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BERICHT/046: Antirep2010 - Staatliche Repression gegen sozialökologische Bewegungen (SB)


Vortrag am 9. Oktober 2010 in Hamburg

Plakat zum Prozeß gegen österreichische TierrechtlerInnen

Aus der Mobilisierungskampagne zum Prozeß gegen österreichische TierrechtlerInnen


Widerspruchsregulation in Aktion - Unterdrückung sozialer Bewegungen

Nichts bemißt den demokratischen Charakter eines Staates präziser als sein Umgang mit der politischen Opposition. Das Ausmaß ihrer Unterdrückung ist Ausdruck des zentralen gesellschaftlichen Konflikts, wie auch immer dessen Bedingungen sein mögen. In kapitalistischen Gesellschaften dreht sich diese Auseinandersetzung vor allem um die soziale Frage, den Klassenantagonismus und Formen räuberischer Ausbeutung. Je rücksichtsloser und schärfer sich diese artikulieren, desto größer wird der Widerstand unter den Betroffenen. So war es zumindest in den historischen Epochen, in denen der Sozialkampf maßgeblich zwischen Lohnarbeit und Industriekapital ausgetragen wurde.

In den postfordistischen, die Kapitalakkumulation zusehends auf dem Finanzmarkt organisierenden Gesellschaften ist es den Eigentums- und Funktionseliten jedoch gelungen, jeglichen sozialen Protest, der nicht nur besseren Zugang zu den Fleischtöpfen verlangt, sondern der eine zu Lasten des Menschen, des Tieres und der Natur gehende Produktivität prinzipiell als kapitalistische Fehlentwicklung verwirft und zu überwinden trachtet, als gefährlichen Irrweg und utopische Fantasterei zu diskreditieren. Sozialer Widerstand, der an den Grundfesten der herrschenden Ordnung rührt, wurde nicht nur unter Verweis auf das Scheitern der realsozialistischen Staatenwelt, sondern auch mit der an den individuellen Egoismus appellierenden Durchsetzung des Paradigmas sozialdarwinistischer Überlebenskonkurrenz an den äußeren Rand gesellschaftlicher Diskurse gerückt.

Die ideologische Denunziation linksradikaler Opposition ist Bestandteil einer systemapologetischen Präventivdoktrin, die das Gros der Bevölkerung vor allem mit der immensen Produktivität der Kulturindustrie in den Bann des täglichen Spektakels und einer mit herrschaftskonformen Zuweisungen von gut und böse, von falsch und richtig operierenden Moral schlägt. Wer sich nicht mit den verbliebenen Angeboten an ein Leben unter bescheidenen Verhältnissen arrangieren will, ist nicht notgedrungen revolutionär, sondern sucht sein Heil häufig in politischen Bewegungen, die die herrschende Verwertungsordnung zum exklusiven Nutzen für qua Herkunft, Nationalität und Hautfarbe Auserwählte maximieren wollen.

Nur noch wenige Menschen erheben in den westeuropäischen und nordamerikanischen Metropolengesellschaften im Vergleich zu der Zeit vor der fast weltumspannenden Dominanz kapitalistischer Staaten grundlegenden Einwand gegen Raub und Zerstörung, Ausbeutung und Unterdrückung. Was im quantitativen Abgleich das gesellschaftliche Leben bestimmender Gruppen und Mehrheiten vernachlässigenswert erscheint, birgt dennoch den Keim transformativer bis revolutionärer Veränderungen in sich, dementsprechend rigide fallen die dagegen gerichteten staatlichen Mittel aus. Im Bewußtsein des Widerspruchs zwischen krasser materieller Ungerechtigkeit und postulierter humanistischer Egalität wird die produktive Infragestellung dieses Mißverhältnisses schon deshalb unterdrückt, weil sie an doktrinär versteinerte Gewißheiten rührt, auf der die Existenzsicherung und Teilhaberschaft aller diesen Postulaten verpflichteten Personen beruht.

So beruft sich der institutionell und methodisch hochdifferenzierte, alle Mittel technischer Innovation und wissenschaftlicher Erkenntnis einsetzende Repressionsapparat auf die Abwehr einer terroristischen Bedrohung, deren kulturalistische Überzeichnung lediglich davon ablenkt, daß die Gefahr in einer sozialen Umwälzung verortet wird, die inmitten der eigenen Bevölkerung heranwächst. Um im Sinne der Herrschenden den Anfängen zu wehren wird versucht, nicht nur eine radikale Linke, die seit dem angeblichen Sieg des lediglich übriggebliebenen liberalen Kapitalismus stark an inhaltlicher Konsequenz und praktischer Mobilisierungsfähigkeit verloren hat, sondern die auf neuen Kampffeldern aktive sozialökologische Bewegung in der Freiheit ihres politischen Kampfes einzuschränken. Einige dieser im ideologischen Selbstverständnis häufig autonom und anarchistisch ausgerichteten Gruppen sind bei der Frage der Ausbeutung über den den Menschen betreffenden Sozialkampf hinausgegangen und haben sich der Befreiung aller Lebewesen wie des Schutzes der Natur vor menschlichem Raubbau verschrieben.

Damit haben sie einer klassenkämpferischen Linken, der das revolutionäre Subjekt abhanden gekommen ist, weil es seinen Frieden mit der eigenen Unterwerfung unter das Diktat totaler Ökonomisierung gemacht zu haben scheint, neue Möglichkeiten des kämpferischen Engagements und der weiteren Mobilisierung aufgezeigt. Da die Krise des Kapitalismus auf vielfältige Weise mit den Problemen des Klimawandels, der Trinkwasserknappheit, des Nahrungsmittelmangels und der Verknappung fossiler Energieträger interagiert und das Konzept fortwährenden Wachstums akut in Frage gestellt ist, fällt es den Sachwaltern der herrschenden Ordnung immer schwerer zu erklären, wie sie mit den kommenden Mangelproblemen anders umgehen wollen als sie zu Lasten des Lebensrechts einer immer größeren Zahl von Menschen zu organisieren.

In dieser Situation stellen die auf breiter Ebene bislang zwar kaum vernehmbaren, sich jedoch durch vielfältige Aktionen des zivilen Ungehorsams als auch sachbeschädigender Militanz zusehends Gehör verschaffenden sozialökologischen Bewegungen eine aktivistische Avantgarde dar, die staatlicherseits offensiv bekämpft wird. Die anarchistische Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung legt den Finger in die Wunde eines Widerspruchs, dessen Virulenz auch in bürgerlichen Kreisen verspürt wird und diese anschlußfähig für weiterreichende emanzipatorische Gedanken machen könnte. Eine grün-anarchistische Technik- und Zivilisationskritik greift an die Wurzeln kapitalistischer Vergesellschaftung, deren zur Entlastung des Menschen von den Mühen körperlicher Arbeit verheißene Produktivkraftentwicklung auf gegenteilige, Mangel, Abhängigkeit und Zerstörung hervorbringende Weise Gestalt angenommen hat. Wie auch immer diese Positionen von emanzipatorischen und marxistischen Linken kritisiert werden, bieten sie doch allemal Substanz für eine fruchtbare Diskussion auf der Höhe einer Menschheitsentwicklung, die für unumstößlich gehaltene Gewißheiten in einem Tempo eliminiert, daß die Antizipation dagegen gerichteter Entwürfe radikales Denken und revolutionären Mut erfordert.

Logo der Basisorganisation Tierrechte (BAT)

Basisorganisation Tierrechte (BAT)

Österreichische Staatsgewalt unterdrückt Widerstand gegen Ausbeutung der Tiere

Auf dem Internationalen Antirepressionskongress 2010 an der Universität Hamburg war den von staatlicher Repression betroffenen Aktivistinnen und Aktivisten sozialökologischer Bewegungen eine eigene Veranstaltung vorbehalten. In Deutschland eher unbekannt ist das Ausmaß der gegen die Tierrechtsbewegung gerichteten Maßnahmen in Britannien, die mit dem an den Folgen eines im Gefängnis durchgeführten Hungerstreiks gestorbenen Aktivisten Barry Horne bereits ein Todesopfer zu beklagen hat. Zu Beginn der Veranstaltung verlas der israelische Anwalt Yossi Wolfson eine Grußadresse des britischen Tierrechtsaktivisten Mel Broughton, der derzeit eine zehnjährige Haftstrafe wegen geplanter Brandstiftung an einem Tierversuchslabor an der Universität Oxford verbüßt.

Broughton, der 1988 mit Horne versuchte, einen Delphin zu befreien, setzt sich seit Beginn der 1980er Jahre für Tierrechte ein. Wie Wolfson einleitend erwähnte, machen sich seine Angehörigen Sorgen um seinen Gesundheitszustand, der infolge einer Verletzung und unzureichender Ernährung kritisch ist. Letzteres ist ein besonderes Problem aller sich vegan, also unter Verzicht auf jegliche Tierprodukte, ernährenden Gefangenen. Um unter Knastbedingungen eine vollwertige vegane Ernährung zu garantieren, bedarf es in der Regel des Einsatzes von Unterstützern, die diese Forderung gegen einen Strafvollzug durchsetzen, der ethisch motivierte Ernährungsformen unter anderem auch deshalb ignoriert, um den Druck auf die Gefangenen zu erhöhen.

Die von zwei betroffenen Aktivisten erläuterte Strafverfolgung von 13 österreichischen Tierrechtlerinnen und Tierrechtlern, gegen die zur Zeit vor dem Landesgericht Wiener Neustadt verhandelt wird, ist aus dem großenteils erfolgreichen Kampf mehrerer Tierrechtsorganisationen gegen den Pelzhandel entstanden. Dieser richtete sich schließlich gegen das letzte größere Bekleidungsunternehmen, das noch Pelze in Österreich im Angebot hatte. Die gegen das Unternehmen Kleider Bauer gerichtete Kampagne sollte staatlicherseits durch Demonstrationsverbote unterbunden werden, was den Aktivistinnen und Aktivisten abverlangte, ihre Kundgebungen unter Inkaufnahme von Verwaltungsstrafen abzuhalten. Um die Unterordnung der Versammlungsfreiheit unter die Gewerbefreiheit effizienter durchsetzen zu können, wurde - auch auf Betreiben der Firma Kleider Bauer - eine polizeiliche Sonderkommission (Soko) mit über 30 Beamten gebildet, die angeblich aufgrund einiger weniger Sachbeschädigungen umfassende Ermittlungsaktivitäten gegen etwa 40 Tierrechtler entfaltete.

Um den Einsatz des gesamten Ausforschungs- und Observationsinstrumentariums elektronischer wie personeller Art gegen die Tierrechtler zu rechtfertigen, bedienten sich die Behörden des Organisationsstrafrechts nach Paragraph 278a des österreichischen Strafgesetzbuches. Wie beim deutschen Strafrecht nach den Paragraphen 129, 129a und b geht es im Kern darum, die unterstellte personelle oder organisatorische Nähe zu illegalen Handlungen strafrechtlich verfolgbar zu machen. Dieser mit bis zu fünf Jahren Haft wegen Bildung einer "Kriminellen Organisation" strafbewehrte Artikel ist in der Definition zu verfolgender Handlungen so unbestimmt, das er sich als universales Instrument zur Kriminalisierung auch geringfügiger Formen bürgerlichen Protests eignet. Ausgehend von einer "auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen", die kollektiv allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft beschuldigt werden können, wird schon die "geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen", unter Strafe gestellt. Sollten die Bezichtigten "erheblichen Einfluß auf Politik oder Wirtschaft anstreben", was Ziel jedes legalen demokratischen Protests sein dürfte, können sie sich ebenso strafbar machen, als wenn sie sich "auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen" versuchen.

So geriet die völlig legale Nutzung von Verschlüsselungssoftware und Prepaid-Mobiltelefonen zum Anlaß für Hausdurchsuchungen und wurde - in Ermangelung valider Beweise - als Belastungsmaterial eingesetzt. Vom Mai 2007 an wurden die verdächtigten Personen ein ganzes Jahr mit aller ermittlungstechnischen Finesse überwacht, bis am 21. Mai 2008 23 Wohnungen, Häuser und Büros durch bewaffnete Sondereinheiten der Polizei gestürmt und durchsucht wurden. Zehn Personen wurden festgenommen und konnten die Untersuchungshaft erst nach dreieinhalb Monaten wieder verlassen. Hauptgrund dafür dürfte die erhebliche Aufregung gewesen sein, die dieses unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei in Österreich erzeugte, sowie die internationale Solidarität zahlreicher Tierrechtsorganisationen.

Bis zum Prozeßbeginn am 2. März 2010 folgten weitere Hausdurchsuchungen, die im Falle eines Tierrechtsaktivisten und seiner Eltern auch auf die Bundesrepublik ausgedehnt wurden, sowie Repressalien aller Art gegen Unterstützer, die auch eine Landtagsabgeordnete der österreichischen Grünen trafen. Obwohl sich anfangs erhobene Vorwürfe wie das Begehen von Brandstiftungen als haltlos erwiesen und von der Oberstaatsanwaltschaft zurückgenommen wurden, bleibt es bei der Anklage nach Paragraph 278a. Dazu bedient sich die österreichische Justiz einer Doppelstrategie, die an die Bekämpfung antiimperialistischer Bewegungen erinnert, bei der legale Parteien unter dem Vorwurf, über einen illegalen militanten Arm zu verfügen, als Ganzes verboten wurden. Im Falle der österreichischen Angeklagten, denen lediglich die indirekte Verantwortung für geringfügige Sachbeschädigungen angelastet wird, zogen die Justizbehörden britische Ermittler hinzu, die diese Strategie bereits bei der Verfolgung einheimischer Tierrechtler verwendeten.

Aus Sicht der Betroffenen und vieler österreichischer Bürger geht es bei diesem Prozeß, bei dem der Kreis der ursprünglich zehn Verdächtigten in letzter Minute um drei weitere Personen ergänzt wurde, um die generelle Kriminalisierung des Protests gegen die Ausbeutung von Tieren. Schon die Auswahl der Angeklagten, die verschiedenen, miteinander aus politischen Gründen nicht zusammenarbeitenden Organisationen wie dem Verein gegen Tierfabriken (VGT) und der Basisgruppe Tierrechte (BAT) angehören, verweist auf einen Rundumschlag, mit dem die Tierrechtsbewegung im besonderen und bürgerliche Protestbewegungen im allgemeinen bedroht und eingeschüchtert werden sollen.

Um so wichtiger ist die Solidaritätsarbeit, die im Falle der BAT von den Aktivistinnen und Aktivisten der Antirep2008-Gruppe geleistet wird. Sie haben die Betroffenen in U-Haft unterstützt , helfen ihnen bei der umfangreichen Prozeßvorbereitung, etwa indem sie das Aktenkonvolut auswerten, sie sind als Prozeßbeobachter im Gerichtssaal zugegen und schaffen mit Soli-Aktionen aller Art Öffentlichkeit. Wie im Falle der beiden Angeklagten, die seit anderthalb Jahren mit nichts anderem als ihrem Prozeß beschäftigt sind, wird die eigentliche Arbeit gegen die Ausbeutung der Tiere schon von daher wirksam unterbunden.

Daß es dabei um ein nicht auf Österreich beschränktes Vorgehen staatlicher Behörden geht, belegten die Aktivisten, die ihren Fall auf dem Antirepressionskongress in Hamburg vortrugen, indem sie die Repression in größeren EU-europäischen Kontext stellten. So habe die Polizeibehörde Europol 2008 unter dem Begriff des "Tierrechtsextremismus" ein neues Feld der Bekämpfung außerparlamentarischer Protestbewegungen eröffnet. In Britannien sei die Tierrechtsbewegung zu einem regelrechten Testfeld der Repression geworden, indem man sich eine kleine Bewegung aussuchte, die leicht zu überblicken sei und bei der man wenig Solidarität aus dem Umfeld zu erwarten habe. Laut dem Europol-Report TE-SAT 2009 soll der "Tierrechtsextremismus" in Britannien aufgrund des massiven Vorgehens der Sicherheitsbehörden rückläufig sein, dafür aber in anderen westeuropäischen Ländern zunehmen. Derartige Aktivitäten werden von Europol denn auch unter dem Terrorismusvorwurf subsumiert, indem festgestellt wird, daß "Tierrechtsextremismus" die dominante Form des "single issue terrorism" sei.

Indem das legitime und legale Eintreten für den Schutz und die Rechte von Tieren letztendlich unter Terrorismusverdacht gestellt und mit einem dahingehend erweiterten Organisationsstraftatbestand kriminalisiert wird, bedienen sich Exekutive und Judikative einer programmatischen Unbestimmtheit der Strafnormen, mit Hilfe derer es unmöglich gemacht wird, eine klare Grenze zwischen legalen und strafbaren Handlungen zu ziehen. Eben das wird den Betroffenen abverlangt, so daß er gesellschaftliche Effekt nur in einer massiven Einschüchterung aller Menschen bestehen kann, die sich im Rahmen demokratischer Proteste und direkter Aktionen engagieren. Die politische Stoßrichtung dieses Affronts autoritärer Justizwillkür liegt in der Negation des politischen Charakters jeglichen Protests, der die Legitimität staatlichen Handelns aufgrund nachvollziehbarer ethisch-moralischer Kategorien in Frage stellt. Widerstand gegen die ökonomische Ausbeutung von Tieren zu kriminalisieren ist eine politische Entscheidung, gegen die mit politischen Mitteln anzukämpfen nur aus einer Machtposition heraus illegalisiert werden kann. Um die herrschenden Produktionsverhältnisse fortzuschreiben wird eine Definitionsgewalt durchgesetzt, die jede demokratische Debatte im Keim ersticken soll.

Anlaß dafür scheint es angesichts des in diesem Fall besonders offenkundig zu Tage tretenden Gewaltverhältnisses mehr als genug zu geben. So hat die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in einer Solidaritätserklärung an die betroffenen Aktivistinnen und Aktivisten geltend gemacht: "Für Tierrechte einzustehen ist besonders wichtig, weil Tiere ja nicht für sich selber einstehen können. Also müssen es die Menschen für sie tun. Tiere sind, wie alle Schutzlosen, auf diesen Schutz angewiesen." Was für jeden halbwegs empfindsamen Menschen, selbst wenn er Tierprodukte konsumiert, auf der Hand liegt, darf nicht ins Stadium einer Auseinandersetzung treten, die an die Grundfeste einer nicht nur kapitalistischen, sondern anthropozentrischen Produktionsweise rührt. Wird die Ausbeutung der Tiere folgerichtig in Frage gestellt, kann die Herrschaft des Menschen über den Menschen nicht übergangen werden. Je weiter der Horizont grundsätzlicher Herrschaftskritik gespannt ist, desto mehr haben fragende Menschen mit repressiven Antworten zu rechnen.

Logo der Roten Hilfe International (RHI-SRI)

Rote Hilfe International (RHI-SRI)

Positionsübergreifende Gefangenensolidarität mit ÖkoanarchistInnen in der Schweiz

In einer Videoaufzeichnung wandte sich eine Sprecherin der Rote Hilfe International (RHI-SRI) an die Besucher des Internationalen Antirepressionskongresses, um zur Unterstützung militanter Revolutionärinnen und Revolutionäre im allgemeinen und von vier politischen Gefangenen in der Schweiz im besonderen aufzufordern. Einleitend klärte sie über die Arbeit ihrer Organisation auf, die sie - wohl auch in Abgrenzung zu konventionellen, apolitischen und damit für herrschende Interessen instrumentalisierbaren Gefangenenhilfsorganisationen wie Amnesty International - als weder humanitär noch karitativ, sondern explizit politischer Art darstellte. Die RHI verstehe sich als Teil der weltweiten antikapitalistischen, antiimperialistischen und antifaschistischen Bewegung, die sich den Sturz von Ausbeutung und Unterdrückung zum Ziel gemacht hat. Sie verteidige revolutionäre Gefangene und unterstütze ihre Kämpfe und Forderungen, indem sie über die Bedingungen in Haft aufkläre und allen Formen von Isolation, Folter, besonderer Sicherheitsmaßnahmen und Einschränkungen sowie strafprozessualer Benachteiligungen entgegentrete.

Besonderen Wert legte die RHI-Sprecherin, die ihre im Jahr 2000 konstituierte Organisation in die Tradition der 1922 in Moskau durch die Kommunistische Internationale gegründeten Roten Hilfe stellte, darauf zu betonen, daß die Einheit der unterschiedlichen linksradikalen Gruppierungen in der Solidaritätsarbeit allem anderen vorausgehe und ideologische Grabenkämpfe gerade auf diesem Feld am wenigsten Geltung erhalten sollten. Weil die Repression immer grenzüberschreitender organisiert werde, sei internationale Solidarisierung mehr denn je erforderlich. In diesem Zusammenhang hieß sie auch militante, sympathisierende und authentische Demokratinnen und Demokraten willkommen, gemeinsam mit Kommunistinnen und Kommunisten Solidaritätsarbeit zu leisten.

Die RHI-Sprecherin war sichtlich darum bemüht, ihre klassenkämpferische Sicht nicht zu verallgemeinern, sondern Aktivistinnen und Aktivisten der verschiedenen Strömungen der radikalen Linken in die Unterstützung politischer Gefangener einzubeziehen. Mit der Schilderung des Eintretens der RHI für vier grün-anarchistische Gefangene gab sie ein praktisches Beispiel für positionsübergreifende Solidarität. Die Italienerin Silvia, der Italiener Costa und der Schweizer Billy wurden am 15. April 2010 bei einer Straßenkontrolle in der Nähe von Zürich verhaftet unter dem Vorwurf, einen Sprengstoffanschlag gegen ein neues Forschungslabor für Bio- und Nanotechnologie geplant zu haben. Gegen Silvia und Costa, die zu den Mitbegründern der italienischen Tierrechtsbewegung gehören, wurde bereits in Italien unter anderem wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in gemeinsamen Organisationen von Anarchisten und Kommunisten ermittelt.

Obwohl die drei Gefangenen voneinander isoliert in verschiedenen Haftanstalten sitzen, keine Besuchsbewilligungen erhalten, ihre Post blockiert wird und sie nur ausgesuchte, das heißt unpolitische Bücher zur Lektüre erhalten, gelang es ihnen, im September gemeinsam mit dem Schweizer Marco einen fast dreiwöchigen Hungerstreik zu organisieren. In einer Erklärung klärten die "revolutionären ÖkoanarchistInnen" über ihre politischen, "grün/antizivilisatorischen" Ziele auf und bekannten sich zur Fortsetzung des Kampfes auch hinter Mauern und Gittern.

Marco Camenisch ist seit Ende der 1970er Jahre im Kampf gegen die Atomindustrie aktiv und hat in dieser Zeit fast 20 Jahre wegen Sabotageakten an AKWs und des Todes eines Zöllners an der italienisch-schweizerischen Grenze in den Gefängnissen beider Länder verbracht. Obwohl Marco, der seine politische Arbeit nach einem Ausbruch zehn Jahre lang im Untergrund fortsetzte, jegliche Beteiligung am Tod des Zöllners bestreitet, wurde er dafür 2004 zu 17 Jahren Haft verurteilt. 2007 wurde die Strafe auf die in seinem Fall juristisch mögliche Höchstbemessung von 8 Jahren herabgesetzt, was bedeutet, daß er bei voraussichtlicher Entlassung im Jahr 2018 30 Jahre Haft verbüßt hätte. Die Chancen auf eine vorzeitige Entlassung sind gering, weil, so die Begründung der Strafverfolgungsbehörden, Marco sich nach wie vor als Anarchist bezeichne und mit der Gesellschaft auf Kriegsfuß stehe.

Während das Ermittlungsverfahren gegen Silvia, Costa und Billy in der Schweiz noch nicht abgeschlossen ist, bereiten die italienischen Strafverfolgungsbehörden ein zusätzliches paralleles Strafverfahren nach Maßgabe der Vereinigungskriminalität vor. Wie die RHI-Sprecherin schilderte, versuchen ihre Verteidiger, die informelle Zusammenarbeit der schweizerischen und italienischen Polizeibehörden zu unterbinden, um einen zweiten Prozeß unter Verweis auf internationale Abkommen und des Verbots einer Doppelbestrafung zu verhindern. Die Hauptstrategie der Schweizer Behörden bestehe in der Entpolitisierung der Angeklagten, um den Eindruck zu verhindern, daß es einen politischen Feind gebe, der außerhalb wie innerhalb des Knastes kontinuierlich und konsequent handele.

Um die Verteidigung zu behindern, führten die Schweizer Bundesanwaltschaft und Kriminalpolizei ein Geheimverfahren, in dem den Anwälten und Gefangenen keine Akteneinsicht gewährt wird und alles, was die Ankläger vorhaben, im Dunkeln bleibt. Zudem spielten sich die Nachrichtendienste und Staatsschutzbehörden die Bälle zu, indem sie ihre jeweiligen Kompetenzen wie etwa die nichtvorhandene Verpflichtung der Geheimdienste, strafprozessual relevante Akten anzulegen, zu Lasten der Angeklagten einsetzten.

Die RHI-Sprecherin fordete die Anwesenden auf, sich an der Solidaritätskampagne für die vier Gefangenen unter der Parole "Drinnen und draußen ein Kampf gegen Staat und Kapital" zu beteiligen und sich zudem der RHI-Kampagne für revolutionäre Langzeitgefangene anzuschließen. Es gebe in mehreren Ländern Bestrebungen, diese Gefangenen nicht mehr freizulassen, weil sie dafür ständen, daß man an der Konfrontation mit der Staatsgewalt wachsen und den Knast ungebrochen verlassen könnte.

Die Unterstützung politischer Gefangener und der Kampf gegen ein politisches Strafrecht, das schon die Gesinnung radikaler Aktivistinnen und Aktivisten kriminalisiert und auf die Zerschlagung jeglicher Form gemeinsamen Handelns ausgerichtet ist, sind zweifellos der Kern jeder Antirepressionsarbeit. Gerade weil in der Konfrontation mit dem Staat auf ganz physische und materielle Weise spürbar wird, wie sich die Gewalt kapitalistischer Verwertung gegen diejenigen richtet, die sie entschieden in Frage stellen, wird die Gefangenensolidarität von der größeren Linken eher stiefmütterlich behandelt. Dabei erleben auch bürgerliche Demonstranten zusehends, daß der Verhinderung menschen- und naturfeindlicher Großtechnologien mit Mitteln entgegengetreten wird, die den demokratischen Charakter des sie anwendenden Staates mit einem Fragezeichen versehen.

Das Verhältnis der Legitimität des Widerstands gegen den Raubbau an Mensch, Tier und Natur zu der in Anspruch genommenen Legalität administrativer Repression wird durch die krisenhafte Entwicklung ökonomischer, ökologischer und politischer Systeme auf eine Zerreißprobe gestellt, die durchaus dazu führen könnte, daß die durch objektive kapitalistische Destruktivität delegitimierte Legalität der Staatsapparate in autoritäre bis diktatorische Herrschaftsformen umschlägt. "Wehret den Anfängen" heißt aus Sicht der gesellschaftlichen Subjekte zumindest, sich in diesem Antagonismus auf eine Seite zu stellen, indem sie sich zu ihren legitimen Zielen bekennen, und sich jeder legalistischen Willkür unabhängig davon, ob man die Positionen der Betroffenen gutheißt oder nicht, zu widersetzen.

Graffiti im Keller eines Gebäudes der Universität Hamburg - © 2010 by Schattenblick

Im Tiefgeschoß der Gesellschaft keimen neue Blüten
© 2010 by Schattenblick

Bisher erschienen:
BERICHT/039: Antirep2010 - Der "War On Terror" und moderner Faschismus (SB)
BERICHT/040: Antirep2010 - Heinz-Jürgen Schneider zum Terrorverdikt im politischen Strafrecht (SB)
BERICHT/041: Antirep2010 - Yossi Wolfson streitet gegen Illegalisierung (SB)
BERICHT/042: Antirep2010 - Will Potter zu "Green Scare" in den USA (SB)
BERICHT/043: Antirep2010 - Sabine Schiffer nimmt Islamfeindlichkeit in den Medien aufs Korn (SB)
BERICHT/044: Antirep2010 - Staatliche Repression gegen die antikapitalistische Linke (SB)
BERICHT/045: Antirep2010 - Tobias Pflüger konterkariert Europas Weltmachtstreben (SB)
INTERVIEW/051: Antirep2010 - Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe und Autor (SB)
INTERVIEW/052: Antirep2010 - Will Potter, US-Journalist und Autor "The New Green Scare" (SB)
INTERVIEW/053: Antirep2010 - Thomas Wagner, Kultursoziologe und Autor (SB)
INTERVIEW/054: Antirep2010 - Michael Schiffmann kämpft um das Leben Mumia Abu-Jamals (SB)

25. Oktober 2010