradation) an einem Ort nicht durch mögliche positive Effekte andernorts ausgeglichen. Erst in der übergeordneten Sicht des Wissenschaftlers läßt sich diesbezüglich eine Gleichung aufstellen. Für die Betroffenen vor Ort gilt das nicht. Wer geschädigt ist, bleibt das auch. Eine Bilanz zu ziehen, wonach an anderer Stelle Dorfbewohnern die Landnahme zum Vorteil gereicht, hieße, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Zum anderen ließe sich auf einer grundsätzlicheren Ebene fragen, was eigentlich im Falle einer für positiv erachteten Agrarinvestition geschieht. Müßte man nicht annehmen, daß ein Investor nur dann tätig wird, wenn die Aussicht besteht, daß er Vorteile erwirtschaften kann? Wie sonst sollten jedoch Vorteile realisiert werden, wenn nicht dadurch, daß die eigentlichen Produzenten vor Ort in irgendeiner Form etwas mehr hergeben, als sie erhalten? Wenn also der Wert ihrer Leistung (Arbeit) in Verbindung mit der Bereitstellung von Land erst den höheren Wert der am Ende durch den landwirtschaftlichen Anbau erzeugten Produkte hervorbringt? Soll die neokoloniale, sanfte Landnahme nicht in die gleichen Verhältnisse münden, bei denen die Entwicklungsländer einmal mehr zu bloßen Ressourcenstaaten degradiert werden, kann man sich einer kritischen Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsverhältnissen schwerlich entziehen.


Fußnoten:

[1] "Transnational Land Deals for Agriculture in the Global South. Analytical Report based on the Land Matrix Database", Ward Anseeuw, Mathieu Boche, Thomas Breu, Markus Giger, Jann Lay, Peter Messerli und Kerstin Nolte, Nummer 1: April 2012.
http://www.landcoalition.org/sites/default/files/publication/1254/Analytical%20Report%20Web.pdf

[2] CDE - Centre for Development and Environment, Universität Bern
CIRAD - Centre de coopération internationale en recherche agronomique pour le développement
GIGA - German Institute of Global and Area Studies
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
ILC - Internationale Land Coalition

[3] Weitere Informationen zum Tana-Delta-Konflikt:
"Erfolg für Umweltschützer im Tana-Delta - Zuckerrohrprojekt in Kenia vorläufig gestoppt", REGENWALDREPORT 02/2008
http://www.regenwald.org/regenwaldreport/2008/253/erfolg-fuer-umweltschuetzer-im-tana-delta

AFRIKA/1955: Tana-Delta - Erst Vertreibung, dann Plantagen für Biosprit? (SB), Schattenblick, 14. Mai 2010
http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/afka1955.html

AFRIKA/1783: Kenia verpachtet fruchtbares Land an Qatar (SB), Schattenblick, 13. Januar 2009
http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/afka1783.html

[4] http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/energiestatistiken-grafiken,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf

[5] Weitere Informationen zum Jatropha-Anbau:
ANBAU/136: Jatropha - eine Perspektive für die ländliche Entwicklung in Madagaskar? (Alfons Üllenberg), Schlussfolgerungen nach zwei Jahren der Beobachtung der Aktivitäten im Jatrophasektor in Madagaskar, 27. März 2010, veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010
http://schattenblick.org/infopool/umwelt/landwirt/ulaan136.html

AFRIKA/2005: Umfrage unter Kenias Bauern - Anbau von Jatropha unrentabel (SB), Schattenblick, 3. November 2010
http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/afka2005.html

RESSOURCEN/114: Indien - Zweifel an "Wunderpflanze" Jatropha (SB), Schattenblick, 27. Januar 2010
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umre-114.html

[6] Weitere Informationen zum Addax-Fall:
AFRIKA/2040: Addax Bioenergy in Sierra Leone - Umstrittenes Vorbildprojekt zur Ethanolproduktion (SB), Schattenblick, 18. Juli 2011
http://schattenblick.com/infopool/politik/redakt/afka2040.html

[7] Unter Kohärenz wird in diesem Zusammenhang verstanden, daß sich die politischen Maßnahmen der verschiedenen Institutionen der Europäischen Union nicht behindern, sondern nach Möglichkeit ergänzen. Das Kohärenzgebot ist im EU-Vertrag von Maastricht festgelegt.

[8] "Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security", 9. März 2012
http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/newsroom/docs/VG_en_Final_March_2012.pdf

28. Mai 2012