Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

INTERVIEW/001: Sara Flounders, International Action Center (SB)


Interview mit Sara Flounders auf der XIV. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2009 in Berlin


Die US-amerikanische Aktivistin Sara Flounders ist Kodirektorin des International Action Center (IAC). Im Rahmen ihrer Arbeit, die internationale Opposition gegen die Kriegführung der USA aufzubauen, bereiste sie den Irak, Jugoslawien, Palästina, Korea und Japan. 1992 koordinierte sie das International War Crimes Tribunal on U.S. War Crimes in Iraq, 2000 war sie maßgeblich am International Tribunal for U.S./NATO War Crimes in Yugoslavia beteiligt.

Sara Flounders

Sara Flounders
© 2009 by Schattenblick
Schattenblick: Frau Flounders, als einziger Gast aus den Vereinigten Staaten unter den Vortragenden möchten wir Sie gerne zur US-amerikanischen Linken befragen, über die hier in der Bundesrepublik nicht viel berichtet wird.

Es war erstaunlich, wie gering bei den Wahlen im November der Zuspruch zu den Grünen war, obwohl sie mit Cynthia McKinney und Rosa Clemente interessante Kandidatinnen und eine beeindruckende programmatische Wahlplattform hatten. Sie erhielten nur etwas mehr als 140.000 Stimmen. Wie erklären Sie sich das?

Sara Flounders: Angesichts der Situation ist dies tatsächlich eine große Zahl. In US-amerikanischen Wahlen erhalten die Kandidaten dritter Parteien so gut wie keine Aufmerksamkeit, und dieses Mal traf dies sogar noch mehr zu. Wenn man früher in zehn der 50 Staaten aufgestellt war, mußten sie einem aus gesetzlichen Gründen ein gewisses Ausmaß an Berichterstattung zugestehen. Das wird heute nicht mehr so gehandhabt. Wer Cynthia McKinney nicht bereits kannte, erfuhr praktisch nichts von ihr. Sie wurde nicht erwähnt. Selbst wenn der durchschnittliche Bürger sie kannte und davon gehört hatte, daß sie als Präsidentschaftskandidatin antritt, erreichten ihn keine Nachrichten über ihre Kampagne.

Nun ist Cynthia McKinney wegen ihrer Unterstützung der Palästinenser in besonderer Weise bei den Medien verhaßt. Man hat ihren Wahldistrikt drei Mal rekonfiguriert, das ist schon abenteuerlich. Aber es zeigt, wie sehr der Wahlprozeß in den USA manipuliert wird. Wenn sich jemand zur Wahl aufstellen lassen will, dann muß er zuerst in jeder Beziehung einen Schwur auf seine Loyalität ablegen. Das ist etwas, was Obama wieder und wieder tun mußte. Er mußte sich sogar von seinem eigenen Pastor lossagen. Das kam einem Loyalitätseid auf die herrschende Klasse gleich.

Die Wahlen reflektieren sehr wenig. In einem übergeordneten Sinn stellt die Tatsache, daß Millionen weißer Arbeiter das erste Mal für einen schwarzen Kandidaten gestimmt haben, allerdings einen großen Schritt nach vorne dar.

Obama ist ein widersprüchliches Phänomen. Bei jedem Widerspruch muß man beide Seiten sehen, es ist ein wenig dialektisch. Auf der einen Seite hat die herrschende kapitalistische Klasse in den USA Obama in sehr großem Maße unterstützt. Sie versorgte ihn mit den hunderten Millionen Dollar, die man benötigt, um anzutreten. Die Herrschenden brauchen jemanden, der ihnen helfen kann, ihr Imperium zu retten. Sie spüren, daß Bush, der umfassende Militarismus und die starke Repression eine Katastrophe waren, daß sie in aller Welt diskreditiert wurden. Sie sind in hohem Maße bestrebt, eine Regierung zu etablieren, die in europäischen Begriffen eine große Koalition wäre, die Demokraten wie auch bestimmte Republikaner umfaßt. Sie wollen, daß Obama sie, die herrschende Klasse, rettet.

Widersprüchlich ist die Tatsache, daß Obamas Wahlkampfkampagne die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen in sehr große Höhen getrieben hat. Wenn die Erwartungen groß sind, können Forderungen erhoben werden, denn die Menschen erwarten, daß sie dazugewinnen, nachdem sie einen Jahre währenden Niedergang erlebt haben und man auf ihnen herumgetreten ist.

Nun ist da jemand, von dem erwartet wird, daß er sehr entschlossen ist und schwört, das System zu verteidigen. Auf der anderen Seite ist man konfrontiert mit dem vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft, einem nicht zu gewinnenden Krieg und arbeitenden Menschen, die nun höhere Erwartungen haben, während es weniger Möglichkeiten gibt, diese zu erfüllen. Das stellt eine neue Realität dar.

SB: Einige Linke vertreten die Ansicht, daß Obama lediglich vorschützte, ein konformistisches Programm zu haben, um nach seiner Wahl progressive Positionen durchzusetzen.

SF: Alle, die er ins Kabinett geholt und als Berater ernannt hat, sind durch die Bank ausgesprochene Zentristen wie Hillary Clinton, Joseph Biden, Bill Gates. Es gibt keinen, der auch nur in gewissem Maße für die Arbeiterklasse eintreten würde, der auch nur ein wenig links von der Mitte stünde, niemanden. Man kann die Entwicklung nur anhand von Nominierungen bewerten wie etwa der Rahm Emanuels, ein überzeugter Zionist und starker Unterstützer Israels/eines überzeugten Zionisten und starken Unterstützers Israels. Im Finanzbereich sind es eben die Personen, die das Debakel der Deregulation und so weiter zu verantworten haben. Ich glaube nicht, daß die Linke sich noch viel von ihm erhofft.

SB: Wie reagiert die Linke darauf, daß durch die in Obama gesetzten Erwartungen viel Wählerpotential von ihr abgezogen wurde? Radikalisiert sie sich, resigniert sie?

SF: Das ist die Herausforderung. Sicherlich wird der Teil der Bewegung, den ich repräsentiere, sich nicht zurücklehnen und auf Obama warten, weil wir nicht davon ausgehen, daß er überhaupt viel bewegen wird. Es geht uns darum, sofort zu versuchen, das höhere Erwartungsniveau für uns zu nutzen, so daß die Menschen Forderungen an diese Regierung stellen, sobald sie ihre Arbeit aufnimmt. Zwei Millionen Menschen werden dieses Jahr wegen der Schuldenkrise ihr Haus verlieren, Millionen Menschen werden entlassen. Die Probleme sind gigantisch. Die Kürzungen betreffen nicht nur die Bundesregierung, sondern finden auch auf Staats- und Kommunalebene statt. Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Bibliotheken, alle Programme sind betroffen.

SB: Wachen die Menschen auf breiter Ebene auf und entwickeln sie ein Bewußtsein für die Widersprüche?

SF: Eine Wirtschaftskrise zwingt die Menschen dazu, aufzuwachen. Erst das initiiert die Auseinandersetzung. Man kann den Menschen nicht einfach sagen: Wacht auf, wacht auf, wacht auf! Ereignisse vitalisieren sie. Wenn das System nicht mehr handlungsfähig ist und ihnen keine Lösung mehr anbieten kann, dann werden sie dazu angestoßen, selbst zu handeln. Wir wollen nicht einfach Obama niedermachen, wir wollen die Menschen davon überzeugen, daß sie ihre eigenen Forderungen stellen müssen, und zwar sofort.

SB: Das International Action Center kümmert sich um die Mobilisierung der Menschen. Ihre Organisation war bereits im Irakkrieg 1991 und während des UN-Embargos gegen den Irak in vorderster Reihe aktiv. Würden sie sich als antiimperialistische Bewegung bezeichnen?

SF: Ja.

SB: Wie ist es um das Wissen der US-Bevölkerung über den imperialistischen Charakter der eigenen Regierungspolitik bestellt?

SF: Das ist ein Fokus eines großen Teils unserer Arbeit. Für arbeitende Menschen in den USA ist es fast eine Überraschung zu erfahren, daß sie im Zentrum des größten Imperiums der Welt leben. Der durchschnittliche Bürger weiß nicht, daß es 700 US-Militärbasen in aller Welt gibt. Aber es ist interessant und macht Hoffnung: Die US-Medien waren zu 100 Prozent für den Irakkrieg. Nicht eine oppositionelle Stimme meldete sich zu Wort, bevor Bush in den Irakkrieg zog, nicht ein ernstzunehmender Artikel stellte die Behauptung von den irakischen Massenvernichtungswaffen in Frage. Und doch war selbst zu dieser Zeit die Hälfte der Bevölkerung gegen den Krieg. Nun sind es 70 Prozent. Das zeigt, daß sich die Medienlügen nicht durchsetzen können, wenn die reale Entwicklung und das, was die Menschen erfahren oder was ihnen aus früheren Kriegen bekannt ist, dem entgegenläuft.

Die Frage ist natürlich immer, wie man die Menschen mobilisiert, so daß sie merken, daß die Teilnahme an Demonstrationen, Aktionen, Sit-Ins und Besetzungen Ergebnisse erzielen wird. Bush hat dadurch, daß er die Antikriegsbewegung vollständig ignorierte, erreicht, daß viele Teilnehmer entmutigt wurden. Die Menschen fragten sich, was man überhaupt mit Demonstrationen erreichen kann. Bevor der Krieg begann, waren Millionen Menschen auf der Straße. Als der Krieg weiterging, waren immer mehr Menschen gegen ihn, aber die Demonstrationen waren klein. Das ist ein weiterer Widerspruch, mit dem man es immer zu tun hat.

SB: Wie schätzen sie die Wirkung der staatlichen Repression ein. So sind zum Beispiel acht Personen, die beim Parteitag der Republikaner verhaftet wurden, von einer Freiheitsstrafe bis zu 30 Jahren bedroht. Hält das Menschen, die normalerweise auf die Straße gehen würden, davon ab, dies zu tun?

SF: Sicherlich, auf jeden Fall. Ich war in Minneapolis-St. Paul während des Parteitags der Republikaner. Es ist interessant, daß Minneapolis-St. Paul eine sehr progressive Stadt ist, in der große Demonstrationen gegen den Krieg abgehalten wurden. Doch in den Tagen vor der Demonstration gegen die republikanische Partei zeichneten die Medien, die sich vollständig mit der Regierungspartei verbündet hatten, tagtäglich ein Zerrbild von den Demonstranten und Bush-Gegnern, von fanatischen Anarchisten, die in die Stadt kämen, um mit Urin und Fäkalien zu werfen und andere eklige Dinge zu tun. Das ließ sie so abstoßend und verrückt erscheinen, daß viele Leute Angst bekamen. Früher gingen die Menschen häufig und zahlreich zu Demonstrationen.

Ich glaube, nicht einmal die örtlichen Organisatoren hatten eine Vorstellung davon, was es bedeutete, nicht mehr nur gegen ihre lokale herrschende Klasse anzutreten. Plötzlich bekamen sie es mit 15 verschiedenen Geheimdiensten zu tun, von denen jeder einzelne über eigene Beamte, Agenten und Saboteure verfügt. Darauf kann man sich nicht vorbereiten.

Es ist sehr wichtig, daß eine politische Bewegung die Verhafteten unterstützt. Es war allerdings auch so, daß sie entschlossen waren und damit gedroht hatten, viele hundert Demonstranten zu verhaften. Das taten sie auch, und dann stellten sie die Ermittlungen gegen alle bis auf diese Gruppe ein. Diejenigen, die nun unter Anklage gestellt werden, haben tatsächlich nichts getan. Man kann sich schwer vorstellen, wie sie ihre Anklage überhaupt begründen wollen. Man kann ja nicht ins Gefängnis geworfen werden, nur weil man über eine Straftat nachgedacht hat, man muß sie auch ausführen. Sie haben Menschen verhaftet, die sie nicht wirklich vor Gericht stellen können.

SB: Gibt es in den USA Gesetze wie hierzulande, nach denen schon die bloße Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung strafbar ist?

SF: Ja, die gibt es. Jedes Land hat diese Gesetze, doch sie werden sehr selektiv eingesetzt. Es gibt hunderte von Gefangenen in Guantanamo, in Bagram und anderen Gefängnissen, die keinen Namen haben.

SB: Doch da wird ein Unterschied gemacht, ob es sich um US-Bürger oder Ausländer handelt.

SF: Genau. Ich glaube, es gibt nur zwei US-Bürger, die von diesem System der Folter, der anonymen Inhaftierung und geheimen Verschleppung betroffen sind. Es ist wichtig, sich nicht von den Betroffenen abzuwenden, nur weil sie keine US-Bürger sind.

SB: Die Menschen müssen doch merken, daß die gegen Migranten und Ausländer gerichteten Gesetze eines Tages auf sie selbst angewendet werden?

SF: Richtig. Hier muß immer die Frage gestellt werden, wie lange es noch dauert, bis das, was sie Migranten antun, auch den eigenen Bürgern blüht.

SB: Herrscht in den USA immer noch ein starkes patriotisches oder nationalistisches Gefühl wie nach dem 11. September 2001 vor?

SF: Nein. Sie haben versucht, ein Gedenken zu 9/11 abzuhalten, da ist fast niemand gekommen.

SB: Das hat also keine tragende Funktion mehr?

SF: Nein, ich glaube nicht. Es wurde für einen Krieg mißbraucht, und die Schockwirkung hält nur kurze Zeit an. Kurz nach dem 11. September 2001 verabschiedeten sie ein umfangreiches Gesetz [USA PATRIOT ACT], das niemand im Kongreß auch nur gelesen hatte. Alle segneten es ab, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Das Gesetz gibt der Regierung das Recht an die Hand, einfach alles zu tun, und beseitigt die Bill of Rights. Sie waren allerdings nicht in der Lage, viel davon zu implementieren. Es ist eine Sache, ein Gesetz zu verabschieden, und eine andere, es auszuführen.

Ein großer Teil meiner Rede [vor dem Plenum der Rosa-Luxemburg-Konferenz] hatte mit Palästina zu tun. Palästina ist verbunden mit den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Es ist interessant zu bemerken, wie die Sympathien der Menschen verteilt sind. Es hängt davon ab, mit wem man spricht und um wen es sich im Rahmen der US-Klassenstruktur handelt.

SB: Wie beurteilen sie den Kenntnisstand zu dem, was in Palästina geschieht, im Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten? Meinen Sie, daß die Mechanismen der Manipulation ähnlich gelagert sind?

SF: Die Zionisten sind in den USA am stärksten. Seit Generationen, seit mehr als 60 Jahren muß sich jeder Politiker verpflichten, den Staat Israel zu unterstützen. Israel spielt eine sehr wichtige Rolle, es ist eine US-Militärbasis, ein unsinkbarer Flugzeugträger. Der Kongreß gewährt Israel einhundertprozentige Unterstützung. Das heißt jedoch nicht, daß diese Politik beim Durchschnittsbürger beliebt wäre. Das ist sie nicht. Selbst in New York, wo die größte jüdische Bevölkerungsgruppe der Welt lebt, haben die Demonstrationen für Palästina Zehntausende angezogen. Wenn zu einer Demonstration zur Unterstützung Israels aufgerufen wird, tauchen einige hundert Personen auf, das ist ein Desaster. Das zeigt, daß etwas zerbröckelt, auf das die Israelis und die USA jahrelang zählen konnten. Selbst die uneingeschränkte, niemals in Frage gestellte Unterstützung jüdischer Menschen nimmt nun ab.

SB: Haben schwarze Bürger einen positiveren Bezug zu Palästina als der durchschnittliche Weiße?

SF: Ja, diejenigen, die sich für Politik interessieren. Das andere Problem ist, daß die Medien dies immer auf solch verwirrende Weise darstellen. Der Kampf halte schon Hunderte von Jahren an, die Menschen haßten einander, man könne das nicht lösen, denken Sie nicht darüber nach. Das ist die Grundlinie, die immer gegenwärtig ist. Aber ich denke, daß jeder, der bereits dem Irakkrieg mißtraut hat, die Israelis in genau der gleichen Position sieht wie die USA. Wenn sie gegen den Irakkrieg sind, sympathisieren sie vermutlich in den meisten Fällen mit den Palästinensern.

SB: Vielen Dank für das Gespräch. Es hat unseren Lesern sicherlich einige Einblicke in eine US-Gesellschaft verschafft, von der hierzulande eher wenig die Rede ist, gerade weil sie sich nicht so sehr von der eigenen unterscheidet.

SF: Ich hoffe auch, daß es zum 60. Jahrestag der NATO eine gute Abstimmung zwischen den Aktionen hier in Europa und in den USA geben wird.

(Das Gespräch wurde von der Schattenblick-Redaktion aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.)


Sara Flounders im Gespräch mit Stefan Kroll
© 2009 by Schattenblick


20. Januar 2009