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BERICHT/192: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (1) (SB)


Kolonialistische Herrschaft - unabgegolten und unterschätzt

Die kapitalistische Moderne herausfordern II - Konferenz an der Universität Hamburg, 3. bis 5. April 2015


"Die kapitalistische Moderne sezieren" - um Alternativen zur herrschenden Gesellschafts- und Verwertungsordnung zu entwickeln, bedarf es zunächst einer gründlichen Analyse ihrer materiellen und historischen Voraussetzungen. Dies stand auf der zweiten Konferenz des Networks For An Alternative Quest am Anfang des umfangreichen dreitägigen Programms. Um dem Anspruch, gesellschaftliche Alternativen im Rahmen des demokratischen Konföderalismus aufzubauen, waren wie schon bei der ersten Konferenz vor drei Jahren zahlreiche Gäste aus aller Welt geladen.

In der ersten Session trug Radha D'Souza diesem Vorhaben ausdrücklich aus der Sicht der Länder des Südens Rechnung. Mit der an der University of Westminster in London lehrenden Rechtswissenschaftlerin saß eine aus Indien stammende Aktivistin auf dem Podium, die eine dezidierte Position gegen den Kolonialismus als integralen Bestandteil des Kapitalismus vertritt. Bildet der Klassenkampf die innere Dimension des Kapitalismus, so steht die kolonialistische Expansion für seine äußere Sphäre. Es gebe keinen Kapitalismus ohne Kolonialismus, in welcher Form auch immer er auftrete, erklärte die Referentin kategorisch.

Radha D'Souza wandte sich im Audimax der Universität Hamburg an ein Publikum, das zumindest teilweise die Sicht der europäischen Metropolengesellschaften verinnerlicht hat, und ermahnte es, dem Problem des Kolonialismus in der antikapitalistischen Debatte mehr Gewicht zu verleihen. Wer ihren englischsprachigen Ausführungen folgte, begriff bald, daß die Referentin keine Vertreterin jener Funktionseliten ist, die es sich im Elfenbeinturm akademischer Institutionen so bequem gemacht haben, daß sie Gefahr laufen, die konkreten materiellen Gewaltverhältnisse, denen das Gros der Menschen ausgesetzt ist, aus den Augen zu verlieren.

Dies geht auch aus der Bewunderung hervor, die sie für den berühmten Vordenker des Antikolonialismus, Frantz Fanon, hegt. In einem Interview [1] berichtete sie 2013 davon, wie sie den inzwischen, wenn nicht rundheraus als "Prophet der Gewalt" geschmähten, so doch im Cultural Turn der Sozialwissenschaften identitätspolitisch zu einem "cool guy" transformierten Verfasser des antikolonialistischen Manifests "Die Verdammten dieser Erde" in seiner urspünglichen Wirkmächtigkeit wiederentdeckte. Wo die als monopolistischer Verfügungsanspruch moderner Exekutivmacht höchst widersprüchliche Gewaltfrage bei der Rezeption staatstragender Denker wie Machiavelli oder Hobbes als solche affirmativ legitimiert wird, wurde sie bei Fanon ihrer antikolonialistischen Bestimmung enthoben und der Entsorgung durch eine kulturwissenschaftliche Rezeption preisgegeben, die sich darin als Instrument geschichtspolitischer Umdeutung erweist.

Radha D'Souza verweist demgegenüber auf das für den global entgrenzten Kapitalismus unverändert gültige Problem einer mit Gewaltmitteln durchgesetzten Ordnung von oben und unten. Wo Sklavenhandel, Landraub, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeit eine physische, soziale, ökonomische, kulturelle und emotionale Totalität kolonialistischer Unterdrückung hervorbrachten, blieb den davon betroffenen Menschen nicht viel mehr, als sich mit den entsprechend zerstörerischen Folgen für ihr Leben in ihr Schicksal zu fügen oder individuell wie kollektiv gewaltsam dagegen aufzubegehren. Für D'Souza handelte es sich dabei um intuitive Reaktionen auf Mißstände, die der gezielt dagegen vorgehende Freiheitskämpfer beenden wollte. Darin sieht sie einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Gewalt der Kolonialherren und des gegen sie gerichteten Versuchs ihrer revolutionären Überwindung:

"Der Widerstandskämpfer richtet sich gegen die ausübende Gewalt in der Hoffnung, sie für immer zu beenden. Revolutionäre Gewalt stellt die Menschlichkeit im mißbrauchten und gefolterten Individuum wieder her. Der Akt des Widerstands bringt ihm die Würde und die Selbstgewißheit, die die Gewalt des Unterdrückers zerstört haben, zurück." [2]

Was etwa für den antifaschistischen Widerstand in den von Wehrmacht und SS besetzten Staaten als selbstverständliche Tugend betrachtet wird, läßt sich aus Sicht der Erben des europäischen Kolonialismus offensichtlich nicht eins zu eins auf den antikolonialistischen Widerstand übertragen. Die Rechtswissenschaften meiden Fanon, bedauert Radha D'Souza und prognostiziert, daß der Tag, an dem die juristischen Seminare den antikolonialistischen Vordenker in ihr Curriculum aufnehmen, den Beginn einer Zeit markiert, in der das Ziel einer gewaltfreien Welt ernsthaft verfolgt wird.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Radha D'Souza
Foto: © 2015 by Schattenblick

Abstrakte Verfügungsgewalt, konkrete Zerstörung

In ihrem "Industrialism: Law, Science and Imperialism" überschriebenen Vortrag stellte Radha D'Souza einige Ausschlußkriterien für die Entwicklung alternativer Gesellschaftsmodelle oder Lebensformen vor, die sich aus der historischen Zurichtung der Länder des Südens auf eine Ver- und Entsorgungsperipherie der hochproduktiven Metropolengesellschaften Westeuropas und Nordamerikas folgerichtig ergeben. So habe sich die Moderne in den Ländern des Südens, die die Referentin als Gesellschaften der "Dritten Welt" bezeichnet, nicht aufgrund innerer Widerspruchslagen entwickelt, sondern sei ihnen von den Kolonialmächten aufoktroyiert worden. Unabhängig davon, wie Kolonialismus und Imperialismus in Erscheinung traten, sei jegliche Modernisierung durch sie verordnet worden, woraus sich ein fundamentaler Unterschied zu den Modernisierungsprozessen in den Gesellschaften Europas ergebe.

Während dort der Klassenantagonismus die Rolle des prozessierenden Widerspruchs einnahm, der die gesellschaftliche Entwicklung vorantreibt, habe der europäische Industrialismus die gesamte kolonisierte Welt mit Ausbeutung und Unterdrückung überzogen. An die Stelle der Sklaven und Tagelöhner seien heute Arbeitsmigration und Sweat Shops getreten, betrieben von transnationalen Unternehmen, die sich die Natur, Kultur und Arbeit der Länder des Südens aneigneten.

Den Unterschied zwischen der Ersten und Dritten Welt in Rechnung zu stellen sei eine zentrale Voraussetzung für jegliche Überlegung in Richtung auf gesellschaftliche Alternativen, bekräftigte die Referentin angesichts der tiefen Spaltungen und Brüche, die aus der verordneten Modernisierung der Produktions- und Lebensweisen und der dadurch erfolgten Verdrängung traditioneller Formen der Arbeit und des Wissens in den Gesellschaften des Südens hervorgingen. Ihre Kritik entzündet sich insbesondere an der bereitwilligen Übernahme von Ideen und Theorien der westeuropäischen und nordamerikanischen Geistesgeschichte, die nicht ohne weiteres auf die ganz anders formierten Verhältnisse der Länder des Südens zu übertragen seien.

Selbstbestimmung sei die Voraussetzung für eine soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklung, die den Menschen gerecht wird. Machten sie sich allerdings daran, eigene Wege im Umgang mit ihrer natürlichen Umgebung, mit ihren kulturellen Traditionen und ihren sozialen Bedingungen einzuschlagen, seien sie unausweichlich mit der militärischen Aggression der mächtigsten kapitalistischen Staaten konfrontiert. So ständen die Bevölkerungen der Länder des Südens gleich zwei Herausforderungen gegenüber - die inneren Widersprüche gegen die Interessen ihrer eigenen Oligarchien und Eliten aufzulösen und dies auch noch gegen den kolonialistischen und imperialistischen Übergriff von außen zu verteidigen.

Daß dieser mitunter die Gestalt der Demokratisierung annimmt, ändert nichts an seiner destruktiven Gewalt, so Radha D'Souza in Hinsicht auf die Dekolonisierung des eigenen Landes. Die blutige Teilung Indiens habe gezeigt, worin die Etablierung einer angeblich verantwortungsvoll handelnden Regierung nach dem Vorbild der Kolonialmacht resultiere, habe diese doch ein Wahlrecht durchgesetzt, daß die Menschen auf der Basis unterschiedlicher Religionen von vornherein gegeneinander aufgebracht habe. Für die Referentin stellt sich die Teilung Indiens als eine frühe Form der humanitären Intervention dar. Auch wenn man es damals noch nicht so bezeichnete, so fühlt sich Radha D'Souza bei der blutigen Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens in jüngster Zeit an die Ereignisse vor fast 70 Jahren erinnert.

Demokratie und Industrialismus seien auch deshalb miteinander unvereinbar, weil großdimensionierte Produktionsverläufe auf der Basis weltweiter Arbeitsteilung im Widerspruch zur notwendigen Einbindung demokratischer Willensbildung in überschaubare soziale Verhältnisse stehe. Industrialismus beruhe auf der Expansion der Maßstäbe, was stets in den Versuch gemündet sei, Produktion, Distribution und Konsum der lokalen, regionalen und nationalen Ebene zu entheben und global entufern zu lassen. Das wiederum setze die umfassende Aneignung von Arbeit und Ressourcen, die Etablierung komplexer bürokratischer Apparate und professioneller Streitkräfte zur Kontrolle dieser Entwicklung voraus. Hinzu käme die Einführung von Rechtsmechanismen und -institutionen, die von der Offenheit zwischenmenschlicher Konfliktbewältigung abstrahierten, indem sie sich technologiegestützter und formalrechtlich strukturierter Formen der Mediation bedienten.

Dies ermögliche auch industrielle Großprojekte wie den Bau von Staudämmen in Indien, die im Interesse globaler Investoren, internationaler Organisationen und zentralisierter Staatsapparate die Enteignung und Vertreibung von Millionen Menschen bewirken. Dabei gebe es durchaus lokale Lösungen für die Versorgung mit Wasser und Strom, wie Radha D'Souza auf Nachfrage unter Verweis auf die People's Science Movements [3] erläuterte. In diesen sozialen Bewegungen verfolgen Aktivistinnen und Aktivisten wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Absicht, das technische Wissen, das die innovative Dynamik kapitalistischer Produktivität antreibt, auf seine sozialökologische Verträglichkeit zurückzubinden und seinen wirtschaftlichen Ertrag zum Nutzen der Bevölkerung einzusetzen. Das Ziel, nachhaltige Formen der Produktion zu entwickeln, wird auch durch die Reaktivierung traditioneller Formen der technischen Bewältigung von Versorgungsproblemen, die ohne extensive Naturzerstörung auskommen, verfolgt.

Den in urbanen Zentren lebenden Aktivistinnen und Aktivisten der Antistaudammbewegung, die den Widerstand lokaler Bevölkerungen gegen Umweltzerstörung und Vertreibung unterstützen, wird oft vorgehalten, bedenkenlos den Komfort der städtischen Versorgung mit Elektrizität und Wasser in Anspruch zu nehmen, ohne dies auch der Landbevölkerung zu ermöglichen. Dies habe das People's Science Movement dazu veranlaßt, sich dem traditionellen Wasserversorgungssystem Indiens zuzuwenden, das für das Problem eines trockenen subtropischen Landes, nur mit drei Monaten Regen im Jahr auskommen zu müssen, längst technische Lösungen der Aufbewahrung von Wasser entwickelt hatte.

Als einige dieser traditionellen Systeme der Wasserversorgung für den menschlichen Gebrauch und die Bewässerung der Felder errichtet und zudem für die Stromerzeugung eingesetzt wurden, rief das die indische Regierung auf den Plan. Sie bestand darauf, daß die Wasserversorgung eine zentralstaatliche Aufgabe sei, und weigerte sich, die gesetzlichen Grundlagen für Systeme der lokalen Selbstversorgung zu schaffen. Später wurde die nationale Stromversorgung privaten Investoren überlassen, ohne daß die Regierung ein Problem damit hatte, die dafür erforderlichen Gesetze zu beschließen.

Dies sei nur nur ein Beispiel der vielen Probleme, auf die soziale Bewegungen wie das People's Science Movement stoßen, wenn sie der schlichten Tatsache, die spezifischen Bedingungen des jeweiligen Ortes in den Mittelpunkt der Entwicklung von Versorgungs- und Bewirtschaftungssystemen zu stellen, Rechnung tragen. Tatsächlich seien die Systeme der Wasserversorgung in Britannien, wo es das ganze Jahr regnet, und Indiens, wo lange Phasen der Dürre vorherrschen, nicht zu vergleichen, so Radha D'Souza. Auch das sei ein Grund dafür, daß sich die Fragestellungen, mit denen die Wissenschaften befaßt sind, ändern müßten. In Indien jedenfalls habe man erleben müssen, wie die Regierungstechniken des Kolonialismus das lokale Wissen über die Natur, die Menschen und die Gesellschaft zerstörten, um die eigene Doktrin zur alternativlosen Wahrheit zu erheben.


Auditorium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Botschaft fällt auf fruchtbaren Boden
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wissen dekolonisieren, Mensch und Natur regenerieren

Überall in der Dritten Welt habe man leidvoll erfahren, wie der Prozeß der Dekolonisierung in der Übernahme des Vermächtnisses der Kolonialmächte endete. Man habe geglaubt, man könne Kapitalismus praktizieren, ohne dabei kolonialistisch zu agieren, und habe so neue Abhängigkeitsverhältnisse und Zerstörungsprozesse hervorgebracht. Im Unterschied zu den antikolonialistischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts hätten die Vertreibungen, die durch industrielle und infrastrukturelle Großprojekte in Gang gesetzt wurden, keinen in seiner Größe und Wirksamkeit vergleichbaren Widerstand hervorgerufen.

Es mache eben keinen Unterschied, ob die umfassende Aneignung von Arbeit und Natur unter liberalem, sozialistischen oder nationalistischen Vorzeichen erfolge. Die Kommodifizierung von Arbeit und Natur setze voraus, daß der Faden zu den lokalen Erfordernissen ihrer Erbringung und Entstehung durchschnitten wird. Eine produktive Kooperation von Mensch und Natur könne nur unter den materiellen Bedingungen des jeweiligen Ortes entstehen, nicht in der abstrakten Welt bürokratischer Institutionen. Ohnehin habe sich der Industrialismus des 19. Jahrhunderts zum Militarismus des 20. Jahrhunderts transformiert, sei das Militär doch seit dem letzten Weltkrieg die zentrale Triebkraft wissenschaftlicher und technologischer Innovation. Das gelte auch für die Sozialwissenschaften, für die wissenschaftliche Erforschung betrieblicher und gesellschaftlicher Organisation, für die Technologien des Managements, der Kybernetik und Kommunikation. Zwischen den Bürokratien der Unternehmen, des Staates, des Rechts und der Wissenserzeugung hätten sich zahlreiche Drehtüren geöffnet, was allerdings nur dann, wenn es an die Oberfläche der Medien gelange, als Skandal empfunden werde.

Dies alles richte sich gegen die demokratische Ermächtigung von unten, beruhe diese doch auf räumlichen Verhältnissen, die eine enge Verbindung von Menschen, Kulturen und Arbeitsverhältnissen ermöglichen. Während Ortsgebundenheit für die Regeneration der Natur, der Gesellschaft und des Lebens stehe, mache die Ideologie des industriellen Militarismus Front gegen Mensch, Kultur und Natur. Wirkliche Demokratie bedürfe anderer Formen von Wissenschaft und Rechtsprechung als die des Industrialismus, der die Natur erforscht, um sie profitträchtig in Produktion, Distribution und Konsumption einspeisen zu können.

Von daher sei es äußerst problematisch, Modernisierung und Demokratisierung in eins zu setzen. Zahlreiche Organisationen in der Dritten Welt hätten die Unvereinbarkeit von expansionistischem Industrialismus und demokratischer Entwicklung erkannt, doch wie könne man diese beiden Konzepte wieder voneinander entkoppeln? Radha D'Souza beantwortet diese Frage mit einer Kritik an der europäischen Aufklärung. Deren spezifische Entstehungsbedingungen machten diese geistesgeschichtliche Tradition ungeeignet dafür, auf ganz anders gestaltete Länder und Kulturen übertragbar zu sein. Mehr als 500 Jahre Aufklärung hätten die menschliche Zivilisation an den Rand ihrer Existenz manövriert und die Menschen zu einem Leben unter permanenter Unsicherheit verurteilt. Die expandierenden Dimensionen der Produktion, Distribution und Konsumption hätten dementsprechend anwachsende Zerstörungsprozesse hervorgebracht, wozu auch die Verabsolutierung des Vertragsrechts im Neoliberalismus beitrug, so die Rechtswissenschaftlerin.

Heute könne alles Objekt eines Vertrages werden, was sich besonders verheerend auswirke, wenn supranationale Organisationen wie die Weltbank oder der IWF den Ländern des Südens diktierten, welche verfassungsmäßigen und gesetzlichen Veränderungen sie zu übernehmen hätten. Die Denker der Aufklärung hätten das Vertragsrecht aufgrund seines freiwilligen Charakters auf eine metaphysische Ebene gehoben und damit die übernatürliche Quelle des Rechts in der Theologie angezapft, so die allerdings nicht zur Erheiterung bestimmte Pointe der Referentin. Radha D'Souza wirft die rhetorische Frage auf, was wohl freiwillig daran wäre, wenn eine arme Frau in einem Drittweltland als Leihmutter für ein europäisches Paar fungiert oder ein armer Mann seine Niere einem reichen Empfänger spendet, weil er sonst nichts mehr zu verkaufen hat.

Im Kampf gegen den Feudalismus hätten die Denker der Aufklärung auch gegen die Verbindung des Menschen zum konkreten Ort und im Widerstand gegen den Klerus gegen die Schutzwürdigkeit der Natur rebelliert, die ihnen als gottgegeben erschien. Der Imperialismus habe jedoch die feudalistischen Machtstrukturen der Dritten Welt in ihrer Gesamtheit kooptiert, so daß Feudalismus und Imperialismus sich auf gegenseitige Weise verstärkten.

Mithin könne nicht erstaunen, daß die nationalen Befreiungskämpfe dieser Ära keine neuen Wissenschaften und kein neues Rechtsverständnis hervorgebracht haben. Indem die Befreiungsbewegungen die wissenschaftlichen und konstitutionellen Werkzeuge der Kolonialherren in der irrtümlichen Vorstellung übernahmen, dadurch das Wohlergehen der Bevölkerung zu sichern, öffneten sie dem Neokolonialismus und schließlich dem Neoliberalismus Tür und Tor. Auch die sozialistischen Revolutionen hätten die positivistischen Wissenschafts- und Rechtssysteme der Aufklärung übernommen, ohne zu berücksichtigen, daß sich der Sozialismus nicht auf den Grundlagen des Kapitalismus und Selbstbestimmung nicht auf den Grundlagen des Imperialismus errichten lassen. Wer über gesellschaftliche Alternativen nachdenke, dem stelle sich die Aufgabe, die Voraussetzungen der herrschenden politischen Ökonomie wirksam in Frage zu stellen, um die gleichen Fehler nicht noch einmal zu wiederholen.

Für südasiatische Gesellschaften sei der demokratische Konföderalismus Abdullah Öcalans nichts Neues, erklärt Radha D'Souza anschließend in der Diskussion, sondern quasi der Naturzustand. Indien sei der zentralisierte Staat kolonialistisch aufoktroyiert worden, was auch zu Lasten sogenannter Dorfrepubliken, also selbstorganisierter und selbstversorgender Dorfgemeinschaften, gegangen sei. Ob diese sich einer zentralstaatlichen Kontrolle entziehen können oder in künftigen Verteilungskämpfen bürokratisch verwalteten Apparaten, die die Ziele der Politik mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols durchsetzen, unterworfen werden, ist nicht zuletzt eine Frage der Emanzipation von allen Formen administrativer Fremdbestimmung.

(wird fortgesetzt)


Vorplatz und Eingangsbereich - Foto: © 2015 by Schattenblick

Audimax der Universität Hamburg
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.interfacejournal.net/wordpress/wp-content/uploads/2013/05/Issue-5_1-full-PdF.pdf

[2] http://www.google.de/url?url=http://www.interfacejournal.net/wordpress/wp-content/uploads/2013/05/Interface-5-1-Fanon-reflections.pdf&rct=j&q=&esrc=s&sa=U&ei=LrRdVbyQGIX8ygPtz4HoCA&ved=0CBQQFjAA&usg=AFQjCNEV9XkpaFOXqYNVDqq3Sp4a0Uso2Q

[3] http://www.unm.edu/~varma/print/EPW_Science%2520Movements.pdf

21. Mai 2015


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