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BERICHT/025: Kein Streit unter Linken ... Demo der Antideutschen in Hamburg (SB)


Rechter Aufmarsch gegen Internationalisten am 13. Dezember in Hamburg

Strategien des Konformismus

Die Auseinandersetzung mit Ideologie und Praxis der Antideutschen scheint angesichts des offenen Bündnisses dieser Kräfte mit imperialistischen Mächten Zeitverschwendung zu sein. Zu eindeutig ist die Befürwortung vernichtender Aggressionen der USA und Israels, zu feindselig das Verhältnis zu den Opfern dieser Kriege, zu abgehoben der Umgang mit der sozialen Frage, als daß diese Gruppierung als etwas anderes wahrgenommen werden könnte denn als Fleisch vom Fleische der Herrschenden. Allein der unter vielen Antideutschen angesagte Habitus modebewußter Selbstinszenierung demonstriert, daß sie dem Problem der Entfremdung weniger mit dem Anspruch auf Aufhebung des Kapitalverhältnisses entgegentreten denn sich ihm mit der konsumistischen Affirmation der Warenform ausliefern. Wo Kapitalismuskritik dazu instrumentalisiert wird, Linke unter Verdacht zu stellen, einem strukturellen Antisemitismus zu frönen, wo die Unterstützung antikolonialer Befreiungsbewegungen generell mit dem Vorwurf des völkischen Nationalismus kontaminiert, wo Antirassismus für die Apologie israelischer Besatzungspolitik vereinnahmt wird und in einen als fortschrittlich ausgewiesenen Antiislamismus umschlägt, da wird die beanspruchte emanzipatorische Substanz in dem kaum noch larvierten Anspruch auf Teilhaberschaft an der Stärke der Herrschenden gegen sich selbst gekehrt.

Die von der antideutschen Rechten ausgehende Kampfansage, die sich in konkreten Drohungen und Ausgrenzungsforderungen gegen radikale Linke, Sozialisten und Kommunisten artikuliert, ist in ihrer destruktiven Wirkung dennoch nicht zu unterschätzen. Das zeigt sich schon an der Hartnäckigkeit, mit der das lange Zeit marginale Phänomen dieser Strömung es schafft, hegemoniale Positionen in linken Zusammenhängen zu erobern und neokonservativ zu transformieren. Indem die Mitglieder dieser Bewegung, einen in die luftige Sphäre abstrakter Beliebigkeit entrückten und daher nicht mehr auf die Überwindung herrschender Verhältnisse anwendbaren Begriff des Kommunismus auf den Lippen führend, ihren Platz auf der Seite der Sieger im Sozialkampf des kapitalistischen Weltsystems einnehmen, beleidigen sie alle Menschen und Bewegungen mit der Mimikry bloßer Posen, die es ernst meinen mit dem Eintreten für die Schwachen und der Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung.

Längst nehmen nicht mehr nur bürgerliche Medien die Auseinandersetzung zwischen Linken und Antideutschen als Konflikt innerhalb der radikalen Linken wahr. Fernab jedes streitbaren Begriffs, auf den herrschende Gewaltverhältnisse zu bringen sind, um eindeutig Position beziehen und in den Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie einbringen zu können, lassen sich nicht nur junge Aktivistinnen und Aktivisten mit kulturalistischen, identitätspolitischen und postmodernen Theoremen indoktrinieren, die die zum Begreifen und Weiterentwickeln sozialer Widerspruchslagen erforderliche Kritikfähigkeit schon im Ansatz negieren. Simple, für jeden Menschen nachvollziehbare Überzeugungen wie die, daß es inakzeptabel ist, andere Menschen zu quälen, zu ermorden und ihrer Lebensgrundlagen zu berauben, werden beim Erwirtschaften konformistischer Anschlußmöglichkeiten nicht nur vergessen. Sie schlagen, wie die Gutheißung US-amerikanischer und israelischer Kriegführung zeigt, in der Praxis sozialdarwinistischer Selbstbehauptung in ihr Gegenteil um.

So absurd es erscheinen mag, die Verfechter internationalistischer Positionen mit antinationalen Parolen niederzumachen und dabei US-amerikanische und israelische Nationalfahnen zu schwenken, so zweckrational ist die Kombination von linker Rhetorik und proisraelischer Parteinahme. In beiden Fällen werden Kategorien verabsolutiert, um Scheinwidersprüche zu postulieren, die die Aktualität des globalen Sozialkampfs überlagern und die Bruchlinien dieser Auseinandersetzung mit national aufgestellten Kollektivideologien aufladen. So können die Antideutschen den Versuch der Palästinenser, das zerrissene Gewebe ihrer Gesellschaft im Notfall auch mit militanten Mitteln in eine staatlich verfaßte Lebensgrundlage zu fassen, ohne die sie dem militärisch durchgesetzten israelischen Siedlerkolonialismus ohnmächtig ausgeliefert sind, nur als Ausdruck antisemitischen Hasses überzeichnen, weil sie die Gewalt der Besatzer mit dem Anspruch, damit werde ein weiterer Holocaust verhindert, als exklusives Privileg heiligen.

Wie sehr diese Exklusivität auch immer in der Geschichte der Massenvernichtung der europäischen Juden verankert sein mag, sie unterstellt eine konstitutive Rangordnung der Menschen nach Maßgabe der nationalen Zugehörigkeit, des religiösen Bekenntnisses, der ethnischen Herkunft. Ohne die Verallgemeinerung zur nationalen Schicksalsgemeinschaft läßt sich die Mißachtung menschlichen Leids auf der Seite der als fremd und feindlich ausgemachten anderen nicht glaubhaft vertreten. In Israel lebende Holocaustopfer und Antizionisten werden vereinnahmt für eine Staatsdoktrin, deren nationaler Anspruch in dem Atemzug bestritten wird, als er gegen andere ins Feld geführt wird. Mit dem gleichen geschichtsphilosophischen Automatismus, anhand dessen Idealismus und Romantik als Ideologien der Massenvernichtung für das genuin Deutsche am Holocaust verantwortlich gemacht werden, wird der Mythos eines in den USA und Israel angesiedelten Antinationalismus geschaffen, anhand dessen ein als historischer Fortschritt ausgewiesener qualitativer Unterschied zu allen anderen postuliert wird, der wiederum die Basis zur völlig konträren Bewertung qualitativ gleichartiger Vergehen bildet.

Daß dieser Fortschritt darin bestehen soll, die Welt nicht nur den Raubzügen der kapitalistischen Globalisierung auszusetzen, sondern die Durchsetzung ihrer Geschäftsordnung mit vernichtender Gewalt zu erzwingen, bildet den materiellen Kern antideutscher Ideologie. Der Bundesrepublik wird in diesem Zusammenhang zur Last gelegt, nicht rabiat genug gegen diejenigen Länder des Südens zu Felde zu ziehen, die sich dieser Geschäftsordnung durch Insistieren auf traditionelle Lebensformen oder andere Entwürfe eigenständiger Entwicklung widersetzen.

Für das antideutsche Umerziehungsprogramm sind die Bundesbürger noch nicht geschichtsvergessen genug, um die Schuld am Holocaust eins zu eins in die Gutheißung israelischer Regierungspolitik zu übersetzen. Ihnen wird mit dem Vorwurf des "linken Antisemitismus" suggeriert, Solidarität mit den Opfern des kapitalistischen Weltsystems stelle per se einen Angriff auf die Interessen der USA und Israels dar. Während die selbstgewählte Rolle dieser Staaten wie der EU als Sachwalter einer ihren Interessen zuarbeitenden und damit zu Lasten aller anderen gehenden Weltordnung kategorisch zu kritisieren ist, trifft der von den Antideutschen erhobene Vorwurf, damit würden diese Staaten und ihre Bürger aus ideologischen Gründen pauschal diffamiert, nicht zu. Dies läßt sich kein in seiner Analyse an Klassenwidersprüchen und Machtinteressen ausgerichteter Linker zuschulden kommen. Genaugenommen trifft dieser Vorwurf seine Urheber, berufen sie sich doch auf nationale Kategorien und überhöhen diese zu qualitativen Kriterien.

Bei der antideutschen Rechten entspricht die Ankopplung an das hegemoniale, seinen Wahrheitsanspruch so total erhebende wie das historische Material willkürlich selektierende Geschichtsbild der Abkopplung von einer herrschaftskritischen Gesellschaftsanalyse, die keinen Unterschied unter ihren Subjekten macht, sondern Raub und Zerstörung beim Namen der sie treibenden Interessen nennt. Der ideologische Schaum, mit dem die Unvereinbarkeiten ihres angeblich linken Anspruchs zugedeckt werden, zeichnet sich bei aller Verwirrung seiner Urheber stets dadurch aus, daß er Anschlußfähigkeit für globalhegemoniale Interessen herstellt. Die Widersprüchlichkeit des antideutschen Argumentationskonstrukts hat Methode, weil es, wenn nur offensiv genug vertreten, den andern immer auf dem falschen Fuß erwischt. Gerade die Aporie der Argumente, mit denen die Antideutschen das Feld einer nicht wirklich stattfindenden, da mit Unterwerfung unter die eigenen zivilreligiösen Dogmen oder aber Ausschluß Andersdenkender operierenden Debatte strategisch besetzen, macht deren Kraft aus. Der Signalcharakter von negativer Empathie besetzter Begriffe wie "Nazi" oder "Schläger" wird in Kombination mit unbelegten Vorwürfen wie dem, der andere habe "Judenschwein" gerufen, zu wirkmächtigen, da für die antikommunistische Rechtfertigungslogik verwertbare symbolpolitische Stereotypien wie dem des "linken Antisemitismus" verdichtet, um den andern schlicht in die Defensive zu drängen und vor der Instanz einer im politischen Mainstream verorteten Wahrheit zu diffamieren.

Gesetzt den Fall, es gäbe unter Linken "antisemitische Schläger", dann wäre es Sache der betroffenen Gruppierung, dieses Problem zu beheben. Anstelle dessen jedoch werden Maximalforderungen wie die permanente Ausgrenzung der inkriminierten Gruppe und die Schließung ihres Zentrums erhoben. Wie unschwer zu erkennen ist, verrichten die Antideutschen damit das Geschäft derjenigen, die sie von links zu kritisieren behaupten. Dieses Vorgehen ähnelt nicht von ungefähr dem der israelischen Regierung, die den im Verhältnis zur eigenen Zerstörungsmacht weitgehend wirkungslosen Beschuß mit Kassam-Raketen zum Anlaß nahm, ein Massaker unter der Bevölkerung Gazas anzurichten und das auch noch als unerläßliche Maßnahme nationaler Verteidigung auszuweisen.

Geleugnet wird in beiden Fällen das konstitutive gesellschaftliche Gewaltverhältnis. Linksradikale Aktivisten stehen stets einer Übermacht staatlicher Repression gegenüber, wenn sie versuchen, die Interessen der Opfer von Kapitalismus und Imperialismus kämpferisch zu vertreten. Ihnen die Solidarität aufgrund ideologischer Differenzen aufzukündigen, während dieser Kampf geführt wird, heißt nichts anderes, als die Seite zu wechseln, so man jemals auf derselben stand. Mit welchen Windungen und Verdrehungen konterrevolutionäre Entwicklungen Platz greifen, ist durch das Scheitern revolutionärer Bewegungen in aller Welt hinreichend dokumentiert. Letzten Endes siegt das bourgeoise Interesse am eigenen Wohlergehen, das in Akzeptanz herrschender Verhältnisse und dabei insbesondere des Eigentumsbegriffs zu Lasten des andern geht, über die humanistischen Prinzipien zugrundeliegende Einsicht, daß der Schmerz ohnmächtigen Ausgeliefertseins unteilbar ist.

Die Palästinenser unterliegen seit vielen Jahren der Übermacht israelischer Waffen, wenn sie versuchen, ihre erklärten Rechte durchzusetzen. Zweifellos steht ihnen, sollten sie es jemals schaffen, ob in einem gemeinsamen Staat oder zwei Staaten, unter demokratischen Bedingungen zu leben, die Auseinandersetzung um eine gerechte Gesellschaftsordnung noch bevor. Die inneren Widersprüche der Palästinenser allerdings zum Anlaß zu nehmen, ihren Befreiungskampf insgesamt zu diskreditieren und ihr willkürlich in den Staub getretenes Schicksal als kulturell determinierten Entwicklungsrückstand gegenüber der aufgeklärten demokratischen Gesellschaft Israels zu erklären, ist Ausdruck einer rassistischen Suprematie, die sich universeller Werte bedient, um diese als Instrument der Unterdrückung einzusetzen und zu verraten.

Das Bejubeln Israels und der USA als vorderste Front zivilisatorischer Entwicklung hat mit dem Holocaust nichts zu tun. Dieser dient lediglich als Brückenfunktion, um den Spagat zwischen aggressiver Staatspraxis und postulierter gesellschaftlicher Emanzipation vollziehen zu können. Der aus der angeblich mit anderen Opfern genozidaler Maßnahmen unvergleichlichen Betroffenheit jüdischer Menschen abgeleitete Opfermythos antideutscher Aktivisten erweist sich durch den Versuch, als ideologische Feinde ausgemachte Linke zu aggressiven Handlungen zu provozieren, als ganz und gar nicht defensive Strategie. Wenn man es schafft, den anderen so sehr zu reizen, daß er sich zu einer unbedachten Handlung hinreißen läßt, dann hat das Opfer vermeintlich jedes Recht, nun mit allen Mitteln loszuschlagen. Das Elend dieser Rechtfertigungslogik liegt darin, nicht ad hoc aus prinzipiellen Gründen ohne jedes Kalkül auf Erfolg und Anerkennung gegen menschenfeindliche und zerstörerische Praktiken aufzustehen, sondern der Legitimation einer von herrschenden Interessen bestimmten Moral zu bedürfen.

Ganz offensichtlich wollen die Antideutschen nicht durchschauen, daß die von ihnen in Anspruch genommene Opferrolle einem hegemonialen Diskurs entspringt, der unter dem Schlagwort vom "linken Antisemitismus" nicht erst seit Aufkommen dieser Spaltungstendenz in den neunziger Jahren, sondern bereits im antikommunistischen Klima der siebziger Jahre virulent wurde. An Bewußtsein über die Methode antikommunistischer Propaganda, wie bereits in den fünfziger Jahren im Rahmen des Kongresses für kulturelle Freiheit linke Intellektuelle für sich zu rekrutieren, die sich aufgrund ihrer früheren Begeisterung für den Sowjetkommunismus besonders effizient gegen diesen einsetzen ließen, fehlt es ihnen schon deshalb, weil sie nichts anderes vorhaben, denn als organische Intellektuelle ihre Klasseninteressen gegen das sozialdelinquente Element durchzusetzen.

Der Anspruch der namen- und sprachlosen Mehrheit dieser Welt auf ein Leben unter angemessenen Bedingungen wird von den Antideutschen mit einer derartigen Selbstverständlichkeit negiert, daß die Hinwendung zu den USA und Israel nur konsequent ist. Es ist kein Zufall, daß sie damit bei sozial unterprivilegierten Minderheiten in den USA auf blankes Unverständnis stießen, sind diese doch von der neokolonialistischen Weltpolitik ihres Landes auch innerhalb seiner Grenzen mittelbar betroffen. Der Internationalismus, den Antideutsche unter Verweis auf die Multikulturalität der US-Gesellschaft und die historische Staatenlosigkeit der Juden in den USA und Israel verorten, ist ethnisch und nicht sozial determiniert. In ihm scheint genau das auf, was sie bei antiimperialistischen Internationalisten als völkische Ideologie brandmarken. Nur so lassen sich zwei hochkapitalistische, von extremen sozialen Widersprüchen gezeichnete Gesellschaften als Vorbilder idealisieren, während die nicht minder von den sozialen Problemen kapitalistischer Verwertung bestimmte Bundesrepublik zum negativen Gegenentwurf hochstilisiert wird.

Im Ergebnis geht es darum, soziale Ausgrenzung frei nach den neokonservativen Herolden Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder und Peter Sloterdijk zu betreiben und dabei bella figura zu machen. So gering der Lohn für diese Anpassungsleistung auch sein mag, im sozialrassistischen Weltbild der Antideutschen wirkt er allemal verheißungsvoller als die Aussicht darauf, vielleicht unumkehrbar auf der Seite der Verlierer zu stehen. Antideutsche nehmen antiimperialistische Linke aufs Korn, weil deren humanistische und emanzipatorische Ideale nicht durch den Sozialdünkel der besseren Gesellschaft zu korrumpieren sind. Wenn im Namen des Antimperialismus fragwürdige Bündnisse und Assoziationen eingegangen werden, läßt sich darüber innerhalb der Linken trefflich streiten. Antisemitische Ausfälle ebenso wie andere Formen rassistischer Diskriminierung bekämpfende internationalistische Linke als "Nazis" zu stigmatisieren und die Schließung ihrer Räumlichkeiten - was im übrigen wohl nur mit staatlicher Hilfe möglich wäre - zu fordern vollzieht den Bruch mit linker Tradition durch eindeutige Parteinahme auf der Seite der Herrschenden.

In dem seit dem 25. Oktober in internationale Dimensionen getriebenen Streit um die Verhinderung der Vorführung des Films "Warum Israel" des Regisseurs Claude Lanzmann in Hamburg geht es im Kern um den Versuch einer Schwächung der Linken. Dennoch ist es für die Widerlegung des dabei erhobenen Vorwurfs, die gegen diesen Film auftretenden Aktivistinnen und Aktivisten seien "antisemitische Schläger", unerläßlich, auf die mit einer persönlichen Stellungnahme an dieser Auseinandersetzung beteiligte Person dieses berühmten Filmschaffenden einzugehen.

Claude Lanzmann - vom Résistancekämpfer zum Kriegsverklärer

Der heute 83jährige jüdische Regisseur Claude Lanzmann verkörpert in seiner Lebensgeschichte auf geradezu beispielhafte Weise die außerordentlich erfolgreiche Überführung einer linken Vergangenheit in eine prominente Positionierung im zeitgenössischen Medienbetrieb, der sich in den Dienst herrschender Interessen stellt. Als Kämpfer der Résistance, Unterzeichner des Manifests der 121 gegen den Algerienkrieg, Mitstreiter Jean-Paul Sartres, langjähriger Lebensgefährte Simone de Beauvoirs und Herausgeber von Les Temps Modernes kann er auf eine Vita verweisen, die ihn als genuinen Parteigänger der französischen Linken kenntlich macht. Während aber Sartre seinen Überzeugungen bis an sein Lebensende treu geblieben ist, verwandelte sich Lanzmann im Laufe der Jahre von einem Widerstandskämpfer und Kommunisten in einen überzeugten Neokonservativen.

Berühmtheit erlangte er durch seine Karriere als Filmschaffender, die er der Auseinandersetzung mit jüdischer Identität gewidmet hat. Sein erster Film "Warum Israel" aus dem Jahr 1972 beschäftigt sich mit dem Staat Israel und seinem Selbstverständnis, seinem religiösen und politischen Fundament und seinen Bürgern. Dies war der Auftakt zu einer Trilogie, die mit "Shoah" (1985), worin von der Vernichtung des europäischen Judentums und der Vorgeschichte des Staates Israel berichtet wird, fortgesetzt wurde und mit dem Film "Tsahal" (1994) ihren vorläufigen Abschluß fand. Darin befaßt sich Lanzmann mit der israelischen Armee und der Verteidigung der Existenz Israels. In dem 2001 uraufgeführten "Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr" verarbeitete Lanzmann Material über den Aufstand im Vernichtungslager Sobibor, das in "Shoah" keine Verwendung gefunden hatte. Dieser Film handelt von dem einzigen und zugleich gelungenen Aufstand, den es je in einem solchen Lager gegeben hat.

Als Claude Lanzmanns Memoiren im März 2009 in Frankreich erschienen, stieß das umfangreiche Werk auf so viel positive Resonanz, daß er als Literaturstar seines Landes eindrucksvoll bestätigt wurde. Wie kann es ein ehemaliger Widerstandskämpfer und Kommunist, der für die Unterdrückten und Entrechteten Partei ergriffen hat, zu einer derartigen Anerkennung in der bürgerlichen Gesellschaft bringen, die ihm seine Vergangenheit nicht als Makel ankreidet, sondern im Gegenteil als unverzichtbare Voraussetzung einer vollendeten Konversion zugutehält? Die Beantwortung der Frage nach den konstituierenden Elementen seiner ideologischen Transformation läßt sich aus den Schlußfolgerungen seiner langjährigen Erforschung jüdischer Selbstbehauptung, die sich wie ein roter Faden durch sein Filmschaffen zieht, rückschlüsseln.

In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 24. Januar 2009 rechtfertigte Lanzmann das vorangegangene Massaker der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen mit den Worten: "Die Israelis sind keine Killer. Definitiv nicht. Sie töten, aber sie sind keine Killer, das ist nicht in ihrem Blut." Die von ihm postulierte grundsätzliche Andersartigkeit, wenn nicht gar Einzigartigkeit des israelischen Soldaten emanzipiert sich von aller denkbaren Kritik, indem sie diese Ausnahmestellung aus der vorgeblichen Unvergleichlichkeit jüdischer Opfer abzuleiten versucht. Er habe sich in seinem Film "Tsahal" der israelischen Armee gewidmet, weil die Juden fähig seien, sich selbst zu verteidigen: "Sie haben aufgehört, Opfer zu sein. Die Shoah war nicht nur ein Massaker an Unschuldigen, sie war auch ein Massaker an wehrlosen Menschen. Und die Tatsache, daß es den Israelis gelungen ist, eine eigene Armee aufzubauen, geht genau darauf zurück. Sie haben besondere Strategien und Taktiken, um das Leben ihrer Soldaten so gut wie möglich zu schützen. Das ist einer der Gründe, weshalb sie Luftwaffen nutzen. Und bombardieren."

Daß Lanzmann die unschuldigen und wehrlosen Opfer auf palästinensischer Seite nicht nur in keinerlei Zusammenhang mit seinen Aussagen zur Shoah zu bringen vermag, ja sie geradezu als Notwendigkeit zur Verteidigung des Staates Israel einfordert, dokumentiert, auf welche Seite sich der gerade deswegen so erfolgreiche Regisseur geschlagen hat. Lanzmann, der "Sobibór" selbst als "Wiederinbesitznahme der Gewalt durch die Juden" bezeichnet hat, verherrlicht diese Gewalt, sofern sie nur von jener Seite ausgeübt wird, die sich als die stärkere durchgesetzt hat. Auf die Frage, ob er die zuvor entstandene und sehr umstrittene Dokumentation "Tsahal" vor dem Hintergrund aktueller Gewaltexzesse heute anders drehen würde, verneint Lanzmann dies mit Nachdruck: "Nein, ich würde den Film genauso drehen. Trotz allem, was man erzählt, und trotz der Propaganda, die heute verbreitet wird und in der man die Israelis als Schlächter und Mörder darstellt. In 'Tsahal' ging es mir darum zu zeigen, daß diese Armee einen nicht gewalttätigen Ursprung hat. Natürlich gibt es auch in der israelischen Armee Sadisten und Typen, die gerne töten, aber ich bin davon überzeugt, daß es weniger sind als anderswo - und ich kenne diese Armee sehr gut."

Noch deutlicher wird Claude Lanzmann in einem Gespräch mit der taz vom 9. Juni 2009. Er sei in "Tsahal" der Frage nachgegangen, warum man die Armee Israels mit anderen Augen betrachten müsse als andere Armeen und warum ein Menschenleben in Israel für wertvoller erachtet wird als anderswo. "Das hat seinen Ursprung in der Shoah, der Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg. Es gibt kaum eine Familie in Israel, die nicht einen oder mehrere Tote aus der Shoah zu beklagen hätte. Die Zahl der jüdischen Todesopfer in Kriegen und bei Anschlägen muß daher um jeden Preis - und das meine ich wortwörtlich, egal wie hoch dieser sein mag - so niedrig wie möglich gehalten werden. Das ist die Maxime." Den Einwand, daß die israelischen Verluste trotz Tausender abgeschossener Raketen aus Gaza und dem Südlibanon geradezu winzig seien, will Lanzmann nicht gelten lassen. In allen Kriegen gegen Israel gehe es um dessen Vernichtung, weshalb die israelische Armee niemals verlieren dürfe. "Normale Armeen machen Gefangene. Israels Feinde machen keine Gefangenen. In meinem Film begebe ich mich in die Seele des Soldaten, der weiß, daß er verloren ist, wenn er überwältigt wird. Der Druck ist unmenschlich."

Obgleich Ariel Sharon in dem Film eine zentrale Rolle spielt, werden die Massaker von Sabra und Shatila während des ersten Libanonkriegs mit keinem Wort erwähnt. Statt dessen sieht man den späteren Premierminister Israels als Hirten in einer Herde von Schafen. Auch mit dieser höchst befremdlichen Darstellung hat Lanzmann keinerlei Probleme. Sharon habe ihm im Krieg von 1968 an der Südfront das Leben gerettet und sei ein mutiger Mann, dessen Friedensbemühungen ihn nicht überrascht hätten, weshalb dieses Motiv völlig zutreffend gewesen sei.

Hat Claude Lanzmann erst einmal die Instrumentalisierung der Shoah als einzigartige Rüstung, die jede Kritik abzuwehren vermag, durch die Staatsdoktrin Israels mitvollzogen, kennt seine Begeisterung für den Krieg keine Grenzen mehr. Dessen Logik laute: Töten, um nicht getötet zu werden. Alle redeten immer nur vom Frieden, doch gebracht habe das bis heute nichts. In "Tsahal" habe er genau gewußt, was er zu erzählen hatte: "Die Erfindung einer Armee, den Aufbau einer Armee, die Erfindung des Mutes. Diese Armee war ein Sieg des jüdischen Volkes über sich selbst. (...) In der israelischen Armee wird das Leben über alles andere gesetzt. Und gleichzeitig ist jeder Soldat der Tsahal bereit, sein Leben zu geben. Anders als in anderen Armeen dieser Welt stirbt man in der Tsahal nicht für die Ehre oder das Vaterland, sondern allein für das Leben."

Wer wie Lanzmann vollständig auszublenden vermag, daß vor den Läufen israelischer Waffen Menschen stehen, die ebenfalls um ihr Leben kämpfen, hat keine Probleme damit, den Panzer Merkava zum zentralen Motiv seines Films zu machen und die Perspektive dieser waffenstarrenden Kriegsmaschine einzunehmen: "Man kann mit Fug und Recht festhalten, daß dieser Panzer eine ganz und gar außergewöhnliche Maschine ist. Und am außergewöhnlichsten von allen Panzern ist der israelische Merkava, denn er wurde unter geradezu unmöglichen Bedingungen hergestellt. Die Panzerkommandeure lieben ihre Merkavas." Selbstverständlich sei er während der Arbeiten am Film in einem Panzer mitgefahren und habe Granaten verschossen. Auch in einem Düsenjäger sei er geflogen und habe die ersten Prototypen der Drohne gesehen. Die schlagfertige Frage des Redakteurs, ob er denn auch die Atombombe gesehen habe, verneint Lanzmann natürlich, doch fügt er rasch hinzu: "Aber ich habe die Raketen gesehen. Das waren sehr beeindruckende, kraftvolle Waffen."

Verglichen mit seinen späteren Werken, an denen man Claude Lanzmann heute messen muß, kommt "Warum Israel" vergleichsweise harmlos daher. Rückblickend findet man jedoch angelegt, was der Regisseur dabei entdeckt und für seinen weiteren Werdegang vereinnahmt hat. Dem Zweifel ehemaliger Mitstreiter im antikolonialen Kampf, ob man den neuen Gegner nach dem Sechstagekrieg nicht in der israelischen Führung verorten müsse, hielt er den Film als Beschwichtigung entgegen, daß "Israel kein Volk von Mördern, sondern ein Volk von Flüchtlingen ist." Wenn es ein gemeinsames Grundmotiv in diesem filmischen Kaleidoskop unterschiedlicher Antworten auf die Frage, was jüdisch sei, zu entdecken gibt, so ist es die Identifikation mit dem Staat Israel, der sich des Opfermythos bemächtigt hat.

Bezeichnenderweise kommen weder die Vertreibung der Palästinenser, der Landraub und die Okkupation, noch die Unterscheidung zwischen Juden und jüdischen Israelis, die Benachteiligung israelischer Palästinenser oder anderer Minderheiten zu Worte. Vordergründig ein beschwingter Streifzug durch einen Hort voller Flüchtlinge aus aller Herren Länder, die sich trotz aller Ungereimtheiten auf unerklärliche Weise immer wieder neu zusammenraufen, blendet die Hommage an die pulsierende Heimstatt der Juden die fundamentalen Widersprüche und dauerhaften Opfer dieser Staatsgründung vollkommen aus, als existierten sie nicht.

Sieht man "Warum Israel" aus heutiger Sicht, erkennt man die darin bereits deutlich angelegte ausschließliche Parteinahme für die Interessen des Staates Israel, die Lanzmann später mit der uneingeschränkten Bewunderung und Glorifizierung seiner militärischen Stärke auf die neokonservative Spitze getrieben hat.

Sozialrassisten fordern Schließung eines internationalistischen Zentrums

Obgleich Claude Lanzmann angesichts seiner Verherrlichung des Staates Israel, in der die Palästinenser allenfalls in der Zieloptik eines israelischen Panzervisiers vorkommen, ein Regisseur nach dem Geschmack der antideutschen Fraktion ist, dreht sich die aktuelle Kontroverse nicht um seinen Film "Warum Israel". Dessen Aufführung im Kino B-Movie in der Hamburger Brigittenstraße war am 25. Oktober 2009 von Aktivistinnen und Aktivisten der antiimperialistischen Linken, die sich gegen die Instrumentalisierung des Films durch die antideutsche Gruppe Kritikmaximierung verwahrten, verhindert worden. Im Internationalen Zentrum B5, dessen Räume vom benachbarten Kino B-Movie mitbenutzt werden, wollte man schlichtweg keine erklärten politischen Gegner haben, welche den israelischen und US-amerikanischen Imperialismus verherrlichen, eine bellizistische Ideologie verbreiten und islamophobe Vorurteile befördern.

Auf die Frage des Schattenblick, ob das Tischtuch zwischen den beiden Fraktionen damit endgültig zerschnitten sei, gaben die Betreiber des B5 die aufschlußreiche Antwort, daß es nie ein gemeinsames Tischtuch gegeben habe. Während Internationalisten sehr genau zwischen dem Staat Israel, dessen Regierung, den verschiedenen Teilen der israelischen Bevölkerung und Juden zu unterscheiden wüßten und daraus eine differenzierte Position ableiteten, arbeite die Gegenseite mit der platten und unzutreffenden Gleichsetzung von jüdischem Interesse mit Israel, weshalb sie jede Kritik an der Politik der israelischen Regierung und in letzter Konsequenz jede linke Position als antisemitisch diffamiere.

Bei dem Aufbau eines israelischen Checkpoints vor dem Eingang zum Kino und dessen Blockierung handelte es sich um eine aktionistische Inszenierung, die auf die aktuellen Verhältnisse in den Palästinensergebieten hinweisen sollte, die Claude Lanzmann in seinem Film "vergessen" habe. Erst nachdem die Filmaufführung abgesagt worden war und das B-Movie-Team die Szenerie verlassen hatte, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, in deren Verlauf Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten ausgetauscht wurden. Zum genauen Hergang gibt es naturgemäß einander widersprechende Aussagen, wobei die herbeigerufene Polizei die später erhobenen Vorwürfe antisemitischer Schmähungen nicht bestätigen konnte. Letztere wurden von seiten der B5-Aktivistinnen und Aktivisten nachdrücklich dementiert, wobei die Gruppe ausdrücklich betonte, daß sie ein solches Verhalten nicht tolerieren würde, da ihrer Überzeugung nach Linkssein und Antisemitismus unvereinbar seien.

Die Darstellung, ein zum Äußersten bereiter und bewaffneter linker Schlägertrupp habe Kinobesucher mit ungezügelter Brutalität traktiert, stilisiert eine Rempelei und Schubserei unter beiderseitiger Beteiligung zum Auftritt eines Sturmtrupps hoch, der eine Prügelaktion herbeigeführt habe. Diese Version ist nicht nur übertrieben, sondern verfälscht den Vorfall offenbar in der Absicht, daraus ein Wiederaufleben antisemitischer Gewalttaten - diesmal unter Beteiligung der antiimperialistischen Linken - zu konstruieren. Nachdem angebliche "antisemitische Pöbeleien" zunächst weder polizeilich festgestellt noch zur Anzeige gebracht wurden, trat Tage später ein gewisser "Lennart K." in Erscheinung, der als angeblicher Augenzeuge Vorwürfe erhob, die sofort die Runde durch die Medien machten. Zumal es sich bei dieser Person um einen erklärten Parteigänger der antideutschen Fraktion handelt, dürfte unter den geschilderten Umständen eine seriöse journalistische Bewertung des Vorfalls anhand einseitig erhobener und durch nichts bestätigter Vorwürfe allenfalls unter größten Vorbehalten und jedenfalls nicht ohne den Versuch, die Meinung der Gegenseite einzuholen, stattfinden.

Am 9. Dezember zeigte die Gruppe Sozialistische Linke (SoL) den Film "Warum Israel" im Internationalen Zentrum B5, worauf dessen Inhalt kritisch, aber in sachlicher und ruhiger Atmosphäre diskutiert wurde. Damit machte sie noch einmal deutlich, daß ihr keineswegs an einer Verhinderung der Aufführung, sondern vielmehr an einer Auseinandersetzung mit dem Werk Claude Lanzmanns gelegen ist. Dennoch zu behaupten, hier seien antisemitisch motivierte Aggressionen am Werk, die sich mit den Auftritten der SA und der Judenverfolgung unter dem Nationalsozialismus vergleichen ließen, verharmlost nicht nur auf unerträgliche Weise die damaligen Greuel, sondern funktionalisiert sie überdies zur Bezichtigung aller Kritiker israelischer Regierungspolitik. Während Vergleiche zwischen der Besatzungspolitik Israels und der Vernichtungspolitik des NS-Staates von Antideutschen stets als Verharmlosung des Holocaust gebrandmarkt werden, fehlt ihnen die Sensibilität für historische Proportionen bei entsprechender Polemik gegen die andere Seite völlig.

Dabei bedienen szenebekannte neokonservative Fraktionen wie die Zeitschrift Bahamas, die Antideutsche Gruppe Hamburg oder die Gruppe Kritikmaximierung einen breiten Konsens des Bürgertums, der sich den Mut zum Engagement gegen den Faschismus auf die Fahnen schreibt und dabei doch völlig konform mit deutscher Regierungspolitik geht. Die bedingungslose Verteidigung des Staates Israel und dessen Gleichsetzung mit jüdischen Interessen gibt breiten Raum zur Rechtfertigung imperialistischer Kriege, Drangsalierung von Menschen islamischen Glaubens und nicht zuletzt Verteufelung der Linken unter dem fingierten Vorwurf des Antisemitismus.

So wurde aus der Mücke der Rangelei vor dem Eingang zum B-Movie fast über Nacht der Elefant "linken antisemitischen Schlägertums", an dem sich das Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten ergötzt, dessen Ergüsse von der deutschen Presselandschaft begierig aufgegriffen und endgültig zu einem Skandal überzeichnet wurden. Bedauerlicherweise schlossen sich dieser Kampagne beträchtliche Teile der ehemaligen Linken, Vertreter jüdischer Gemeinden und Organisationen, Hochschuldozenten, Politiker jeder Couleur von Mitgliedern der Linkspartei bis zur CDU, Künstler und zahlreiche andere Bürger an, wie die ellenlange Auflistung der Unterstützer der Forderung "Es darf keine antisemitische Filmzensur in Hamburg geben!" unterstreicht.

Im Rahmen der Kampagne gegen das Internationale Zentrum B5 wurde bundesweit für eine Demonstration mobilisiert, die am 13. Dezember vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel begann. Der auf dem Aufruf der Kritikmaximierung Hamburg erhobene Vorwurf der Zensur mündete schon zu Beginn der Demo in die zentrale Forderung nach Schließung des B5. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Aufrufs geben ihren Namen also nicht nur für den Schutz der Meinungsfreiheit her, sondern haben an dem Versuch Teil, eine linksradikale Strömung mit staatsautoritärer Gewalt zu überziehen. So wäre eine offizielle Verfügung zur Schließung des B5 wohl kaum anders zu begründen als mit Hilfe eines Staatsschutzparagraphen, der seine Betreiber als terroristische Vereinigung kriminalisiert.

Der Demonstrationszug, dessen Teilnehmerzahl je nach Quelle zwischen 200 und 500 Personen betrug, bewegte sich von der Roten Flora direkt zum B-Movie und dem im Vorhaus angesiedelten Internationalen Zentrum B5. Selbst ohne nähere Kenntnis der Positionen und Fraktionen, die dabei aufeinandertrafen, gaben Fahnen, Transparente und Parolen des Demonstrationszugs über die Einstellung der Teilnehmer hinreichend Aufschluß. Man sah zahlreiche Flaggen Israels und der USA, was belegte, daß es sich nur dem Schein nach um eine Fraktion der Linken oder die Parteinahme für bedrohte Minderheiten handelte. Hier brach sich eine Mehrheitsmeinung Bahn, die sich der Herrschaftssicherung unter dem Deckmantel andient, für "alle Unterdrückten dieser Welt" einzustehen, wie es in einer der skandierten Parolen hieß, die in unvereinbarem Widerspruch mit der offensichtlichen Glorifizierung neoimperialistischer Führungsmächte stand. "Wer Israel schützt, schützt nicht nur den Staat der Juden, er schützt die westliche Wertegmeinschaft", erklärte an anderer Stelle schon treffend Mathias Döpfner, Vorstandschef der Axel Springer AG.

Von einem großen Polizeiaufgebot begleitet und abgeschirmt, hielten die Demonstranten ihre Schlußkundgebung am Anfang der Brigittenstraße ab, so daß zunächst eine beträchtliche Entfernung zwischen ihnen und den Antiimperialisten lag, die sich vor dem B5 und dem Durchgang zum B-Movie versammelt hatten. So wenig an der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts zu rütteln ist, rückten doch größere Gruppen Antideutscher nach und nach immer näher heran, so daß am Ende nur wenige Meter zwischen den beiderseits von einer Polizeikette zurückgehaltenen Fraktionen lag. Vermutlich wäre es beim Abtausch stimmgewaltig vorgetragener Parolen geblieben, hätte nicht ein Antideutscher die Gelegenheit genutzt, um, eine Israelfahne vor sich hertragend, auf die kleinere Schar der Menschen loszustürmen, die gekommen waren, um Solidarität mit dem B5 zu bekunden. Sofort kam es zu einer Rangelei, die von der Polizei aufgelöst wurde.

Die Eskalation ging zweifelsfrei von antideutscher Seite aus, wo man offensichtlich Zwischenfälle provozieren wollte, die sich hinterher als "antisemitische Gewaltausbrüche" verwerten ließen. Die Verteidiger des B5 blieben jedoch besonnen und hielten die Stellung, ohne auf die Provokationen einzugehen. Somit ging die Strategie nicht auf, weitere Vorwände zu schaffen, um das Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten aufzumunitionieren und der einschlägigen Pressekampagne neues Futter zu liefern. Von der Polizei freigehalten, konnte der Zugang zum B-Movie von den Besuchern ungehindert passiert werden, so daß der Film "Warum Israel" diesmal wie geplant gezeigt wurde.

Flucht in die Sicherheit der besseren Gesellschaft

Die Ausweitung eines Anlasses, bei dem die eine Seite den Fehler beging, eine Grundregel im demokratischen Diskurs zu verletzen, während die andere dies zum Anlaß umfassender Ausgrenzungsforderungen nimmt, zu einem die ganze Linke und weite Teile des bürgerlichen Lagers beschäftigenden Eklat ist Symptom einer fortgesetzten und beschleunigten Fluchtbewegung. Geflohen wird die antagonistische Positionierung in einem Sozialkampf, der immer mehr zu Lasten der davon Betroffenen geht. Der seit jeher in der Linken schwelende Streit um die Frage, wie halte ich es mit Israel und den Palästinensern, hat sich spätestens mit dem Aufkommen der Antideutschen zum Katalysator linker Spaltungen entwickelt, mit denen sich die Absetzbewegung der späten siebziger Jahre, als einst radikale Linke in opportunistischen Parteien wie der der Grünen den Weg an die Macht suchten oder ihr Heil direkt in der Sicherheit bürgerlicher Karrieren fanden, beschleunigt fortsetzt.

Vor dem Hintergrund mehrerer synchron verlaufender globaler Krisen und der Delegitimation des kapitalistischen Verwertungsmodells geht es mehr denn je um die Sicherung verknappter Lebensgrundlagen unter der Bedingung autoritärer Staatlichkeit. Die Hegemonie neokonservativer Ideologie in den USA hat niemals geendet, sondern übersetzt sich, durch geringfügige Kulissenverschiebungen nur leicht moderiert, auf realpolitische Konzepte ökonomischer Regulation und sozialer Organisation, die die Gestalt eines Mangelregimes annehmen.

Um die als permanentes Krisenmanagement verfaßte Verteilungsordnung legitimieren zu können, bedienen sich die Herrschenden soziobiologischer Unterscheidungskriterien, anhand derer der ethnisch-religiöse Rassismus die unverdächtigere Form einer wissenschaftlichen Definition der Ein- und Ausschlußkriterien kapitalistischer Vergesellschaftung annimmt. Integriert und alimentiert wird nur, wer die dazu erforderlichen Anpassungsleistungen erbringt. Wer dies nicht tut, soll selbst an seiner Misere schuld sein, wie etwa die Doktrin des Förderns und Forderns der deutschen Arbeitsgesellschaft belegt. Im Ergebnis bildet sich eine Ordnung der Gesellschaft heraus, in der klassische Kriterien sozialer Zugehörigkeit mit statistisch verifizierten Merkmalen der Delinquenz neue Stereotypien sozialrassistischen Gehalts produzieren. Wer arm, erwerbslos, alleinerziehende Mutter, Muslimin und Migrantin ist, rangiert auf der Evaluationsskala der Sozialingenieure deutlich weiter unten als derjenige, der arm, erwerbslos, Mann, Christ und Deutscher ist. Indikatoren wie Übergewicht, Nikotinkonsum und Krankheitsprävention gesellen sich den Bewertungskriterien einer Armutsverwaltung hinzu, für die allein entscheidend ist, ob sich mit derartigen Profilen Zwangsmaßnahmen erwirtschaften lassen.

Das Distinktionsstreben in westlichen Gesellschaften erklärt sich zu einem Gutteil aus dem Wissen um die Verfestigung sozialer Gegensätze, die gerade in der anwachsenden Armutsbevölkerung unumkehrbare Verhältnisse produziert. Dementsprechend vergrößert sich die Anziehungskraft der Möglichkeit, zu den Siegern zu gehören. Was angebliche Linke an den USA und Israel besonders fasziniert, ist die Hoffnung auf erfolgreiches Entkommen aus dem Sog sozialer Kämpfe, die zu führen auf der Seite der Unterlegenen immer aussichtsloser erscheint. Als geradezu notorische Verlierer symbolisieren die Palästinenser ein Schicksal, das ein Mensch aus den reichen Metropolenregionen Westeuropas keinesfalls erleiden will. Indem Antideutsche suggerieren, die Palästinenser wären selbst an ihrem desolaten Schicksal schuld, adaptieren sie das der Krise des Kapitals gemäße Paradigma sozialrassistischer Ausgrenzung und wenden es auf einen Kolonialkonflikt an, dessen Opfer darüber in doppelter Hinsicht, als für die Kapitalverwertung überflüssige und bei der imperialistischen Landnahme störende Faktoren, entmenschlicht werden.

Der die Linke in Deutschland zersetzende Konflikt, mit dem der Aufbruch der 68er-Generation vollends zunichte gemacht werden soll, ist daher nur bedingt ideologischer Art. Er wurzelt in dem grundlegenden sozialen Antagonismus kapitalistischer Gesellschaften, wird aber durch kulturalistische und identitätspolitische Dogmen derart überformt, daß sich antiemanzipatorische und antikritische Praktiken erfolgreich als fortschrittliche Positionen tarnen können. Dies gelingt allerdings nur, wenn das Interesse, sich aus systemantagonistischen Positionen zu entfernen, den Geist vernebelt und den Blick verengt. Wie sonst als in einem Zustand geistiger Insuffizienz könnte der Vorwurf der Zensur zu einem Opfermythos überhöht werden, während gleichzeitig mörderische Kriege, mit denen die Stimme der Betroffenen endgültig zum Schweigen gebracht wird, befürwortet werden?

Daß diese Fluchtbewegung große Anziehungskraft hat, zeigt sich auch an der Selbstverständlichkeit, mit der das B5 als Treffpunkt von Menschen, die vor allem gemeinsam haben, daß sie zu den Unterprivilegierten und Ausgegrenzten gehören, diffamiert wird. Wo Migrantinnen und Migranten, Hartz-IV-Geschädigte und linke Aktivistinnen und Aktivisten aus und ein gehen, und sei es nur um eine warme Mahlzeit zu erhalten, besteht die Chance, daß sich neue Strukturen des sozialen Widerstands formieren. Eben daran scheinen immer weniger Linke Interesse zu haben, wie auch die Absetzbewegungen in der Partei dieses Namens zeigen.

Daß der Antisemitismusvorwurf durch eine reaktionäre Bewegung, die schon häufig in grundlegenden und umfassenden Analysen auf diesen Begriff gebracht wurde, instrumentalisiert werden kann und eine wachsende Anzahl bislang unentschiedener Menschen des linken Spektrums darin ihre politische Heimat sucht, könnte die Destruktivität des neokonservativen Sozialrassismus nicht besser belegen. Wer es hingegen nicht nötig hat, sich über andere zu erheben, weil er niemals woanders als ganz unten war, der bedarf auch in Zukunft keiner Insignien sozialer Zugehörigkeit, keiner Anerkennung der gesellschaftlichen Mehrheit und keiner Unterstützung mächtiger Hintermänner, um streitbar für diejenigen einzutreten, die in den Annalen der Herrschenden nicht vorkommen.

16. Dezember 2009