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INTERVIEW/127: Afrikas Erde - Alicia Kolmans plädiert für Unterstützung der Kleinbauern (SB)


Industrielle Landwirtschaft löst das Hungerproblem nicht

Interview mit Alicia Kolmans am 8. August 2012 in Hamburg


Alicia Kolmans - Foto: © 2012 by Schattenblick

Alicia Kolmans
Foto: © 2012 by Schattenblick

Alicia Kolmans ist Referentin für Welternährungsfragen beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR in Aachen. Auf einer Veranstaltung der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem GIGA - German Institute of Global and Area Studies am 8. August in Hamburg unter dem Titel "Afrikas Zukunft? Europäische Entwicklungspolitik versus Landgrabbing. Oder: Stehen wir vor einem neuen Kolonialismus?" [1] sprach sich Frau Kolmans in ihrem Vortrag insbesondere für eine Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft aus. Erforderlich seien Landreform und Ernährungssouveränität, nicht Landgrabbing und ein industrielles Ernährungssystem. Im Anschluß an die Veranstaltung beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick: Haben Sie während Ihrer Arbeit für MISEREOR selbst erlebt oder vom Hörensagen davon Kenntnis bekommen, wie Landgrabbing abläuft?

Alicia Kolmans: Ich persönlich nicht, aber MISEREOR ist über Partner involviert. Wir haben mehrere Fälle dokumentiert und einen Kollegen, der als Berater für Landfragen in Afrika tätig ist. Er war in Mosambik, hat mit Partnern die Probleme dort erfaßt und mehrere Workshops zu diesem Thema durchgeführt. Da wir arbeitsteilig verfahren, kann ich selbst nicht von konkreten Fällen berichten. Wir haben jedoch einen Journalisten auf Reisen geschickt und dieses Buch von Thomas Kruchem [2] herausgegeben, das ich bei meinem Vortrag vorgestellt habe. Er hat mit vielen unserer Partnerorganisationen vor Ort gesprochen und berichtet auch von konkreten Fällen.

SB: Arbeitet MISEREOR eng mit Regierungen zusammen und werden Sie dabei unterstützt oder gibt es auch Beispiele, wo Ihres Erachtens die Projektarbeit von Regierungsseite erschwert wurde?

AK: Wir haben das Privileg, als Kirche von der Regierung zwar Mittel zur Unterstützung unserer Projekte zu bekommen, aber weitgehend frei damit umgehen zu können.

SB: Und wie verhält es sich hinsichtlich der Regierungen in den afrikanischen oder lateinamerikanischem Ländern?

AK: Dort kommt es immer wieder vor, daß unsere Partner bedroht werden. Da wir nicht selber vor Ort präsent sind, sind es vorwiegend die Partnerorganisationen, die Probleme bekommen können. Hin und wieder kommt es natürlich auch dazu, daß MISEREOR selber genannt wird. Das gilt beispielsweise für Peru, wo wir im Bereich extraktive Industrie sehr aktiv sind, um einmal meinen Sektor zu nennen. Der peruanische Präsident hat bei seinem Besuch in Deutschland MISEREOR als ein Problem in seinem Land bezeichnet, weil wir sehr viele kritische Organisationen in diesem Bereich unterstützen.

SB: Das ist dann, wenn man so will, doch eine Art Kompliment für Ihre Arbeit?

AK: Ja, natürlich. Aber man muß vorsichtig damit umgehen.

SB: Sie sprachen davon, daß die Kleinbauern etwa 56 Prozent der Welternährung leisten. Nun ist es aber so, daß eine Milliarde Menschen hungert, also für sie Nahrung fehlt. Fallen unter diese Milliarde nicht auch wieder insbesondere Kleinbauern?

AK: Ja. 50 Prozent der Hungernden sind Kleinbauern und landlose Landarbeiter. Dennoch ernähren sich diese Menschen mehr schlecht als recht selbst und darüber hinaus auch andere Teile der Bevölkerung. Es gibt wenig Daten dazu, und ich hatte in meinem Vortrag versucht, in der gezeigten Folie zusammenzufassen, welche Informationen darüber vorliegen. Es scheint relativ deutlich zu sein, daß es immer noch die Kleinbauern sind, die die Welt ernähren. Insofern sollte die Politik mit der Förderung der Landwirtschaft und entsprechenden Investitionen da ansetzen. Trotz des mangelnden Zugangs zu Land und anderen Produktionsmitteln, zu Krediten und zu Wissen sind es immer noch die Kleinbauern, die die Welt ernähren. Was soll denn passieren, wenn diese Menschen ihr Land verlieren und nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sein können? Was soll denn die Alternative sein? Das ist eine Frage, die man sich stellen muß. Sollen alle in die Städte gehen und was sollen sie dort machen? Es fehlt ja in den meisten der betreffenden Länder auch an Industrie oder anderen Sektoren, in denen diese Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen könnten. Die Landwirtschaft ist vielfach der einzige Bereich, der die Menschen noch am Leben hält und somit auch zur Vermeidung von Konflikten beiträgt.

SB: Wie schätzen Sie es ein, daß für die großen Agro-Konzerne wie etwa Monsanto oder Syngenta nicht nur mit Blick auf die Gentechnik Priorität nicht die Ernährung der Welt, sondern die Erwirtschaftung von Profiten genießt? Sind diese Unternehmen nicht ohnehin die falsche Adresse, wenn es um ein derart existentielles Problem wie die Welternährung geht?

AK: Ja, absolut! Sie sind die falsche Adresse, und das Besorgniserregende ist, daß momentan internationale Agrarpolitik, internationale Entwicklungspolitik sehr stark auf private Investitionen und auf industrielle Landwirtschaft für die Lösung des Hungerproblems setzt. Zumindest wird das so behauptet, daß es dazu beitragen soll, den Hunger zu bekämpfen. Wir denken, daß das genau in die entgegengesetzte Richtung gehen wird.

SB: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Engagement der Bundesregierung mit einem Entwicklungshilfeminister der FDP zur Unterstützung der Land Matrix?

AK: Es gibt diesen Glauben, daß man private Investitionen tatsächlich auch positiv gestalten und beispielsweise Kleinbauern daran verdienen lassen kann, indem man etwa Modelle der Vertragslandwirtschaft unterstützt: Die Kleinbauern produzieren und die Produktionsmittel kommen von den Konzernen, die wiederum den Kleinbauern die Produkte abkaufen. Das sind jedoch keine neuen Konzepte, und sie haben in der Vergangenheit nicht funktioniert. Warum sollten sie also jetzt funktionieren? Die Konzerne haben nicht das Interesse, die kleinbäuerliche Produktion und die Versorgung der lokalen Märkte zu fördern. Sie wollen vielmehr Cash crops für den Export produzieren.

SB: Sie sprachen in ihrem Vortrag im Zusammenhang des Klimawandels auch die Produktion von Futtermitteln zur Fleischerzeugung an. Plädieren Sie für Fleischverzicht und wenn ja, wie könnte das aussehen?

AK: Nein. Wir plädieren nicht für Fleischverzicht, sondern für ein Weniger an Fleisch und für mehr Qualität. Das kann auf der einen Seite so aussehen, daß jeder einzelne sein Konsumverhalten ändert, das kann aber auch so aussehen, daß entsprechende Rahmenbedingungen etwas Derartiges regulieren. Wir haben eine Studie zu Rahmenbedingungen, die den Fleischkonsum lenken könnten, durchgeführt, für die eine Kollegin von mir federführend zuständig ist. Man könnte beispielsweise den Import von Futtermitteln wie Soja reduzieren oder festlegen, wie groß fleischproduzierende Betriebe sein dürfen und wie sie zu wirtschaften haben, etc.

Im Gespräch auf einer Parkbank - Foto: © 2012 by Schattenblick

Alicia Kolmans mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Heute werden Kriege nicht zuletzt um Energieträger wie Erdöl geführt. Steht da nicht zu befürchten, daß in absehbarer Zukunft auch Kriege um Ackerland und Nahrungsmittel geführt werden?

AK: Ja, klar. Ich weiß nicht, ob man von regelrechten Kriegen sprechen kann, doch gibt es auf jeden Fall bereits solche Konflikte. Es kommt zu Vertreibungen, zu Morden an Menschen, die sich dagegen wehren, das gibt es alles schon. Daher birgt diese Problematik ein großes Konfliktpotential.

SB: Der Titel der heutigen Veranstaltung lautete "Europäische Entwicklungspolitik versus Landgrabbing". Das ist angesichts der Fülle des Themas vielleicht etwas untergegangen. Wie bewerten Sie die europäische Entwicklungspolitik bezogen auf Landgrabbing? Das wurde leider überhaupt nicht thematisiert. Wenn beispielsweise Exportsubventionen zwar abgebaut werden, dann aber auf Umwegen die Agrarpolitik der Europäer in der weltweiten Konkurrenz doch wieder zur Wirkung kommt, werden die Länder des Südens geschädigt.

AK: Gerade was bestimmte Produktionsbereiche angeht wie beispielsweise die Fleischerzeugung fördert die EU-Agrarpolitik eine bestimmte Art der Produktion, nämlich vorwiegend eine industrielle Landwirtschaft. Es ist inzwischen ja weithin bekannt, daß die meisten Subventionen der EU in die Großlandwirtschaft fließen und nicht in die bäuerliche Landwirtschaft. Wir subventionieren also eine Produktion, die sehr stark auf importierte Soja als Futtermittel setzt. Insofern gibt es da auf jeden Fall indirekte Wirkungen.

SB: Frau Kolmans, wir bedanken uns für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] Siehe dazu BERICHT/116: Afrikas Erde - Kleinbauern Opfer neokolonialen Landraubs (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0116.html

INTERVIEW/126: Afrikas Erde - Dr. Wilfried Bommert zu Landraub (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0126.html

[2] Thomas Kruchem: Der große Landraub. Bauern des Südens wehren sich gegen Agrarinvestoren, Brandes & Apsel, 2012

14. August 2012