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INTERVIEW/037: Bahman Nirumand zu den inneren und äußeren Konflikten des Iran (SB)


Interview mit Bahman Nirumand am 26. Februar 2010 in Berlin-Steglitz


Bahman Nirumand wurde im Iran geboren, hat jedoch einen Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht. Der Publizist und Autor hat Germanistik, Philosophie und Iranistik studiert und ist in den Kulturen beider Länder zu Hause, wie unter anderem seine Übersetzungen iranischer Literatur in die deutsche Sprache belegen. Als Mitglied der 68er-Bewegung trug Nirumand maßgeblich zu den Protesten deutscher Studenten gegen das Schah-Regime, vor dem er 1965 in die Bundesrepublik geflohen war, bei. Der Autor zahlreicher Analysen zur politischen und geostrategischen Situation im Nahen und Mittleren Osten gibt seit 2001 den monatlich im Rahmen der Heinrich-Böll-Stiftung erscheinenden iran-report heraus, eine instruktive Zusammenfassung der aktuellen Ereignisse auf den Gebieten der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik des Iran.

Bahman Nirumand - © 2010 by Schattenblick

Bahman Nirumand
© 2010 by Schattenblick

Schattenblick: Herrr Nirumand, die iranische Opposition befindet sich in der ungünstigen Lage, daß ihre Reformbestrebungen durch die geostrategischen Interessen äußerer Akteure korrumpiert werden. Wie kann sie unter diesen Bedingungen ihre Glaubwürdigkeit und ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellen, oder legt sie vielleicht sogar Wert darauf, durch äußeren Kräfte unterstützt zu werden?

Bahman Nirumand: Die iranische Opposition ist nach meiner Auffassung unabhängig. Die Vermutung oder die Bezichtigung seitens des Regimes, sie sei abhängig von den USA oder von anderen Mächten, ist völlig absurd, denn es handelt sich um Leute, die seit Jahren und Jahrzehnten als Träger des Regimes galten. Dieser Opposition gehören mit Mohammad Chatami und Haschemi Rafsandschani zwei Staatspräsidenten an, die den Iran insgesamt 16 Jahre lang regiert haben. Dann haben wir einen ehemaligen Parlamentspräsidenten, Mehdi Karrubi, dabei, Mir Hossein Mussavi ist neun Jahre lang als Ministerpräsident der treueste Diener Chomeinis gewesen. Solchen Leuten kann man, so glaube ich, kaum vorwerfen, auf irgendeine Weise vom Ausland abhängig sein.

Allerdings glaube ich schon, daß das Ausland sich einmischt, sowohl die USA als auch die Europäer oder die Russen oder die Chinesen. Iran ist ein sehr wichtiges Land, da haben alle ihre Interessen. Dennoch glaube ich, daß diese Einmischung nur sehr wenig mit den Aktivitäten der Opposition zu tun hat. Die Medien im Ausland unterstützen die Opposition, sie übermitteln Nachrichten, kommentieren sie und dergleichen mehr, das ist viel wert. Darauf wollen wir auch gar nicht verzichten, das ist für uns sehr bedeutsam. Aber ich glaube nicht, daß die iranische Opposition, die sehr heterogen ist, erwartet oder wünscht, daß eine direkte Einmischung des Auslands in die Angelegenheiten der Opposition erfolgt.

SB: Wenn man z.B. an Mussavi in den achtziger Jahren denkt, als er an der Unterdrückung linker Oppositioneller beteiligt war, oder daran, daß er und Karrubi in die Iran-Contra-Affäre verwickelt waren - löst diese Vergangenheit nicht bei einigen Oppositionellen Bedenken aus?

Bahman Nirumand - © 2010 by Schattenblick

© 2010 by Schattenblick BN: Ja natürlich, es gibt Kräfte innerhalb der Opposition, die sehr daran zweifeln, ob Mussavi oder Karrubi oder selbst Chatami diese Rolle der Führung der Opposition übernehmen könnten. Sie haben die Führung ja auch nicht richtig inne, und Sie verweisen zu Recht auf die Vergangenheit. Mussavi hatte mit den Hinrichtungen von Tausenden unter Chomeini vielleicht nicht direkt etwas zu tun, aber immerhin war er Ministerpräsident. Wenn er nicht selbst dafür verantwortlich war, so hat er es in dieser Position geduldet.

Wir müssen klar sehen, daß die iranische Opposition sehr heterogen ist und daß bestimmte Teile der Opposition nichts anderes wollen als Reformen innerhalb der Islamischen Republik, d.h. im Rahmen der bestehenden Verfassung. Dann muß ich darauf hinweisen, daß im politischen System des Iran seit der Gründung der Islamischen Republik ein großer Widerspruch existiert, und zwar der Gegensatz zwischen Republik und Islam. Schon die Bezeichnung des Staates "Islamische Republik" ist ein Widerspruch in sich. Ein islamischer Staat empfängt seine Anweisungen von Gott oder von seinen selbsternannten Stellvertretern, eine Republik richtet sich nach dem Willen des Volkes. Dieser Widerspruch schlägt sich auch in der Verfassung nieder. Wir haben Organe, die formal betrachtet republikanisch sind, und wir haben Organe, die zum Gottesstaat gehören.

Der Minister, der Staatspräsident, das Parlament werden vom Volk gewählt, aber wichtige Organe wie der Wächterrat oder Schlichtungsrat usw. werden ernannt. Der Revolutionsführer hat unbegrenzte Befugnisse, er ist verfassungsrechtlich betrachtet ein Halbgott. Insofern wurde im Laufe dieser 30 Jahre im Iran immer um das Gewicht gekämpft, das man den beiden Aspekten dieses Staates zuweist. Die einen wollen lieber einen Gottesstaat, die ganz Radikalen wollen überhaupt nichts von Republik wissen, und die anderen, wie etwa Chatami, wollen größeres Gewicht auf das Republikanische legen.

SB: Wie würden Sie die Möglichkeit beurteilen, daß sich aus dem Machtapparat heraus eine Reform durchsetzt, die den Ansprüchen zumindest eines Teils der Opposition genügt?

BN: Diese Möglichkeit ist gegeben, denn die bestehende Verfassung gewährt gewisse Zugeständnisse an das Republikanische. Wenn Sie nach meiner persönlichen Meinung fragen, dann glaube ich, daß dieses System letztendlich nicht insoweit reformierbar ist, daß wir tatsächlich eine freie demokratische Gesellschaft bekämen. Seine ganze Struktur widerspricht einer demokratischen Auffassung von Staat und Gesellschaft. So ist Rafsandschani eine sehr zwielichtige Figur. Man weiß nicht, ob er der Opposition angehört, was er hinter den Kulissen treibt. Er ist ja jahrzehntelang, auf jeden Fall spätestens seit Chomeinis Tod, der mächtigste Mann im Iran gewesen und er hat eine große Hausmacht innerhalb des Establishments auch unter den Geistlichen. Im Volk jedoch hat er kaum eine Basis, dort ist er einer der verhaßtesten Menschen des Landes, weil er hinter Attentaten steckt, weil er sich und seine Familie wahnsinnig bereichert hat und anderes mehr.

Rafsandschani ist jedoch ein Pragmatiker. Er weiß, daß man einen Staat so nicht führen kann. Wenn man die Islamische Republik retten wollte, wenn man diesen Staat fortsetzen wollte, dann müßte man gewisse Reformen zulassen. Insofern nehme ich ihm ab, daß er diese Reformen will. Aber, wenn es um die individuellen Freiheiten und Rechte geht, dann, so glaube ich, ist Rafsandschani ebenso konservativ wie viele andere.

SB: Sie haben in einem Artikel der taz 2005 erklärt, daß die Reformer die soziale Komponente in ihrer Demokratisierungsagenda vernachlässigt haben, wohingegen Ahmadinedschad über soziale Versprechen an die Macht gelangt ist. Wie sehen Ihrer Ansicht nach die Chancen darauf aus, daß es überhaupt zu einer Verbesserung der sozialen Lage der iranischen Bevölkerung kommt, wenn die eine Seite eher bürgerrechtlich orientiert ist und letztlich ein ganz normales kapitalistisches Gesellschaftsmodell anstrebt, während die andere Seite die soziale Frage vorwiegend als Legitimation benutzt und sie in Wirklichkeit vielleicht sogar verschärft?

Bahman Nirumand - © 2010 by Schattenblick

© 2010 by Schattenblick BN: In der Tat hat es Chatami nach meiner Auffassung versäumt, sich ausreichend um die Wirtschaft zu kümmern, er hat sich zu sehr auf die Politik konzentriert. Seine These lautete: ohne Freiheit gibt es auch keine wirtschaftliche Entwicklung. Das hat er mit Recht gesagt. Wir können die wirtschaftliche Entwicklung jedoch nicht ersteinmal zur Seite schieben, um Freiheit zu erlangen und dann die Wirtschaft zu entwickeln, das geht ja Hand in Hand. Eigentlich hätte Chatami sich mehr um die Wirtschaft kümmern müssen.

Die Versprechungen, die Ahmadinedschad gegeben hat, sind völlig uneingelöst geblieben, weil er sich um alles andere gekümmert hat als um die armen Menschen, denen er Wohlstand versprochen hat. Gut, hier und dort hat er Almosen verschenkt, besonders im Vorfeld der Wahlen, aber das ist keine Entwicklung des sozialen Systems. Er hat unglaublich viele Gelder verschleudert. Selbst die nationale Finanzkontrollbehörde des Iran, der man nicht unterstellen kann, der Opposition anzugehören, hat festgestellt, daß Milliarden einfach fehlen und es keine Belege für sie gibt. Ahmadinedschad reist in lateinamerikanische oder asiatische oder afrikanische Länder und ist sehr großzügig mit Geschenken, auch an Hamas und Hisbollah und so weiter - aber um das eigene Volk kümmert er sich nicht! Deswegen auch die große Enttäuschung bei den unteren Schichten der Gesellschaft.

SB: Halten Sie den Vorwurf für begründet, daß Ahmedinedschad die Wahl regelrecht geraubt hat, daß er seine Amtszeit ohne eine Fälschung der letzten Präsidentschaftswahl nicht hätte verlängern können?

BN: Ja, es war eindeutig eine Fälschung. Im Iran gibt es keine zuverlässigen Meinungsumfragen. Auch einige Amerikaner haben behauptet, sie hätten dort Meinungsumfragen durchgeführt. Das ist Blödsinn. Wie kann man im Iran zuverlässige Meinungsumfragen durchführen? Aber man merkt an der Stimmung im Volk, wie es war. Ich persönlich habe noch um 11:00 Uhr abends, bevor eine einzige Stimme gezählt worden war, gehört, wie die staatliche Nachrichtenagentur IRNA den großen Sieg Ahmadinedschads gemeldet hat. In derselben Nacht habe ich eine Schlagzeile von Keyhan, der größten, sehr konservativen, rechtsradikalen Zeitung im Iran, gesehen, die einen großen Sieg verkündete. Die Stimmen wurden jedoch erst am nächsten Tag gezählt.

Auch der Revolutionsführer Ali Chamenei hat sich sehr voreilig geäußert, bevor das Ergebnis der Wahl überhaupt vorlag. Meiner Auffassung nach war ganz klar, daß das Regime, also die Machthaber Chamenei und Ahmadinedschad, die einzige Rettung darin gesehen haben, einfach die Wahlen zu fälschen. Einen anderen Weg gab es nicht. Hätte Mussavi gesiegt, dann wäre aus ihrer Sicht nicht er selbst so gefährlich gewesen, sondern diese ungeheure Masse, die ihn unterstützt hat, eine völlig unkontrollierbare Masse. Wir haben ja gesehen, daß danach Millionen auf die Straße gegangen sind. Die Führung ist davon ausgegangen, daß das zu einem Machtwechsel führt, und sah daher die letzte Möglichkeit in dieser großen Wahlfälschung.

Bahman Nirumand mit SB-Redakteur - © 2010 by Schattenblick

Bahman Nirumand mit SB-Redakteur
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SB: US-Außenministerin Hillary Clinton hat vor einem schleichenden Abdriften des Iran in ein Militärdiktatur gewarnt. Ahmadinedschad gilt als Sachwalter der Generation, die nach der Revolution 1979 groß geworden ist, die den Krieg zwischen Irak und Iran miterlebt hat und die einen Großteil der bewaffneten Kräfte stellt und kontrolliert. Für wie bedeutsam halten Sie diesen Konflikt innerhalb der iranischen Führung zwischen seiner Anhängerschaft und den Vertretern der Theokratie?

BN: Zuerst zu Frau Clinton. Sie hätte in meinem vor drei Jahren erschienenen Buch nachlesen können, daß ich schon damals von einem schleichenden Putsch oder einer schleichenden Militarisierung gesprochen habe. Als Chomeini an die Macht kam, herrschte im Iran zunächst eine Riege von Ayatollahs und Politikern wie Rafsandschani oder Chamenei. Die alten Kampfgefährten Chomeinis hatten die Macht inne, sie haben alles bestimmt, sie haben ihre Konten im Ausland gefüllt, Rafsandschani und andere sind Multimilliardäre geworden, doch die ganze Drecksarbeit wurde der nächsten Generation überlassen.

Diese Generation hat die Massendemonstrationen organisiert, hat die gesamte Opposition liquidiert, hat acht Jahre lang am irakisch-iranischen Krieg teilgenommen. Nun hat diese Generation zu den Führern gesagt: Ihr habt die Revolution verraten, ihr wart korrupt und ihr habt uns schuften lassen, jetzt sind wir an der Macht. Diese Generation ist ganz, ganz eng mit dem Krieg verbunden. Das ist eine Kriegsideologie. Saddam zu ermuntern, auf den Iran loszumarschieren, war einer der größten Fehler, den die Amerikaner überhaupt machen konnten. Dadurch haben sie die Islamische Republik gerettet. Chomeini hat das ein Geschenk des Himmels genannt. Der Krieg hat zuersteinmal ermöglicht, die Opposition der Kollaboration mit dem Feind zu bezichtigen und sie zu liquidieren. Was noch wichtiger ist - die islamische Märtyrerideologie, dieses ganze Schwarz-Weiß-Denken, dieses fundamentalistische Element ist durch den Krieg besonders gepflegt worden. Ahmadinedschad ist diese Generation. Sepah-e Pasdaran, also die Revolutionswächter, der militärische Arm des Regimes, haben sich überhaupt erst durch diesen Krieg zu einer Macht im Staat entwickelt.

Daß Chatami 1997 gewählt wurde, war ein Warnsignal für diese Generation. Ihrer Ansicht nach hat sich die Islamische Republik in eine ganz andere Richtung entwickelt als die, die sie angestrebt hat, so daß sie zu dem Schluß gelangte, dagegen anzuarbeiten. Sie haben sich umfassend organisiert und vorbereitet. Als Ahmadinedschad 2005 an die Macht kam, haben sie sofort den ganzen Staatsapparat umgewandelt. Das erste Kabinett Ahmadinedschads bestand zu 80 Prozent aus ehemaligen Kommandanten der Pasdaran. Bis heute sitzen an sämtlichen Schlüsselpositionen Pasdaran-Leute. Die verstehen zwar nichts von Politik, aber von Intrigen und Krieg verstehen sie einiges.

Dieser politische Einfluß wurde begleitet von der weiteren Modernisierung des Sepah-e Pasdaran. Wir haben ja eine reguläre Armee, die an der Personenzahl weitaus größer ist als die Pasdaran. Die Pasdaran sind heute mit modernsten Waffen ausgestattet. Die ganze Atomindustrie steht unter der Kontrolle der Pasdaran. Als Drittes und nicht weniger Wichtiges kommt die wirtschaftliche Position von Sepah-e Pasdaran dazu. Sämtliche Staatsverträge, ob es um infrastrukturelle Projekte ging, um Öl oder um Atom, alles wird an Sepah-e Pasdaran vergeben. Teilweise direkt, teilweise an Tarnorganisationen, die als private Gesellschaften deklariert sind, aber in Wirklichkeit zu den Pasdaran gehören. Das hat dazu geführt, daß heute Sepah-e Pasdaran die größte Wirtschaftsmacht im Land ist. Wo gibt es das auf der Welt, daß eine militärische Macht gleichzeitig die wirtschaftliche Macht ist? In Diktaturen dient das Militär immer zur Unterstützung der Wirtschaft.

Was wollen die Anhänger Ahmedinedschads? Sie wollen einen rein islamischen Staat, also zurück zu den Idealen der Revolution. Dem konservativen Klerus stehen sie sehr ablehnend gegenüber, sie sind eigentlich gegen die alten Mullahs. "Sie sind zu konservativ, sie sind zu seßhaft geworden, wir wollen nach vorne usw." Im Grunde genommen wollen sie - und das ist das Absurde - einen islamischen Staat ohne den Klerus, das ist das Ziel. Natürlich sind alle Großayatollahs, vor allem nach der letzten Wahl, auf Distanz gegangen, keiner der renommierten Ayatollahs steht auf Seiten der Regierung. Sie haben Ahmedinedschad nicht einmal gratuliert, das tun sie, wenn auch aus formalen Gründen, ansonsten immer, um zu signalisieren, daß sie hinter dem Staat stehen.

Wir haben es also im Iran, ganz grob gesagt, jetzt mit drei Kräften innerhalb des Systems zu tun. Meiner Ansicht nach steht die Mehrheit der Bevölkerung außerhalb des Systems. Innerhalb des Systems stehen ersteinmal die Pasdaran, die die Militarisierung und die verschärfte Ideologisierung vorantreiben. Die zweite Gruppe besteht aus den Moderaten, den Konservativen, die diesen Staat einfach fortsetzen und irgendwie auch den Islam auf mehr oder weniger humane Weise präsentieren wollen. Ihre Ideologie ist aber nicht so verhärtet, nicht so kämpferisch und konfliktträchtig wie die der Pasdaran. Als drittes gibt es die Reformer. Das sind die drei Strömungen im System, die sich natürlich in vielen Variationen miteinander kreuzen. Dementsprechend vehement werden die Machtkämpfe ausgetragen!

Auf der anderen Seite steht die iranische Zivilgesellschaft, die auf eine lange Tradition zurückblickt. 1906 fand die erste, die konstitutionelle Revolution statt, dann kam die Zeit des Premierministers Mohammad Mossadegh, den die Amerikaner gestürzt haben. Diese Zivilgesellschaft hat sich sogar in den 30 Jahren seit der Revolution sehr viel besser entwickelt als zu Zeiten des Schahs Reza Pahlavi aufgrund der Widersprüche des Islams und des Systems. Nun haben wir es mit einer zwar nicht organisierten, aber sehr starken Zivilgesellschaft und eben den verschiedenen Strömungen innerhalb des Systems zu tun.

SB: In der ersten Zeit nach der Revolution hieß es, daß von der Islamischen Republik eine Gefahr für die Potentaten der umliegenden Region ausgehe. Kann man heute behaupten, daß Saudi-Arabien oder andere Nachbarstaaten vom Iran bedroht werden?

Bahman Nirumand - © 2010 by Schattenblick

© 2010 by Schattenblick BN: Ich glaube nicht, daß der Iran das Ziel verfolgt, ein anderes Land zu erobern oder zu besetzen oder Krieg gegen andere Länder zu führen. Aber der Iran möchte die Rolle der Großmacht in der Region spielen. Das ist ein wichtiges Ziel, dafür arbeitet man vor allem mit den Schiiten in den islamischen Staaten. Der Iran hat großen Einfluß in Afghanistan, großen Einfluß im Irak, großen Einfluß im Libanon, großen Einfluß in vielen arabischen Staaten. Zu Beginn des Krieges mit dem Irak hat Chomeini vom Export der iranischen Revolution gesprochen und erklärt, daß man über Bagdad bis nach Jerusalem marschieren sollte. Aber das war eher rhetorisch oder als Wunschdenken gemeint. Ich habe das seit vielen Jahren nicht mehr gehört.

SB: Teheran wird die Instrumentalisierung der Schiiten im Ausland vorgeworfen. Sie haben mehrere Fälle erwähnt. In den letzten Jahren sprechen z.B. der ägyptische Präsident Hosni Mubarak und König Abdullah von Jordanien von einem schiitischen Halbmond. Zudem wird Iran vorgeworfen, etwa über Politiker wie Achmad Chalabi und Ammar Al Hakim die bevorstehenden Wahlen im Irak zu beeinflussen. Wie bewerten sie die Rolle des Irans im Nachbarland?

BN: Ich sehe, daß sich der Iran massiv einmischt und versucht, Einfluß zu gewinnen und seinen Einfluß zu verstärken. Man muß bedenken, daß viele der Personen, die heute im Irak an der Macht sind, Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in der Islamischen Republik gelebt haben und sehr enge Vertraute des iranischen Regimes sind. Die Schiiten stellen die Mehrheit der Bevölkerung des Iraks und unter den Schiiten hat der Iran großen Einfluß.

SB: Wie beurteilen Sie die Gefahr, daß dieser Einfluß zur Verschärfung der Spannungen zwischen den USA und Iran beiträgt?

BN: Ich denke, er wird dazu beitragen. Die Amerikaner sind im Irak nach meiner Auffassung gescheitert. Irgendwann müssen sie abziehen, und für diesen Fall hat der Iran gründlich vorgearbeitet. Wie sieht die Zukunft des Iraks überhaupt aus? Wenn die Amerikaner abgezogen sind, dann werden sich die Widersprüche, die sich bis dahin auf die Besatzungsmacht konzentriert haben, nach innen kehren. Das kann zu einem Bürgerkrieg und einer Teilung des Landes führen. Das Schicksal des Iraks ist noch nicht besiegelt, man weiß noch lange nicht, wie es dort weitergeht. Selbst wenn es drei Staaten gäbe, einen kurdischen, einen sunnitischen und einen schiitischen, bekäme der Iran sozusagen den größten Anteil am Kuchen. Ich glaube, daß dieser Konflikt um den Irak zwischen USA und Iran noch nicht ausgestanden ist. Gestern war Ahmadinedschad in Syrien, da haben sich beide Staatspräsidenten umarmt. Baschar al-Assad hat sich gegen die Empfehlung Clintons, sich vom Iran zu distanzieren, ausgesprochen, indem er den Iran als wichtigste Macht für Syrien bezeichnete. Der Einfluß des Iran in der Region nimmt zu, nicht zuletzt Dank der verheerenden amerikanischen Politik.

SB: Würden Sie den Einfluß des Iran auf die libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas ebenfalls als stark bezeichnen?

BN: Ja.

SB: Wie verhält es sich mit dem Vorwurf der Einmischung im Jemen, wo die Regierungen Saudi-Arabiens und des Iran sich gegenseitig bezichtigen, den Konflikt anzuheizen?

BN: Wahrscheinlich sind beide beteiligt.

SB: Ahmadinedschads Kritik an Israel wird häufig als existentielle Bedrohung des israelischen Staates aufgefaßt. Halten sie diese Bedrohung für real? Wie schätzen Sie die Atomambitionen Teherans überhaupt ein? Geht es nur um das Erreichen des Breakout-Punkts oder tatsächlich die Anschaffung der Bombe?

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© 2010 by Schattenblick BN: Diese Bedrohung Israels ist meiner Auffassung nach einfach irreal. Das Regime im Iran müßte Selbstmord begehen, wenn es den Gedanken hegte, Israel anzugreifen. Israel ist militärisch ungleich stärker als der Iran. Wenn vom Iran aus eine einzige Rakete auf Israel abgefeuert würde, machte Israel den Iran dem Erdboden gleich, und das mit Rückendeckung der Amerikaner und Europäer. Diese Bedrohung ist nach meiner Auffassung völliger Blödsinn. Daß diese Gefahr so hoch gehängt wird, hat ersteinmal mit der israelischen Politik zu tun. Israel möchte weiterhin starke Unterstützung von den Vereinigten Staaten und von den Europäern bekommen, vor allem auch von Deutschland. Israel merkt, daß die Bedeutung seiner alten Rolle im Nahen Osten langsam abnimmt. Vor dieser Entwicklung hat man Angst. Ich glaube, Israel hat vor allem der Einmarsch in den Libanon 2006 sehr geschadet. Für nichts und wieder nichts in den Libanon einzumarschieren, das Land zu bombardieren und massiv zu zerstören, um dann noch am letzten Tag hunderttausende Streubomben abzuwerfen, das hat Israel meiner Meinung nach sehr geschadet.

Wir wollen jetzt nicht über Israel reden, aber vielleicht das in Klammern: Was ist eigentlich die Lösung des Nahostproblems? Die Frage lautet doch, ist Israel in der Lage, sich sozusagen als ein Staat des Nahen Ostens in diesen Kulturraum einzubetten, oder betrachtet sich Israel selbst als ein Land, das über alles erhaben ist, das eigentlich ein europäisches Land ist und kein orientalisches. Wenn Israel das tut, und das tut Israel seit Bestehen des Staats, dann wird die israelische Position immer schwächer, zumal wir uns nicht mehr im Kalten Krieg befinden. In Zeiten des Kalten Krieges konnte Israel eine wunderbare Rolle als Gendarm des Westens usw. spielen. Heute überlegen sich auch die Amerikaner, wie weit sie es sich leisten können, alle arabischen und islamischen Staaten zugunsten Israels aufzugeben. Bisher haben die USA es damit anders gehalten, jetzt müssen sie sich mehr auf die arabischen Staaten konzentrieren, wie wir auch an Obamas Versuchen sehen, zu den arabischen Staaten engere Beziehungen herzustellen.

SB: Wie bewerten Sie die Atomambitionen des Iran?

BN: Ich weiß es nicht, ob der Iran tatsächlich zur Zeit an der Atombombe arbeitet. Das wissen wahrscheinlich nur ganz wenige Menschen. Ich denke, daß es im Iran Kräfte oder Gruppen oder Personen gibt, die das wünschen, aber da ich nichts Genaues weiß, muß ich spekulieren. Aus der Sicht des Regimes betrachtet wäre es durchaus logisch, da es sich rund um die Grenzen des Landes herum von amerikanischen Stützpunkten umzingelt sieht. Pakistan ist eigentlich ein Satellitenstaat der Amerikaner, in Afghanistan stehen die Amerikaner als Besatzungsmacht, im Norden unterhalten die Amerikaner zum Teil Stützpunkte in ehemaligen Sowjetrepubliken. Die Türkei ist ein NATO-Staat, der Irak ist ein von Amerikanern besetztes Land, und der Persische Golf kann sich vor lauter amerikanischen Stützpunkten und Waffen überhaupt nicht mehr bewegen. Das ist objektiv betrachtet eine Gefahr für die Islamische Republik, zumal in den Nachbarländern Irak und Afghanistan schon Kriege geführt wurden. Dann ist Irak und Iran umgeben von Atommächten. Wir haben Pakistan, wir haben Indien, wir haben Rußland, wir haben Israel.

In Anbetracht dieser Situation kann man sich durchaus vorstellen, daß der Iran zu dem Schluß gelangt, mit Atombomben wenigstens geschützter zu sein. Ob man daran baut oder nicht, darüber kann ich, wie gesagt, keine Auskunft erteilen. Aber der Atomkonflikt war, so glaube ich, zumindest in der Bush-Ära von den Amerikanern gewollt. Es hat Phasen gegeben, in denen man durchaus eine Lösung hätte finden können. 2006 lag ja fast derselbe Vorschlag wie der aktuelle auf dem Tisch, Chatami hatte eine Einigung von langer Hand angebahnt, aber die Amerikaner haben nein gesagt. Die Russen haben ja gesagt, die Europäer haben grünes Licht gegeben, die Iraner auch, doch die Amerikaner haben nein gesagt, weil sie den Konflikt eskalieren wollten, weil es nicht um den Atomkonflikt ging, sondern um einen Regimewechsel im Iran. Wenn sie sich geeinigt hätten, wieso sollten sie den Iran dann angreifen. Bush hatte nach meiner Auffassung durchaus den Plan, nach dem Irak in den Iran einzumarschieren. Das war der Plan, und dafür mußte alles vorbereitet werden, psychologisch gesehen.

Die Forderung nach dem völligen Verzicht auf die eigene Urananreicherung, die man damals an den Iran gestellt hat, verstößt schlicht gegen den Vertrag! Iran ist Mitglied des Atomwaffensperrvertrags und hat das Recht, im eigenen Land Uran anzureichern, hat das Recht, den Brennstoff herzustellen, hat das Recht, Atomenergie friedlich zu nutzen, und dieses Recht kann man keinem Vertragsstaat absprechen. Zumal die Israelis ihr Atomarsenal immer weiter ausbauen, zumal Pakistan Atombomben hat. Wer ist gefährlicher, Pakistan oder Iran? Das ist einfach nicht logisch. Weil es um nationale Rechte geht, tritt die Mehrheit der iranischen Bevölkerung, ob sie für oder gegen das Regime ist, für dieses Atomprogramm ein.

Wenn man lediglich die Frage stellte, ob wir überhaupt Atomenergie brauchen, dann würde ich sie mit Nein beantworten. Wir haben so viel Sonne und so viel Wind, für die nächsten 30 bis 40 Jahre haben wir auf jeden Fall Öl, so daß wir sie nach meiner Auffassung nicht benötigen. Aber sie ist zu einem Prestigeobjekt geworden, weil der Westen, so glaube ich, einen ungeheuren Fehler gemacht hat, indem er den Atomkonflikt zugespitzt hat. Millionen gehen im Iran auf die Straße, um gegen dieses Regime zu protestieren. Was machen die Amerikaner? Plötzlich konzentrieren sie sich wieder auf den Atomkonflikt, erzeugen Druck und drohen mit verschärften Sanktionen. Das ist ein großer Fehler, weil sich da auch die iranische Zivilgesellschaft spaltet. Diese Millionen werden sich hinter das Regime stellen, wenn Drohungen von außen kommen.

Bahman Nirumand mit SB-Redakteur - © 2010 by Schattenblick

Bahman Nirumand mit SB-Redakteur
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SB: Sie hatten vorhin von Pakistan als Vasallenstaat der USA gesprochen. Vor wenigen Tagen ist es zur spektakulären Festnahme von Abdol Malek Rigi gekommen, bei der die Pakistaner angeblich eine wichtige Rolle gespielt haben. Teheran bestreitet das. Es gibt Theorien, daß die Pakistaner sich nicht ohne die Zustimmung der Amerikaner daran hätten beteiligen können. Ist die Festnahme Rigis Ihrer Meinung nach vielleicht eine Geste des guten Willens seitens des Westens und ein Signal, daß man vom Ziel des Regimewechsels und der Destabilisierung des Regimes in Teheran abrückt?

BN: So weit würde ich nicht gehen. Es ist schon eine Geste.

SB: Sie meinen schon, daß die Amerikaner damit zu tun haben?

BN: Ganz bestimmt. Der pakistanische Botschafter hat ja öffentlich erklärt, daß Pakistan beteiligt war, eine große Rolle gespielt hat und, wie Sie sagen, das hätten die Pakistaner ohne amerikanische Zustimmung nicht gemacht. Ich glaube, Rigi ist, wie überhaupt seine Organisation Jumdallah, jahrelang von den Amerikanern unterstützt worden, teilweise auch von Pakistan. Ich glaube, sie brauchen ihn nicht mehr. Er konnte diese Rolle, die er bisher hatte, aus welchem Grunde auch immer nicht mehr spielen, und deswegen haben sie ihn fallen gelassen.

SB: Obwohl seine Gruppe doch im letzten Oktober 49 Menschen, darunter mehrere hochrangige Kommandeure der Revolutionsgarde, in die Luft gejagt hat.

BN: Ja, aber das ist, das ist kein Fortschritt! (lacht)

SB: Die Bundesrepublik ist ein großer Handelspartner des Iran, gleichzeitig befürwortet sie die Verschärfung der Sanktionspolitik. Worin liegt die Ratio einer Politik, im nationalstaatlichen Wettbewerb die eigene Exportwirtschaft zu unterstützen, gleichzeitig jedoch mit dem Iran einen Aktivposten zu beschädigen?

BN: Ich glaube, daß die deutsche Wirtschaft bisher wenig auf diese Geschichten reagiert hat. Wenn Sie die deutschen Exporte 2009 mit 2008 vergleichen, dann hat sich der Export in den Iran trotz Wirtschaftskrise, trotz Rückgang der deutschen Exporte insgesamt, kaum gewandelt. Er ist vielleicht um zwei bis drei Prozent geschrumpft. Nun steht die Bundesrepublik, so glaube ich, unter starkem Druck Israels. Die Israelis versuchen alles, auch die Israel-Lobby in Deutschland leistet viel Arbeit in dieser Beziehung, und die Amerikaner unterstützen das.

Es ist ja folgendes passiert: Der iranische Markt gehörte dem Westen, er war ein Tummelplatz für westliche Investoren und Exporteure. Durch diesen Konflikt hat der Westen, wirtschaftlich betrachtet, insgesamt viel verloren. China und Rußland haben den iranischen Markt erobert. Sie sind die eigentlichen Handelspartner Irans geworden. Wenn der Westen diese Politik fortsetzt, dann verliert er Stück für Stück vor allem gegen die Chinesen. China ist der größte Exporteur für den Iran und für Afghanistan. Afghanistan ist ein besetztes Land und China liefert fast 80 Prozent aller Waren, die dort importiert werden. Letztendlich geht es um die Wirtschaft! Die deutsche Wirtschaft hat zwar erklärt, die Sanktionen zu unterstützen, aber wie weit das in der Realität geschieht, weiß ich nicht. Selbst die Amerikaner treiben ja umfangreichen Handel mit Iran über Dubai usw.

SB: Die Bundesrepublik ist durch das internationale Krisenmanagement in gewisser Weise zu einer informellen Veto-Macht aufgewertet worden. Nun hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber Israel darauf festgelegt, daß seine Sicherheit Staatsräson der Bundesrepublik ist. Als der israelische Präsident Shimon Peres kürzlich in Berlin war, hat er die Bedrohung durch den Iran recht hochgehängt und dabei viel Zustimmung erfahren. Könnten Sie sich, wenn es zum Äußersten käme, vorstellen, daß die Bundesregierung, die offiziell die Linie vertritt, dem Iran nicht mit Krieg zu drohen, diese Politik überhaupt beibehalten kann? Wäre sie im Fall einer militärischen Eskalation nicht genötigt mitzumachen?

Bahman Nirumand - © 2010 by Schattenblick

© 2010 by Schattenblick BN: Ich glaube, sie wäre genötigt mitzumachen, wenn Israel direkt involviert wäre. Die Bundesrepublik könnte sich nicht aus alledem heraushalten. Wenn Israel den Iran angreifen würde, dann sind die Amerikaner und die Europäer sozusagen von ihrer ganzen politischen Struktur her gezwungen, dies auf irgendeine Weise zu unterstützen. Selbst im Irakkrieg, in dem Bundeskanzler Schröder offiziell erklärt hat, daß sich Deutschland nicht beteiligt, haben die Deutschen die Amerikaner inoffiziell stark unterstützt. Wie weit diese Unterstützung gehen würde, weiß ich nicht, aber ich denke schon, daß die Bundesrepublik nicht ganz neutral bliebe.

SB: Unsere letzte Frage richtet sich an Sie als Gründungsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. Vor kurzem war hier in Berlin eine Veranstaltung mit dem US-Politologen Norman Finkelstein angesetzt, der die Heinrich-Böll-Stiftung ihre anfänglich gewährte Unterstützung entzogen hat. Wie bewerten Sie das vor dem Hintergrund des demokratischen Anspruchs auf Rede- und Meinungsfreiheit?

BN: Ich finde, daß man, gerade wenn man an den Namen Heinrich Böll denkt, demokratische Spielregeln einhalten muß. Das gilt für jeden Menschen, um wen es sich auch immer handelt, es sei denn es ist ein Verbrecher, den kann man natürlich nicht salonfähig machen. Menschen, die ihre Meinung, wie auch immer sie geartet sein mag, vertreten, müssen die Möglichkeit haben, sie auch zu äußern.

SB: Herr Nirumand, vielen Dank für die klare Stellungnahme und für das Gespräch.

9. März 2010