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BERICHT/187: NYC Climate Convergence - Taktisch ermüdet... (SB)


Klimakonferenz und -proteste am 22. September in New York

Globalisierungsgegner kommen gegen die High Society nicht an



Der große Klimagipfel, zu dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Ende September in New York anläßlich der diesjährigen Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeladen hatte, stand voll im Spannungsfeld zwischen den Globalisierungskritikern, die im kapitalistischen System die Hauptursache für Erderwärmung, Umweltzerstörung und Meeresanstieg sehen, und der internationalen Führung aus Politik und Wirtschaft, die den Anschein erweckt, als könne sie mit innovativen Technologien und Marktwirtschaft die Welt vor dem Untergang retten - notfalls unter dem umstrittenen Einsatz von Geoengineering. Am Sonntag, dem 21. September, haben beide Seiten das Kriegsbeil begraben und so gemeinsam den People's Climate March mit mehr als 400.000 Teilnehmern allein in Manhattan und zahlreichen Parallelumzügen in zahlreichen Ländern zu einem großen Erfolg gemacht. Am 22. September, dem ersten Tag von Bans Klimawoche und einem Tag vor dem eigentlichen Beginn der Generalversammlung im UN-Hauptquartier am East River, standen sich die Nutznießer und Leidtragenden der Globalisierung wieder unversöhnlich gegenüber.

Polizeiautos vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Höchste Alarmstufe am East River
Foto: © 2014 by Schattenblick

Ban und die Climate Group, eine industriefreundliche Nicht-Regierungsorganisation, die seit zehn Jahren mit zahlreichen Staaten und Großkonzernen diverse Projekte im Bereich des sogenannten nachhaltigen Wirtschaftens verfolgt, haben nur ausgewählte Personen zu der eintägigen Konferenz mit der Zielsetzung "Toward A Vibrant, Low Carbon Economy" in die edlen Räumlichkeiten der Morgan Library & Museum - einst Privatbibliothek des Räuberbarons J. P. Morgan - an der Ecke Madison Avenue/36th Street geladen. Weil die Tagesordnung des Treffens einen aufschlußreichen Einblick in das Selbstverständnis des erlauchten Teilnehmerkreises bietet, wird sie hier in aller Ausführlichkeit wiedergegeben.

Neoklassischer Eingang samt Marmorfassade und palladianischem Bogen der einstigen Privatbibliothek J. P. Morgans - Foto: © 2014 by Schattenblick

Das McKim-Gebäude, der älteste Teil der Morgan Library an der 36th Street
Foto: © 2014 by Schattenblick

10.00-10.06 - Begrüßung durch Mark Kenber, Vorstandsvorsitzender von The Climate Group, und Paul Simpson, Vorstandsvorsitzender von CDP (das einst Carbon Disclosure Project hieß).

10.07-10.08 - Einleitende Worte von Stephen A. Cheney, ehemaliger Brigadegeneral der US-Marineinfanterie, heute Vorstandsvorsitzender der Washingtoner Denkfabrik American Security Project (ASP).

10.10-10.20 - Eröffnungsrede von US-Außenminister John Kerry.

10.23-11.00 - "Leaders Vision for a Low Carbon Economy" mit Christina Figueres, Exekutivsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, Philip K. Ryan, Vorsitzender der Swiss Re America Holding Company, Dr. Ray Johnson, Vizepräsident und Senior Technology Officer bei Lockheed Martin, Gabi Zedlmayer, Chief Progress Officer bei Hewlett-Packard, Robert Rubin, Kovorsitzender des Council on Foreign Relations (CFR) und Ex-US-Finanzminister, Philipe Couillard, Premierminister von Québec, und Laurent Fabius, Außenminister Frankreichs.

11.00-11.10 - "Catalyzing Action: UN Climate Summit" mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Weltbank-Präsident Jim Yong Kim.

11.10-11.30 - "Climate Conversation: Redefining the Role of Business in Society" mit Mary Robinson, ehemalige Präsidentin Irlands und heute UN-Sondergesandte für den Klimawandel, Sir Richard Branson, Vorstandsvorsitzender und Gründer des britischen Mischkonzerns Virgin Group, Paul Polman, Vorstandsvorsitzender von Unilever, und Friedensnobelpreisträger Mohammad Yunus aus Bangladesch.

Vorderansicht der New York Stock Exchange an der Broad Street - Foto: © 2014 by Schattenblick

Erderwärmung, na und? Hauptsache die Aktien steigen!
Foto: © 2014 by Schattenblick

11.30-11-50 - Pause.

11.50-12.00 - "Launch Announcement" (heißt Bekanntgabe der "ambitionierten Kampagne" RE100, im Rahmen derer sich internationale Konzerne verpflichten wollen, 100 Prozent ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen zu beziehen), mit Philip K. Ryan, Vorsitzender der Swiss Re America Holding Company, Steve Howard, Chief Sustainability Officer beim schwedischen Möbelhaus IKEA, Kevin Rabinovich, Global Director of Sustainability beim Lebensmitteluntermehmen Mars Inc., und Ben Ferrari, Director of Corporate Partnerships bei The Climate Group.

12.00-13.00 - "Global Solutions - We Mean Business" - Vorstellung freiwilliger Bemühungen und Pläne verschiedener Großkonzerne in Richtung Nachhaltigkeit, der CO2-Ausstoß-Reduzierung und erneuerbarer Energien mit Christina Figueres, Exekutivsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, Tim Cook, Vorstandsvorsitzender von Apple, Peter Agnefjäll, Präsident und Vorstandsvorsitzender von IKEA, Aron Cramer, Vorstandsvorsitzender von Business for Social Responsibility (BSR), Peter Bakker, Präsident und Vorstandsvorsitzender des World Business Council for Sustainable Development, und Edward Roston, Sustainability Editor bei Bloomberg.

13.00-14.20 - Mittagessen: "Smart Climate Finance: Bijli - Clean Energy for All"; heißt beim "Networking Lunch" (sic) sollten die Anwesenden über ein Modell der billigen Solarenergieversorgung aus Indien informiert werden, mit Krishnan Pallasandra, India Director bei The Climate Group, Marieke Van Shaik, Managing Director der Dutch Postcode Lottery und Namita Vikas, Senior President & Country Head, Responsible Banking, YES Bank.

14.30-15.30 - "Global Solutions - Subnational Leadership and Innovation" mit Peter Shumlin, Gouverneur des US-Bundesstaates Vermont, Québecs Premier Philippe Couillard, Eduardo Paes, Bürgermeister von Rio de Janeiro, Frank Jensen, Bürgermeister Kopenhagens, und als Moderator Dan Esty, Professor für Umweltrecht und -politik an der Universität Yale.

15.30-15.50 - "Climate Conversation - Innovation" mit Niall Dunne, Chief Sustainability Officer bei BT (früher British Telecom), Andrew Shapiro, Gründer und Partner von Broadscale Group und Gründer von Green Order und GO Ventures, und moderiert von Silda Wall von NewWorld Capital Group.

15.50-16.30 - "Climate Conversation - National Security and Climate Change" mit US-Brigadegeneral a. D. Stephen A. Cheney, General a. D. Muniruzzaman aus Bangladesch, Konteradmiral Neil Morisetti aus Großbritannien und moderiert von Kathleen Frangione, Executive Vice-President beim Beratungsunternehmen McBee Strategic.

Streifenwagen des NYPD vor dem Eingang der New Yorker Börse - Foto: © 2014 by Schattenblick

Finanzgeschäfte wollen gut abgesichert sein
Foto: © 2014 by Schattenblick

16.35-16.45 - Abschlußreden von Manual Pulgar-Vidal, Umweltminister Perus und UNFCCC-COP20-Präsident, und - in der Videoübertragung - vom britischen Thronfolger His Royal Highness Charles, Prince of Wales.

16.45-16.55 - Abschiedsworte von Mark Kenber, Vorstandsvorsitzender von The Climate Group, und Paul Simpson, Vorstandsvorsitzender von CDP.

Wer sich darauf verläßt, daß die High Society den Kilmawandel stoppen wird, soll sich nicht wundern, wenn sich eher früher als später die wohlmeinenden Versprechen und Ankündigungen als hohl bzw. vollkommen unzureichend erweisen. Nehmen wir zum Beispiel die Anwesenheit von Aron Cramer, dem Vorstandsvorsitzenden von Business for Social Responsibility, bei der Diskussion "Global Solutions - We Mean Business". Auf der eigenen Website lautet BSRs Unternehmensleitbild wie folgt: sie stelle "Informationen, Werkzeuge, Training und Beratungsdienste zur Verfügung, um unternehmerische Gesellschaftsverantwortung zu einem integralen Teil geschäftlicher Tätigkeiten und Strategien zu machen". Weniger verklausuliert ausgedrückt verbirgt sich hinter BSR nichts weiter als eine PR-Bude für das internationale Großkapital mit der Zielsetzung, wohlklingende Platitüden medienwirksam zu plazieren. Zum langen Kundenstamm von BSR gehört unter anderem Barrick Gold, der größte Goldbergbaukonzern der Welt aus Kanada, der 22 Großminen auf fünf Kontinenten betreibt und dabei Umweltzerstörung in einem unvorstellbaren Ausmaß verursacht.

Die Broad Street - ein Meer an Barrikaden und Polizisten - Foto: © 2014 by Schattenblick

Homeland Security 2014 - Lieber zuviel Polizei als zu wenig...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Es spricht natürlich Bände, daß in der Morgan Library & Museum noch vor der Klimatagung, und zwar von 8.00 bis 9.20 Uhr, ein exklusiver "Carbon Pricing Roundtable" zusammenkam, wo ausgewählte, namentlich nicht identifizierte Vertreter der Großkonzerne und -banken kartellähnliche Absprachen über die weitere Preisfestsetzung beim CO2-Emissionshandel berieten und vermutlich auch trafen. Wie wenig effektiv sich dieser "Marktmechanismus" - im Sinne des Umweltschutzes und nicht des Geldscheffelns - bisher erwiesen hat, zeigen die alarmierenden Ergebnisse einer am 21. September in der Zeitschrift Nature Geoscience veröffentlichten Studie. Demnach ist der CO2-Anteil in der Atmosphäre 2013 im Vergleich zu 2012 um 2,3 Prozent angestiegen und lag damit nicht nur 43 Prozent höher als zu Beginn der industriellen Revolution um 1750, sondern höher als zu jedem anderen Zeitpunkt der vergangenen 800.000 Jahre.

Ende des kurzen Flood-Wall-Street-Marsches in Häuserschlucht des New Yorker Finanzdistrikts - Foto: © 2014 by Schattenblick

Polizei führt Globalisierungsgegner in die Sackgasse
Foto: © 2014 by Schattenblick

Während es sich die Vertreter des 1% im prunkvollen Morgan-Bau in der Midtown von Manhattan gutgehen ließen und sich gegenseitig umschmeichelten, versammelten sich die Kapitalismusgegner an der Südspitze der Insel zu der Aktion "Flood Wall Street". In Anlehnung an den Tropensturm Sandy, der 2012 entlang der US-Atlantikküste Schäden im Wert von mehr als zwei Milliarden Dollar verursacht und Teile von New York unter Wasser gesetzt hatte, sollte die Menschenmenge die Wall Street "überfluten" und den Betrieb der wichtigsten Börse der Welt stören, wenn nicht sogar lahmlegen. Man traf sich um 9.00 Uhr im Battery Park zum gemeinsamen Frühstück. Dort, wo sich der Hudson und der East River treffen, hielten die Globalisierungsgegnerin Naomi Klein und der ehemalige New-York-Times-Kriegskorrespondent Chris Hedges, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum Systemkritiker entwickelt hat, feurige Reden. Ab 11.00 fand gewaltfreies Training zur direkten Aktion statt. Um 12.00 brachen die rund 500 Demonstranten Richtung Wall Street auf.

Plakattragende Flood-Wall-Street-Aktivisten hinter Absperrungen am Broadway - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ausgelassene Atmosphäre am Bowling Green
Foto: © 2014 by Schattenblick

Sehr weit sind die Protestierer jedoch nicht gekommen, denn die Polizei hatte sich auf die Herausforderung bestens vorbereitet. Rund um die New Yorker Börse, deren Eingang und Vorderseite eigentlich zur Broad Street und nicht zur Wall Street weisen, hatten die städtischen Behörden unzählige Metallsperren aufgestellt. An der Ecke jeder Zufahrtsstraße gab es Kontrollpunkte. Einfache Touristen wurden von den Ordnungshütern einfach durchgewunken; jeder, der wie ein potentieller Ruhestörer aussah, wurde kontrolliert und gegebenenfalls nicht in das abgesperrte Gebiet hineingelassen. Mehrere Blocks um die Börse herum war der normale Auto- und Zuliefererverkehr ausgesetzt. Überall parkten Fahrzeuge des NYPD - unzählige Streifen- und Mannschaftswagen sowie vereinzelte mobile Kommandozentralen.

Plakatbild mit riesigem Tsunami, der die New Yorker Börse überschwemmt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Mit Fantasie gegen Kapitalismus
Foto: © 2014 by Schattenblick

Von Dutzenden Polizeibeamten begleitet, gelangten die Protestler nur 100 Meter vom Battery Park den Broadway hoch in nördlicher Richtung, bis sie auf der Höhe der Morris Street zum Stehen gebracht wurden. Auf dieser Kreuzung in unmittelbarer Nähe des Bowling Green, zwei Blocks westlich und drei Blocks südlich der Börse, fand die eigentliche Demonstration statt.

Ein Polizeibeamter beobachtet die Demonstranten mit ihren zahlreichen Transparenten - Foto: © 2014 by Schattenblick

Sitzblockade rituell
Foto: © 2014 by Schattenblick

Es wurden Parolen wie "We are unstoppable - Another world is possible" skandiert. Einzelne Teilnehmer hielten kurze Reden, die nach Art der Occupy-Bewegung vorgetragen wurden. Das heißt, der Sprecher sprach einen Satz und legte danach eine kurze Pause ein, damit die Organisatoren der Aktion, die in der Menge strategisch verteilt waren, seine Worte wiederholen konnten. Von allen Beteiligten, auch von den weiter entfernten, wurden sie dann wie ein Echo lautstark nachgesagt. Dadurch entstand ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Mehr geschah nicht. Nach rund anderthalb Stunden löste sich die Protestaktion wieder auf. Für das Polizeigroßaufgebot bestand kein Anlaß mehr.

Sitzende Demonstranten tragen den Ruf eines der ihren weiter - Foto: © 2014 by Schattenblick

Sprechgesang nach Art der Occupy-Bewegung
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die relative Erfolglosigkeit von Flood Wall Street - außer daß alle ihren Spaß hatten und niemand verletzt oder verhaftet wurde - gibt zu denken. Bis auf die Absperrungen und die verstärkte Polizeipräsenz dürften die Händler an der New Yorker Börse von dem Geschehen nichts mitbekommen haben. Und selbst wenn, spielte es keine Rolle, denn bei ihnen handelte es sich ohnehin nur um relativ kleine Fische in der Nahrungskette des Finanzkapitals. Von daher wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, wenn die Initiatoren von Flood Wall Street statt der Börse die neofeudale Konferenz der Technokraten in der Morgan Library & Museum zu stürmen bzw. zu stören versucht hätten. Die kanadische Friedensforscherin Tamara Lorincz, die rechtzeitig zum Klimagipfel die Studie "Demilitarization for Deep Decarbonization" fertigstellte und darin die Umweltsünden der Rüstungsindustrie anprangerte, hatte nämlich genau dies getan. Ab zehn Uhr an jenem Tag stand sie allein mit ihrem Plakat vor dem Madison-Avenue-Eingang der Morgan-Bibliothek, kritisierte lautstark die Beteiligung von Lockheed Martin und US-Brigadegeneral a. D. Stephen Cheney an der Konferenz und appellierte an das Gewissen der Teilnehmer, als diese das Gebäude betraten. Da hätte Lorincz gut die Unterstützung mehrerer hundert Gleichgesinnter gebrauchen können. Überdies hätte die Anwesenheit einer größeren Protestgruppe vor der Klimakonferenz der Reichen und Mächtigen wesentlich medien- und öffentlichkeitswirksamer die Frage aufgeworfen, ob hier nicht einfach eine Alibiveranstaltung abgehalten werde.

Tamara Lorincz allein vor dem Madison-Avenue-Eingang der Pierpont Morgan Library - Foto: © 2014 by Schattenblick

Sicherheitspersonal behält die potentielle Ruhestörerin im Blick
Foto: © 2014 by Schattenblick


Bisherige Beiträge zum New Yorker Klimagipfel im Schattenblick unter
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BERICHT/185: NYC Climate Convergence - Treffen der Streitbaren ... (SB)
BERICHT/186: NYC Climate Convergence - Umwelt- und Sozialfragen eine Fracht ... (SB)

11. Oktober 2014