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BERICHT/040: Antirep2010 - Heinz-Jürgen Schneider zum Terrorverdikt im politischen Strafrecht (SB)


Deutschlands "Krieg gegen den Terror" zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Vortrag in Hamburg am 9. Oktober 2010

Heinz-Jürgen Schneider beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Heinz-Jürgen Schneider
© 2010 by Schattenblick

Heinz-Jürgen Schneider, der als Rechtsanwalt in Hamburg arbeitet und sich seit langem mit Fragen der Inneren Sicherheit theoretisch wie praktisch beschäftigt, hielt im Rahmen des Antirepressionskongresses einen Vortrag über Deutschlands "Krieg gegen den Terror" zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Darin gab er eine Einführung in wesentliche Entwicklungsschritte und Werkzeuge wachsender Repression, die er anhand seiner langjährigen Erfahrungen in politischen Strafprozessen veranschaulichte.

Die Vorläufer des "Kriegs gegen den Terror" sind in Deutschland bereits Anfang der 1970er Jahre zu verorten. Damals setzte die Bundesregierung eine neue Stufe sicherheitsstaatlichen Zugriffs durch, in deren Folge der aus Bundespolizei, Länderpolizei, Geheimdiensten und Strafjustiz bestehende Repressionsapparat auf 50.000 Personen anwuchs, denen heute Sachmittel von mehreren Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Der eskalierende Überwachungsbedarf des Staatsschutzes beschleunigte den Einsatz modernster technischer Ausrüstung, die ständig weiterentwickelt wurde und insbesondere von der sprunghaften Entwicklung der Informationstechnologie profitierte. Rasch kam es zu Verboten ausländischer Organisationen der Palästinenser, Kurden und Muslime, bei deren Verfolgung das Instrument des Generalverdachts zur Anwendung gebracht wurde. Die Überwachung erstreckte sich nunmehr auf eine Vielzahl potentiell Verdächtiger, über die sogenannte Gefährderdateien angelegt wurden.

Zugleich wurde die internationale Kooperation des Staatsschutzes ausgebaut, die es erlaubte, Fahndung und Auslieferung europaweit zu praktizieren. Vorreiter bei neu geschaffenen oder aufgerüsteten Gesetzen waren stets die Länder mit dem repressivsten Strafrecht. Einbezogen in dieses race to the bottom wurden in der Folge auch außereuropäische Staaten wie die Türkei und die USA. In der Konsequenz zunehmender exekutiver Ermächtigung richtete die CIA Geheimgefängnisse in Polen und anderen Ländern ein.

Im politischen Strafrecht wurde 1976 mit dem § 129a das zentrale Rechtsmittel gegen "terroristische Vereinigungen" geschaffen, mit Hilfe dessen bis heute in rund 6.000 Verfahren gegen 20.000 Personen wegen Mitgliedschaft und Unterstützung ermittelt wurde. Bei der politischen Vereinigungskriminalität handelt es sich um ein Gesinnungsstrafrecht, da nicht etwa eine begangene Tat, sondern bereits die bloße Mitgliedschaft sanktioniert wird. Die Ausforschung ansonsten für die Staatsorgane unzugänglicher Szenen hat zudem den Zweck, die betroffenen Aktivisten zu verunsichern und zu entsolidarisieren.

Feindbilder waren im Laufe der Zeit Kommunisten, Systemveränderer, Terroristen und Islamisten, was die universale Nutzbarkeit dieses juristischen Repressionswerkzeugs unterstreicht. Dabei wies der Schutz des herrschenden Systems stets zwei Seiten auf, die einander bedingen und sich mehr oder minder miteinander vermischen: Im Sinne der Integration fördert man durch Konsum, Leitbilder und Ideologien die Anpassungsbereitschaft, während zugleich die Repression vorbeugend und ergänzend in Stellung gebracht wird. Gegenwärtig herrscht zwar die Integration vor, während repressive Maßnahmen eher einzelne Menschen treffen und in Reserve gehalten werden. Dieses Verhältnis kann sich jedoch im Gefolge des Sozialabbaus und des sich dagegen formierenden Widerstands erheblich verändern. Bislang scheint erst die Spitze des Eisbergs politischer Repression sichtbar geworden zu sein.

In der Folge des 11. September 2001 brachte der "War on Terror" eine neue Qualität der Staatsschutzpolitik in der Bundesrepublik und der Europäischen Union hervor. Zahlreiche Gesetzesvorhaben, die bereits in der Schublade lagen, werden nun durchgesetzt. Dabei kommt es zu einer deutlichen Verstärkung zwischen- und suprastaatlicher Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane und Regierungen. In Deutschland wurde das Vereinigungsstrafrecht mit dem im April 2002 verabschiedeten § 129b des Strafgesetzbuchs auf die Verfolgung "ausländischer terroristischer Vereinigungen" ausgedehnt.

Ein entsprechender Rahmenbeschluß der EU hebt auf Stützpunkte solchermaßen kriminalisierter Organisationen in verschiedenen Ländern ab und bedient sich dabei des Vorwurfs logistischer Unterstützung, woraus ein Bedarf an übergreifender Strafverfolgung gegen internationalistische Strukturen abgeleitet wird. Ins Visier repressiver Maßnahmen unter Anwendung des § 129b gerieten die baskische ETA, die Tamil Tigers, die Arbeiterpartei Kurdistans, zwei türkischen Organisationen und insbesondere islamistische Gruppen, wobei in Deutschland das Verfahren gegen die DHKP-C in Stuttgart-Stammheim den Charakter eines Pilotprozesses gegen linke Gruppierungen auf Grundlage dieses Paragraphen hat.

Heinz-Jürgen Schneider bei Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Referent erläutert Zweifrontentheorie
© 2010 by Schattenblick

Die Bundesanwaltschaft bedient sich dabei einer Zweifrontentheorie, der zufolge der kämpfenden Front in der Türkei eine Unterstützerfront in Deutschland zur Seite steht. Dieser Winkelzug gestattet es, diverse legale Aktivitäten wie die Gründung eines Vereins, die Teilnahme an einer Demonstration, die Herausgabe von Zeitschriften wie auch Kulturfeste und Spendensammeln zu Straftaten umzudeuten. Das führt dazu, daß zuvor anerkannte politische Flüchtlinge auf Grund militanter Aktivitäten einer Organisation in der Türkei in Deutschland verurteilt werden können.

Dabei werden nicht zuletzt Beweismittel verwertet, die im Ausland unter Anwendung von Folter gewonnen wurden, was nach deutschem Recht verboten ist. Das Bundeskriminalamt arbeitete mit türkischen Institutionen zusammen, woraufhin im Namen der Rechtshilfe massenhaft Dokumente aus der Türkei nach Stammheim überstellt wurden. Daß in der Türkei gefoltert wird, räumt selbst die Bundesregierung ein. Demzufolge dürften Geständnisse, die etwa in der Türkei, in Pakistan oder in Regimes des Nahen Ostens produziert wurden, in deutschen Strafprozessen nicht verwertet werden. Angesichts dieses Widerspruchs wurde zwar ein Zeuge aus der Türkei, gegen den dort ein Verfahren wegen Folter im Amt anhängig war, wieder ausgeladen. Dennoch bestand die konkrete Gefahr, daß die "Früchte vom verbotenen Baum" unter der Hand gepflückt und durch Folter erzwungene Geständnisse hierzulande zur Verurteilung herangezogen werden, wie dies im Stammheimer Prozeß und einigen weiteren Fällen denn auch geschehen ist.

Weitreichende Bedeutung hat in Deutschland auch die sogenannte "Terrorliste" der Europäischen Union. Seit Dezember 2001 wird von den EU-Staaten eine Art "schwarze Liste" von bislang ca. 50 Einzelpersonen und ebenso vielen Organisationen aufgestellt, regelmäßig erneuert und im Amtsblatt verkündet. Die Bundesregierung und ihre Geheimdienste arbeiten an dieser Listung aktiv mit, die nicht nur eine politisch-propagandistische Wirkung im Sinne psychologischer Kriegführung hat. Darüber hinaus sind alle Finanzmittel der Gelisteten einzufrieren, denen auch keine Geldmittel wie beispielsweise Spenden zur Verfügung gestellt werden dürfen, was im Falle diesbezüglicher Verstöße mit schweren Strafen geahndet wird.

Das dabei verwendete Verfahren bezeichnete der Sonderermittler des Europarates, Dick Marty, als "pervers". Er habe selten "etwas so Ungerechtes erlebt, wie die Aufstellung dieser Listen". Die halbjährliche Aktualisierung der EU-Terrorliste erfolgt nichtöffentlich auf Grundlage geheimdienstlicher Informationen, zu denen auch der Bundesnachrichtendienst wesentliche Teile beisteuert. Die Erstellung dieser Liste verstößt mithin gegen rechtsstaatliche Grundsätze, da sie geheim erfolgt und Betroffene so gut wie nie angehört werden. "Ein Serienkiller hat mehr Rechte als eine Person auf der Terrorliste", merkte Marty dazu an.

Erklärtes Ziel dieser Listenführung ist es, "Finanzströme auszutrocknen" und die enthaltenen Personen oder Organisationen ihrer Existenzmöglichkeiten zu berauben. Marty sprach in diesem Zusammenhang von einer "zivilen Todesstrafe", da betroffene Personen praktisch vogelfrei und geächtet seien. Weder dürfen sie Arbeitslohn oder Sozialleistungen erhalten, noch ist es gestattet, ihnen eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, wie ihnen auch der Status eines politischen Flüchtlings aberkannt wird. So willkürlich ein Mensch auf diese Liste gesetzt werden kann, so überaus schwierig ist es, wieder aus ihr gestrichen zu werden, selbst wenn die erhobene Bezichtigung nachweislich jeder Grundlage entbehrt und dies durch einen Freispruch oder eine fallengelassene Klage aktenkundig ist. Nelson Mandela wurde erst kurz vor seinem 90. Geburtstag von der Terrorliste der USA gestrichen, in der andererseits mit der NATO zusammenarbeitende Gruppierungen wie die UCK im Kosovo nie aufgeführt wurden.

Unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 34 (Außenwirtschaftsgesetz) im Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft in der DHKP-C wird ein weiterer õ 129b-Prozeß vor dem Landgericht Düsseldorf geführt. Dabei geht es um die angebliche Sammlung von Geld für die türkische DHKP-C und somit den Vorwurf, in Geldströme für eine mit dem Terrorverdikt belegte Organisation verwickelt zu sein. Wie man sehen kann, sind die Terrorlisten längst in deutschen Staatsschutzprozessen angekommen.

Charakteristisch für diese Art der Prozeßführung ist die Umkehrung des traditionellen Rechtsverständnisses, das von der Unschuldsvermutung ausgeht, bis der Beweis einer begangenen Straftat erbracht wurde. Mit dem Konstrukt terroristischer Netzwerke und Zellen, die es präventiv aufzubrechen und unter Maßgabe potentieller Anschlagspläne zu sanktionieren gelte, bricht sich eine entufernde Bezichtigung Bahn, die der Auffassung Vorschub leistet, daß der postulierte Zweck der Aufklärung jedes Mittel der Beschaffung von Informationen und deren Verknüpfung zum Beleg des vorab generalisierten Verdachts rechtfertigt. Bezeichnend für diese Verfahrensweise ist eine offene oder schleichende Aufweichung gültiger Rechtsnormen, indem das Folterverbot unterlaufen, Telefongespräche massenhaft abgehört oder Computerdateien in großem Stil beschlagnahmt werden.

Die Verflechtung von Verdächtigung, Willkür und assoziativer Schlußfolgerung zum Zweck der Verurteilung läßt sich wiederum am Beispiel des Stuttgarter Prozesses gegen die DHKP-C darstellen. In ihn flossen in der Türkei unter Folter erzwungene Aussagen ebenso ein wie abgehörte Telefonate und Computerdaten, die im "virtuellen Europaarchiv" der Organisation in den Niederlanden konfisziert worden waren. Die beschlagnahmte Datenmenge war so gewaltig, daß deren Verschriftlichung für die Gerichtsakten etwa eine Million Kopien produzierte, von denen schließlich rund zehn Prozent für bedeutsam erachtet wurden. War die Entuferung dieses Verlaufs schon für sich genommen unüberprüfbar, so gaben Markierungen im Text, deren Herkunft nie geklärt werden konnte, Anlaß zu größter Skepsis. Zudem vergingen während der Erstellung und Auswertung der Akten in den Niederlanden und deren Anforderung durch das BKA etwa vierzehn Monate, bis sie schließlich den Prozeßbeteiligten zugänglich gemacht wurden. Obgleich die Beweiskraft dieser Dokumente damit weit unterhalb der Schwelle akzeptabler Stichhaltigkeit angesiedelt war, stützte sich das Urteil auch auf diese zweifelhafte Quelle. So war es letzten Endes die vorab in Stellung gebrachte Bezichtigung, die den Leim zum Verkleben aller losen Enden nicht erbrachter Beweise produzierte.

Zur Frage des Widerstands gegen diese verhängnisvolle Entwicklung gibt Schneider zunächst zu bedenken, daß die Staatsschützer wesentlich besser organisiert seien als ihre Gegnerschaft. Demgegenüber macht er auch positive Aspekte in Gestalt einer breiten Bewegung von Aktivisten bis hin zu Bürgern, die erstmals Anlaß zur Beunruhigung sehen, geltend. Angemessene Aktionsformen sind seines Erachtens vielfältig und schließen einander nicht aus. Der Erkenntnis, daß "die Freiheit zentimeterweise stirbt", hält er die Einschätzung entgegen, daß das Potential des Widerstands in den letzten Jahren größer geworden sei. Mutlos sei er keineswegs, denn was zähle, sei nicht zuletzt die Solidarität unter Kollegen und vor allem die Solidarität mit den Inhaftierten.

Heinz-Jürgen Schneider beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Mut zur Solidarität!
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Heinz-Jürgen Schneider, der als Rechtsanwalt in Hamburg arbeitet, beschäftigt sich seit seiner Doktorarbeit zur Politik der Inneren Sicherheit von 1983 in Vorträgen, Interviews und Artikeln kritisch mit der staatlichen Repression in der BRD. Er hat in politischen Strafprozessen Angeklagte in Verfahren gegen die Organisationen RAF, PKK, DHKP-C und gegen antifaschistische Gruppen verteidigt. Schneider ist Vorstandsmitglied des Vereins für Demokratie und internationales Recht (MAFDAD). Er nahm an Menschenrechtsdelegationen u.a. in die Türkei und nach Indien teil und ist Mitautor des Buches "Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik".

Blick aus dem Veranstaltungsgebäude - © 2010 by Schattenblick

Akademische Ausblicke
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Bisher erschienen:
BERICHT/039: Antirep2010 - Der "War On Terror" und moderner Faschismus (SB)

14. Oktober 2010