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BERICHT/354: Die Linke - beteiligt, bewegt und präsent ... (SB)


Ich würde sagen, es geht darum, Türen zu öffnen. Die gesellschaftliche Linke wird mehr Erfolg haben, wenn sie Bewegungen und Partei nicht als getrennte Sphären betrachtet, sondern als komplementär zueinander.
Raul Zelik [1]


In zahlreichen Ländern treten Massenbewegungen in Erscheinung, die ungeachtet ihrer konkreten Unterschiede doch zumindest im Ursprung das Anliegen zu einen scheint, den um sich greifenden Verheerungen der vorherrschenden Wirtschaftsweise und Produktionsverhältnisse soziale und ökologische Kämpfe entgegenzusetzen. Soweit man dabei von emanzipatorischen Erhebungen sprechen kann, weichen sie in Form und Inhalt mehr oder minder weit von traditionellen parteipolitischen und gewerkschaftlichen Organisationsweisen ab, ja stehen diesen nicht selten ablehnend gegenüber. Das gilt auch in der Bundesrepublik, wo der grüne Kapitalismus als einzig verbliebenes bürgerliches Heilsversprechen boomt und den rechten Vormarsch bremst, während die Linkspartei bestenfalls stagniert oder an Boden zu verlieren droht. Der eklatante Widerspruch zwischen zumeist jungen, sich politisierenden Bewegungen auf der Straße und einer parlamentarischen Linken, die den Sturz in die Bedeutungslosigkeit fürchten muß, fordert geradezu einen selbstkritischen Diskussionsprozeß zum Verhältnis von Partei und Bewegung ein, der allzu lange vermieden wurde.

Es ist dies eine alte Kontroverse in neuem Gewand, wie sie den Kampf für den Sozialismus seit jeher begleitet hat und zutiefst mit seinen Erfolgen und Niederlagen verschränkt war. So viel es dazu aus der Geschichte zu lernen gilt, ist über eine bloße Retrospektive hinaus doch insbesondere die entschiedene Auseinandersetzung mit einem relevanten Zukunftsentwurf unabdingbar, wie man ihn in den Begriff "Ökosozialismus" fassen könnte. Daß man diesen eher nicht mit der Linkspartei assoziiert, ist auf verschiedene Gründe, nicht zuletzt aber ein gravierendes Versäumnis zurückzuführen, auf der Höhe der Zeit Anschluß an die geführten Kämpfe zu suchen und herzustellen. Zumindest könnte das eine Aufgabe sein, der sich Die Linke stellt, um sich als echtes Alleinstellungsmerkmal eine profilierte Gegenposition zum heraufziehenden ökokapitalistischen Desaster und Zwangsregime auf ihre Fahne zu schreiben.


Auf dem Podium zwischen Boxen und Scheinwerfern - Foto: © 2019 by Schattenblick

Raul Zelik, Thomas Goes, Janine Wissler, Jana Seppelt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Gründungsversammlung der Bewegungslinken

Am 14./15. Dezember fand in Berlin die Gründungsversammlung der Bewegungslinken statt, die sich als Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) in der Partei Die Linke konstituiert [2]. Für die Gesamtpartei stellen sich nach demotivierenden internen Konflikten, einem andauernden Gefühl der Stagnation und mitunter enttäuschenden Wahlergebnissen grundsätzliche Fragen der strategischen Aufstellung. Es geht dabei um inhaltliche Weichenstellungen für die kommenden Jahre, wie sie auch im Rahmen der vom Bundesvorstand im Oktober initiierten Strategiedebatte vorgenommen werden sollen. Das Netzwerk Bewegungslinke war Ende April 2018 in Abgrenzung zu den migrationspolitischen Forderungen Sahra Wagenknechts und der VerfasserInnen eines Thesenpapiers zum Thema Migration um den Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi ins Leben gerufen worden.

Die Bewegungslinke hat sich zum einen eine verbindende Form der Klassenpolitik zum Ziel gesetzt, die gewerkschaftliche, feministische, ökologische und antirassistische Ansätze nicht gegeneinander ausspielt, sondern aktiv zusammenbringt. Zum anderen strebt sie eine veränderte politische Kultur mit weniger Hierarchie, mehr Selbstorganisierung und stärkerem Aktivismus der Mitglieder an. Die Linkspartei sollte sich entschiedener an der Seite von Bewegungen in soziale Kämpfe einmischen. Sie überschätze die Bedeutung von Parlamenten und habe mit Alltagskämpfen zu wenig zu tun. Parlamentarische Arbeit und selbst Regierungsmehrheiten, so die Kritik des Netzwerks, führten für sich genommen keine grundlegende Veränderung herbei. Dafür sei die Organisierung gesellschaftlicher Konflikte, mithin der Druck von unten unabdingbar.

Die Bewegungslinke möchte einen Ort schaffen, an dem sich Kreisverbände und lokale Gruppen, die bereits in der Gewerkschafts- und Bewegungsarbeit engagiert sind, austauschen, ihre Erfahrungen analysieren, ihre Aktivitäten weiterentwickeln und besser koordinieren können. Die Linkspartei bedürfe einer Erneuerung, an der es gemeinsam zu arbeiten gelte. Ohne den Anspruch zu erheben, über Patentrezepte zu verfügen und die Erneuerungsbewegung bereits zu repräsentieren, gehe man doch davon aus, daß viele andere Leute innerhalb wie außerhalb der Partei in derselben Richtung unterwegs seien. Gelinge es, mehr Menschen für die aktive Mitarbeit in Gewerkschaften und Bewegungen wie auch in der Linkspartei zu gewinnen, verschaffe das der gesellschaftlichen Linken wieder mehr Gewicht und erweitere den Spielraum der Partei, ihre Ziele zu verwirklichen.

Auf der Gründungsversammlung, an der insgesamt etwa 170 Menschen teilnahmen, wurden eine Grundsatzerklärung, die Satzung und ein Arbeitsplan für 2020 beschlossen sowie ein Koordinierungskreis mit zwölf Mitgliedern gewählt. Vor allem aber bot sich die ausgiebig genutzte Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen, zu diskutieren und gemeinsame Aktionen zu planen. Bereits am Freitagabend wurde bei einem öffentlichen "Hinterzimmergespräch" mit über 70 Interessierten im Engels Café in Neukölln der thematische Bogen aufgespannt, wovon in diesem einleitenden Beitrag zur Konferenz die Rede sein soll. Moderiert von Raul Zelik (Autor und Übersetzer sowie Mitglied des Bundesvorstandes der Linkspartei) diskutierten Janine Wissler (Fraktionsvorsitzende der hessischen Linksfraktion), Jana Seppelt (Mitglied im Berliner Landesvorstand und im BundessprecherInnenrat der BAG Betrieb & Gewerkschaft) sowie Thomas Goes (Soziologe, Mitglied der Linken und aktiv bei OKG) über die strategische Aufstellung der Partei wie auch die mögliche Intervention der Bewegungslinken in der aktuellen Strategiedebatte. In der anschließenden allgemeinen Diskussion wurden unter anderem die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Partei an den verschiedenen Orten erörtert.


Statt Stellvertreterpolitik Ermächtigung der Menschen

Jana Seppelt, Gewerkschaftssekretärin im Bereich Bildung, Wissenschaft, Forschung bei ver.di, ging zunächst auf die Arbeit der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung aus gewerkschaftlicher Perspektive ein. Im Stadium der Koalitionsverhandlungen habe seitens der Linkspartei kaum ein koordinierter Gesprächsprozeß mit den Gewerkschaften und den Belegschaften stattgefunden. Wenngleich sich dann im Zuge der Arbeit in der LAG Betrieb & Gewerkschaft doch einiges getan habe, würde sie sich mehr gemeinsame Planung strategischer Projekte wünschen. Der Kahlschlag in Berlin sucht seinesgleichen. 40 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst arbeiten nicht unter Bedingungen des Flächentarifvertrags, sondern sind bei ausgegliederten Töchtern tätig. Ein bewegungsorientierter Ansatz würde bedeuten, wie im Bereich Mieten auch anderswo eine stärkere Positionsfindung zwischen Partei und Bewegung herbeizuführen. Da inzwischen auch Schwung in den Bereich Arbeitsverhältnisse komme, sei eine bessere Kommunikation über die Herausforderungen und mögliche Bündnispartner erforderlich.

Wie das ambivalente Verhalten der Berliner Landesregierung beim Volksentscheid Krankenhäuser zeige, sei die Bewegungsorientierung in der Fraktion eher unterrepräsentiert. Die Bewegungslinke wolle keine Stellvertreterpolitik, sondern Demokratisierung und Einbindung, um der neoliberalen Landnahme etwas entgegensetzen, was mit einer Mobilisierung einhergehen müsse. Eine Partei sollte Orte der Einbeziehung und Organisierung schaffen, um Bewegungen zu bestärken und die Ressourcen zusammenzuführen. Eine Fraktion hat Einblick in politische Entwicklungen und die Pläne der anderen Parteien. Sie sollte Themen besetzen, vor Ort organisieren und Leute in Bewegung bringen. Man könne aus erfolgreichen Ansätzen des Organizing lernen, mit welchen Methoden Menschen ermächtigt werden, ihre Interessen selbst zu vertreten, so Seppelt.

In Tarifverhandlungen seien gut organisierte Belegschaften und eine Tarifkommission, die das als Prozeß verstehen und mitentscheiden, ihre Machtressource. In Koalitionsverhandlungen fehle jedoch oftmals das Verständnis, daß die BürgerInnen dieser Stadt die Machtressource der Linksfraktion sind. Nehme man die Erfahrungen der Menschen ernst, werte sie aus und gehe damit in die Offensive, schaffe das nicht nur Vertrauen, sondern auf seiten der Leute auch ein Verständnis, wie Politik funktioniert und wo deren Grenzen sind. Wer sind die GegnerInnen und wer diejenigen, die uns unterstützen? Wie schaffen wir gemeinsam ein politisches System, das die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessert? Es gelte, politische Prozesse so offenzulegen, daß am Ende jeder im Raum weiß, wer dafür und wer dagegen ist. Wir müssen uns von dem Gehabe verabschieden, daß wir besonders gute VerhandlerInnen seien, so Seppelt, die statt dessen für eine umfassende Beteiligung der Betroffenen plädierte.


Janine Wissler - Foto: © 2019 by Schattenblick

Nur massiver Druck von unten verändert die Kräfteverhältnisse
Foto: © 2019 by Schattenblick


Im Dienst gewerkschaftlicher Kämpfe und sozialer Bewegungen

Wie Janine Wissler unterstrich, müßten sich Fraktionen als Dienstleister für Bewegungen und Partei verstehen. Selbst die ausgefeiltesten Anträge und tollsten Reden werden im Parlament niemanden überzeugen: Wie schaffen wir es, unsere Fraktionen in den Dienst von gewerkschaftlichen Kämpfen und sozialen Bewegungen zu stellen? In Hessen haben die BusfahrerInnen im privaten Gewerbe gerade mit einem zweiwöchigen Streik eine beachtliche Lohnerhöhung erkämpft. Sie sei mit GenossInnen bei den Streikaktionen präsent gewesen, und bei einer von der Linksfraktion beantragten aktuellen Stunde saßen etliche Betriebsräte dieser Busunternehmen auf der Tribüne des Landtags. In einer entsprechenden Situation während Streiks vor drei Jahren habe es der Qualität der Debatte sehr gut getan, bei der Rede im Parlament zuerst die BusfahrerInnen zu begrüßen. Das habe die VertreterInnen der anderen Parteien dazu gezwungen, ihnen durch die Bank zu versichern, wie wichtig ihre Arbeit sei, die besser bezahlt werden müsse. Als die Leute dann direkt aus dieser Plenarsitzung zu den Tarifverhandlungen fuhren, lief im Radio, daß sich der Verkehrsminister für höhere Löhne ausgesprochen habe. Man könne wohl davon ausgehen, daß ohne die aktuelle Stunde nie das damalige Tarifergebnis erzielt worden wäre.

Auf Einladung Der Linken saßen auch Amazon-Beschäftigte auf der Besuchertribüne, im Poststreik die Postler in ihrer Uniform, auch die Bodenverkehrsdienste vom Frankfurter Flughafen, die ErzieherInnen und die Pflegekräfte waren im Landtag. Wir müssen hingehen, wenn es betriebliche Kämpfe gibt, weil das den Leuten wichtig ist, aber gleichzeitig das Parlament dafür nutzen, Öffentlichkeit zu schaffen, so Wissler. Das gelte auch für soziale Bewegungen, und so müsse die linke Fraktion ihre Mandate dafür nutzen, zu Fridays for Future zu gehen, bei Ende Gelände parlamentarische Beobachtung zu machen oder bei Anti-Nazi-Demos präsent zu sein. Die Partei sollte sich in den sozialen Bewegungen verankern wie auch Fraktionen mit all ihren Möglichkeiten und Ressourcen nutzen.

Die hessische Linksfraktion nimmt an Tagungen des Landesvorstands teil und diskutiert mit ihm Fragen und Themenbereiche, zu denen die Partei bislang nicht gearbeitet hat. Wenngleich dadurch eine relativ enge Anbindung an die Partei bestehe, ließen sich viele Probleme im Parlamentarismus nicht lösen. Jeder Abgeordnete sollte sich dessen bewußt sein, daß er nur ein Mandat hat, weil es diese Partei gibt und deren Mitglieder Wahlkampf machen, mit Menschen diskutieren und vieles mehr einbringen. Die Partei ist nicht nur ein Korrektiv, sondern der Ort, wo Entscheidungen gefällt werden müssen, so die Fraktionsvorsitzende. Im übrigen finde ihre Politik eher nicht medial statt, doch sei sie sich dessen bewußt, daß alles, was man sagt, auch berichtet werden könnte. Man sollte für die Partei werben, ihre Inhalte und Gemeinsamkeit in den Vordergrund stellen, betonte Wissler.

Die Bevölkerung habe zumeist ein Repräsentationsmodell im Kopf und das Gefühl, sie wähle eine Regierung, die Dinge für sie umsetzt. Bei Sondierungen nach den Wahlen 2008 und 2013 mit der SPD und den Grünen standen enorme Erwartungshaltungen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen im Raum, was die Linksfraktion alles umsetzen sollte. Wir dürfen als Linke nicht die Erwartung schüren, daß wir Dinge für die Menschen durchsetzen können, so Wissler. "Je stärker Die Linke, desto sozialer das Land" sei zwar ein netter Slogan, doch müsse man immer wieder deutlich machen, daß es um die Selbstemanzipation von Menschen gehe. Stellvertreterpolitik sei eine Illusion, weil man selbst in der Regierung nichts ohne massiven Druck von unten durchsetzen könne. Die Linke sei keine "Kümmererpartei", denn die Menschen seien keine Kinder, um die man sich kümmern muß: Wir sollten eine Kampfpartei sein, die an der Seite von Menschen steht, wenn sie kämpfen. Die Entscheidungsmacht liege oft gar nicht bei Parlamenten und Regierungen, da wesentliche Weichenstellungen von Konzernen getroffen würden. Man kann die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht durch gute Verhandlungstaktik und ein vernünftiges Regierungsprogramm verändern. Die entscheidende Frage bleibt, wer Druck macht und wie stark dieser Druck ist, hob Janine Wissler noch einmal hervor.


Offensives Projekt einer politischen Machtoption

Thomas Goes berichtete vom Stadtteilladen "Rote Ecke" in Kassel und dem Netzwerk "Organisieren - Kämpfen - Gewinnen" (OKG), das kämpferische Leute aus verschiedenen Bereichen zusammenbringt. Die Bewegungslinke setze sich das Ziel, Kämpfe in unterschiedlichen Bereichen und verschiedene Teile der arbeitenden Klasse zusammenzubringen. Das scheitere in den Kreisverbänden häufig an anderen Vorstellungen, was linke Politik sei: Anträge stellen, Öffentlichkeitsarbeit machen, für Leute sprechen, aber nicht organisierend wirken. So gebe es in Kassel Stimmungen in der Partei, die in der Stadtteilorganisierung ein Konkurrenzprojekt sehen. Zudem kämen viele Leute zum Treffpunkt der Initiativen, denen soziale und politische Themen unter den Nägeln brennen, die aber ein kritisches Verhältnis zu Parteien haben. Man müsse als Partei bewußt mit solchen Vorbehalten umgehen, da niemand gern in einen Stadtteilladen geht, der den Eindruck erweckt, eine Partei mache das nur, um für sich zu werben.

Mit Blick auf die Debatte um eine Regierungsbeteiligung dürfe man nicht nur defensiv Kritik üben oder gar in die rot-rot-grüne Sackgasse laufen, für die es die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht gebe. Zu einer offensiven Herangehensweise gehöre der Druck von der Straße, der seines Erachtens jedoch allein nicht ausreiche. Als Parteilinke müsse man ein antikapitalistisches Regierungsprojekt entwickeln, auch wenn das derzeit nicht mehrheitsfähig sei. Lasse sich die Bewegung auf der Straße nicht in eine politische Macht übersetzen, werde es keine gesellschaftliche Veränderung geben. Man dürfe keinem sozialdemokratisch-ökologischen Regierungsprojekt hinterherlaufen, sondern müsse offensiv diskutieren, welches Programm man umzusetzen versuche, wenn man eine Bewegung mit einer politischen Machtoption aufbaut. Im zweiten Schritt stelle sich dann die Frage, wie man auf dieser Grundlage eine Regierung bildet. Sofortforderungen wie jene im Manifesto von Labour seien ihm sympathisch, soweit sie unmittelbar an Klasseninteressen ansetzten. Erforderlich seien jedoch Übergangsforderungen, welche die Macht von Staat und Kapital herausfordern, um Veränderungen im Machtgefüge der Gesellschaft einzuleiten. Darüber müßte man viel intensiver und breiter diskutieren, forderte Thomas Goes.


Thomas Goes - Foto: © 2019 by Schattenblick

Organisierung eines antikapitalistischen Projekts
Foto: © 2019 by Schattenblick


Kritische Stimmen von seiten der Basis

In der für alle Anwesenden geöffneten Diskussion kamen zum einen ortspezifische Probleme zur Sprache, zum anderen wurde das Verhältnis von Partei und Bewegung kritisch ausgeleuchtet. Demnach krankt es im Hamburger Landesverband an organisierter Gewerkschaftsarbeit, die Partei erschöpft sich in ideologischen Diskussionen, während zumindest aus der Fraktion einzelne Leute aktiv auf Bewegungen zugehen. Wie in vielen ostdeutschen Regionen ist auch im Kreisverband Oder-Spree-Brandenburg der Altersdurchschnitt sehr hoch, was die Gesellschaft insgesamt widerspiegelt. Man sieht kaum junge Leute, Bewegungen und Gewerkschaften gibt es dort nicht.

Einige DiskussionsteilnehmerInnen sprachen sich dafür aus, bei Aktivitäten an der Basis ihre Mitgliedschaft in der Partei völlig zurückzustellen. Andere gaben zu bedenken, daß die Parlamentarisierung der Partei kein Betriebsunfall, sondern ein zwangsläufiger Prozeß in der kapitalistischen Gesellschaft sei. Der Logik der Regierung, zunächst im Hinterzimmer zu verhandeln, gelte es kontinuierlich entgegenzutreten, indem der Widerstand vorab organisiert werde. Auch dürfe man in öffentlichen Auseinandersetzungen nicht als Solionkel auftreten, der einige Presseerklärungen beisteuert, sondern müsse eingreifen und die Leute im Stadtteil organisieren.

Es sei den Menschen nahezubringen, daß die Partei ihnen nütze, so ein weiterer Beitrag. Dabei seien drei elementare Voraussetzungen zu erfüllen: Erstens müsse man praktisch mitmachen, wenn sich Leute wehren. Zweitens sollte man deren radikalste Forderungen zum eigenen Anliegen machen. Drittens sei man strukturell ein Dienstleister der Bewegungen. Ein anderer Diskussionsteilnehmer wies darauf hin, daß die Ausgangslage für die Linken stets komplizierter als für die Rechten sei, weil man nicht auf eine günstige Situation hoffen, sondern nur auf das setzen könne, was man tatsächlich aufgebaut habe. Dabei sollte die Partei in den Bewegungen durchaus in Erscheinung treten.

In einigen Äußerungen wurde harsche Kritik an der Bundestagsfraktion laut, die mitunter ein Klotz am Bein der Partei sei. Dort blieben echte Erfolge weit hinter dem zurück, was im Landesverband und auf kommunaler Ebene erreicht worden sei. Daraus müsse man Konsequenzen ziehen und die parlamentarische Praxis radikal verändern. Die Kämpfe dürften nicht darauf abzielen, hinterher dafür gewählt zu werden. Entscheidend bleibe, daß die anderen Mitglieder des Parlaments Angst vor der Linkspartei haben, weil diese ihre Vorhaben aufdeckt, sie den Bewegungen übermittelt, mit ihnen auf die Straße geht und diese Kämpfe wieder ins Parlament hineinträgt. Das sei die Stärke und Aufgabe der Bewegungslinken. Es gelte auf kommunaler Ebene das zu leisten, was die Partei auf Bundesebene versäumt.


Gebrauchswert einer kämpfenden Partei

Jana Seppelt bestätigte den hohen Altersdurchschnitt wie auch eine gewisse historisch bedingte Gewerkschaftsferne der Partei im Osten. Zudem habe die linke Regierungsbeteiligung in Brandenburg und Thüringen zu massiven Enttäuschungen geführt. Wenngleich Bodo Ramelow abgeräumt habe, beklagten Gewerkschafter in Thüringen, daß ihre Erwartungen enttäuscht worden seien und viel Vertrauen wieder aufgebaut werden müsse. Regierungsbeteiligung sei eben nicht per se gut, sondern mache nur dann Sinn, wenn man Spielräume ausweitet und die Grenzen des derzeitigen Systems aufzeigt. Sie halte es für wesentlich, Erfahrungen als dienende Abgeordnete, die Funktionsweise des Parteiaufbaus und die Verallgemeinerung erzielter Erfolge weiter zu diskutieren. Bringe man nach vorn, wofür Die Linke in Fragen der Arbeits- und Lebensbedingungen steht, sollte man auch laut sagen, daß sie diese Interessen am besten vertritt.

Janine Wissler verwies darauf, daß es auch im Westen ein riesiges Gefälle zwischen Stadt und Land gibt, das die Organisierung vor unterschiedliche Herausforderungen stellt. Man müsse Dienstleister der Bewegungen sein und zugleich das Informationsprivileg als Abgeordnete nutzen. Es gelte unter Beweis zu stellen, daß es für die Menschen einen Unterschied macht, ob es diese Partei gibt oder nicht gibt. Selbst wenn die Linkspartei nur zwei Prozent Kompetenzzuschreibung in der Klimafrage habe, müsse man eine Protestbewegung wie Fridays for Future vorbehaltlos unterstützen. Sie frage doch nicht Menschen, die für ihre Rechte kämpfen, ob sie Die Linke denn auch wählen. Diese müsse Opposition gegen die Große Koalition machen und an der Seite der Leute stehen, die sich gegen deren Politik wehren.

Ein Streik der BusfahrerInnen sei ein berechtigtes Anliegen und verändere die Kräfteverhältnisse. Werde registriert, daß Die Linke dabei war, sei das erfreulich, bedürfe aber keiner Gegenleistung. Die Bundestagsfraktion mache schon einen Unterschied, aber sie könnte einen viel größeren Unterschied machen. Viel zu häufig würden dort Dinge diskutiert, die von realer Aktivität abhalten. Die Verteidigung des Asylrechts und die Unterstützung der Seenotretter seien innerparteilich unbestritten, während sich eine abstrakte Debatte über offene Grenzen als kontraproduktiv erweise. Warum nicht entschieden gegen Hartz IV zu Felde ziehen, statt eine Mitgliederbefragung zum bedingungslosen Grundeinkommen zu erwägen? Es gebe in dieser Partei sehr viele Gemeinsamkeiten, für die zu kämpfen sinnvoll sei. Führe man konkrete Kämpfe an der Seite der Menschen, schaffe das größere politische Klarheit als endlose Strategiedebatten und zeige den Gebrauchswert Der Linken auf.

Thomas Goes gemahnte an eine Politik auf den drei Ebenen der Partei, der Selbstorganisierung von Bewegungen sowie all jener Menschen, die nicht das Bewußtsein von Leuten in Kämpfen und in Parteien haben. Wenngleich er die radikalsten Forderungen teile, erfordere ein langfristiges politisches Projekt doch eine differenzierte Herangehensweise. In der Partei existierten zwei Ansätze, in denen Sozialismus eine Rolle spiele: Zum einen die verbliebenen Reste der Stamokap, also Jusos und DKP-Leute, die den Weg zum Sozialismus in Etappen denken, was er für falsch halte. Zum anderen die Trotzkisten oder Posttrotzkisten, die in der Regel mit der Doppelmachthypothese arbeiten. Er gehe jedenfalls davon aus, daß alle Anwesenden durchaus Ideen hätten, die weiter reichen, als nur um die nächsten Forderungen zu kämpfen. Daher plädiere er für eine strategische Diskussion darüber, wie man sich vorstelle, vermittelt über die Kämpfe für Reformforderungen zum Sozialismus zu kommen. Er glaube nicht, daß die Partei in ihrer derzeitigen Beschaffenheit dazu in der Lage ist. Gerade deswegen müsse man als selbsterklärter linker Parteiflügel diese Diskussion ernsthaft führen.

Zudem wünsche er sich für die Diskussion der Bewegungslinken, die Erfahrungen mit Organisierung und deren Widersprüchen intensiver auszutauschen. Er sehe mit Sorge, daß der Anteil proletarischer GenossInnen in den eigenen Reihen immer dünner werde, was um so mehr in höheren Parteirängen gelte. Gesellschaftlich gehe er von einer Situation zunehmender Instabilität aus, weshalb es zu diskutieren gelte, welche Angriffe der nächste Krisenzyklus mit sich bringt. Man dürfe nicht mit einer Stabilitätsthese arbeiten, sondern müsse von einer tiefen und multiplen Krise ausgehen. Darin sehe er aber auch eine Chance: Es ist gut, wenn Unordnung unter dem Himmel ist, und nicht schlecht, schloß Thomas Goes.

So erwies sich das "Hinterzimmergespräch" als gelungener Auftakt zum Gründungswochenende der Bewegungslinken, deren Übereinkünfte und Kontroversen dabei auf Grundlage der jeweils eigenen Praxis und Erfahrungen zum Ausdruck kamen.

(Weitere Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung folgen)


Fußnoten:


[1] www.neues-deutschland.de/artikel/1129956.bewegungslinke-raus-auf-die-strasse-rein-in-den-betrieb.html

[2] www.bewegungslinke.org/die-bewegungslinke-hat-sich-gegruendet/


23. Dezember 2019


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