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INTERVIEW/098: Petersberg II - Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan (SB)


Anläßlich der Internationalen Afghanistankonferenz am 5. Dezember 2011 in Bonn fand auf dem Rhein eine Schiffsdemonstration statt, an der auch Repräsentanten diverser afghanischer Gruppen und Parteien beteiligt waren. Gegenüber dem Schattenblick erläuterten zwei Vertreter der Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan, wie die Beendigung des Krieges und der Besatzung durch die NATO ihrer Ansicht nach gelingen könnte.

Bashir Warec, Dr. Najed Hamib - Foto: © 2011 by Schattenblick

Bashir Warec, Dr. Najed Hamib
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Könnten Sie bitte sich und Ihre Organisation vorstellen?

Bashir Warec: Ich heiße Bashir Warec und spreche für die Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan, die in ganz Europa und Amerika organisiert ist.

Najed Hamid: Mein Name ist Najed Hamid. Ich bin Arzt und lebe seit 30 Jahren in der Bundesrepublik. Ich bin der Sprecher für die auswärtigen Verbindungen der Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan.

SB: Wann haben Sie sich gegründet?

NH: Die Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan wurde 2006 von in Deutschland lebenden Afghanen gegründet. Sie besteht überwiegend aus Ärzten, Ingenieuren und Politikwissenschaftlern. Ihre Mitglieder kommen zumeist aus Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Staaten. Wir treten dafür ein, daß zehn Jahre Krieg zehn Jahre zuviel sind. Kriege haben den Konflikt in Afghanistan nie lösen können und werden nie in der Lage sein, das Problem militärisch in den Griff zu bekommen. Es gibt nur eine Alternative dazu, nämlich einen friedlichen Prozeß anzustreben. Durch einen ernsthaft gewollten Frieden kann man die Lage in Afghanistan normalisieren.

BW: Wir sind die einzige Organisation, die einen 7-Punkte-Friedensplan ausgearbeitet hat. Dieser Plan sieht nicht den sofortigen NATO-Abzug von heute auf morgen vor, sondern einen geordneten Abzug aus Afghanistan. Wenn die NATO ihre Truppen aus Afghanistan abziehen will, muß zunächst ein kompletter Waffenstillstand seitens der bewaffneten Opposition und der NATO ausgerufen werden. Wenn die Waffen schweigen, können die Verhandlungen beginnen und kann der Weg freigemacht werden für den Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan.

SB: Können Sie sich vorstellen, daß die Konfliktparteien sich auf eine solche Lösung unter dem gemeinsamen Ziel des Abzugs der NATO einigen könnten? Gibt es überhaupt ein gemeinsames Interesse unter den verfeindeten Gruppen, in diesem Punkt zusammenzuarbeiten?

NH: Wenn man die Geschichte Afghanistans kennt, dann weiß man, daß der Konflikt in Afghanistan nur in Afghanistan selbst gelöst werden kann. Dafür müssen jedoch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sich die Konfliktparteien zusammensetzen und, wie es auch unsere Tradition vorschreibt, den Konflikt lösen. Ja, die Überzeugung ist vorhanden. Wer es mit dem Frieden ernst meint, muß ihn durch die Beteiligung aller Konfliktparteien und mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft anstreben, aber der Friedensprozeß selbst kann nur innerafghanisch, nicht beeinflußt von ausländischen Mächten, gelöst werden.

BW: Wir sind der Meinung, daß der Frieden nur zu erreichen ist, wenn alle Konfliktparteien an einem Tisch sitzen, und dazu gehört auch die bewaffnete Opposition. Ohne sie kann es in Afghanistan keinen wirklichen Frieden geben. Deswegen haben wir uns angeboten, alle Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Die meisten Mitglieder unserer Kommission sind mindestens 30 Jahre in der Politik tätig und besitzen sehr gute Beziehungen zur bewaffneten Opposition in Afghanistan, aber auch zu den Vertretern außerhalb Afghanistans. Wir haben dies der Bundesregierung angeboten, aber sie hat uns ignoriert und nicht ernstgenommen. Wir haben daher Kontakt mit der Friedensbewegung aufgenommen, um die Möglichkeit zu schaffen, daß alle Konfliktparteien zusammenkommen und miteinander reden. Wenn das gelingt, ist Frieden in Afghanistan möglich.

SB: Glauben Sie tatsächlich, daß sich die bewaffnete Opposition und ihre verschiedenen Fraktionen auf den Konsens, den Abzug der NATO zu verhandeln und danach den Konflikt alleine zu regeln, einigen können? Schließlich verfolgt die NATO das Ziel, die Opposition militärisch in die Knie zu zwingen, um Afghanistan zu befrieden.

BW: 48 Länder haben Truppen entsandt, die seit zehn Jahren und zwei Monaten in Afghanistan stehen. Sie haben die bewaffnete Opposition nicht bezwingen können. Warum sollten sie das in weiteren zehn Jahren schaffen können? Nein, die bewaffnete Opposition ist ein wesentlicher Teil des Volkes und darin fest verankert, Ohne sie gibt es keine andere Lösung. Das sind nicht nur die Taliban. Das sind viele Gruppen. Der sichtbare Widerstand hat im Süden angefangen und wird den kompletten Norden von Afghanistan erfassen. Der Widerstand des Volkes ist überall, in jeder Provinz, in jedem Bezirk, in jeder kleinen Gegend Afghanistans. Ich bin erst vor zehn Tage aus Afghanistan zurückgekehrt. Ich war im Süden, im Norden und im Westen. Ich habe alles gesehen und weiß, wovon ich spreche.

SB: Sie würden der NATO also empfehlen, abzuziehen, bevor sie von diesem bewaffneten Widerstand dazu gezwungen wird?

NH: Kein Abzug der NATO bedeutet die Fortsetzung des Krieges. Wer die Geschichte Afghanistans kennt, der weiß, daß wir fremde Truppen in unserem Lande niemals akzeptieren werden. Die NATO soll daher versuchen, die Rahmenbedingungen für einen Friedensprozeß zu schaffen. Das ist auch im Sinne des Westens und im Interesse der NATO, denn diese Region, und insbesondere Afghanistan, ist das Herz Asiens. Wenn Afghanistan nicht befriedet wird, dann könnte ganz Asien unruhig werden. Es sollte daher im ureigensten Interesse der NATO sein, und auch der Vereinigten Staaten an der Spitze - eine wichtige Rolle kann hierbei die Bundesrepublik Deutschland spielen -, daß alle Konfliktparteien zusammenkommen und nach einer friedlichen Lösung suchen.

Ich denke, ein wirklich ernstgemeinter Frieden kann nur entstehen, wenn das Volk mitbestimmen darf und nicht bestimmte kriminelle Elemente, Drogenbarone und Kriegsfürsten, die aktuell durch die NATO direkt unterstützt werden. Solange diese Leute Einfluß haben, wird es in Afghanistan keinen Frieden geben. Sie wollen keinen Frieden, weil sie Kriegsverbrecher sind, denn wenn ein Frieden zustande kommt, werden sie zur Rechenschaft gezogen. Ich bin schon der Ansicht, daß Kriegsverbrecher vor den Internationalen Strafgerichtshof gehören, und zu ihnen gehört sicherlich auch ein nicht unwesentlicher Teil der jetzigen Regierungsadministration.

SB: Im Grunde genommen sprechen Sie damit der bewaffneten Opposition eine höhere Legitimität zu als den jetzt herrschenden, mit der NATO lose alliierten Warlords und Drogenbaronen, wie Sie sie nennen. Wenn diese befürchten müssen, vor den Internationalen Strafgerichtshof oder ein afghanisches Gericht gestellt zu werden, gibt es doch keine Basis für einen zivilen Verhandlungsprozeß.

NH: Genau. Diese Leute wollen den Frieden nicht. Sie vermeiden auch jedwede Zusammenarbeit mit der bewaffneten Opposition. Deswegen ist es wichtig, daß die internationale Gemeinschaft und vor allem die NATO keine Kriegsverbrecher, keine Drogenbarone und keine Warlords unterstützt. Denn solange die NATO und damit der Westen dies tut, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit in der afghanischen Bevölkerung.

BW: Wir sind für ein legitimes Afghanistan. Es darf nicht sein, daß jeder jeden verurteilt, sondern ein afghanisches Gericht muß jeden, der in Afghanistan nachweislich Verbrechen begangen hat, zur Rechenschaft ziehen, aber nach internationalen Standards. Wir wollen nicht, daß sie vor ein internationales Gericht gestellt werden. Nur unabhängige afghanische Richter sollen über sie Recht sprechen dürfen.

NH: Voraussetzung dafür ist das Zustandekommen einer legitimen afghanischen Regierung, die von allen Bevölkerungsgruppen akzeptiert wird und ihre Vertreter dort hat. Die jetzige Regierung genießt seit zehn Jahren keine Legitimation. Sie ist durch verfälschte Wahlen zustande gekommen und setzt sich überwiegend aus Personen zusammen, die keine richtigen Vertreter des Volkes sind. Natürlich kann die internationale Gemeinschaft den Afghanen in vielerlei Hinsicht helfen. Das erwarten wir auch, nicht nur auf wirtschaftlicher Basis, sondern auch auf politischer und juristischer Ebene.

SB: Ist die Institution der Loya Jirga, auf die im Westen häufig hingewiesen wird, nicht durch ihre Instrumentalisierung durch die NATO so delegitimiert, daß sie möglicherweise gar keine große Rolle mehr spielen kann?

NH: Die Loya Jirga ist eine alte afghanische Tradition. Die Geschichte zeigt, daß alle großen Probleme in Afghanistan durch die Loya Jirga gelöst worden sind. Aber es muß eine richtige und keine Pseudo-Loya Jirga sein. Die jetzige Loya Jirga, die von der Regierung Karsai geradezu bestellt worden ist, weist keine wirklichen Vertreter des Volkes auf.

Afghanistan ist eine Clan- und Stammesgesellschaft, und in der Geschichte Afghanistans bestand die Loya Jirga immer aus unmittelbaren Vertretern der verschiedenen Volksgruppen. Wenn die Versammlung Entscheidungen traf, waren sie legitim und wurden von allen akzeptiert. Sehen Sie sich die jetzige Loya Jirga an - sie wird ja nicht nur von der Opposition, sondern auch innerhalb der Karsai-Regierung als nicht legitim bezeichnet, weil er und seine Mitläufer aus ihr eine Vetternwirtschaft gemacht haben. Wenn man eine Loya Jirga einberuft, dann braucht man sehr viel Zeit im Vorfeld, um diese Leute zu wählen. Man kann das nicht in drei Wochen machen. Die afghanische Regierung hat das aber in nur drei Wochen bewältigt, weil sie die Leute selbst gewählt hat. Das ist keine Loya Jirga. Sicherlich ist die Loya Jirga wichtig für die nationale Lösung Afghanistans. Sie ist Teil unserer Geschichte und bildet eine Instanz, die auch von den Menschen in Afghanistan respektiert wird.

SB: Sie ist also eine Art Legislative, vergleichbar mit unserem parlamentarischen System.

NH: Richtig. Wenn ich diesen Konflikt lösen möchte, und zwar ehrlich und ernsthaft, und das sage ich wirklich allen Menschen, vor allem Nicht-Afghanen, die sich manchmal als Experten ausgeben und doch kaum Informationen über Afghanistan besitzen, dann muß ich mich auch in der Geschichte Afghanistans auskennen. Sie erinnern sich, daß die Russen zehn Jahre lang versucht haben, dieses Volk mit allen Mitteln zu unterjochen. Sie haben es nicht geschafft. Ich habe damals in den 80er Jahren Vorträge gehalten über Afghanistan. Da wurde ich gefragt: Glauben Sie, daß die Russen Afghanistan halten werden? Es heißt, wenn die Russen irgendwo Fuß fassen, dann gehen sie nie wieder weg. Ich habe immer geantwortet: Nein, ich bin vom Gegenteil überzeugt. Wenn man mit dem Volk keinen Frieden sucht, wird auch der jetzige Krieg nicht aufhören. Und jeden Tag werden Hunderte von Afghanen, wenn nicht mehr, ihr Leben lassen. Das kann man nicht hinnehmen.

BW: An dem Anschlag vom 11. September 2001 war kein einziger Afghane beteiligt, aber die Afghanen werden jeden Tag bombardiert. Das können wir nicht einsehen. Niemals in der Geschichte hat ein Afghane irgendeinen terroristischen Anschlag verübt. Die Afghanen waren damals Freiheitskämpfer, als sie gegen die Russen im Feld gekämpft haben. Die Afghanen kämpfen heute gegen die Amerikaner genauso wie damals. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Russen und Amerikanern. Die Russen wie die Amerikaner sind in unser Land eingedrungen und haben es okkupiert. Die Afghanen haben nie eine Botschaft besetzt, weil es gegen ihren Ehrenkodex verstoßen würde, der in Afghanistan großgeschrieben wird. Für den 7-Punkte-Plan haben wir die Zustimmung vom Widerstand. Auch das gehört zum Ehrenkodex, wenn man sein Wort gibt.

SB: Wie ließen sich alle Menschen in einen demokratischen Prozeß in Afghanistan einbinden? Wie würde das Ihrer Ansicht nach technisch vonstatten gehen?

NH: Ich denke, technisch müssen die Rahmenbedingungen so beschaffen sein, daß die ganze Bevölkerung gefragt wird. Nicht so wie bei den letzten Wahlen in Afghanistan, die in großen Teilen des Landes nicht stattgefunden haben, weil dort Krieg herrschte. Wo Krieg herrscht, kann man nicht wählen gehen. Diese Wahlen und auch die jetzt vor kurzem erfolgte Pseudo-Loya Jirga sind keine ehrlichen Bemühungen gewesen. Man muß die Loya Jirga so einberufen, daß wirklich alle Volksgruppen beteiligt sind und nicht per Bestellung von Herrn Karsai. Das Volk muß seine Vertreter selbst wählen und selbst die Vertreter schicken, wie das in der Vergangenheit bei großen Konflikten immer der Fall gewesen ist. Die Loya Jirga hat diese Konflikte dann immer gelöst.

BW: Eine friedliche Lösung kann es nur geben, wenn alle Konfliktparteien, die bewaffnete Opposition ebenso wie die Regierungsparteien, ohne Vorbedingungen zusammenkommen. Willy Brandt hat einmal gesagt: Frieden schließt man mit Feinden. Mit Freunden geht man einen Saft trinken.

SB: Die NATO hat da ganz offensichtlich Vorbehalte, denn sie behauptet, daß die fundamentalistischen Islamisten für den Frieden nicht bereit wären. Gibt es auch in der afghanischen Zivilgesellschaft politische Gruppen, die die Ansicht vertreten, man müsse den Fundamentalismus bekämpfen und deshalb einer solchen Verhandlungssituation und einem Friedensschluß ablehnend gegenüberstehen?

NH: Ich glaube, der Begriff Fundamentalismus wird immer so ausgelegt, wie er einem nutzt. Es geht vordergründig nicht um Fundamentalismus, sondern darum, daß alle afghanischen Gruppierungen und das ganze Volk in die Lösung des Konfliktes einbezogen werden. Ob es Fundamentalisten sind oder politische Kräfte im rechten oder linken Spektrum spielt primär keine Rolle. Es sollte eine Regierung in Afghanistan zustande kommen, die breitflächig in der Bevölkerung akzeptiert und getragen wird. Unter der jetzigen Regierung hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten zehn Jahren nicht nur nicht gebessert, sondern sich vielmehr verschlechtert. Wenn man die zehn Jahre des Krieges gegen die russische Besatzung kritisch betrachtet, dann läßt sich daraus lernen, daß der Konflikt in Afghanistan militärisch nicht zu lösen ist, was auch die NATO-Generäle heute bestätigen. Ich appelliere persönlich an die NATO, die Bundesregierung und an die Spitze der Vereinigten Staaten von Amerika, in Afghanistan wirklich eine demokratische Ordnung im wahrsten Sinne des Wortes zu etablieren, in der alle politischen Gruppierungen vertreten sind, damit der Konflikt friedlich gelöst wird. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Und das sollte schnellstmöglich erfolgen, damit nicht jeden Tag Afghanen sterben, aber auch keine NATO-Soldaten, Amerikaner und Deutsche.

BW: Der Afghanistankrieg läuft bereits länger als der Zweite Weltkrieg. Zehn Jahre des Tötens in einem Volk, das weder am 11. September noch an einem Anschlag irgendwo in Deutschland oder Europa beteiligt war, dürfen nicht sein. Afghanistan ist das Opfer von Intrigen. Die Invasion unseres Landes war von den Amerikanern bereits im April 2001 beschlossen worden. Der 11. September hat ihnen einfach eine Rechtfertigung dazu gegeben. Die Amerikaner haben am 7. Oktober in Afghanistan interveniert, nach nicht einmal vier Wochen. Diese gewaltige logistische Herausforderung, die Armee nach Afghanistan zu versetzen, war nur zu bewältigen, weil die Vorbereitungen dazu lange vorher in Gang gesetzt wurden.

SB: Was halten Sie von der Position der Bundesregierung, die zumindest zeitweilig die Ansicht vertreten hat, daß Deutschland am Hindukusch verteidigt wird?

NH: Das ist eine These von Herrn Struck, und ich glaube, die ist mittlerweile überholt. Ob er das selber so sieht? Ich habe das nie so gesehen. Doch die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land im Westen, das trotz der Kundus-Affäre in Afghanistan ein sehr hohes Ansehen genießt. Deutschland kann eine sehr wichtige Rolle bei der Lösung des Konfliktes spielen. Und ich glaube auch, daß die Vereinigten Staaten von Amerika ihre demokratischen Prinzipien auf Afghanistan übertragen sollten. Demokratie heißt Volksbefragung, daß das Volk beteiligt wird und mitreden darf, und nicht, daß sich bestimmte Interessen durchsetzen. Vor allem darf man keine Kriegsverbrecher, Kriegsfürsten und Menschenrechtsverletzer unterstützen. Was zur Zeit geschieht, ist nicht akzeptabel. Ich denke, demokratische Staaten sollten so etwas nicht machen, sonst verlieren sie ihr Ansehen.

SB: Wie fühlen Sie sich als ein in Deutschland lebender Afghane? Wie ist die Resonanz aus der Bevölkerung? Schließlich kommen Sie aus einem Land kommen, in dem ein Krieg herrscht, an dem Deutschland beteiligt ist. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht?

NH: Ich habe hier keine Vorurteile gegenüber Afghanen erlebt noch persönlich Ressentiments erfahren. Ich denke schon, daß die deutsche Bevölkerung uns gegenüber sehr freundlich gesonnen ist, sonst wäre ich nicht so lange hier. Das ist die Wahrheit. Die Deutschen genießen in Afghanistan großes Ansehen. Natürlich bestätigen Ausnahmen immer die Regel, aber ich sage, im großen und ganzen bin ich sehr gut aufgenommen worden und wir sind froh, hier in diesem Land zu leben. Deutschland ist mittlerweile für uns zur zweiten Heimat geworden, und deswegen fordern wir unsere Bundesrepublik Deutschland - ich besitze die deutsche Staatsbürgerschaft -, auf, einen friedlichen Prozeß in Afghanistan anzustoßen.

SB: Was sagen Sie zur Unterstützung durch die Friedensbewegung? Wir befinden uns auf einem Boot der Friedensbewegung, mitgetragen unter anderem von der Partei Die Linke.

NH: Der Begriff Friede gehört weder den Linken noch den Rechten noch sonst jemandem. Er gehört allen Menschen. Ich glaube, jeder Mensch sollte sich für Frieden einsetzen. Es liegt in der Verantwortung eines jeden Menschen, egal in welcher politischen Richtung er tätig ist, daß er sich für den Frieden engagiert. Das ist eine gute Sache, und ich finde es ganz toll, daß die Friedensbewegung hier wirklich aktiv geworden ist. Und ich wünsche der Friedensbewegung viel Glück, und ich wünsche vor allem meiner Heimat endlich nach 33 Jahren einen richtigen und ehrlichen Frieden.

BW: Ich bin ein wenig enttäuscht von der Friedensbewegung im allgemeinen, weil sich die vielen anderen Gruppen, die in der Vergangenheit für Frieden gekämpft haben, nicht an der Demonstration beteiligt haben, wie zum Beispiel der DGB, die Grüne Jugend und auch die Jusos von der SPD. Es ist traurig, daß sie diesen Krieg zugelassen haben, auch wenn er von vielen Organisationen, von den Jusos, aber auch von der Grünen Jugend gar nicht mitgetragen wird. Sie hätten eigentlich herkommen und zeigen können, daß sie trotz der Entscheidung der damaligen Verantwortlichen Fischer und Schröder aktiv für den Frieden eintreten. Aber ich freue mich dennoch sehr, daß eine so große Demonstration am Samstag stattgefunden hat, die wir von Anfang bis zum Ende begleitet haben, und wir wünschen uns, daß es weiter so geht.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Vier Vertreter der Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan - Foto: © 2011 by Schattenblick

Delegation der Kommission für Frieden und Freiheit in Afghanistan
Foto: © 2011 by Schattenblick

27. Dezember 2011