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BERICHT/157: Quo vadis NATO? - Die Drohnenfront (SB)


"Militärische Drohnen, Killerautomaten und das Recht"

Workshop am 27. April 2013 in Bremen


Drohne am Boden - Foto: © by TKN [CC-BY-SA-2.5. via Wikimedia Commons]

Projekt Euro Hawk abgestürzt
Foto: © by TKN [CC-BY-SA-2.5. via Wikimedia Commons]

Wenngleich der Absturz des Projekts Euro Hawk die Drohnentechnologie in den Fokus allgemeinen Interesses gerückt hat, bleibt die mediale Aufbereitung dieser Thematik doch weit hinter einer substantiellen Analyse oder gar kritischen Reflexion zurück. Es steht im Gegenteil zu befürchten, daß das gebetsmühlenartige Kreisen um einen möglichen Rücktritt des Verteidigungsministers Thomas de Maizière die eigentliche Problematik einer militärisch, geheimdienstlich und polizeilich in Stellung gebrachten Technologie nachhaltig verschleiert und den Ruf nach funktionsfähigen Drohnen und deren Legitimierung nur um so lauter erschallen läßt.

Die Riesendrohne Euro Hawk wäre mit ihrer Reichweite von fast 23.000 Kilometern in der Lage gewesen, mittels Aufklärung den Krieg der westlichen Besatzungsmächte in Afghanistan zu befördern. Von der europäischen Rüstungsfirma Cassidian mit selbstentwickelten Sensoren für die elektronische Signalaufklärung bestückt wäre die Maschine aber auch vorzüglich geeignet gewesen, Radarstrahlungen, Telefongespräche sowie Radio- und Fernsehsendungen zu erfassen. Sie hätte also die Spionage an fernen Kriegsschauplätzen mit der Fähigkeit verbunden, die deutsche Bevölkerung auf bislang unerreichte Weise aus der Luft zu überwachen. Es gibt mithin gute Gründe, das Scheitern des Euro Hawk zu begrüßen. Da er jedoch nicht aufgrund solcher Einwände verhindert wurde, sondern an der fehlenden Zulassung für den deutschen Luftraum gescheitert ist, kann man schwerlich von einem Erfolg im Kampf gegen Drohnen sprechen.

Wie aus einem vertraulichen Abschlußbericht des Bundesamts für Beschaffung der Bundeswehr vom 8. März 2013 hervorgeht, favorisiert das Verteidigungsministerium auf der Suche nach Ersatz für den Euro Hawk zwei Angebote des Herstellers EADS. Nach einer Prüfung von elf möglichen Alternativen kämen derzeit drei Systeme in Frage, darunter die israelische Drohne Heron TP, der bemannte Airbus A319 von EADS sowie eine noch zu entwickelnde EADS-Drohne mit dem Namen "Future European MALE (FEMALE)". Von einem Verzicht der Streitkräfte auf diese Technologie kann also keine Rede sein.

Wenngleich mit dem Euro Hawk Schätzungen zufolge bis zu 600 Millionen Euro Steuergelder verbrannt worden sind und das ehrgeizige Projekt damit einen Spitzenplatz unter den großen Wehrbeschaffungsdesastern der deutschen Nachkriegsgeschichte erobert, kratzt auch dieser Einwand lediglich an der Oberfläche. Hätte alles funktioniert, wären voraussichtlich fünf Global-Hawk-Drohnen des US-Konzerns Northrop Grumman umgebaut und mit Sensoren der EADS-Tochter Cassidian ausgestattet worden, wofür 1,2 Milliarden Euro veranschlagt waren. Auch wurde jüngst bekannt, daß die Bundeswehr seit 2003 exakt 137 unbemannte Flugkörper durch Abstürze und Bruchlandungen verloren hat, wobei der Gesamtschaden auf 109 Millionen Euro beziffert wird.

Sogenannte Skandale um große Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen begleiten die Geschichte der Bundeswehr. Franz Josef Strauß machte Mitte der 50er Jahre mit dem Schützenpanzer HS 30 und wenig später mit dem Starfighter F104 vor, wie man Milliarden verschleudert und Korruptionsvorwürfe abprallen läßt. Um die Jahrtausendwende betrieb die Bundeswehr das ebenso ehrgeizige wie teuere IT-Projekt "Herkules", während die Stückkosten des Eurofighters von 65 Millionen D-Mark im Jahr 1988 auf 138,5 Millionen Euro im Jahr 2012 explodiert sind. Der neue Militärtransporter Airbus A400M liegt weit hinter dem Zeitplan und soll inzwischen nicht mehr 20, sondern 27 Milliarden Euro kosten. Der Hubschrauber Tiger aus der Produktion der deutsch-französischen EADS-Tochter Eurocopter ist ebenfalls wesentlich teurer als geplant und leistet zudem viel weniger als erwartet. Das Raketenabwehrsystem MEADS gilt als verfehltes Großprojekt, und der Mehrzweckhubschrauber vom Typ NH 90 weist gravierende Mängel auf. Diese Kette angeblicher Affären läßt ein Muster erkennen, das sich nicht mit der Forderung nach einem sparsamen und effizienten Kostenmanagement bei der Rüstung aus der Welt schaffen läßt.

Daß Kriegsführung und Spionage im In- und Ausland sündhaft teuer sind, ist für sich genommen eine kurzatmige Kritik, lauert doch hinter der nächsten Ecke schon die Begründung notwendiger Intervention und unverzichtbarer Gefahrenabwehr, deren Finanzierung dann eben für sinnvoll erachtet wird. Solange für überteuert erachtete oder gescheiterte Rüstungsprojekte als Verschwendung gerügt, jedoch Militarisierung und Repression nicht grundsätzlich aus den gesellschaftlichen Verhältnissen hergeleitet und verworfen werden, ist nichts gewonnen außer dem Fortbestand des herrschenden Verwertungsregimes und seiner Akzeptanz.

Das Projekt Euro Hawk wurde Anfang der 2000er Jahre von der rot-grünen Bundesregierung angeschoben, den Vertrag schloß 2007 in der Großen Koalition Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Im Untersuchungsausschuß des Bundestags verteidigte der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) soeben die Bestellung der Aufklärungsdrohne als militärisch notwendig. Die Bundeswehr sei um die Jahrtausendwende auf die sich abzeichnenden neuen Herausforderungen nicht vorbereitet gewesen. Auch Wolfgang Schneiderhan, von 2002 bis 2009 Generalinspekteur der Bundeswehr, wollte von einem grundsätzlichen Fehler nichts wissen, und sein Amtsvorgänger Harald Kujat winkte gar der Politik mit dem Zaunpfahl, die es nicht geschafft habe, die Hindernisse zur Flugzulassung aus dem Weg zu räumen. Wenngleich daher Thomas de Maizières Sessel gehörig wackelt, versiegelt die Konzentration auf seine Person doch das von allen Blockparteien, Militär und Industrie in konzertierter Aktion betriebene Vorhaben der Aufrüstung mit Drohnen nur um so nachhaltiger.

Daß das auch die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr einschließt, ist für alle genannten Beteiligten ausgemachte Sache, auch wenn man jetzt für gewisse Zeit Gras über die Aufregung um den Euro Hawk wachsen lassen muß. Worauf das hinausläuft, mögen jüngst publizierte Recherchen des "Bureau of Investigative Journalism" dokumentieren, denen zufolge seit 2004 zwischen 2.566 und 3.570 Menschen im Drohnenkrieg der amerikanischen Geheimdienste in Pakistan getötet wurden. 411 bis 890 von ihnen seien demnach Zivilisten gewesen. Die im September 2012 veröffentlichte Stanford-Studie "Living Under Drones" kommt zu dem Ergebnis, daß nur zwei Prozent der Drohnenopfer "militärische Anführer" waren. [1]


Militärischer, geheimdienstlicher und polizeilicher Einsatz

Im Rahmen der Konferenz "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" vom 26. bis 28. April 2013 in Bremen befaßte sich die Arbeitsgruppe VI mit dem Thema "Militärische Drohnen, Killerautomaten und das Recht". Unter der Moderation Volker Eicks hielten Prof. Dr. Jutta Weber, Eric Töpfer, Prof. Hans-Joachim Heintze und Andreas Schüller kurze Vorträge zu verschiedenen maßgeblichen Aspekten der Thematik. Dr. Mariane Hornung-Grove von der IALANA aus Kassel hatte die Aufgabe der Rapporteurin des Panels übernommen.

Volker Eick ist Politikwissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind urbane Sicherheitsregimes und Kommerzialisierung von Sicherheit. Er ist Mitglied im Erweiterten Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV).

Wie Volker Eick einleitend umriß, sei der militärische, geheimdienstliche und zunehmend auch polizeiliche Einsatz von unbewaffneten oder bewaffneten Drohnen auf dem Vormarsch. Wenngleich man von tödlichen oder angeblich weniger tödlichen Waffen sprechen könne, handle es sich doch grundsätzlich um ein und dieselbe Technologie. Forschung, Entwicklung, Erprobung und Anwendung robotischer Mechanismen verschränkten sich ungeachtet der jeweils ausgewiesenen Zwecke aufs Engste, weshalb man eine angemessene Analyse und Kritik nur im Gesamtzusammenhang leisten könne. Schon heute sei ein breitgefächertes Arsenal fliegend, schwebend, schwimmend, tauchend, rollend, springend oder kletternd im Einsatz.


Auf dem Weg zu autonomen Drohnen
Referentin stehend beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Jutta Weber
Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Jutta Weber ist Philosophin, Medientheoretikerin und Technikforscherin an der Universität Paderborn. Sie sprach primär über die technischen Aspekte der High-Tech-Kriegsführung vor allem mit Blick auf autonome Drohnen.

Die Referentin wies Drohnen als eine Antwort des Westens auf die zunehmend asymmetrische Kriegsführung aus, da diese Technologie dem Interesse entspringe, dank Informationshoheit die Überlegenheit zu erringen. Ein Zweig dieses Bestrebens repräsentierten die teleoperierten und autonomen Roboter. Luftgestützte Drohnen, denen der propagandistisch genährte Mythos von Präzisionswaffen anhafte, forderten zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung. Grundsätzlich handle es sich um eine vergleichsweise unsichere und fehleranfällige Technologie: So sei etwa ein Drittel aller Predator-Drohnen abgestürzt. Zudem war bis vor wenigen Jahren die Datenübermittlung nicht verschlüsselt, so daß die Datenströme auch von gegnerischen oder außenstehenden Akteuren abgegriffen werden konnten. Drohnen können zudem vom Feind gehackt, darüber zum Absturz gebracht und mit vergleichsweise einfachen Mitteln nachgebaut werden.

Drohnen führten entgegen der ihre Anwendung flankierenden Ideologie nicht zu einer Vermeidung oder Verkürzung von Kriegen, wie beispielsweise der Afghanistankrieg belege. Vielmehr deute vieles darauf hin, daß das Töten aus der Distanz die Hemmschwelle senke und Übereifer beim Verteidigen der eigenen Truppen am Boden zu vermehrten Opfern führe. Drohnen repräsentierten im asymmetrischen Krieg gewissermaßen die Kehrseite des Selbstmordattentäters. Um so wichtiger sei für ihre Betreiber daher die Akzeptanzbeschaffung mittels der Rhetorik einer angeblich sauberen und legitimen Kriegsführung. Zudem zeichne sich längst eine Rüstungsspirale ab, die mit der Proliferation wie auch der Umgehung von Rüstungsabkommen zu tun habe.

Wie die Referentin weiter ausführte, spreche einiges dafür, daß bereits autonome Waffensysteme existieren, doch sei es relativ schwierig, das definitiv nachzuweisen. Da diese Roboter bislang nicht zwischen Soldaten und Zivilisten unterscheiden können, werde wenig darüber offengelegt. Sie wiesen die oben genannten Schwächen teleoperierter Systeme insofern nicht auf, weil keine Datenübertragung mehr erforderlich ist. Allerdings sei bereits bei den existierenden Systemen eine exakte Identifizierung bestimmter Zielpersonen kaum möglich, da deren Identität zumeist nur anhand verschiedener Merkmale beschrieben wird, die auch auf viele andere Personen zutreffen. Die Übertragung auf eine automatisierte Maschine sei zwangsläufig noch problematischer, weshalb heute niemand ernsthaft behaupte, daß eine präzise Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten möglich sei. Dennoch träumten Forscher davon, sogar eine ethische Software für Drohnen zu entwickeln, um deren Einsatz zu legitimieren.

Diverse Friedensbewegungen engagierten sich für einen generellen Bann von Drohnen oder zumindest von autonomen Systemen. Um diese Unterscheidung zu rechtfertigen, falle oft das Argument, daß die Proliferation schon zu weit fortgeschritten sei, um ein allgemeines Verbot durchzusetzen. Jetzt sei jedoch der geeignete Zeitpunkt gekommen, zumindest die automatischen Maschinen zu verhindern.


Meilensteine bei der Herausbildung eines zivilen Marktes
Referent sitzend beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Eric Töpfer
Foto: © 2013 by Schattenblick

Eric Töpfer ist Politikwissenschaftler am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. Sein Vortrag konzentrierte sich auf die Akteure, Strategien und Meilensteine einer Entwicklung im Drohnenbereich, die auf die Herausbildung eines deutschen Marktes zielen.

Der Referent unterstrich eingangs den Zusammenhang zwischen militärischem Drohneneinsatz und jenem im Innern. Im Weißbuch 2006 zur Bundeswehr wurde eine Aufklärungsfähigkeit durch unbemannte Luftfahrzeuge gefordert. In der Gemeinsamen Erklärung zur wehrtechnischen Kernfähigkeit des Verteidigungsministeriums und der deutschen Rüstungsindustrie von 2007 werden Drohnen explizit genannt. Allerdings stelle sich für die Protagonisten dieser Entwicklung das Problem, daß das Militär trotz der hohen Entwicklungskosten nur geringe Stückzahlen abnimmt. Daher war man bestrebt, gemeinsam einen Markt für Drohnen zu entwickeln. So sagte das Ministerium den Herstellern zu, sie beim Export ihrer Produkte zu unterstützen. Eine Expansion auf dem heimischen Markt erwies sich jedoch als schwierig, da der Einsatz im zivilen Luftraum problematisch und nur als absolute Ausnahme zugelassen ist. Diese Innovationsbarriere soll beseitigt werden, führte Töpfer aus.

Schon 2002 hatte die EU ihre StAR 21-Initiative vorgelegt, deren Ziel es war, ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und sicherheitspolitische Unabhängigkeit zu befördern. Vor dem Hintergrund des Kosovo-Krieges, bei dem Drohnen verschiedener NATO-Staaten erstmals Bilder von den Schlachtfeldern lieferten, wurden eigenständige europäische Kapazitäten gefordert. Bereits 2001 hatte sich der israelische Rüstungskonzern Israel Aerospace Industries, der unter anderem die Drohnen Heron und Hunter herstellt, auch im Rahmen ziviler Nutzungsvisionen der EU engagiert. Die EU-Kommission investierte bis 2005 fast 5 Millionen Euro in die Drohnenforschung. 2005/2006 legten mehrere Sonderforschungsprojekte eine gemeinsame Erklärung "25 Nationen für einen Durchbruch im Luftraum" vor. Zwar blieb eine Förderung seitens der EU-Kommission aus, doch wirken die Blaupausen für einen Übertrag ins Zivile bis heute fort. Entscheidende Verstärkung brachte die Vereinigung Euro UVS, die inzwischen UVS International heißt. Der Vorstand des Verbands wird von Großkonzernen wie der EADS-Rüstungstochter Cassidian, Thales, Boeing, Honeywell und der israelischen Rüstungsfirma Elbit Systems dominiert. Zentrales Ziel ist die Zulassung von Drohnen für den zivilen Luftraum. 150 beitragzahlende Firmenmitglieder und 109 sogenannte Ehrenmitglieder, vor allem Vertreter von Militär, Verteidigungsministerium sowie Luftfahrtbehörden bilden ein Netzwerk, das auch jenseits offizieller Beziehungen tätig wird.

Erster Erfolg war die Einrichtung einer gemeinsamen UAV Taskforce durch die Luftaufsichtsbehörden, deren Mitglieder zu über der Hälfte aus der Industrie kamen. Der 2004 vorgelegte Abschlußbericht gilt bis heute als Referenzdokument, das die maßgeblichen rechtlichen und technischen Baustellen aus Sicht der Drohnenlobby umreißt. Es geht um die Flugtauglichkeit und deren Zertifizierung, die Ausbildung und Lizensierung von Piloten, den Schutz der Kommunikation und die Reorganisation des Luftraummanagements. Eine maßgebliche Rolle für die weitere Entwicklung spielte die 2004 gegründete European Defence Agency (EDA). Drohnen gelten als Schlüsselelement der militarisierten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem Zusammenhang geht es der EDA zum einen um den Einsatz taktischer Drohnen wie Kleinhubschrauber, die gemeinsam mit der Grenzschutzorganisation Frontex zur maritimen Überwachung eingesetzt werden, zum andern um Infantrieeinsätze im Rahmen europäischer Militäroperationen. Parallel dazu fördert die Europäische Verteidigungsagentur ebenfalls Forschungsprojekte zur Drohnentechnologie.

Die zivil-militärischen Synergien gehen noch weiter: Anfang Juli 2010 organisierte die EU-Kommission gemeinsam mit der EVA eine Konferenz, bei der es um eine Koordination der Forschungspolitik ging. Bis zum Frühjahr 2012 arbeiteten verschiedene Workshops, die die Kommission mit den nötigen Informationen versorgen sollten, um Zukunftsstrategien für die europäische Drohnenpolitik zu entwickeln. Im Abschlußdokument vom September 2012 wird der neue Begriff Remotely Piloted Aircraft Systems (RPAS) verwendet, um von dem negativ besetzten Begriff Drohnen wegzukommen. Ziel ist es, bis 2016 eine integrierte Nutzung von Drohnen im zivilen Luftraum zu erreichen. Man verweist auf die europäische Datenschutzrichtlinie, die auch für die Drohnen gelte, doch gilt diese Richtlinie nicht für die Polizei, die Sache der Mitgliedsstaaten sei. Die Bundesregierung antwortete 2012 auf eine Kleine Anfrage, der Drohneneinsatz der Polizeien bei Versammlungen sei Ländersache. Die Verantwortung wird also immer weiter delegiert, so daß man von einer organisierten Verantwortungslosigkeit im Datenschutz sprechen könnte, schloß der Referent seinen Vortrag.


Drohneneinsatz im Kontext des Humanitären Völkerrechts

Prof. Hans-Joachim Heintze lehrt und forscht am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhruniversität in Bochum. Er sprach zum Humanitären Völkerrecht und dem Einsatz militärischer Drohnen und unterbreitete Vorschläge zur Wiederherstellung des Rechts.

Um ein verbreitetes Mißverständnis auszuräumen, hob der Referent zunächst hervor, daß das Humanitäre Völkerrecht weder Kriege verhindere, noch den Frieden sichere. Es handle sich vielmehr um ein Notrecht, das im Krieg zur Anwendung kommt. Es gilt einerseits dessen potentiellen Opfern, die nicht von ihm erreicht werden sollen, und andererseits in Gestalt des Haager Rechts der Kriegsführung. Demnach dürfen nur die feindlichen Streitkräfte angegriffen werden, wobei es gilt, überflüssige Leiden zu verhindern. Daraus resultieren Verbote bestimmter Waffen. Auf Drohnen komme das Humanitäre Völkerrecht jedoch nicht zur Anwendung, weil die CIA erstens kein Teil der Streitkräfte ist und sich die USA zweitens nicht mit Pakistan oder dem Jemen im Kriegszustand befinden, so Prof. Heintze.

Er charakterisierte Drohnen als eine neue Form des Aufklärungs- und Angriffsmittels. Dabei müsse im ersten Schritt geprüft werden, ob diese Waffe dem Kriegsvölkerrecht im Sinne des Art. 36 des ersten Zusatzprotokolls zu dem Genfer Abkommen entspricht. Dazu existierten zwei konträre Auffassungen: Laut der einen Auffassung handelt es sich um keine Waffe, sondern ein militärisches Luftfahrzeug. Hingegen faßt die andere Auffassung Drohnen als Teil eines Waffensystems auf, was die überzeugendere Bewertung sei, wenn man beispielsweise an Bomber denke.

Im bewaffneten Konflikt müsse sichergestellt werden, daß nur militärische Ziele angegriffen werden. Um Kollateralschäden so klein wie möglich zu halten, ist die militärische Führung verpflichtet, Aufklärung zu betreiben. Daraus könnte man ableiten, daß hochentwickelte Staaten mit Drohnen aufklären müssen, was einen Zweiklassenkrieg zur Folge hätte. Es besteht die Verpflichtung, einen Angriff sofort abzubrechen, wenn zivile Opfer zu befürchten sind. Dafür ist ständiger Kontakt zur Drohne erforderlich.

Heimtücke ist laut Kriegsvölkerrecht verboten, treffe aber auf Drohnen auch nicht zu. Juristisch problematisch sei insbesondere, wie das Schlachtfeld zu definieren ist. Wenn Drohnen aus einer Tausende Kilometer entfernten Zentrale gelenkt werden, wird diese auch zum militärischen Ziel. Akzeptiert man die Drohnennutzung, kommt es folglich zu einer Ausdehnung der Anwendung des Kriegsvölkerrechts. Wird auch noch der Weltraum einbezogen, widerspricht das dessen Festlegung als Sphäre ziviler Nutzung. Fallen Drohnen in die Hände privater Akteure, nehmen Zivilisten an der Kriegsführung teil, was die Entuferung komplett mache.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat in der Kontroverse um den Status von Kombattanten und Zivilisten die Auffassung vertreten, daß beispielsweise ein Afghane, der nachts als Taliban kämpft, in dieser Zeit ein Kombattant sei. Bestellt er jedoch tagsüber sein Feld, sei er ein Zivilist. Dagegen sind zahlreiche westliche Staaten Sturm gelaufen, die sich bei Wahrung dieser Unterscheidung an ihrer Kriegsführung gehindert sähen.


Kaum Rechtsschutz für die Opfer von Drohnenangriffen
Referent stehend beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Andreas Schüller
Foto: © 2013 by Schattenblick

Andreas Schüller hat sich auf Völkerstrafrecht spezialisiert und arbeitet am European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin. Er befaßt sich dort mit Völkerstraftaten und der rechtlichen Verantwortung. In seinem Beitrag erörterte er Rechtsschutzmöglichkeiten für Opfer, Angehörige und deren Heimatstaaten in Zusammenhang mit Drohnenangriffen.

Der Referent stellte seine Einschätzung voran, wonach ein möglicher Rechtsschutz derart erschwert werde, daß man dessen Möglichkeiten sehr skeptisch bewerten müsse. Die USA reklamierten einen globalen Krieg gegen den Terror, bei dem sie weder das Kriegsvölkerrecht gelten lassen, noch von einer Polizeiaktion ausgehen. Umstritten sind insbesondere das Konzept des feindlichen Kämpfers, der außerhalb des Rechts steht, und die Definition, was legitime militärische Ziele seien. Ist jeder Mann, der eine Waffe trägt, automatisch ein legitimes Ziel, obgleich in der betreffenden Region fast jeder traditionell eine Waffe mit sich führt? Es handle sich also um den Versuch, mit Hilfe von Sonderrechten bislang geltendes Recht einzuschränken, so der Referent. Gehe man davon aus, daß in Pakistan kein bewaffneter Konflikt herrscht, dürfe tödliche Gewalt nur in Notwehr eingesetzt werden, was in den vorliegenden Fällen nicht zutrifft. Daher wäre jeder Angriff in Pakistan an sich schon rechtswidrig.

Auf welche Weise kann man Rechtsschutz in Anspruch nehmen? Die Betroffenen könnten in Pakistan, in den USA oder unter Umständen auch vor europäischen Gerichten ihre Interessen geltend machen. Schon hinsichtlich der Frage, wer die Fakten beisteuern muß, fangen die Probleme an. Wer die Drohnen gesteuert hat, weiß man nur in den USA, und dort bekommt man keine Informationen, weil das nationale Sicherheitsinteresse vorgehalten wird oder es rein außenpolitische Fragen betrifft und deshalb rechtliche Verfahren ausgeschlossen sind. Es sei im Grunde eine politische Argumentation, wann man sich dort auf die nationale Sicherheit beruft und damit rechtliche Schritte erschweren oder unmöglich machen kann.

Hinzu kommen zwischenstaatliche Probleme. Aus dem Grundsatz der staatlichen Souveränität leitet sich eine Staatenimmunität ab. So kann ein Betroffener nicht in Pakistan die USA verklagen, weil pakistanische Gerichte dazu nicht befugt sind. Würde dennoch ermittelt, müßte man ein Rechtshilfeersuchen an die USA richten, um Informationen zu bekommen. Die USA müssen diese jedoch nicht beantworten und tun das im Regelfall auch nicht. Man kann auch nicht in die USA reisen und dort selbst Ermittlungen anstellen. Auf internationaler Ebene gibt es keine Gerichte, die über eine entsprechende Zuständigkeit verfügen. Man kann zwar zwischenstaatliche Beschwerden vor den Internationalen Gerichtshof oder auch verschiedene UN-Ausschüsse bringen, aber zumeist nur, wenn dem beide Staaten in irgendeiner Form zustimmen oder wenn es in Verträgen vorgesehen ist. Daher sind auch die internationalen Mechanismen im Grunde nicht anrufbar.

Man stößt in diesem Zusammenhang allenthalben auf Geheimhaltung hinsichtlich der Entscheidungsgrundlagen, Entscheidungsfindung und Durchführung von Angriffen, woran auch europäische Staaten teilhaben, die Informationen über Terrorverdächtige an die USA übermitteln. Auch das Parlament kommt an diese Informationen nicht heran. Zudem fehlt der Zugang zu Tatorten, weil es sich etwa im Falle Nordwasiristans um eine selbstverwaltete Region handelt, in der auch der pakistanische Staat nicht ohne weiteres ermitteln kann. Die dort lebenden Stämme pflegen ihre Streitigkeiten ohnehin mündlich auszuhandeln und nicht mittels forensischer Ermittlungen zu klären.

Trotz dieser enormen Schwierigkeiten seien einige juristische Verfahren mit dem Ziel eines Rechtsschutzes in den USA, in Pakistan, in Britannien und in Deutschland eingeleitet worden, die jedoch größtenteils gescheitert sind. In den USA wurden verwaltungsrechtliche Verfahren mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um rein außenpolitische Fragen. Eine Amtshaftungsklage wegen der Tötung dreier amerikanischer Staatsbürger ist noch anhängig. Informationsauskunftsersuchen sind bislang fruchtlos geblieben, da nationale Sicherheit vorgehalten wurde. In Pakistan wurde eine Strafanzeige gestellt, doch kann man dort weder im eigenen Land, noch in den USA angemessen ermitteln. In Deutschland ist ebenfalls ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, weil es auch deutsche Opfer gibt, doch stellen sich ähnliche Probleme wie in Pakistan.

Das Paradigma der USA, es handle sich um einen Krieg gegen den Terror, habe dazu geführt, daß im Grunde jeder angegriffen werden kann. Der Referent charakterisierte dies als einen permanenten Ausnahmezustand, in dem grundlegende Rechte und die Gewaltenteilung eingeschränkt sind. Die Aufhebung der Trennung von Krieg, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, also von Militär, Geheimdiensten und Polizei, durchkreuze jeden Versuch, Rechtsschutz zu erwirken. Wer unter Terrorismusvorwurf gestellt werde, könne sich nicht dagegen wehren. So hätten betroffene Zivilisten keine Möglichkeiten, ihre Rechte einzuklagen. Eine direkte Hilfe für die Betroffenen sei daher weitgehend ausgeschlossen, weshalb eine übergreifende Zusammenarbeit nicht auf der juristischen, sondern allenfalls auf der politischen Ebene etwas bewirken könnte, so die Einschätzung Andreas Schüllers.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/pakistan-staatlicher-geheimreport-ueber-zahl-ziviler-drohnenopfer-12291219.html


Bisherige Beiträge zum Kongreß "Quo vadis NATO?" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/148: Quo vadis NATO? - sowohl als auch ... (SB)
BERICHT/149: Quo vadis NATO? - gedehntes Recht und Kriege (SB)
BERICHT/150: Quo vadis NATO ... Schluß damit! (SB)
BERICHT/152: Quo vadis NATO? - Wandel der Feindschaften? (SB)
BERICHT/153: Quo vadis NATO? - Abgründe der Kriegsrechtfertigung(SB)
BERICHT/154: Quo vadis NATO? - Das Auge der Wahrheit (SB)
BERICHT/156: Quo vadis NATO? - vorbei am Grundgesetz (SB)
INTERVIEW/166: Quo vadis NATO? - Handgemacht und kompliziert (SB)
INTERVIEW/167: Quo vadis NATO? - Zügel für den Kriegseinsatz - Gespräch mit Otto Jäckel (SB)
INTERVIEW/168: Quo vadis NATO? - Interventionsgefahren (SB)
INTERVIEW/169: Quo vadis NATO? - Desaster der Mittel - Hans-Christof Graf von Sponeck im Gespräch (SB)
INTERVIEW/170: Quo vadis NATO? - Was keiner wissen will - Bernhard Docke im Gespräch (SB)
INTERVIEW/171: Quo vadis NATO? - Hegemonialschaft USA - Nikolay V. Korchunov im Gespräch (SB)
INTERVIEW/172: Quo vadis NATO? - Der Friedensstandpunkt - Gespräch mit Eugen Drewermann (SB)
INTERVIEW/174: Quo vadis NATO? - Hegemonialmißbrauch, Hauke Ritz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/176: Quo vadis NATO? - Empire exklusiv - Bill Bowring im Gespräch (SB)
INTERVIEW/177: Quo vadis NATO? - Aufklärungsmangel und Demokratiemüdigkeit - Jörg Becker im Gespräch (SB)
INTERVIEW/178: Quo vadis NATO? - Recht bleibt Recht - Karim Popal im Gespräch (SB)
INTERVIEW/179: Quo vadis NATO? - Kriegsvorwände, Tobias Pflüger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/180: Quo vadis NATO? - Trümmerrecht und Pyrrhussiege, Prof. Dr. Werner Ruf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/181: Quo vadis NATO? - Cyberwar, Wissenschaftsethik, Chancen, Prof. Dr. Hans-Jörg Kreowski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/183: Quo vadis NATO? - Wege zum Anstandsmilitär, Dr. Thomas Henne im Gespräch (SB)
INTERVIEW/184: Quo vadis NATO? - Blinde Kriege, Volker Eick im Gespräch (SB)


29. Juli 2013