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INTERVIEW/057: Containern - Kriminalisierung einer sozial- und umweltfreundlichen Lebensweise (SB)


Telefoninterview mit Christof N. und Frederik V. am 3. November 2010


Am 13. und 28. Oktober 2010 fand vor dem Amtsgericht Döbeln in Sachsen ein Prozeß wegen Mülldiebstahls statt. Christof N. und Frederik V. wurde vorgeworfen, noch genießbare Lebensmittel aus den Containern der Marktkauf-Niederlassung in Döbeln entwendet zu haben. Obwohl der betroffene Supermarkt keinen Strafantrag gestellt hatte, machte die Staatsanwaltschaft ein "besonderes öffentliches Interesse" zur Strafverfolgung geltend, dem sich das Gericht anschloß.

Wie dieses Interesse beschaffen ist in Anbetracht der erheblichen Mengen an einwandfreien, unter hohen personellen, ökologischen und logistischen Kosten produzierten Lebensmitteln, die, zum Müll degradiert, weggeworfen werden, ist angesichts Millionen hungernder Menschen, ausbeuterischer Arbeitsbedingungen in der globalen Agrarindustrie, der Verknappung anbaufähiger Flächen und weiterer Ressourcenprobleme von einiger politischer Bedeutung. Die beiden Angeklagten haben die Gelegenheit genutzt, das ihnen zur Last gelegte Vergehen als Protest gegen die Praxis der Lebensmittelvernichtung und die Kriminalisierung einer aus diesem vermeintlichen Überfluß schöpfenden Lebensweise zu artikulieren.

Unterstützerin jongliert im Aufgang zum Gericht - Foto: http://nirgendwo.info/containerprozess

Vor dem Amtsgericht erfahren,
worum es drinnen nicht geht ...
Foto:
http://nirgendwo.info/containerprozess
Schattenblick: Das Gericht hat ein "besonderes öffentliches Interesse" geltend gemacht, um euch anzuklagen, nachdem ihr dem Strafbefehl nicht nachgekommen seid. Wie ist dies begründet worden?

Christof: Des "öffentlichen Interesses" bedarf es schon, um überhaupt ermitteln und den Strafbefehl ausstellen zu können. Dies geltend zu machen ist vonnöten, weil es sich um Sachen von geringem Wert handelt. Es wird damit begründet - was wir erst nach sechs Stunden Verhandlung erfahren haben -, daß es sich ansonsten um einen Einbruchsdiebstahl und damit einen besonders schweren Fall von Diebstahl gehandelt haben soll. Allerdings ist dieser Einbruchsdiebstahl per Gesetz ausgeschlossen, wenn es sich um Sachen von geringem Wert handelt. Wenn man es nicht als Einbruchsdiebstahl verfolgen kann, wird dieser Paragraph aber trotzdem wieder herangezogen, um damit das "besondere öffentliche Interesse" begründen zu können. Also eigentlich ziemlicher Schwachsinn.

SB: Habt ihr im Rahmen eurer Verteidigung bestritten, daß die Strafverfolgung überhaupt von öffentlichem Interesse sein könnte?

Christof: Wir haben das öffentliche Interesse mehrfach angesprochen und auch etliches dazu vorbereitet. Am ersten Prozeßtag wußten wir noch nicht, womit sie es begründen, weil wir bis jetzt noch keine Akteneinsicht haben.

SB: Außerdem wurde euch weder ein Pflichtverteidiger noch ein juristischer Beistand zugestanden. Wie hat das Gericht das begründet?

Frederik: Akteneinsicht hätten unsere Verteidiger bekommen, das war auch immer die Ansage der Richterin, nur hat sie, unseres Erachtens, das ganze ein bißchen verschleppt, so daß wir auch am zweiten Verhandlungstag keine Akteneinsicht hatten. Seitdem die Richterin meinte, sie werde die Akte sofort zum Versenden fertig machen, ist wieder eine Woche vergangen. Bis heute ist das noch nicht geschehen, da kann man jetzt nur rätseln. Wir haben keinen Pflichtverteidiger bekommen mit der Begründung, daß es sich ja nur um eine Bagatelle handelt. Der juristische Beistand wurde ohne Begründung abgelehnt, obwohl es aufgrund der Strafprozeßordnung durchaus möglich wäre, einen solchen zu erhalten.

SB: Habt ihr euch gezwungenermaßen selbst verteidigt oder auch ein politisches Anliegen damit verfolgt?

Frederik: Wir haben durchaus ein politisches Anliegen damit verfolgt. Es ist häufig so, daß die Strategie, die wir fahren, nicht jedem Anwalt liegt, weil sie offensiv ist, weil sie anders ist, als es Juristen gelernt haben. Es geht dabei auch darum, die Strafprozeßordnung 'rauf und 'runter durchzuexerzieren und das Gericht mit so vielen Anträgen zu überziehen, daß die Richter letzten Endes die Lust verlieren und zu dem Schluß gelangen, das Verfahren lieber einzustellen, bevor sie es unter großem Streß fortsetzen. Unser Vorgehen hat also durchaus strategische Gründe. Zur Akteneinsicht haben wir jetzt auch einen Anwalt genommen. Man muß eben sehen, wie es am besten paßt. Wenn ein Verteidiger bereit ist, diese Strategie mitzumachen, dann kann es durchaus sinnvoll sein, einen Anwalt hinzuzuziehen.

Christof: Das Politische hat eben auch den Background, daß wir keinen Bock auf dieses Spielchen haben: Der Angeklagte sagt gar nichts, neben ihm sitzt der Anwalt, der für ihn redet. Man sitzt da in einer passiven Position, kann nichts machen, läßt alles über sich ergehen und guckt unsicher um sich. Dazu haben wir einfach keine Lust. Wir sind der Ansicht, wenn sie uns schon eine formal vorgegebene Sache wie diesen Prozeß aufdrücken, dann werden wir eben im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen.

SB: Also habt ihr euch in der Strafprozeßordnung schlau gemacht und in den Stand versetzt, juristisch agieren zu können?

Christof: In gewisser Weise, so weit nötig, ja. Gewisse Sachen kann man sich schneller aneignen, als man denkt. Man muß nicht hunderte Paragraphen kennen, sondern kommt mit ein paar aus, wenn man weiß, welche Rechte man hat. Man muß nur mutig und laut genug sein, um sie auch durchzusetzen. Wenn der Richter, der so etwas nicht kennt, einem ins Wort fällt, dann muß man beispielsweise dafür Sorge tragen, daß so etwas ins Protokoll kommt. Da gibt es ein paar einfache Mittel wie z.B. eine Rüge oder einen Gerichtsbeschluß zu irgendetwas zu beantragen. Auf diese Weise bringt man Sachen ins Protokoll.

Frederik: Letzten Endes muß man nicht Jura studiert haben. Man kann mit ein paar Kniffen und Tricks durchaus selbstständig und emanzipatorisch agieren. Es geht um den emanzipatorischen Anspruch, für sich selber zu sprechen.

SB: Mit dieser offensiven Verhandlungsführung ging es euch auch darum, das Problem der Nahrungsmittelvernichtung publik zu machen. Inwiefern ist euch das im Rahmen des Prozesses gelungen?

Christof: Wir waren schon im Vorfeld des ersten Prozeßtages in der Stadt und haben dort Aktionen gemacht. Direkt vor dem Gericht hing ein Transparent. Wir hatten im Vorfeld und nach jedem Prozeßtag eine Pressemitteilung herausgegeben. Nach Möglichkeit haben wir auch im Gerichtssaal mit unseren Anträgen politische Inhalte vermittelt. Da wird noch etliches folgen, wenn es denn weiter geht. Das hat natürlich die Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen. Bei den Döbelner Tageszeitungen waren wir auf der Titelseite und richtig groß auf der Titelseite vom Regionalteil. Es hat sich auch bundesweite Presse gemeldet. Bei jedem Prozeßtag war ein Kamerateam anwesend. Ein Team macht im Auftrag der ARD einen Kinofilm, beim letzten Prozeßtag war der MDR vor Ort.

SB: Eine Fortsetzung des Prozesses wäre in deinem Fall denkbar, weil du dich noch nicht entschieden hast, die vom Gericht verhängte Strafe zu akzeptieren?

Christof: Genaugenommen ist es keine Strafe, sondern eine Auflage. Es läuft zwar auf etwas ähnliches hinaus, ist aber offiziell keine Strafe. Ob ich den Prozeß fortsetze, überlege ich noch, dazu werde ich jetzt noch nichts sagen. Das hängt auch davon ab, wann und ob ich noch Akteneinsicht erhalte. Für diesen Fall müßte das ganze noch einmal von vorne aufgerollt werden. Der Zeuge, der vernommen wurde, müßte noch einmal auftreten. Nach drei Wochen Pause muß so eine Verhandlung wieder von vorne aufgerollt werden. Frederik hat immer noch die Möglichkeit, der Auflage, seine Arbeitsstunden innerhalb von sechs Monaten abzuleisten, nicht nachzukommen. Dann würde auch sein Verfahren wieder von vorne aufgerollt werden.

SB: Noch einmal für den juristischen Laien nachgefragt: Inwiefern ist es keine Strafe, wenn ihr durch das Gericht zu irgendetwas genötigt werdet?

Christof: Es ist formal keine Strafe. Es ist eine Einstellung gegen eine Auflage. Faktisch kann man es als Strafe ansehen, aber es gab kein Urteil, dementsprechend ist es im juristischen Sinne keine Strafe.

Frederik: Das hat rein formal zur Folge, daß es keinen Eintrag in die persönliche Akte im Bundeszentralregister gibt. Trotzdem kann so etwas im Zweifelsfall auch strafverschärfend herangezogen werden. Wenn irgendeine juristische oder polizeiliche Maßnahme vollzogen wird und man sieht, daß ein Verfahren mit oder ohne Auflage eingestellt wurde, kann das verschärfend herangezogen werden.

Christof: Gerade bei polizeilichen Maßnahmen wie z.B. einem Präventivgewahrsam etwa beim Castor-Transport ist es üblich, daß solche Dinge herangezogen werden.

SB: Wie hat die Bevölkerung von Döbeln auf eure Straßenaktion reagiert?

Frederik: Das war bis auf Ausnahme eines Politikers durchweg positiv und solidarisch. Die Menschen waren alle, soweit ich das mitbekommen habe, ersteinmal erstaunt und dann natürlich auch erschüttert, wie so etwas möglich sein kann. Ich glaube, das hat bei vielen Menschen dazu geführt, sich Gedanken darüber zu machen, in was für einem System wir eigentlich leben. Warum ist es überhaupt möglich, daß a) so viele Lebensmittel vernichtet werden und b) man auch noch dafür kriminalisiert wird, die Lebensmittel vor der Vernichtung retten? So haben im unmittelbaren Anschluß an die Straßenaktion zwei ältere Damen den Prozeß besucht und tatsächlich die acht Stunden des ersten Verhandlungstages mit uns durchgehalten. Das war sehr beeindruckend. Ich habe auch aus meinem persönlichen Umfeld mitbekommen, daß das viele Diskussionen ausgelöst hat. Irgendwie kann das niemand nachvollziehen.

SB: Mußten die Aktivisten auf der Straße irgendwelche Konsequenzen seitens der Polizei in Kauf nehmen?

Christof: Die beiden Aktivisten, die das Transparent aufgehängt hatten, das am ersten Prozeßtag zwischen zwei Fahnenmasten vor dem Amtsgericht hing, wurden von der Polizei oder vom Amtsgerichtsdirektor aufgefordert, aus Gründen der Gefahrenabwehr binnen fünf Minuten von diesen Fahnenmasten herunterzukommen. Das war natürlich Humbug, denn die Leute hatten Klettergurte an und wußten im Gegensatz zu den anderen Anwesenden, wie man klettert, ohne sich zu gefährden. Sie sind dann auch innerhalb dieser Zeit heruntergekommen, haben das Transparent aber oben gelassen. Das hatte zur Folge, daß die Feuerwehr anrückte und das Transparent, ohne noch einmal mit den Aktivisten Rücksprache zu halten, von einem großen Leiterwagen aus abnahm. Dabei wurden keinerlei Sicherheitsregeln beachtet. Unter dem Leiterwagen, auf der der Feuerwehrmann gearbeitet hat, sind alle möglichen Leute durchgelaufen, da wurde nichts abgesperrt. Die Polizei hat die Personalien der Aktivisten aufgenommen.

SB: Gibt es schon eine Antwort zu der kleinen Anfrage, die der medienpolitischer Sprecher der Linksfraktion in Sachsen, Falk Neubert, zu dem Prozeß eingebracht hat?

Christof: Laut Herrn Neubert hat die Landesregierung vier Wochen Zeit, eine Antwort zu produzieren. Bislang gibt es also keine Antwort, zumal es wohl die Möglichkeit gibt, diese Frist zu verlängern.

SB: Gab es ansonsten irgendwelche Reaktionen in der Linken oder sogar in anderen Parteien auf den Prozeß?

Christof: Ich hatte nur zu Herrn Neubert in seiner Funktion als Mediensprecher der Linken Kontakt aufgenommen. Ansonsten gab es auf Parteienebene meines Erachtens kein Feedback.

SB: Wißt ihr, ob das Thema Containern z.B. in der Partei Die Linke irgendwann einmal aufgegriffen worden wäre?

Christof: Es gab schon einmal im letzten Jahr eine kleine Anfrage von Herrn Neubert, in der die Sinnhaftigkeit dieser Strafverfolgung in Frage gestellt wurde. Damals wurde gegen zwei Leute in Hoyerswerda Anklage erhoben. Dieses Verfahren wurde allerdings von der Staatsanwaltschaft selbst eingestellt.

SB: Frederik, im Interview mit der jungen Welt (30.10.2010) sagtest du, daß Containern nicht politisch sei. Wie hast du das gemeint?

Frederik: Ich halte Containern nicht per se für politisch, weil es für mich keine Alternativlösung für irgendwelche Probleme ist. Containern ist für mich persönlich eine Möglichkeit, mir mein politisches Leben zu ermöglichen. Indirekt hat es natürlich den Effekt, daß ich nicht irgendeinen neuen Bedarf schaffe und daß es politisch korrekter ist, eine Banane zu essen, die schon weggeworfen ist, als eine neue zu kaufen und die ganzen Folgen, die der Bananenanbau hat, zu begünstigen. Es ist für mich nicht politisch, weil es eine Alternativlösung geben müßte. Das könnte vielleicht so aussehen, daß Supermärkte Lebensmittel, die fast abgelaufen sind, auf jeden Fall wesentlich stärker im Preis heruntersetzen oder sogar verschenken sollten. Die Lebensmittelvernichtung über so ein Konzept zu reduzieren wäre für mich ein Anfang. Aber an die Tonne zu gehen und etwas herauszuholen ist für mich in dem Sinn keine politische Tat.

SB: Mit eurer Pressearbeit zu dem Prozeß habt ihr dem Thema ein wenig Öffentlichkeit verschafft. Meint ihr nicht, daß das auch ein Weg sein könnte, politisch aktiv zu werden, indem man z.B. Änderungen, wie du sie eben angesprochen hast, erwirkt oder eine Debatte darüber lostritt?

Christof: Auf jeden Fall. Der Unterschied besteht darin, daß es nicht darauf angelegt ist, Öffentlichkeit zu schaffen, wenn ich an eine Mülltonne gehe. Ich habe auch schon mit Kamerateams zusammen containert, das ist wiederum etwas anderes. Aber im Normalfall geht man damit nicht an die Öffentlichkeit.

SB: Also handelt es sich beim Containern in erster Linie um eine Überlebenstrategie?

Christof: Es ist eine Überlebensstrategie, die ermöglicht, keiner Lohnarbeit nachgehen zu müssen. Und dann geht es darum, keine Nachfrage zu schaffen. Jede Lebensmittelproduktion, sei sie auch noch so "bio", verbraucht Energie, verbraucht Fläche und alles mögliche.

SB: Was haltet ihr vom System der Tafeln, die ja auch zur Legitimation herrschender Verhältnisse beitragen?

Christof: So würde ich auch argumentieren. Für mich sind die Tafeln zwar sinnvoll, weil es immer noch besser ist, wenn die Lebensmittel in einem kapitalistischen System, anstatt weggeworfen zu werden, weiterverwendet werden und bedürftige Menschen davon profitieren. Alles in allem repräsentieren Tafeln für mich aber auch eine Art pseudosozialer Politik. Es geht nicht darum, die Ursachen zu beheben, die dazu führen, daß Menschen Tafeln benötigen oder daß Lebensmittel vernichtet werden.

SB: Wie seht ihr die Möglichkeit, daß Menschen, die sich ohne politisches Bewußtsein, also einfach aus Armut, von weggeworfenen Lebensmitteln ernähren, dies zum Anlaß nehmen, einen politischen Standpunkt zu entwickeln?

Frederik: Das ist schwierig zu beantworten. Ich weiß auch gar nicht, ob bei ihnen etwas davon ankommt. Zwar hat der MDR jetzt darüber berichtet, aber ansonsten war es vor allem linke Presse, die meines Erachtens auch einen etwas elitären Kreis und nicht unbedingt diejenigen Leute bedient, die sowieso in sozial schwachen Strukturen leben.

Christof: Ich weiß auch nicht, ob man sagen kann, daß bei den Leuten jeder politische Gedanke ausgeschlossen ist. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß deren Motivation zwar darin besteht, daß sie einfach Hunger haben, aber sie im Hinterkopf auch einen politischen Ansatz verfolgen, der vielleicht nicht ausschlaggebend ist, aber auf jeden Fall mitschwingt.

SB: Sich von weggeworfenen Lebensmitteln zu ernähren wird als sozial ausgegrenzte Form des Überlebens stigmatisiert. Viele Bürger würden es, selbst wenn sie es für sinnvoll hielten, aus Scham nicht tun.Wie könnte man da ein anderes Selbstbewußtsein entwickeln?

Christof: Das Thema gerät immer mehr an die Öffentlichkeit, weil die Presse darüber berichtet und Medienvertreter mit Menschen containern gehen. Das sind meist Menschen, die es wahrscheinlich nicht nötig hätten, aber die die Gelegenheit aus der gleichen oder einer ähnlichen Motivation wie wir nutzen. Indem das Thema bekannter wird, wird auch klar, daß es nicht nur ein Zeichen von Armut ist, wenn man Sachen aus Mülltonnen holt.

SB: Jugendliche definieren sich stark über Konsum, während das, was ihr macht, gelebter Antikonsumismus ist. Seht ihr Anzeichen dafür, daß das Verständnis junger Menschen für eine solche Lebensweise anwächst?

Frederik: Ich weiß nicht, ob man das pauschal sagen kann. Es gibt immer wieder Leute, die anfangen, über ihr eigenes Leben nachzudenken. Von meinem Gefühl her würde ich angesichts dessen, was ich auf der Straße und in den Medien mitbekomme, nicht sagen, daß es einen Trend zu geringerem oder bewußterem Konsum gibt. Ich gebe jedoch die Hoffnung nicht auf, daß das noch passieren wird. In Deutschland bewegt sich ja zumindest ein wenig, wie am Beispiel Stuttgart 21 zu sehen ist. Aber ich weiß nicht, ob damit ein relevanter Teil der Bevölkerung erreicht wird.

SB: Werden im Einzelhandel Strategien verfolgt, das Containern offensiv durch neue Sicherungsmaßnahmen zu verhindern?

Christof: Es gibt durchaus verschlossene Mülltonnen, die entweder selbst ein Schloß haben oder in Käfigen stehen. Welche Ursachen das konkret hat, ob es darum geht, die Leute vom Containern abzuhalten, ob verhindert werden soll, daß Tiere im Müll wühlen oder jemand seinen eigenen Hausmüll hineinschmeißt, darüber kann man nur spekulieren. Ich gehe schon davon aus, daß es gewisse Supermärkte gibt, die deswegen ihre Mülltonnen abschließen. Es gibt aber auch welche, von denen ich das Angebot bekommen habe, daß wir einfach jede Woche anrufen und vorbeikommen können, um das mitzunehmen, was sie sonst wegwerfen würden.

SB: Man könne also sagen, daß die marktwirtschaftliche Doktrin, den Mangel zu verstärken, um den Absatz zu sichern, nicht durchgängig befolgt wird?

Christof: Nicht durchgängig, jedenfalls.

SB: Eine persönliche Frage: Lebt ihr vegan? Wie gestaltet ihr das über das Containern?

Frederik: Ja, ich versuche, möglichst weitgehend vegan zu leben, insbesondere dann, wenn ich doch darauf angewiesen bin, mir etwas zu essen zu kaufen. Sollte ich aber beim Containern etwas Milchhaltiges finden, dann habe ich damit kein Problem, solange es noch genießbar ist. Dann esse ich auch einmal Käse oder vielleicht einen Kartoffelsalat mit Créme fraiche. Allerdings finde ich das meistens gar nicht mehr so lecker, weil ich mich durch die vegane Lebensweise doch weiter für einen guten Geschmack sensibilisiert habe.

SB: Kann man sagen, daß das Containern in der veganen Szene eine verbreitete Praxis ist?

Christof: Die meisten veganen Menschen kenne ich aus dem politischen Umfeld und das sind Leute, die dem Containern mindestens aufgeschlossen gegenüber stehen. Aber ich kenne diese Menschen ja nicht, weil sie vegan sind, sondern ich kenne sie über das politische Anliegen, deswegen kann ich dazu keine repräsentative Aussage machen.

SB: Manche Linke wenden bei diesem Thema ein, daß alle Menschen genügend Geld für ihre Ernährung haben sollten und man um Verteilungsgerechtigkeit kämpfen sollte, anstatt Containern zu gehen. Werdet ihr mit solchen Positionen innerhalb der Linken konfrontiert?

Christof: Selten direkt. Meine Zielsetzung ist nicht, daß alle Menschen genug Geld haben, um sich Lebensmittel zu kaufen. Meine Zielsetzung ist, daß man Lebensmittel bekommt, ohne Geld haben zu müssen. Das ist meine Utopie. Natürlich gehe ich damit konform, daß Containern nicht das Endziel ist, aber solange das Umfeld so ist, wie es ist, ist es für mich eigentlich die beste Möglichkeit.

SB: Beschäftigt ihr euch darüber hinaus generell mit Fragen des Welthungers, des Problems der Agrarproduktion usw.?

Christof: Durchaus. Im Rahmen des Prozesses haben wir uns ein bißchen mehr damit auseinandergesetzt, davor war es ein eher peripheres Thema. Das Filmteam, das am ersten Tag da war, macht eine Dokumentation über Lebensmittelvernichtung, in der ein kleiner Abschnitt dem Containern und von diesem wiederum ein kleiner Abschnitt dem Gerichtsprozeß gegen uns gewidmet ist. In diesem Film scheint ziemlich gut beleuchtet zu werden, wie pervers das alles ist, wie viel aus welchen Gründen weggeschmissen, wie viele Lebensmittel etwa aus Afrika nach Europa importiert werden, um hier weggeschmissen zu werden. Es macht also gar keinen Sinn, die Lebensmittel dann wieder nach Afrika zu schicken. Es muß einfach aufhören, hier unsinnigerweise Lebensmittel aus Afrika zu importieren, anstatt sie dort zu lassen, wo sie gebraucht werden.

SB: Christof und Frederik, vielen Dank für das Gespräch.

Siehe dazu auch:

Schattenblick ->- INFOPOOL --> Recht --> Fakten
MELDUNG/087: Skandalprozess wegen Mülldiebstahl vorläufig beendet (Containerprozess)
http://www.schattenblick.de/infopool/recht/fakten/rfme0087.html

Schattenblick ->- INFOPOOL --> Recht --> Meinung
DILJA/232: "Containern" - Lebensmittelmitnahme aus dem Müll wird strafrechtlich verfolgt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei232.html

5. November 2010